Präsentation des Zwischenberichtes der Expertenkommission TBTF Ausführungen von Dr. Patrick Raaflaub, Vizepräsident der Expertenkommission an der Medienkonferenz vom 22. April 2010 1. Organisationsstruktur systemrelevanter Banken Neben erhöhten Anforderungen an Eigenmittel, Liquidität und Risikoverteilung systemrelevanter Banken schlägt die Expertenkommission zudem vor, dass die Aufsichtsbehörde unter bestimmten Voraussetzungen auch Auflagen zur Organisationsstruktur systemrelevanter Banken machen kann. Weshalb? Die von der Expertenkommission vorgeschlagenen Massnahmen verfolgen drei miteinander verbundene Ziele: Prävention: Insbesondere die Anforderungen an Eigenmittel, Liquidität und Risikoverteilung sollen die Gefahr vermindern, dass eine systemrelevante Bank in eine Krise gerät. Krisenbewältigung: Erhöhte Liquiditätsanforderungen und Massnahmen zur Erleichterung eines raschen Risikoabbaus sollen sicherstellen, dass eine systemrelevante Bank eine Krise aus eigener Kraft oder mit Rückgriff auf einen hoheitlichen Akt der Aufsichtsbehörden überwindet. Erleichterte Abwicklung im Insolvenzfall: Massnahmen zur Abwicklung einer systemrelevanten Bank sollen im Interesse der Volkswirtschaft das Weiterführen systemrelevanter Funktionen ohne schädliche Externalitäten ermöglichen. Erst dadurch wird die zum Vermeiden falscher Anreize (Stichwort moral hazard ) wichtige Insolvenzdrohung auch für systemrelevante Banken glaubwürdig. Dieses letzte Ziel betrifft die von der Expertenkommission vorgeschlagenen organisatorischen Massnahmen. Die Komplexität der Organisationsstrukturen grosser Banken erschwert ihre Abwicklung und führt zu höheren Kosten zum Schaden aller
- 2 - Beteiligten. Die Komplexität zeigt sich u.a. in einer Vielzahl von Rechtseinheiten und Niederlassungen mit einem komplizierten System von Kapitalflüssen und Garantievergaben zwischen den verschiedenen Einheiten. Erschwerend kommt im Schweizer Bankensektor hinzu, dass insbesondere die beiden Grossbanken einen bedeutenden Aktivenüberhang im Ausland aufweisen, d.h. die Verpflichtungen in der Schweiz sind grösser als die in der Schweiz vorhandenen Aktiven. Weiter sind die Grossbanken oft auch im Ausland von systemischer Bedeutung. Diese Situation macht die Schweiz besonders verwundbar gegenüber Druck aus dem Ausland, eine Bank mit staatlichen Mitteln zu retten. Der hohe Auslandanteil würde im Fall eines Konkurses zu grossen juristischen und operativen Problemen führen. Die systemrelevanten Banken sollen durch organisatorische Massnahmen sicherstellen, dass ihre systemrelevanten Funktionen im Fall ihrer Insolvenz weitergeführt werden können. Zu denken ist an die Vereinfachung der rechtlichen Strukturen und die Entflechtung konzerninterner Beziehungen. Dadurch soll eine ordentliche Abwicklung unter Weiterführung systemrelevanter Funktionen im Krisenfall ermöglicht werden, ohne dass der gesamte Konzern gerettet werden muss. Dies reduziert das Risiko für die öffentliche Hand. Das bestehende Schweizer Bankenkonkursrecht erlaubt der FINMA nur in sehr eingeschränktem Umfang, im Rahmen einer Konkursliquidation Geschäftsbereiche herauszulösen. Die Übertragung systemrelevanter Funktionen auf eine Übergangsbank (sog. bridge bank ) soll jedoch durch die vom Bundesrat geplante Revision des Bankinsolvenzrechts erleichtert und auf das Sanierungsverfahren ausgedehnt werden. Das Abtrennen von systemrelevanten Funktionen bedarf einer intensiven Vorbereitung. Diese Vorbereitung soll in Zukunft von den systemrelevanten Banken dauernd verlangt werden. Die Aufsichtsbehörde muss diesen Prozess unterstützen und prüfen. Die systemrelevanten Banken müssen so organisiert sein, dass im Insolvenzfall die systemrelevanten Funktionen (z.b. der Zahlungsverkehr oder das Kredit- und Einlagengeschäft) weitergeführt werden können. Zu prüfen wäre beispielsweise die Vorbereitung einer Übertragung von systemrelevanten Funktionen in einem asset deal, welcher durch das neue Bankinsolvenzrecht erleichtert wird.
- 3 - Die Expertenkommission schlägt vor, dass die Aufsichtsbehörde solche in die Struktur der Banken eingreifenden Massnahmen nur subsidiär anordnen darf, wenn die Weiterführung systemrelevanter Funktionen im Insolvenzfall der Bank nicht gewährleistet ist. Durch die Expertenkommission sind diese subsidiär anzuordnenden organisatorischen Massnahmen noch vertieft zu prüfen. Diese betreffen insbesondere folgende Bereiche: Die Ausgliederung systemrelevanter Funktionen in besondere rechtliche Einheiten. Die Beschränkung der konzerninternen Verflechtungen von systemrelevanten Funktionen und deren Abhängigkeit von zentral geführten Funktionen (z.b. Treasury, IT- Dienstleistungen, Risk-Management). Die Beschränkung der geographischen Asymmetrie von Passiven und Aktiven. 2. Noch zu prüfende weitere Massnahmen Neben den geschilderten Kernmassnahmen will die Expertenkommission noch weitere Massnahmen vertieft prüfen. Eine erste Gruppe umfasst Massnahmen im Bereich der Finanzmarktinfrastruktur. Darunter fällt die Entwicklung von Handelsplattformen mit zentralen Gegenparteien zur Verhinderung von Dominoeffekten. Mit einer Begrenzung des Umfangs an Dienstleistungen, die eine Nicht-Grossbank von einer Grossbank oder einer anderen Bank beziehen darf, könnte das operative Risiko reduziert werden. Dies würde das von einem Ausfall einer Grossbank ausgehenden Ansteckungsrisiko auf den Rest des Bankensystems verringern. Eine zweite Gruppe von Massnahmen soll die Abwicklung einer global tätigen Bank im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ermöglichen bzw. vereinfachen. Auf nationaler E- bene besitzt die Schweiz bereits heute ein im internationalen Vergleich fortschrittliches Bankinsolvenzrecht. Zudem sind Arbeiten zur Ergänzung dieser Vorschriften insbesondere des Banksanierungsverfahrens bereits weit fortgeschritten. Der Bundesrat wird voraussichtlich noch vor der Sommerpause eine Botschaft zur Verbesserung des Banksanierungsverfahrens und der Abwicklung von Banken-
- 4 - konkursen vorlegen. Dadurch wird neben der erwähnten Weiterführung von einzelnen Bankdienstleistungen durch Übertragung auf ein anderes Institut oder eine Übergangsbank ( bridge bank ) die Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren vereinfacht. Offen bleibt, wie die im nationalen Recht verankerten Massnahmen international anerkannt und umgesetzt werden können. Von der Expertenkommission wird nun zu prüfen sein, inwiefern im Zusammenhang mit der Weiterführung von systemrelevanten Funktionen ein zusätzlicher Regelungsbedarf besteht. Langfristig anzustrebendes Ziel bleibt schliesslich ein internationales oder zumindest international koordiniertes Konkursrecht für global tätige Finanzkonzerne. Dieses Ziel kann die Schweiz offensichtlich nicht allein erreichen. Die dritte Gruppe betrifft steuerliche Massnahmen. Bei solchen Lösungen müssen die Banken eine Steuer auf ihren Aktiven oder ihrer Verschuldung entweder direkt in die Staatskasse oder in einen Fonds einzahlen. Die Expertenkommission ist der Auffassung, dass Steuer- bzw. Versicherungslösungen zur Lösung der Too-big-to-fail - Problematik (TBTF) wenig geeignet sind. Zielführender erscheinen grundsätzlich die erwähnten Kernmassnahmen in Bezug auf Eigenmittelanforderungen. 3. Verworfene Massnahmen Eine Reihe weiterer Massnahmen will die Expertenkommission nicht weiter verfolgen. Darunter finden sich insbesondere Massnahmen, die übermässig in das Geschäftsmodell der Banken eingreifen oder falsche Anreizwirkungen haben: Direkte Grössenbeschränkungen, sei dies via Bilanzsumme oder Marktanteil, und eine Zerschlagung der Grossbanken werden als zu rigoros eingestuft und abgelehnt. Auch direkte Einschränkungen des Geschäftsmodells etwa das Narrow Banking mit fristenkongruenten Ausleihungen und Verbindlichkeiten, bei dem Banken mit Einlagengeschäft nur risikoarme, liquide Aktiven halten dürfen, und ein Verbot des Eigenhandels (sog. Trennbankensystem) werden nicht weiter verfolgt. Auch die Möglichkeit der Aufteilung der Verpflichtungen bei einer Rettung zwischen zwei oder mehreren Staaten (sog. Burden Sharing) oder die Errichtung eines Doppelsitzes
- 5 - wird nicht weiterverfolgt, da der hierzu erforderliche internationale Konsens derzeit nicht gegeben ist. Ebenso werden die Möglichkeiten einer umfassenden oder limitierten, expliziten Staatsgarantie für systemisch relevante Banken nicht weiter verfolgt. Eine solche Garantie ist nicht Teil des Untersuchungsgegenstandes, da sie nicht auf eine Lösung der TBTF-Problematik hinwirkt. Auch kartellrechtliche Massnahmen werden nicht weiter verfolgt, da andere Massnahmen die TBTF-Problematik wesentlich zielgerichteter adressieren. 4. TBTF im Versicherungssektor Zum Schluss einige Worte zum Versicherungssektor. Er ist für die Gesamtwirtschaft der Schweiz zwar bedeutend. Dennoch besteht hinsichtlich der TBTF-Kriterien kein faktischer Rettungszwang für ein in der Schweiz niedergelassenes und von der FINMA beaufsichtigtes Versicherungsunternehmen. Aufgrund der Wettbewerbssituation im Markt ist eine rechtzeitige Substitution der Versicherungsdienstleistungen momentan allgemein gewährleistet. Zudem sind bestimmte Versicherungen für eine Volkswirtschaft nicht unverzichtbar. Hinzu kommt, dass das Geschäftsmodell der Versicherungen, deren Kapitalausstattung und der Bildung von gebundenem Vermögen sowie das Aufsichtsrecht die notwendigen Voraussetzungen für eine reibungslose Abwicklung bieten und der bei Banken typische Zeitdruck im Krisenfall fehlt. Das versicherungsfremde Geschäft und die Kapitalmarktaktivitäten der Versicherungen hingegen erhöhen die Vernetzung mit dem restlichen Finanzsektor und bilden eine aufsichtsrechtliche Schwachstelle. Zur Beschränkung bestehender Risiken hat die FINMA Handlungsbedarf festgestellt, der jedoch in ihrem eigenen Kompetenzbereich liegt und von ihr weiterverfolgt wird (z.b. Absicherung von Versicherungsrisiken, Kreditausfall-Swaps, bestimmte Refinanzierungsaktivitäten).