Carmen Gransee/ Ulla Stammermann Diskussionspapiere

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Transkript:

Diskussionspapiere Carmen Gransee/ Ulla Stammermann Zur Reproduktion normativer Konstruktionen des Weiblichen im Kontext eines Kriminalisierungsprozesses. Eine Medienanalyse zum "Fall Monika Weimar"

Carmen Gransee/Ulla Stammermann Zur Reproduktion normativer Konstruktionen des Weiblichen im Kontext eines Kriminalisierungsprozesses Eine Medienanalyse zum "Fall Monika Weimar" Diskussionspapier, 5-91 Hamburger Institut für Sozialforschung, 1991 Hamburger Institut für Sozialforschung Mittelweg 36, 2000 Hamburg 13

Telefon: 040/414097-15 Telefax: 040/414097-11

Carmen Gransee/Ulla Stammermann Zur Reproduktion normativer Konstruktionen des Weiblichen im Kontext eines Kriminalisierungsprozesses Zusammenfassung Die hegemonialen Funktionen von Strafrecht und Kriminalisierungsprozessen sind bereits mehrfach Gegenstand kritischer Analysen gewesen. Die vorliegende Medienanalyse zum "Fall Monika Weimar" hingegen nimmt eine geschlechtsspezifische Perspektive auf öffentlich inszenierte Ausgrenzungsprozesse ein und zeigt, daß Kriminalisierungsprozesse - und insbesondere die Medienberichterstattung darüber -ein Forum patriarchaler Definitionsmacht darstellen und der ideologischen, Reproduktion des asymmetrischen Geschlechterverhältnisses dienen. The reproduction of normative constructs of femininity in the context of a criminal case Abstract There are various critical assessments on the dominating function of criminal law and scarletlettering as criminal. Our media-analysis of the "case of Monika Weimar" concentrates on the question of gender and demonstrates that the mechanism of criminalizing individuals - especially via the media - is characteristic of patrimonial dominance. It therefore ideologically perpetuates assymetrical gender-relations. Zu den Autorinnen Carmen Gransee, Dipl. Sozialwissenschaftlerin Ulla Stammermann, Dipl. Kriminologin Beide waren von Juni bis August 1990 am Hamburger Institut für Sozialforschung tätig.

Inhalt 1. VORBEMERKUNGEN... 5 2. THEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN... 6 Zur normenverdeutlichenden Funktion von Strafrecht und Kriminalisierung... 7 Zum Gestaltungspotential sozialer Realität der Massenmedien... 9 3. METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN... 13 Auswahl der Medien... 15 Vorgehensweise... 17 4. DIE MASSENMEDIALE INSZENIERUNG UND KONSTRUKTION DES "FALLES MONIKA WEIMAR" DURCH BILDERPRODUKTION... 20 "Die hat einen Freund, einen Neger"... 22 Eine ganz "normale" Ehe... 24 Ein ganz normales Ehepaar?... 27 Gewalt in der Ehe - das ist Alltag... 32 Gift in der Ehe... 36 Der "US-Lover"... 38 "Lug und Trug"... 45 "Die ist eiskalt"... 54 "Ein Zombie ist sie nicht..."... 58 5. RESÜMEE Die Inszenierung von Monika Weimar im Kontext des hierarchischen Geschlechterverhältnisses... 61 Das Eheverhältnis... 61 Sexualität... 64 Bilder von Weiblichkeit... 65 Aspekte der massenmedialen Inszenierung... 67

5 6. OFFENE FRAGEN Zur Wirklichkeitskonstruktion durch die Reproduktion von Klischees und Bildern... 70 7. LITERATUR... 72

5 Carmen Gransee/Ulla Stammermann ZUR REPRODUKTION NORMATIVER KONSTRUKTIONEN DES WEIBLICHEN IM KONTEXT EINES KRIMINALISIERUNGSPROZESSES Eine Medienanalyse zum "Fall Monika Weimar" 1. VORBEMERKUNGEN In einer Zeit gesellschaftlicher wie individueller Verunsicherung, in einer Zeit, in der konservative Kräfte angestrengt bemüht sind, tradierten Werten neues Leben einzuhauchen, in dieser Zeit wird eine Ehefrau und Mutter angeklagt, ihre zwei fünf und sieben Jahre alten Töchter "heimtückisch und aus krasser Selbstsucht" ermordet zu haben, "weil diese ihrer ehebrecherischen Beziehung zu einem US-Soldaten im Wege standen." Nachdem in der Ermittlungsphase mal die Mutter, mal der Vater der beiden Kinder von den strafrechtlichen Instanzen unter Mordverdacht gestellt worden war, erging am 27.10.1986 der Haftbefehl gegen Monika Weimar mit anschlieβender Anklageerhebung am 9.12.1986. Vorangegangen war dem Haftbefehl die Ablösung des bis dahin zuständigen Staatsanwaltes, der den Vater der Kinder für den Täter hielt. Am 8.1.1988 endete der auf Indizien beruhende Prozeβ vor dem Landgericht Fulda mit dem Urteil "lebenslänglich" für Monika Weimar. Widersprüchliche ZeugInnenaussagen, Indizien und Spekulationen über das Motiv lieβen Zweifel an dem Urteil aufkommen. Der Vorwurf des Justizskandals wurde laut. Andere Stimmen wiederum sahen in dem Urteil die "gerechte Strafe" für Monika Weimar. ZuschauerInnen klatschten bei der Urteilsverkündung Beifall. Am 18.2.1989 wurde die Revision verworfen - das Urteil war somit rechtskräftig. Der "Fall" - als "Fall des Jahres", gar des "Jahrhunderts" bezeichnet - bot eine Plattform, um altbackene Vorstellungen von Moral, ehelichen Pflichten, Mütterlichkeit und weiblicher Sexualmoral nachzuzeichnen. Die Botschaft, die diesem "Fall" entnommen werden kann, ist banal: dort, wo die Un-Moral Einzug erhält, steht die Katastrophe unweigerlich ins Haus. Eingängige, im Alltagswissen als plausibel erscheinende Erklärungsmuster lieβen das Unglaubliche als doch wahrscheinlich erscheinen. Eine Frau tötet ihre zwei Kinder, um dem

6 grauen Ehealltag zu entfliehen und frei für den Geliebten zu sein, der auf klare Verhältnisse drängt. Dieser zunächst absurd anmutenden "Erklärung" eines Tatgeschehens, auf das sich das urteilende Gericht verständigt hat, wird massenmedial Plausibilität eingehaucht, indem in der Berichterstattung der Printmedien geschlechtsspezifische normative Vorstellungen die Interpretationen und "Erklärungen" begleiten sowie insbesondere die Charakterisierung der "Kindsmörderin" in den Vordergrund rückt. Der Frage: "Wer ist Monika Weimar?" miβt beispielsweise eine Frankfurter Lokalzeitung (Abendpost Nachtausgabe vom 5.4.87) "prozeβentscheidende Bedeutung" zu. Und in der Tat scheint es - folgen wir der Logik der Berichterstattung -, als könne nur die Beantwortung dieser Frage Licht in das Dunkel der widersprüchlichen Ermittlungsergebnisse, ZeugInnenaussagen und Mutmaβungen über das Tatmotiv bringen. Wir haben diesen "Fall" zum Anlaβ genommen, die Berichterstattung der Printmedien einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Bei der Analyse der Medienberichterstattung, über die wir im weiteren Verlauf referieren werden, interessierte uns, wie eine Frau wahrgenommen und dargestellt wird, die unter dem Verdacht der zweifachen Kindestötung steht. Konkreter formuliert: Unser Interesse galt den geschlechtsspezifischen Darstellungen und den eingeforderten normativen Verhaltenszumutungen im Kontext eines Kriminalisierungsprozesses, 1 die über den Einzelfall hinausweisen. Die Inszenierung einer Person in den Massenmedien, die hier nachgezeichnet und analysiert werden soll, ist als ein Beispiel geschlechtsspezifisch normativer Konstruktionen anzusehen. 2. THEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN 1 Wenn wir von Kriminalisierungsprozessen sprechen, so heiβt das, "Kriminalität" als das Produkt eines kompliziert vermittelten und aufgrund bestimmter Machtressourcen durchgesetzten Definitionsprozesses anzusehen. "Kriminalität" ist somit nicht als Abbildung einer vorgefundenen Realität aufzufassen, sondern als eine Konstruktion von Wirklichkeit (vgl. u.a. Kriminologisches Journal (KrimJ), 1986, 1. Beiheft).

7 In Kriminalisierungsprozessen von Frauen, und in der Berichterstattung darüber, lassen sich - so unsere These - geschlechtsspezifische Konstruktionen von Kriminalität, als Ausdruck geronnener patriarchaler Definitionsmacht, herausarbeiten. Die Konstruktionen weiblicher Kriminalität leisten ihren Beitrag dazu, stereotype Vorstellungen von Weiblichkeit auf symbolischer Ebene zu (re-)produzieren. Doch nicht nur das. Indem patriarchale Imagines von Weiblichkeit als normative Richtschnur dargestellt werden, wird der symbolischen Perpetuierung der gesellschaftlichen Organisation von Reproduktionsverhältnissen, sprich: der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und des asymmetrischen Geschlechterverhältnisses Vorschub geleistet. Zur normenverdeutlichenden Funktion von Strafrecht und Kriminalisierung Kriminalisierungsprozesse, insbesondere wenn ihnen öffentliches Interesse entgegengebracht wird, bieten einen Rahmen, über die Zurschaustellung einer als abweichend und kriminell definierten Handlung historisch-gesellschaftlich spezifischen Vorstellungen und Kriterien von moralischer Integrität, Normalität und Ordnung Nachdruck zu verleihen. 1 Das besondere Gewicht erhält diese Art von "Normalitäts"-Verdeutlichung dadurch, daβ sie in einem strafrechtlichen Kontext steht. Das heißt, daβ die mit strafrechtlicher Autorität verliehene Definitionsmacht Normalitätserwartungen (mittels des dahinterliegenden Sanktionsapparates) mit mehr Nachdruck einklagen kann als andere Produktionsstätten von Normalität wie z.b. Werbeagenturen. Indem Handlungen mit strafrechtlich relevanter Bedeutung versehen, als kriminell definiert und Motive zugeschrieben werden, setzen moralische Degradierungs- und 1 Inwieweit Kriminalisierungsprozesse (und Kriminalitätsdarstellungen in den Massenmedien) geeignet sind, moralische Prinzipien und Normalitätskriterien zu verdeutlichen, hat sich in Studien und Untersuchungen im Rahmen der kritischen Kriminologie gezeigt. Ihnen liegt der Gedanke zugrunde, daβ dem Strafrecht und der Kriminalisierung eine symbolische Darstellungskraft zukommt, die die normativen Konturen einer Gesellschaft nachzuzeichnen vermag. Smaus (1978, 1985), Steinert (1976, 1986) oder Young (1974) beispielsweise sehen die symbolische Funktion von Strafrecht und Kriminalisierung in der Verdeutlichung normativer Vorstellungen (z.b. von "Arbeitsmoral"), die sich auf den Produktionsbereich beziehen und der Stabilisierung vorherrschender Eigentums- und Warenbeziehungen mehrwertproduzierender Gesellschaften und der Bedingungen entfremdeter Arbeit dienen. In der kritischen Reflexion des Zusammenhangs von Recht, Kriminalisierung, Ökonomie und Herrschaft fehlt jedoch die Berücksichtigung patriarchaler Macht- und Herrschaftsverhältnisse. So wird die Reproduktion hegemonialer Bewuβtseinsformen als eine zentrale Funktion des Strafrechts angesehen, ohne jedoch darzulegen, daβ es sich dabei um eine patriarchale Hegemonie handelt.

8 soziale Ausgrenzungsprozesse ein, die unausgesprochen nicht nur Vorstellungen und Konstruktionen von gesellschaftlichen Werten und Normen zur Voraussetzung haben, sondern gleichsam deren Selbstverständlichkeit reproduzieren. Das "abweichende" Individuum, das uns als Schreckgespenst in unserer alltäglichen Geschäftigkeit stört und einen Hauch von Befremden hinterläβt, trifft moralische Empörung. Das Befremden, das uns "Mörder", "Triebtäter", "Chaoten" oder auch "Kindsmörderinnen" vermitteln, erfährt noch eine Steigerung durch die "Erklärungsversuche", die uns durch die Wissenschaft, die Staatsanwaltschaft, durch die Medien oder durch den eigenen "gesunden Menschenverstand" an die Hand gegeben sind: "Wahnsinnig", "kaltblütig", "asozial", "triebbesessen", "Hangtäter", auf jeden Fall "abnorm" sind die gängigen individualisierenden "Erklärungs"-Muster. Die Vorstellungen von "gut" und "böse", von "normal" und "abnorm" treten schlicht auf. Klischees und Stereotype 1 werden zu den sinnstiftenden Richtungsweisern, was gesellschaftlich als nicht mehr legitimiert und damit als abweichend und was als den normativen Verhaltenszumutungen entsprechend anzusehen ist. 2 In seinen symbolischen Funktionen vermag das Strafrecht geschlechtsspezifisch unterschiedliche Normen- und Moralvorstellungen, geschlechtsspezifisch unterschiedliche normative Verhaltenszumutungen zu verdeutlichen. So resümiert C. Haas (1987) in ihrer Untersuchung, in der es um die Frage nach der Festschreibung von Geschlechtsrollenstereotypen in der Kriminalitätsberichterstattung geht: "Die Darstellung von Frauenkriminalität in der Presse reproduziert und legitimiert die stereotypen Vorstellungen von der Frauenrolle und dem weiblichen Geschlechtscharakter" (Haas, 1987, 121). 1 2 Der Begriff der Stereotypisierung wurde bereits 1922 von W. Lippmann eingeführt. "Stereotype im Sinne Lippmanns sind vom Vor-Urteil bestimmte Vereinfachungen der Weltsicht, gängige Modelle und Schemata mit oft emotivem Gehalt, die der raschen Orientierung dienen und als Abwehrmechanismus gegen ungewisse, ungewohnte und unangenehme Informationen wirken." (Schulz, 1976, 9) Das Vokabular der organisierten moralischen Verleumdung, wie es C. Sumner bezeichnet (vgl. Sumner, 1983, 188), kann von dieser Schlichtheit zeugen, indem Klischees, Stereotype oder Bilder Träger der Bedeutung und damit der Botschaft werden. Sie können aber auch im Kontext "moralischer symbolischer Kreuzzüge" (z.b. dem "Anti-Drogenkrieg" oder der "Terrorismus-Debatte") und themenbezogener Kampagnen kompaktere Interpretationsfolien und Konstruktionsmuster von sozialer Wirklichkeit liefern (vgl. Gusfield, 1967; Treiber, 1984; Cremer-Schäfer/Stehr, 1990; Löschper/Lehne, 1989).

9 H. Cremer-Schäfer/J. Stehr (1990) kommen in ihrer Inhaltsanalyse von Printmedien über einen Zeitraum von dreiβig Jahren, hier auf die 60er Jahre bezogen, zu einem ähnlichen Ergebnis: "... die Kriminalitäts-Darstellungen der 60er Jahre (konzentrieren) sich vor allem auf die normative Kontrolle von Frauen. Sie sollen 'normativ eingefangen', auf ihren traditionellen Status verpflichtet und an ihre 'Tugenden' erinnert werden. Gegen die sich aus ihrer verstärkten Berufstätigkeit ergebenden Emanzipationschancen werden patriarchale Muster der Ehe zu retten versucht.... Die Vorführung versagender Mütter, Kinder verführender Frauen, treuloser und despotischer Ehefrauen dient der Herausstellung der bürgerlichen Sekundärtugenden, an die erinnert wird: Sparsamkeit, Reinheit, Fleiβ, Keuschheit, Enthaltsamkeit und Mäβigkeit." (ebd., 92f.) Doch was heiβt es, wenn wir kriminalisierte Frauen als dominante Frauen, als versagende Mütter, als Kinder verführende Frauen dargestellt vorfinden? Inwiefern scheinen in diesen Kriminalitätsdarstellungen tradierte Vorstellungen vom "ewig Weiblichen" durch und geben gleichsam Auskunft über geschlechtsspezifische normative Anforderungen, die sich aus der patriarchalen Organisation des Geschlechterverhältnisses ergeben und über Strafrechtsanwendung verdeutlicht werden? Welche Weiblichkeitsmuster verbergen sich beispielsweise hinter der Vorstellung von einer "despotischen Ehefrau" oder von einer "versagenden Mutter"? Die zahlenmäβig überschaubaren Studien und Analysen, die die Kategorie Geschlecht als gesellschaftliche Strukturkategorie in ihren theoretischen Überlegungen berücksichtigen (vgl. Steinert, 1976; Dürkop, 1986; Gipser, 1987; Sumner, 1990; Cremer-Schäfer/Stehr, 1990), bleiben u.e. an einem Punkt stehen, an dem es gerade interessant wird. Allein die Feststellung einer geschlechtsspezifisch differenzierten Konstruktion von Kriminalität oder einer geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Diskriminierung vor Gericht (vgl. Stein-Hilbers, 1978) führt nicht weit. Zu klären wäre, inwieweit hier weibliche Erfahrungen, als Erfahrungen struktureller Unterdrückung, zum Ausdruck kommen, die der begrifflichen und theoretischen Reflexion bedürfen. Dies zu betonen erscheint uns als dringlich. Denn die Zurkenntnisnahme und Reflexion bislang verschwiegener weiblicher Erfahrungszusammenhänge könnte das Brüchigwerden kritisch-kriminologischer Begrifflichkeiten und Theorieansätze provozieren. So ist das Interesse in der vorliegenden Analyse der massenmedialen Berichterstattung über den "Fall Monika Weimar" auf die Verdeutlichung vorherrschender geschlechtsspezifischer Normalitäts- und Moralvorstellungen konzentriert.

10 Zum Gestaltungspotential sozialer Realität der Massenmedien In der Berichterstattung erhält der "Fall Monika Weimar" seine Plausibilität insbesondere über die Inszenierung und Charakterisierung der Person Monika Weimar. Über das "In-Szene-Setzen" einer Frau, über die Zuschreibung von Charaktereigenschaften und Motiven werden normative Vorstellungen von Weiblichkeit reproduziert. Wenn von einer öffentlichen Inszenierung 1 durch die Massenmedien die Rede ist, so impliziert dies, massenmediale Berichterstattung als eine Art der Konstruktion von Wirklichkeit zu begreifen. Den Massenmedien kommt ein Gestaltungspotential sozialer Realität zu (vgl. Good, 1985). Wie das Strafrecht und die Kriminalisierung haben sie eine normenverdeutlichende Funktion, d.h. sie verkünden Botschaften, die über die Nachrichtenkonstruktionen hinausweisen. Hinsichtlich der "Kriminalitäts"-Darstellungen stellen die Massenmedien den "öffentlichen Richtplatz" dar, auf dem sich Moral und Unmoral - oder "Abweichung" und "Normalität" - begegnen (vgl. Erikson, zit. nach: Treiber, 1984, 361). Mittels spezifischer Darstellungsweisen eines "Kriminalfalles" nehmen die Medien moralische Be-Wertungen vor, hinter denen sich Normalitätsvorstellungen und -erwartungen verbergen, die - zwischen den Zeilen oder auch direkt - als verbindlich erklärt werden sollen (vgl. Stehr, 1989; Cremer-Schäfer/Stehr, 1990). Dieser Gedanke hat in der etablierten Medienforschung bislang zu wenig Beachtung gefunden. Der Medienforschung liegen zumeist Fragen hinsichtlich der Medienkonkurrenz, der Wirkungsweise von Medien, der Funktion der Presse im gesamtgesellschaftlichen System, der Selektivität von Mediennachrichten oder der "verzerrten" bis "falschen" Abbildung von "Realität" zugrunde (vgl. Silbermann, 1977; Kaase/Schulz, 1989). Insbesondere die Wirkungsforschung sowie Forschungen, die einen Vergleich der Mediendarstellungen mit der "Realität" anstreben, nehmen hierbei einen breiten Raum ein. Es zeigt sich aber, daβ die Problematisierung von "objektiver" oder "verzerrter" Realitätsdarstellung in den Massenmedien hinfällig wird, widmet man sich der grundsätzlichen Frage, was massenmediale 1 Der Begriff der massenmedialen Inszenierung meint die Konstruktion eines Geschehens, einer Situation oder die Charakterisierung einer Person, die zwar als Beschreibung oder (möglichst) objektive Rekonstruktion auftritt, tatsächlich aber eine wertende, interpretierende, gestaltende Konstruktion von Wirklichkeit ist, der Inszenierung eines Theaterstücks gleich.

11 Berichterstattung ist: eine Interpretation (und somit Konstruktion) sozialer Wirklichkeit. 1 Dieser Perspektive folgend wird die "Abbildtheorie" - also die Annahme, Nachrichten seien in der Lage, Realität widerzuspiegeln - aufgegeben (vgl. Schulz, 1976, 28). Massenmedien stellen Wirklichkeiten her, nicht nur im Rahmen der Darstellung eines Geschehens, eines Ereignisses etc., sondern auch durch die Selektivität der Medienberichterstattung 2 (vgl. auch Schwacke, 1983; Schulz, 1976, 9). Die Selektivität massenmedialer Berichterstattung nur auf die Auswahl und Hervorhebung bestimmter Themen zu beziehen, bedeutet aber, eine unfruchtbare Verengung der Frageperspektive vorzunehmen. Denn neben dem Problem der Überrepräsentation bestimmter Themen müβte der selektierende Blick, der sich in den Nachrichtenkonstruktionen manifestiert, problematisiert werden. Die grundlegende Frage nach der Wirklichkeitskonstruktion durch massenmediale Berichterstattung ist hier angesprochen. Das Stichwort der Selektivität bekäme dann in der Betonung des Verschwiegenen, des Ausgeblendeten einen umfassenderen Kontext: im Hinblick auf die Fragmentierung sozialer Wirklichkeit durch die Konzentration auf Einzelaspekte, die Präsentation von Prozessen und Entwicklungen als Ist-Zustände und die Abstraktion von (gesellschaftlichen) Kontexten in der Berichterstattung, aber auch in der massenmedialen Kommunikation generell. 1 2 Auf den kreativen Charakter von Wirklichkeitsinterpretation (Thompson, 1988, 28) geht auch W. Schulz (1976) ein, hier direkt auf die Nachrichtenproduktion bezogen: "...bestimmend für den Informationsgehalt einer Nachricht ist weniger die Aussage, daβ etwas geschehen ist, sondern (...) was, wann, wo, wie, warum usw.; es sind also vor allem die Details, Erklärungen, Hintergründe und Zusammenhänge, die einer Nachricht ihren Aussagegehalt geben, und alles das läβt sich nicht in anderen Quellen finden und zum Vergleich heranziehen." (Schulz, 1976, 26) Dabei werden die Erklärungen, Hintergründe, Zusammenhänge etc. stereotypisiert geliefert, wie bereits im Zusammenhang mit der normenverdeutlichenden Funktion von Strafrecht und Kriminalisierung aufgezeigt wurde. Dabei werden z.t. die Problembereiche Selektivität, das Verhältnis von "Medienrealität" und "faktischer Realität" (Schulz, 1976, 29) mit Fragen der Wirkungsweise von Massenmedien verknüpft (vgl. zu den einzelnen Forschungsbereichen auch Mattern, 1983; Smaus, 1978). So geht B. Schwacke (1983) am Beispiel von Kriminalitätsdarstellungen in der Presse davon aus, daβ aufgrund der massenmedial selektiven Darstellung von "Kriminalitätsgeschehen" der Bevölkerung ein "falsches" Bild von "Kriminalität" vermittelt werde, welches wiederum die Reaktionen der Bevölkerung auf "Kriminalität" beeinflusse und somit die Wirkung von Massenmedien unmittelbar betreffe. Auch hier steht die Kritik im Vordergrund, daβ die Massenmedien nicht zuletzt aufgrund einer selektiven Berichterstattung die Wirklichkeit "Kriminalität" verzerrt wiedergeben (so beispielsweise bei Lamnek, 1990; vgl. zu dieser Thematik auch Stehr, 1989), z.b. durch übermäβige (sensationelle) Darstellungen von "Gewaltkriminalität".

12 Auch die Wirkungsforschung sieht sich grundsätzlich mit fundamentalen Kritikpunkten konfrontiert, etwa wenn die Medien-RezipientInnen auf bloβe "Reaktionsdeppen" (von Trotha, zit. nach: Kerner/Feltes, 1980, 77) reduziert werden, die ihr Verhalten einem Reiz-Reaktions-Mechanismus folgend verändern. Auch wenn die mittlerweile differenziertere Stimulationsthese oder andere verhaltenstheoretische Überlegungen zugrundegelegt werden (vgl. Jung, 1985, 297f.), sie können über die Fragwürdigkeit ihrer Annahmen, auf jeden Fall über die unzulässige Vereinfachung der Dimensionen massenmedialer Kommunikation und deren Rezeption nicht hinwegtäuschen. Dennoch: Die Wirkungsforschung ist auch im Hinblick auf das Thema "Massenmedien und Kriminalität" eines der umfangreichsten Forschungsgebiete. Hier lassen sich zwei Fragenkomplexe unterscheiden: zum einen Fragen bzgl. der Wirkung von Mediendarstellungen auf das Verhalten der RezipientInnen und zum anderen Fragen, die den medialen Einfluβ auf Wissen und Meinungen der RezipientInnen - hier über "Kriminalität" - betreffen (vgl. auch Killias, 1982). Die Wirkung von Mediendarstellungen auf das Verhalten der RezipientInnen wurde insbesondere zum Thema "Gewaltkriminalität" untersucht. H.-J. Kerner/T. Feltes (1980) haben die Krise dieser Wirkungsforschung aufgezeigt und wenden sich in ihrer Untersuchung den Funktionen der (selektiven) Kriminalitätsdarstellungen zu (vgl. auch Feltes, 1980; Schwacke, 1983). Dabei stellen sie - ähnlich auch B. Schwacke (1983) - die Frage nach der Wirkung von Massenmedien wie folgt: "Es geht nicht so sehr um die Verhaltensbeeinflussung von potentiellen Kriminellen als vielmehr um die Formung des Alltagsbewuβtseins und des Weltbildes der 'Normalen'". (1980, 87) Das Manko dieser Untersuchungen ist u.e. darin zu sehen, daβ sie sich zwar der normenverdeutlichenden Funktion von Kriminalitätsberichterstattung zuwenden und sich die Frage nach der Status quo erhaltenden Funktion stellen, ihr Blick jedoch nicht auf die Inhalte der durch die Darstellung der Abweichung verdeutlichten Norm gerichtet ist oder die Norm selbst gar als Konstruktion erkannt wird - ganz zu schweigen von einer geschlechtsspezifischen Differenzierung. Ausgehend von der Wirkung der Massenmedien auf das Alltagsbewuβtsein über "Kriminalität" (bei B. Schwacke folglich auch auf das Handeln) beschränken sich die Untersuchungen auf die Erfassung, was dargestellt wird (z.b. daβ

13 "Gewaltdarstellungen" überwiegen), oder wie dargestellt wird (beispielsweise ob es sich um eine stigmatisierende Berichterstattung handelt). Sie stellen sich jedoch nicht die Frage, warum etwas bzw. was als "Gewaltkriminalität" dargestellt wird, welche Normen dadurch (re-)produziert oder welche gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse dadurch bekräftigt werden. So unterliegt die hier vorgenommene Medienkritik zugleich der eigenen Beschränkung. 1 Inhalte der normenverdeutlichenden und zugleich Status quo erhaltenden Funktion von Kriminalitätsberichterstattung hat u.a. J. Young (1974) herausgearbeitet. Nach seiner Untersuchung, die auf der Berichterstattung über Marihuanakonsumenten basiert, bezieht sich der Sinn der Darstellung auf die herrschenden Produktionsverhältnisse: Die Mediendarstellungen verdeutlichen, daβ das Recht auf Konsum nur durch den Verkauf der Arbeitskraft auf dem legalen Arbeitsmarkt erworben werden kann (vgl. auch Smaus, 1985; Hall, 1974). Wir haben bereits erwähnt, daβ in den genannten Untersuchungen, auch wenn ihnen ein gesellschaftstheoretischer Zugang zugrundeliegt und sie gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse selbst in den Blick bekommen, keine geschlechtsspezifische Differenzierung vorgenommen wird. So blenden sie in ihren theoretischen Überlegungen und empirischen Untersuchungen die geschlechtliche Arbeitsteilung, die eng mit der Konstruktion der Geschlechterdifferenz und der Konstruktion des "Weiblichen" verknüpft ist, aus. Ihnen kommen patriarchale Herrschaftsverhältnisse nicht in den Blick, so daβ sie folglich keine Aussagen über symbolisch vermittelte geschlechtsspezifische Normalitätskriterien und -erwartungen geben können, wie sie in der vorliegenden Medienanalyse von Interesse sind. 3. METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN 1 Zumeist schlieβt sich auch die Frage an, ob die Normenverdeutlichung von den Journalisten bewuβt geschieht oder ob diese nicht vielmehr den Zwängen der Medienproduktion unterworfen sind (vgl. Schwacke, 1983; Kerner/Feltes, 1980). Für die Herausarbeitung "gesellschaftlicher Sinn- und Bedeutungsstrukturen" (Ritsert, 1975, 43) ist es jedoch "...gleichgültig, ob der Sender sie geplant hat oder nicht." (ebd.)

14 Das Material der Medienanalyse, hier die Zeitungsartikel über einen Kriminalisierungsprozeβ, stellt eine Form fixierter und reproduzierbarer Kommunikation dar. Für die Interpretation von Zeitungsartikeln sind daher dieselben Aspekte zu berücksichtigen wie bei der Textinterpretation generell. 1 "1. (Texte sind) selbst eine 'eigenständige' Realität. 2. Sie beziehen sich darüber hinaus auf eine in ihnen zeichenhaft vermittelte und interpretierte Realität. 3. Sie vermitteln nicht nur interpretierte Realität; sie sind Interaktionselemente, Interpretationsangebote eines Individuums für andere." (Soeffner, 1979, 332) Die Deutung des Materials kommt einer Interpretation einer Interpretation gleich (vgl. auch Thompson, 1988), denn die in den Zeitungsartikeln repräsentierten Bedeutungszuweisungen sind bereits Interpretationen sozialer Wirklichkeit. Der Artikel ist als Produkt einer Interpretation eines Geschehens - hier eines Kriminalisierungsprozesses, der selbst als Interpretation oder Konstruktion eines Geschehens anzusehen ist - zu begreifen. In beiden der wissenschaftlichen Interpretation vorausgegangenen, Interpretationsprozessen (im Kriminalisierungsprozeβ und im Produzieren eines Artikels) sind normative Muster der Deutung eingeflossen. Das heißt, die Deutung einer Handlung als "kriminell" im Kriminalisierungsprozeβ schlieβt andere Interpretationsmöglichkeiten aus (z.b. die Deutung als "Unfall" oder "Notwehr" etc.). Und auch in der Berichterstattung (über eine Gerichtsverhandlung, über Befragungen oder Informationen bzgl. des Gerichtsprozesses) wird soziale Wirklichkeit normativ ausgestaltet, indem Wertungen und Beurteilungen einflieβen. Anfänglich wurde von uns der Versuch einer sequentiellen Analyse (im Sinne G. Soeffners) unternommen, wonach der Text - hier der Artikel - als Ganzheit einer sinnkonstituierenden Abfolge von einzelnen Sinnbezügen analysiert wird (vgl. Soeffner, ebd., 347). Auch wurde das Material in chronologischer Reihenfolge interpretiert. Eine sequentielle Analyse zeigte sich hier jedoch als ungeeignet, denn für die Rekonstruktion der Inszenierung erwies sich die Produktion von Bildern als zentral. Bilder, als Träger von Botschaften, unterliegen 1 Ein Eingehen auf die unterschiedlichen methodischen Perspektiven von texthermeneutischen Verfahren kann in diesem Zusammenhang nicht geleistet werden.

15 Produktionsmechanismen, die unabhängig von der Zeitachse oder dem Gesamtkontext eines Artikels sind. Ein unscheinbarer Nebensatz, eine kurze charakterisierende Beschreibung einer Person, Nebensächliches und scheinbar Unbedeutendes kann, im thematischen Kontext interpretiert, weitaus gröβeren Aussagegehalt beinhalten, als auf den ersten Blick angenommen. Der Kontext des gesamten Artikels war nur von Bedeutung, soweit er explizit oder implizit Aussagen über die Inszenierung der Person Monika Weimar enthielt. Zwar läβt sich anhand der chronologischen Interpretation nachvollziehen, welche geschlechtsspezifischen Bilder bzw. Charakterisierungen in der Berichterstattung wann auftauchen, die Zeitabfolge, so hat sich herausgestellt, ist jedoch für die Gesamtinszenierung unerheblich. Jeder Artikel ist für sich verständlich, d.h. er setzt keine Vorkenntnisse zum "Fall" voraus. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, daβ die Artikel von den RezipientInnen durchgängig zur Kenntnis genommen wurden. H.-J. Kerner/T. Feltes (1980), die in ihrer Analyse von Tageszeitungen Funktionen von Kriminalberichterstattung herauszuarbeiten bestrebt waren, kommen zu der Schluβfrage, ob diese nicht "'zwischen den Zeilen' gesucht werden müssen" (ebd., 101). Im Kontext der normenverdeutlichenden Funktion der Kriminalberichterstattung ist dies als ein Hinweis zu werten, daβ sich die Interpretationsangebote nicht nur in den schwarzen Buchstaben auf weiβem Papier manifestieren. Das Zwischen-den-Zeilen-Lesen erfordert also neben den manifesten Aussagen und Bewertungen in den Artikeln, die latenten Kommunikationsinhalte aufzuspüren (zum Begriff der Latenz s. Ritsert, 1975, 45). Unser Interesse galt den Alltagskonzepten und Normalitätsmustern, die - wie sich gezeigt hat - in der Bilderproduktion reproduziert werden. Die Aussagen der Bilder lassen sozusagen einen Text im Text entstehen - eben einen unausgesprochenen. Die methodische Herangehensweise einer quantitativ verfahrenden Inhaltsanalyse kam aufgrund der Konzentration auf die Bilderproduktion und andere Symbolträger nicht in Betracht. Wird in der quantitativen Inhaltsanalyse das Hauptinteresse auf die Erhebung von Daten und die am Datenmaterial vorgenommene Überprüfung von Hypothesen gelegt, so dient das Material bei der qualitativen Inhaltsanalyse der Auswertung (vgl. Lamnek, 1989).

16 Die analytischen Kategorien werden nicht als vorgegebene an das Material herangetragen, sondern erst in der Interpretation des Materials entwickelt. Die zur forschungspraktischen Maxime erhobene Forderung nach Offenheit wird bei der qualitativen Inhaltsanalyse zu praktizieren versucht, indem "...eben kein vorab entwickeltes inhaltsanalytisches Schema mit Analyseeinheiten, -dimensionen und -kategorien auf die zu untersuchenden Kommunikationsinhalte angelegt wird. Vielmehr versucht sie, den Inhalt selbst sprechen zu lassen und aus ihm heraus die Analyse zu entfalten." (Lamnek, ebd., 194f.) Ein solches Vorgehen liegt dieser Medienanalyse zugrunde. Unser Augenmerk richtete sich auf die Deutungsmuster, die durch moralische Bewertungen und implizite Normalitätsmuster keine Beliebigkeit der Interpretationsangebote für die RezipientInnen zulassen. Die Interpretation, verstanden als Rekonstruktion und Explikation von Sinngehalten, bezieht sich hier also nur auf Begriffe, Symbole oder Argumentationsmuster, die im Zusammenhang mit der Darstellung und Charakterisierung der Person Monika Weimar als der Angeklagten und normativen Interpretationen von Handlungen oder Situationen auftauchen. Auswahl der Medien Der Analyse der massenmedialen Inszenierung und Konstruktion der Person Monika Weimar haben wir das vollständige Material von fünf Zeitungen über einen Zeitraum von 1 1/2 Jahren (von der Vermiβtenanzeige bis zur Urteilsverkündung) zugrundegelegt: der "Hersfelder Zeitung" (HZ; 93 Artikel) als regionale Tageszeitung, die örtlich am engsten am "Geschehen" ist; der "Abendpost Nachtausgabe" (AN; 114 Artikel) und der "Frankfurter Neue Presse" (FNP; 126 Artikel) als Tageszeitungen in Frankfurt (beide gehören zum "Verlag Frankfurter Neue Presse"; die AN wurde im Dezember 1988 eingestellt). Nach eigenen Angaben des Verlages kann die AN als Boulevardzeitung in etwa auf einem "etwas höheren" Niveau als die "Bild-Zeitung" angesiedelt werden; die FNP ist als regionale Tageszeitung mit der HZ vergleichbar. Es handelt sich also um Zeitungen, die ausführlich über den "Fall" berichtet haben und eine regionale Nähe zum "Geschehen" aufweisen. Darüber hinaus arbeiteten alle mit eigenen Reportern vor Ort, was beispielsweise. bei der Frankfurter Rundschau nicht der Fall war. Diese hat unregelmäβig, in groβen Abständen und meist bezogen auf "dpa-meldungen" berichtet, so daβ sie von uns nach Durchsicht nicht hinzugezogen wurde. Desweiteren sprach für das Ma-

17 terial dieser drei Zeitungen, daβ es sich sowohl um eine Boulevardzeitung (AN) als auch um die sog. seriöse Presse (FNP, HZ) handelt (vgl. dazu auch Kerner/Feltes, 1980, deren Untersuchung z.t. die gleiche Presse zugrundelag). Um ein breiteres Spektrum von Zeitungen abzudecken, haben wir darüber hinaus den "Spiegel" (8 Artikel) sowie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (24 Artikel) zugrundegelegt, beides sind Zeitungen, die in ihrer Berichterstattung bereits eine Reflexionsebene einlegen, d.h. sie konzentrieren sich nicht auf jedes Detail (ZeugInnen, Beweise etc.) wie die übrigen drei Zeitungen, sondern sie berichten in zeitlich gröβeren Abständen zusammenfassend über den "Stand des Falles" mit eigener Reflexion und Kommentierung. Da es im vorliegenden Rahmen nicht möglich ist, auf das gesamte Material einzugehen, stützen wir uns nachfolgend exemplarisch auf die AN, die FNP sowie die FAZ. Die Berichterstattung der HZ sowie des Spiegels arbeitet zwar mit den gleichen Bildern von Weiblichkeit und normativen Verhaltenserwartungen, wie die übrigen drei Zeitungen, diese sind allerdings auf eine andere Weise in Szene gesetzt. Das Aufzeigen dieser unterschiedlichen Inszenierungen konnte aus zeitlichen Gründen an dieser Stelle nicht geleistet werden. Aus gleichem Grunde muβten andere Zeitungen wie etwa die "taz" unberücksichtigt bleiben, die zwar mit anderen Weiblichkeitsbildern, jedoch mit ähnlichen Rastern ("gut" versus "böse") arbeiten. 1 Vorgehensweise Das Ziel dieser Medienanalyse war, in der Berichterstattung über einen Kriminalisierungsprozeβ, bei der eine Frau der zweifachen Kindestötung beschuldigt wird, stereotype Vorstellungen von Weiblichkeit und damit geschlechtsspezifische Normalitätserwartungen zu dechiffrieren. Hiermit war zugleich die Frage angesprochen, 1 Zum Beispiel wird Monika Weimar in der Berichterstattung der AN über einen Prozeβtermin als dominante, unterdrückende Ehefrau beschrieben, Reinhard Weimar hingegen wird als Unterlegener, als Opfer seiner Ehefrau dargestellt, der gar den Schutz des Richters benötigt. Die gleiche Szene vor Gericht wird von der 'taz' aufgegriffen. Danach ist Monika Weimar in dieser Ehe das Opfer und "wehrt (sich) zum ersten Mal" (taz, 22.10.87). Der Ehemann hingegen reagiert "gelassen" auf ihre Vorhaltungen (ebd.). Monika Weimar wird als Ehefrau konstruiert, die von ihrem Mann unterdrückt wurde, die - obwohl es ihr "nicht auf den Leib geschrieben" (ebd.) steht - hier die "Rolle der rebellischen Frau" (ebd.) annimmt. Reinhard Weimar wird als Mann beschrieben, den "das gar nicht belasten" kann (ebd.).

18 inwieweit die normativen Inhalte der Berichterstattung zur (Re-)Produktion des asymmetrischen Geschlechterverhältnisses beitragen. Der begründeten Auswahl des Materials schlossen sich drei Lesedurchgänge an. 1. Lesedurchgang Ohne vorab differenzierte Thesen, Überlegungen, Kategorien etc. zu formulieren, diente der Lesedurchgang der ersten Sichtung des Materials. Alle Zeitungen wurden vom ersten bis zum letzten Artikel gelesen und es wurden Notizen über Auffälligkeiten festgehalten. Diese Auffälligkeiten bezogen sich inhaltlich hauptsächlich auf Darstellungsweisen zur Person Monika Weimar (unter Berücksichtigung der Zeitachse und der Personeninszenierung: Charakterisierungen der Person Monika Weimar, Geschlechtsrollenstereotype, Bilder, Beschreibung von Mimik, Gestik, Kleidung, Bewegung etc.). Aber es fanden sich auch andere Auffälligkeiten, die die Inszenierung allgemein betrafen (z.b.: suggerierte Glaubwürdigkeit/Unglaubwürdigkeit von ZeugInnen, Indizien usw.; unterschiedliche Interpretationsangebote (Widersprüche) im Artikel; Ungereimtheiten hinsichtlich der "Fall"-Darstellung usw.; die Thematisierung moralischer Schuld jenseits des Tatvorwurfs). Dem Lesedurchgang schloβ sich die gegenseitig kontrollierende Diskussion von ersten Interpretationen an. Das heißt, die jeweiligen Aufzeichnungen zu den Artikeln wurden untereinander verglichen und begründet. Aufgrund der ersten Leseerfahrung konnte festgehalten werden, daβ sich die Inszenierung des "Falles Monika Weimar" in den Printmedien aus vielen kleinen Details zusammensetzt (Indizien, Aussagen, Gutachten etc.). Ihre Plausibilität jedoch erhält sie nur durch die Charakterisierung der Person Monika Weimar und - allerdings weniger gewichtig - Reinhard Weimar. So wurden als Ergebnis dieses ersten Arbeitsschrittes die zu unterscheidenden Ebenen der Medienkonstruktion benannt, bzw. die unterschiedlichen Dimensionen unserer Ausgangsfrage aufgezeigt. Für das weitere Vorgehen wurde a) die Inszenierung der Person Monika Weimar von b) der Konstruktion des Kriminalfalles durch die Massenmedien abgegrenzt. Die Inszenierung der Person Monika Weimar ist für unsere Frage nach der Produktion von

19 Weiblichkeitsmustern zentral, die Konstruktion des Kriminalfalles dagegen bleibt in der vorliegenden Analyse unberücksichtigt. Insgesamt, so hat sich gezeigt, stützen sich die Massenmedien auf die Darstellung von drei Bereichen: 1. auf die Verarbeitung polizeilicher und justizieller Informationen, 2. auf die Inszenierung von Personen (neben Prozeβbeteiligten insbesondere Monika Weimar) und 3. auf die Darstellung von "Stimmen aus dem Publikum". Für unseren Zusammenhang wurden der 1. und 3. Bereich nur insofern einbezogen, als sie bei der Inszenierung der Person Monika Weimar eine Rolle spielten. Folgende Fragen wurden formuliert: 1. Werden in der Charakterisierung der Person Monika Weimar (und auch Reinhard Weimar) geschlechtsstereotype Vorstellungen von Weiblichkeit (und Männlichkeit) reproduziert? 2. Wie wird das Geschlechterverhältnis (z.b. über die Inszenierung des Eheverhältnisses) dargestellt? 3. Werden über die Verdeutlichung tradierter Bilder von Weiblichkeit gleichsam repressive geschlechtsspezifische Normalitätserwartungen betont? 2. Lesedurchgang Für den zweiten Lesedurchgang wurden für die Dechiffrierung der Konstruktion der Person Monika Weimar Kategorien ausgewählt. Das betraf zum einen Geschlechtsrollenmuster wie die (gute/schlechte) Mutter, die (schwache/dominante) Ehefrau und die (selbstbewuβte/abhängige, hörige) Geliebte. Diese Geschlechtsrollenmuster werden in der Berichterstattung über (Weiblichkeits-)Bilder oder charakterisierende Beschreibungen (re-)produziert. Desweiteren wurden in den Artikeln implizit (oder auch explizit) auftauchende Bilder von Weiblichkeit (z.b. die Lügnerin, die Giftmischerin, die Ehebrecherin, die Kindesmörderin, die Eiskalte, die Hure, die Hexe) und schlieβlich positive wie negative charakterisierende Beschreibungen der Person Monika Weimar, die nicht nur im Kontext von Geschlechtsrollenmustern stehen (z.b. entschlossen, stolz, hinterhältig, lebhaft, wortkarg, kaltblütig, unnahbar, vertrauenswürdig, skrupellos etc.) festgehalten. Diese Charakterisierungen waren entweder explizit in den Artikeln genannt oder wurden von uns

20 aus Situations- und Handlungsthematisierungen in den Artikeln als implizite Charakterisierungen interpretiert. Alle drei Kategorisierungstypen (Geschlechtsrollenmuster, Bilder von Weiblichkeit und charakterisierende Beschreibungen der Person) wurden in einer Tabelle verzeichnet. Sie sollten uns einen groben Überblick geben, was, wann, in Verbindung mit welchen Bildern oder Charakterisierungen über die Person Monika Weimar geschrieben wurde. Dieses "Auszählen" der Kategorien konnte nicht mehr als eine grobe Übersicht über die Häufigkeiten bestimmter Thematisierungen liefern, denn die Bedeutungszuweisungen (die gute Mutter, die dominante Ehefrau usw.) wurden aus den jeweiligen Kontexten herausgelöst. Daβ die Zeitachse (der Chronologie der Artikel folgend) keine bedeutende Rolle spielte, läβt sich damit erklären, daβ zwar für die massenmediale Inszenierung des Kriminalisierungsprozesses eine Chronologie von Bedeutung sein könnte, nicht aber, wenn es um die Bilderproduktion geht. Die Bilder tauchen im Kontext eines Themas oder einer Beschreibung auf, unabhängig von dem jeweiligen Zeitpunkt. Bei diesem zweiten Durchgang des Materials ging es uns speziell um die Konstruktion der Person Monika Weimar im Kontext geschlechtsspezifischer normativer Verhaltenserwartungen. (Wie wird sie beschrieben, dargestellt, charakterisiert? In welchen Argumentationskontexten werden Bewertungen vorgenommen? Auf welche Normen stützen sich diese Bewertungen? Was schimmert als geforderte "Normalität" in den Bewertungen durch?) Wir hatten nach der ersten Leseerfahrung eine interessante "Entdeckung" gemacht, die der Erklärung bedurfte: Am Ende der Inszenierung (zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung) ist die Charakterisierung der Person Monika Weimar in ihrer Widersprüchlichkeit verdichtet. Sie wird als eiskalte, harte Frau dargestellt (egoistisch, berechnend, rücksichtslos, versteinert, selbstsicher, durchsetzungsfähig). Aber sie wird auch als schwache, abhängige Frau inszeniert ("sexuell hörig", in einer psychischen Zwangssituation, ihre Identität wird ausschließlich in bezug auf Männer und Sexualität konstruiert). Charakterisierungen, die das erste Bild betreffen und anfangs ambivalente Zuschreibungen hätten sein können, also positiv wie negativ besetzt, wurden im Inszenierungsverlauf zu eindeutig negativen Charakterisierungselementen. Im 2. Lesedurchgang hatte sich gezeigt, daβ die Geschlechtsrollenmuster, die Bilder von Weiblichkeit und die charakterisierenden Beschreibungen vom jeweiligen thematischen

21 Kontext abhängig inszeniert sind. Eine Charakterisierung erhält z.b. negative Konnotationen, wenn sie in einem moralisierenden Kontext steht. In einem Argumentationskontext, der Verständnis einklagt, kann eine Charakterisierung positiv besetzt sein. 3. Lesedurchgang und gleichzeitige Auswertung Im letzten Durchgang wurden aus dem gesamten Material inhaltlich begründete Textausschnitte ausgewählt, anhand derer die geschlechtsspezifischen Inhalte der Inszenierung reinterpretiert und aufeinander bezogen werden konnten. Die Darstellungsweise war thematisch an der Bilderproduktion und den Geschlechtsrollenmustern, bzw. den normativen Verdeutlichungen geschlechtlicher Arbeitsteilung und tradierten Vorstellungen von Ehe und Sexualität orientiert. Zu dieser Zusammenstellung unserer Interpretationen - die immer gegenseitig zu begründen war - ist zu sagen, daβ durchaus eine andere Reihenfolge oder Wahl der Textausschnitte denkbar und möglich gewesen wäre. Da die verdeutlichten Bilder, Stereotype, Charakterisierungen und Thematisierungen sich gegenseitig stützen und bekräftigen, sehen wir dies aber für die Interpretation insgesamt als irrelevant an. 4. DIE MASSENMEDIALE INSZENIERUNG UND KONSTRUKTION DES "FALLES MONIKA WEIMAR" DURCH BILDERPRODUKTION Die massenmediale Inszenierung und Konstruktion des "Falles Monika Weimar" steht im Kontext des Vorwurfs der "Kindestötung" und erhält nur in diesem Kontext ihre spezifische Bedeutung. Am Anfang und am Ende des Kriminalisierungsprozesses stehen zwei tote Kinder. Am Anfang: Zwei Schwestern im Alter von fünf beziehungsweise sieben Jahren werden in der Nähe des Elternhauses tot aufgefunden, der "Fall" ist ein Rätsel - alles ist offen. Wer war der Mörder? Am Ende, nach der Verurteilung der Mutter zu einer lebenslangen Haftstrafe, tauchen die Kinder in den Medien wieder auf. "Es wird eine Weile noch weiter diskutiert werden, ob Monika Weimar ihre gerechte Strafe gefunden hat oder Opfer einer Justiz wurde, die sich am Punkt der Wahrheit glaubte. Wo aber Kinder zu Tode kommen, kann das Schicksal der Mutter nur noch in zweiter Linie

22 interessieren. Heute wird man noch einmal von Melanie und Karola reden. Und morgen?" (AN, 9.1.88) In der Zwischenzeit spielen die Kinder nur eine Nebenrolle. Sie werden darauf reduziert, daß sie ermordet wurden, denn das Interesse gilt dem "Mörder", der "Mörderin". Zu Beginn wird der "Kerl" (AN, 9.8.86) gesucht, der "das" getan hat. "Ein Fremder lockte sie ins Auto. Die Angst: 'einer von uns'?" (ebd.) ist als Headline zu lesen. Die Angst im Dorf ist groβ. Das Dorf - Phillipsthal, Ortsteil Röhringshof-Nippe. Es liegt nahe der "Zonengrenze", dort, wo "ein eisiger Ostwind die Demarkationslinie entlang(heult)" - so die Beschreibung der AN vom 19.3.1987. Zwölf Familien leben hier, die Männer arbeiten im Kalibergwerk, das Leben der Frauen dreht sich um Haushalt, Ehemann und Kinder. "Noch nie ist bei uns hier sowas passiert. Und unvorstellbar ist, daβ es einer von uns gewesen sein könnte, einer, den wir alle kennen." (ebd.) "Einer von uns?" - Diese Vorstellung ist unfaβbar. Wer ist es, der nicht zu "uns" gehört? "Wir bitten und beten, daβ dieser Mensch, der kein Mensch, sondern ein Tier ist, bald gefaβt wird." (ebd.) Ein Tier wird gesucht. "Sie (die Kinder, d. Verf.) wurden jedoch nicht Opfer eines Sexualverbrechens." (ebd.) Das klischeehafte Bild vom Triebtäter ist ausgeschlossen. Die Ungewiβheit, das Fehlen einer gängigen Erklärung löst noch gröβere Unsicherheit aus. "Gerüchte und Spekulationen. 'Weswegen ist der Mann so lange vernommen worden? 'Die müssen die Familie doch vernehmen, so oder so'." (ebd.) "So oder so" - das bedeutet hier: ob sie etwas damit zu tun haben oder nicht. Doch das sind vorerst Spekulationen. Monika und Reinhard Weimar erscheinen als trauernde, verzweifelte Eltern. Die Beerdigung: Ein "lähmendes Entsetzen" (AN, 11.8.86) liegt über der Gemeinde. "Du kannst nicht fliehen vor dem, was du getan hast. Gott wird dich einholen. Stell Dich!" - so der Pastor bei der Grabrede. Das Bild der verzweifelten Mutter, als die Särge ins Grab gelassen werden: "Nein, nein, weint die Mutter... Sie erleidet einen Schwächeanfall, ihr wird ein Stuhl ans Grab gebracht... ihr Gesicht ist vom Schmerz gezeichnet." (ebd.) Der Vater: "... gramgebeugt... Er ist ein kranker Mann." (ebd.) Welch' schweres Schicksal für die Familie. "Die hat einen Freund, einen Neger"

23 Wenige Tage nach der Berichterstattung über die Beerdigung, bei der eine "groβe Anteilnahme" (FNP, 11.8.86) verzeichnet wurde, wo vom "Täter" noch jede Spur fehlt, erfahren wir vom "Gerede" über Monika Weimar im Dorf: "Die hat einen Freund, einen Neger aus der US-Armee und von dem soll sie ja auch schwanger sein." 1 (FNP, 16.8.86) Und weiter: "Die Weimars haben sich oft gestritten... Nicht mal in den dörflichen Vereinen sei Reinhard Weimar Mitglied gewesen." (ebd.) Doch: "Trotzdem zeigte man bei der Beerdigung Anteilnahme." (ebd.) In dem Moment, wo das Bild einer merkwürdigen Familie gezeichnet wird, verwandelt sich in der Berichterstattung die "groβe Anteilnahme" bei der Beerdigung: es gingen nicht alle hin, und die, die dort waren, waren "trotzdem" dort. Trotz dieser "anderen" Familie, wo der Mann nicht im Verein ist und die Frau einen "Neger" zum Geliebten hat - wie uns das Wort "schwanger" wissen läβt. Nach der anfänglichen Suche nach dem "Tier" konzentriert sich die Berichterstattung nun mehr und mehr auf die Familie, insbesondere auf die Person Monika Weimar. Diese Konzentration erhält eine neue Qualität zum Zeitpunkt der ersten Festnahme von Monika Weimar. Headline der FNP vom 30.08.86: "Schrecklicher Verdacht: Mutter eine Mörderin?" 2 Und wir erfahren: "Die Gerüchte verdichteten sich mit Hinweis auf die Mutter, als bekannt wurde, daβ sie mit einem amerikanischen Soldaten ein Verhältnis hatte und mit ihm auswandern wollte, und ihr Ehemann... nach der Beerdigung der beiden Mädchen aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen war." (ebd.) Diese neue Qualität gründet darauf, daβ hier ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem "Lebenswandel" von Monika Weimar und dem Vorwurf der "Kindestötung" hergestellt wird. 1 2 Wie sich in der Berichterstattung später herausstellt, handelt es sich bei dem hier angesprochenen "Geliebten" um einen weiβen US-Soldaten. Interessant erscheint uns, daβ sich die Denunziation von Monika Weimar mit rassistischen Ressentiments vermischt. Die Gewichtigkeit des Vorwurfs, daβ eine Mutter ihre eigenen Kinder getötet haben soll, wird an dieser Stelle nicht explizit herausgearbeitet werden, da dieses Thema einer gesonderten, umfangreicheren Behandlung bedürfte. Es wird kaum bezweifelt werden können, daβ "Kindsmord" gesellschaftlich als eines der am negativsten bewerteten sogenannten "Verbrechen" definiert wird, - es ist das "Schlimmste", was eine Mutter tun kann. Die massenmediale Bilderproduktion und Konstruktion von Monika Weimar ist daher im Kontext dieses "Mord-Vorwurfs" zu sehen und erhält vor diesem Hintergrund ihre Bedeutung.

24 "Plötzlich haben es alle 'schon immer gewuβt'. So eine, die ihren Mann betrügt, ist zu allem fähig." (FNP, 1.9.86) Nun geht es uns nicht um die Frage, ob etwa eine derartig vereinfachte Schluβfolgerung letztlich zur Kriminalisierung oder gar Verurteilung von Monika Weimar geführt hat. 1 Doch wird hier durch das Arbeiten mit Alltagsvorstellungen (es wird sich hier auf Vorstellungen aus dem "Dörfchen nahe der Zonengrenze" (ebd.) bezogen) der Blick auf die Frage gelenkt, was sich hinter "so eine(r), die ihren Mann betrügt", verbirgt. Die massenmediale Konstruktion von Monika Weimar ist denn auch neben charakterisierenden Zuschreibungen auf ihre Darstellung als Ehefrau, Geliebte und Mutter konzentriert. Als Ehefrau hat sie ihren Mann "betrogen" und wird so zur Ehebrecherin. Ein "Betrug" des Ehemannes bzw. "Bruch" der Ehe wird ausschlieβlich auf den Bereich der Sexualität gedacht; weibliche Sexualität, so die implizite normative Vorstellung, hat ihren legitimierten Ort in der Ehe. Sie ist Besitz, der durch Ehevertrag gekauft wurde. Das Bild von Monika Weimar als Ehebrecherin spielt in der massenmedialen Konstruktion eine bedeutende Rolle; als Ehebrecherin wird sie zur "schlechten" Ehefrau, die rücksichtslos ihre diversen Liebschaften hatte und in der Ehe dominant und egoistisch ihre Interessen durchsetzen wollte. Über ihr Verhältnis zu einem amerikanischen Soldaten hinaus erfahren wir: "Ihm (dem abgelösten Staatsanwalt, der den Vater für den Täter hielt, d. Verf.) sei nicht bekannt..., ob seine Ablösung mit Gerüchten zusammenhängt, nach denen er mit der beschuldigten Kindesmutter Tennis gespielt und gekegelt haben soll." (FNP, 22.10.86; vgl. auch AN, 22.10.86 und FAZ, 24.3.87) Das Arbeiten mit "Gerüchten" ist in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen. Auch wenn der genannte Staatsanwalt im gleichen Artikel zitiert wird mit: "Da ist nichts dran!" (FNP, ebd.), setzt diese Information Phantasien in Gang, die im Kontext vom Bild der Ehebrecherin Fragen nahelegen wie: Mit dem hat sie also auch was gehabt? Indem das Gerücht Verbreitung findet, wird das negative Bild von Monika Weimar als Ehebrecherin und folglich "schlechten" Ehefrau verfestigt. Auch der Staatsanwalt wird in seiner Haltung (Monika Weimar sei nicht die "Mörderin") als nicht ernst zu nehmen dargestellt. Es scheint die plausible Erklärung dafür zu 1 Wie sich der Zusammenhang zwischen Inszenierung und Konstruktion von Monika Weimar und dem Kriminalisierungsprozeβ gestaltet, erfordert eine weiterführende Analyse, die hier nicht geleistet werden kann.