Pressekonferenz Leben in Deutschland: Datenreport 2013 am 26. November 2013 in Berlin -Statement von Roderich Egeler- Es gilt das gesprochene Wort Das deutsche Jobwunder Beim Blick auf den deutschen Arbeitsmarkt der letzten Jahre wird vielfach von einem Jobwunder gesprochen. In der Tat waren im Jahr 2012 in Deutschland mit 41,5 Millionen so viele Menschen erwerbstätig wie nie zuvor. Die Zahl der Erwerbstätigen ist im siebten Jahr in Folge gestiegen. Trotz der Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise zeigt sich der deutsche Arbeitsmarkt vor allem auch im europäischen Vergleich in guter Verfassung. Schaubild 1 Entwicklung der Erwerbstätigen und der Erwerbslosen Millionen 42 40 Erwerbstätige 1991 94 97 2000 03 06 09 12 38 36 Millionen 6 Erwerbslose 4 2 0 1991 94 97 2000 03 06 09 12 1
Ein Rückblick zeigt, dass nach der deutschen Vereinigung die Erwerbstätigenzahl zunächst rückläufig war, mit einem Tiefstand 1997 von 37,6 Millionen. Nach einem Erwerbstätigenhoch im Jahr 2001 mit 39,3 Millionen ging sie parallel zur konjunkturellen und globalen Entwicklung erneut leicht zurück, blieb aber deutlich über dem Niveau der 1990er Jahre. Seit 2006 ist ein klarer Aufwärtstrend erkennbar. Selbst während des Wirtschaftseinbruchs im Jahr 2009 stiegen die Erwerbstätigenzahlen an. Im Jahr 2012 hatten rund 2,8 Millionen Personen mehr eine bezahlte Arbeit als 1991. Die positive Entwicklung bei den Erwerbstätigen schlägt sich auch bei der Zahl der Erwerbslosen nieder. Nach internationaler Abgrenzung waren im Jahr 2012 rund 2,3 Millionen erwerbslos, so wenige wie noch nie seit 1991. Die jahresdurchschnittliche Erwerbslosenquote von 5,3 % war eine der niedrigsten im europäischen und internationalen Vergleich. Bei der Entwicklung der Erwerbslosenzahl zeigen sich deutliche Parallelen zu den Trends bei den Erwerbstätigen. Besonders bemerkenswert ist die deutliche Abnahme seit 2006. Arbeitsvolumen sinkt Das sogenannte deutsche Jobwunder relativiert sich jedoch, wenn man nicht nur die Personen betrachtet, sondern die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden und damit das Arbeitsvolumen. Im Jahr 2012 lag das Arbeitsvolumen trotz einer deutlich größeren Zahl an Erwerbstätigen unter dem Wert von 1991. Die Zahl der von jedem Erwerbstätigen durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden ist in den letzten 20 Jahren fast kontinuierlich gesunken. Das geringere Jahresarbeitsvolumen wurde also auf mehr Schultern verteilt. Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung war die zunehmende Zahl der Erwerbstätigen, die gewollt oder unfreiwillig in Teilzeit arbeiten darunter vor allem Frauen. Zudem haben auch andere Formen sogenannter atypischer Beschäftigung zugenommen, die seltener in Vollzeit ausgeübt werden. Atypische Beschäftigungsformen nehmen zu In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich in Deutschland ein deutlicher Wandel der Erwerbsformen vollzogen. Die klassische zeitlich unbefristete Vollzeitbeschäftigung ist zwar weiterhin die dominierende Beschäftigungsform. Mittlerweile prägen aber auch sogenannte atypische Erwerbsformen den deutschen Arbeitsmarkt und machen eine differenzierte Betrachtung notwendig: Die Ausweitung der atypischen Beschäftigungsverhältnisse hat einerseits einer größeren Zahl von Menschen ermöglicht, am Erwerbsleben teilzuhaben. Andererseits ist sie aber häufig mit einer geringeren sozialen Absicherung und einem geringeren Einkommen verbunden. Zur atypischen Beschäftigung zählen befristete Beschäftigung, Teilzeitbeschäftigung unter 21 Wochenstunden, geringfügige Beschäftigung sowie Zeit- und Leiharbeit. Von den 36,3 Millionen Kernerwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahren (ohne Auszubildende, 2
Studierende und Schüler) waren 2012 rund 24,2 Millionen Personen normal erwerbstätig und 7,9 Millionen atypisch beschäftigt. Damit befand sich mehr als jeder fünfte Erwerbstätige, also fast 22 % in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis. Die Verschiebung der Anteile zwischen Normalbeschäftigung und atypischer Beschäftigung begann bereits 1993. Damals waren rund 13 % der Kernerwerbstätigen atypisch beschäftigt. Bis 2006 stieg der Anteil kontinuierlich auf 22 % an. Zwischen 2006 und 2011 stagnierte er und ging im Jahr 2012 erstmals wieder auf knapp unter 22 % zurück. Parallel mit dem Anstieg atypischer Beschäftigungsformen ging der Anteil der Normalarbeitsverhältnisse bis 2006 zurück. Seitdem ist er weitgehend stabil. Dies bedeutet, dass angesichts insgesamt gestiegener Erwerbstätigenzahlen seit 2006 auch die absolute Zahl der Normalarbeitsverhältnisse kontinuierlich zugenommen hat insgesamt um rund 2,1 Millionen. Wer sind die atypisch Beschäftigten? Nicht alle Personengruppen sind in gleicher Weise von atypischer Beschäftigung betroffen: Frauen sind beispielsweise sehr viel häufiger in atypischer Beschäftigung als Männer. Im Jahr 2012 waren fast 33 % der erwerbstätigen Frauen atypisch beschäftigt, die meisten davon (78 %) in Teilzeit mit bis zu 20 Wochenstunden. Bei den Männern waren lediglich 12 % in einer atypischen Beschäftigungsform, der größte Teil davon (57 %) in einer befristeten Beschäftigung. Unterschiede werden auch bei der Betrachtung des Bildungsstandes erkennbar. So waren Erwerbstätige ohne einen anerkannten Berufsabschluss zu 37 % atypisch beschäftigt. Dies traf hingegen nur auf 22 % der Personen mit einem Lehr- oder Berufsfachschulabschluss und auf 14 % der Erwerbstätigen mit einem weiterführenden Fachschulabschluss oder einem Hochschulabschluss zu. Schaubild 2 Anteile atypisch Beschäftigter 1991 22 18 2002 2012 22 33 33 31 26 19 29 37 13 13 Insgesamt Frauen 15- bis 24-Jährige gering Qualifizierte 3
Unterteilt man die Erwerbstätigen nach dem Alter, so ist atypische Beschäftigung vor allem unter jungen Erwerbstätigen zu finden. Den höchsten Anteil (33 %) hatten 15- bis 24-Jährige. Sie befanden sich überwiegend in einer befristeten Beschäftigung. Auch der Anteil in Zeitarbeit ist in dieser Altersgruppe größer als in allen anderen. In den dargestellten Personengruppen war die atypische Beschäftigung über den gesamten Zeitraum seit 1991 überdurchschnittlich stark verbreitet. Insbesondere bei den gering qualifizierten Erwerbstätigen ist der Anteil der atypisch Beschäftigten deutlich angestiegen. Es gibt noch eine weitere Entwicklung, die die deutsche Gesellschaft seit einigen Jahren prägt: Parallel zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes steigen zwar die Beschäftigtenzahlen. Gleichzeitig sind jedoch auch immer mehr Menschen von Armut bedroht. Nach den Ergebnissen aus LEBEN IN EUROPA (EU-SILC) 2012 lag der Anteil armutsgefährdeter Personen in der Gesamtbevölkerung in Deutschland im Jahr 2011 bei 16,1 %. Als arm galt 2011, wer über weniger als 980 Euro im Monat verfügte. Vier Jahre zuvor im Jahr 2007 hatte der Anteil noch bei 15,2 % gelegen. Schaubild 3 Armutsgefährdungsquote nach Zahlung von Sozialleistungen 15,2 15,5 15,6 15,8 16,1 2007 2008 2009 2010 2011 10 986 11 151 11 278 11 426 11 757 Schwellenwert für Armutsgefährdung (EUR/Jahr) Armutsrisiko unterscheidet sich nach Geschlecht und Alter Das Armutsrisiko von Frauen ist über alle Altersgruppen hinweg höher als das von Männern. Es stieg bei den Frauen im Zeitraum 2007 bis 2011 von 16,2 % auf 17,2 %, bei den Männern von 14,2 % auf 14,9 %. Die Betrachtung verschiedener Altersgruppen zeigt, dass 18- bis 24-Jährige und 55- bis 64- Jährige in den letzten Jahren weitaus häufiger von Armut bedroht waren, als Menschen anderer Altersgruppen. Unter den 18- bis 24-Jährigen war bereits in 2007 mit 20,2 % mehr als jede fünfte 4
Person armutsgefährdet. Dieser Anteil hat sich bis 2011 noch weiter erhöht, und zwar auf 20,7 %. Auch bei der 55- bis 64-jährigen Bevölkerung stieg das Armutsrisiko innerhalb von vier Jahren deutlich an: von 17,7 % im Jahr 2007 auf 20,5 % im Jahr 2011. Personen der übrigen Altersgruppen waren dagegen seltener armutsgefährdet. Auch Erwerbstätige sind armutsgefährdet Bezogen auf den Erwerbsstatus, ist das Armutsrisiko bei Arbeitslosen erwartungsgemäß am größten: Bereits 2007 war mit 56,8 % mehr als die Hälfte der überwiegend arbeitslosen Menschen armutsgefährdet. Bis 2011 hat sich dieser Anteil weiter erhöht auf 69,3 %. Erwerbstätigkeit und ein hoher Bildungsstatus verringern dagegen das Risiko, in die Einkommensarmut abzugleiten. So lag das Armutsrisiko von überwiegend erwerbstätigen Personen ab 18 Jahren im Zeitraum 2007 bis 2011 zwischen 7,1 % und 7,8 % und damit weit unter dem durchschnittlichen Armutsrisiko der Bevölkerung. Doch auch unter den Erwerbstätigen ist der Anteil der armutsgefährdeten Personen seit 2007 leicht gestiegen. Schaubild 4 Armutsgefährdungsquote nach Sozialleistungen nach überwiegendem Erwerbsstatus 1 Erwerbstätig Nicht erwerbstätig Arbeitslos Im Ruhestand 69,3 56,8 22,8 24,4 15,0 15,1 7,1 7,8 2007 2011 Quelle: EU-SILC 1 Personen ab 18 Jahren. Überwiegend, d.h. mehr als sechs Monate pro Jahr erwerbstätig. Die Zuordnung zum Erwerbsstatus erfolgt aufgrund der Selbsteinschätzung der Befragten. Bei den Erwerbstätigen beeinflusst vor allem die Art der Erwerbsform die Armutsgefährdung. Wer überwiegend in Vollzeit erwerbstätig ist, hat ein sehr viel geringeres Armutsrisiko als jemand, der in Teilzeit arbeitet: 2011 lag der Anteil armutsgefährdeter Vollzeit-Erwerbstätiger bei 5,7 %. Unter den Teilzeit-Erwerbstätigen waren dagegen mit 11,3 % etwa doppelt so viele Menschen von Armut betroffen. Auch ein Dauerarbeitsverhältnis verringert das Armutsrisiko erwerbstätiger Menschen erheblich: Während 2011 lediglich 5,8 % der Erwerbstätigen mit unbefristetem Arbeitsvertrag armutsgefährdet waren, belief sich der Anteil unter den Erwerbstätigen mit befristeten Verträgen auf 15,7 %. 5
Schaubild 5 Armutsgefährdungsquoten Erwerbstätiger ab 18 Jahren nach Sozialleistungen 1 in Vollzeit in Teilzeit mit unbefristetem Arbeitsvertrag mit befristetem Arbeitsvertrag 14,8 15,7 10,8 11,3 5,4 5,8 5,7 5,8 2007 2011 Quelle: EU-SILC 1 Überwiegend, d.h. mehr als sechs Monate pro Jahr erwerbstätig. Selbsteinschätzung der Befragten. 6