Elemente der Arithmetik und Algebra

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Transkript:

Elemente der Arithmetik und Algebra Boris Girnat Skript zur Vorlesung im Sommersemester 2006 Technische Universität Braunschweig Institut für Didaktik der Mathematik und Elementarmathematik Mailadresse: b.girnat@tu-bs.de

Inhaltsverzeichnis 1 Die natürlichen Zahlen 1 1.1 Die Peano-Axiome................................ 2 1.2 Verknüpfungen und algebraische Strukturen................. 3 1.3 Verknüpfungen der natürlichen Zahlen.................... 6 1.3.1 Addition.................................. 7 1.3.2 Multiplikation............................... 9 1.3.3 Subtraktion und Division........................ 11 1.4 Die Ordnung der natürlichen Zahlen...................... 11 1.4.1 Ordnungsrelationen........................... 11 1.4.2 Die Ordnungsrelation der natürlichen Zahlen............ 12 1.4.3 Die Wohlordnung oder das Prinzip des kleinsten Elementes.... 13 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen 15 2.1 Die Teilbarkeitsrelation.............................. 15 2.2 Primzahlen..................................... 18 2.2.1 Das Sieb des Eratosthenes........................ 19 2.2.2 Anzahl und Abstände von Primzahlen................ 19 2.2.3 Exkurs: Vollkommene Zahlen und Mersennesche Primzahlen... 20 2.3 Primfaktorzerlegung............................... 21 2.3.1 Der Fundamentalsatz der elementaren Zahlentheorie........ 21 2.3.2 Kanonische und normierte Primfaktorzerlegung........... 23 2.4 Teilbarkeit und Primfaktorzerlegung...................... 27 2.5 Größter gemeinsamer Teiler und kleinstes gemeinsames Vielfaches.... 29 2.5.1 Mengentheoretische Definition..................... 29 2.5.2 Berechnung von ggt und kgv über Primfaktorzerlegung...... 32 2.6 Division mit Rest................................. 34 2.7 Der euklidische Algorithmus.......................... 35 2.8 Stellenwertsysteme................................ 37 2.8.1 Zahldarstellungen............................ 37 2.8.2 Rechnen in Stellenwertsystemen.................... 41 3 Konstruktion der ganzen Zahlen 45 3.1 Gruppen und Ringe................................ 45 3.2 Äquivalenzrelationen............................... 47 3.3 Konstruktion der ganzen Zahlen........................ 48

IV Inhaltsverzeichnis 3.3.1 Addition.................................. 49 3.3.2 Multiplikation............................... 51 3.4 Einbettung der natürlichen Zahlen....................... 51 3.5 Die Ordnung der ganzen Zahlen........................ 52 3.6 Die gewohnte Schreibweise........................... 52 4 Teilbarkeitstheorie der ganzen Zahlen 53 4.1 Die Teilerrelation in Z.............................. 53 4.2 Analogie zwischen N und Z in der Teilbarkeitstheorie........... 53 4.2.1 Die Betragsfunktion........................... 53 4.2.2 Elementare Teilerregeln......................... 54 4.2.3 Größter gemeinsamer Teiler und kleinstes gemeinsames Vielfache 54 4.2.4 Division mit Rest und der euklidische Algorithmus......... 55 4.3 Vielfachensummen und diophantische Gleichungen............. 56 4.3.1 Vielfachensummen............................ 56 4.3.2 Diophantische Gleichungen....................... 59 4.4 Kongruenzen und Restklassen......................... 64 4.4.1 Kongruenzen und ihre Restklassen................... 64 4.4.2 Restklassenstrukturen.......................... 66 4.4.3 Verknüpfungstafeln........................... 68 4.4.4 Einheiten und Nullteiler......................... 70 4.4.5 Homomorphismen............................ 72 4.5 Teilbarkeitsregeln................................. 73 4.5.1 Endstellenregeln............................. 73 4.5.2 Quersummenregeln........................... 75 4.5.3 Regeln für die alternierende Quersumme............... 77 4.6 Rechenproben durch Restklassenrechnung.................. 78 4.7 Rechenregeln für die Modulorelation...................... 80 5 Die rationalen Zahlen 83 5.1 Konstruktion der rationalen Zahlen...................... 83 5.1.1 Addition.................................. 83 5.1.2 Multiplikation............................... 84 5.2 Körper....................................... 85 5.3 Die Ordnung der rationalen Zahlen...................... 85 5.4 Darstellung rationaler Zahlen.......................... 86 5.4.1 Die unendliche geometrische Reihe.................. 86 5.4.2 Systembrüche............................... 87 5.4.3 Von gemeinen Brüchen zu Systembrüchen.............. 88 5.4.4 Von Systembrüchen zu gemeinen Brüchen.............. 96

Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen Der Braunschweiger Mathematiker Richard Dedekind (1831 1916) stellte 1888 zum ersten Mal ein Axiomensystem der natürlichen Zahlen vor. Wie es in der Wissenschaftsgeschichte üblich ist, wird dieses Axiomensystem heute nicht nach seinem Erfinder benannt, sondern nach einem seiner Kollegen, dem italienischen Mathematiker Giuseppe Peano (1858 1932), der sich wenige Jahre nach Dedekind mit der Axiomatik der natürlichen Zahlen beschäftigt hat. Mit den Arbeiten dieser und einiger anderer Mathematiker des ausgehenden 19. Jahrhunderts entstand die Zahlentheorie im modernen Sinne. Zwar beschäftigten sich Mathematiker schon Jahrhunderte und Jahrtausende vor Dedekind und Peano mit Zahlen, aber erst mit diesen Mathematikern und ihrem großen Nachfolger David Hilbert begann man, eine Theorie der Zahen systematisch, d. h. axiomatisch zu entwickeln. Sinn eines Axiomensystem ist es, eine Theorie ihrem logischen Aufbau gemäß zu strukturieren: Man versucht, eine möglichst geringe und einfache Menge von Sätzen zusammenzustellen, aus der sich alle anderen Sätze der Theorie logisch ableiten lassen. Sollte also Ihre Kompetenz im logischen Ableiten unbegrenzt und ohne zeitlichen Aufwand ablaufen, dann brauchten Sie sich nur die Peano-Axiome auf der nächsten Seite durchzulesen und wüssten dann schon alles, was in diesem Skript steht, denn aus den Peano-Axiomen lässt sich nicht allein die Theorie der natürlichen Zahlen entwickeln, sondern (mit einigen mengentheoretischen Hilfsmitteln) die gesamte Zahlentheorie. Durch die axiomatische Methode soll ein systematischer und möglichst widerspruchsfreier Aufbau einer Theorie erreicht werden (erst Kurt Gödel hat in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts erkannt, dass diesem Verfahren bestimmte Grenzen gesetzt sind). Bereits in der Schule lernt man eine Vielzahl von Aussagen über natürliche Zahlen: Wir kennen Teilbarkeitsbeziehungen, Rechengesetze für die Additionen und Multiplikation, das Verfahren der Primfaktorenzerlegung, das Prinzip der vollständigen Induktion und vieles andere mehr. All dieses Wissen wird in der axiomatischen Mathematik systematisiert: Man zeigt, dass sich all diese Regeln, Gesetze, Aussagen oder Verfahren aus dem Axiomensystem der natürlichen Zahlen logisch ableiten lassen. Dabei ist der Ausdruck logisch ableitbar in einem weiteren Sinne zu verstehen: Nicht nur die Gesetze der Aussagen- und Prädikatenlogik werden als Ableitungsregeln bzw. Beweisverfahren benutzt, sondern auch die Gesetze und Methoden der Mengenlehre. Sie stellen ein grundlegendes Handwerkszeug der Mathematik dar und werden in weiteren als bekannt vorausgesetzt.

2 Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen 1.1 Die Peano-Axiome Definition 1 (Peano-Axiome) Eine Menge N ist eine vollständige Menge natürlicher Zahlen, wenn es eine Funktion ν : N N : n n gibt, sodass die folgenden Aussagen gelten: P 1 ) Zu jedem n N gibt es genau ein n N. Man nennt n den Nachfolger von n. P 2 ) Es gibt ein o N, sodass o für kein n N ein Nachfolger ist. P 3 ) Für alle n, m N gilt: Ist n = m, so ist n = m. P 4 ) Es sei W N. Gilt 1. o W 2. und ist für alle w W auch w W, so ist W = N. Formal sehen die Peano-Axiome folgendermaßen aus: P 1 ) n N : n : n N. P 2 ) o N : n N : o = n. P 3 ) n N : m N : (n = m ) (n = m). P 4 ) W N : w W : (o W (w W w W)) (W = N). Die Funktion ν wird Nachfolgerfunktion genannt. Bemerkung 1 Ist eine Menge N eine vollständige Menge natürlicher Zahlen, so bezeichnet man N üblicherweise mit N und nennt die Elemente von N natürliche Zahlen. Auch für die Elemente von N haben sich mit der Zeit standardisierte Bezeichnungen eingebürgert. So bezeichnet man meistens o mit 0, o mit 1, (o ) mit 2, ((o ) ) mit 3 usw. Diese Schreibweise wird im Weiteren auch hier benutzt. Die üblichen Bezeichnungen der natürlichen Zahlen suggerieren, dass es genau eine Menge natürlicher Zahlen gebe und diese Menge N genannt werde. Das ist keineswegs der Fall. Es gibt mehrere Mengen, die die Peano-Axiome erfüllen und die man deshalb als vollständige Mengen natürlicher Zahlen bezeichnen kann. Es gibt sogar unendlich viele Mengen dieser Art. Das soll uns nicht stören, denn diese Mengen mögen zwar verschieden sein, dennoch verhalten sie sich in all ihren mathematisch relevanten Eigenschaften gleich. Daher erscheint es angemessen, sie ohne Unterschied mit demselben Namen N zu bezeichnen und sie als gleich zu behandeln. Definition 2 In diesem Skript enthält die Menge N die Zahl Null. Für den Fall, dass man N ohne Null betrachten möchte, wird hier N = N \ {0} definiert.

1.2 Verknüpfungen und algebraische Strukturen 3 Bemerkung 2 Das Axiom P 4 ist als Induktionsaxiom bekannt. Es erlaubt, Beweise mit der Methode der vollständigen Induktion zu führen. Das zeigt uns Satz 1. Satz 1 (Prinzip der vollständigen Induktion) Es sei A(x) eine Aussageform. Gilt A(0) und gilt für alle n N, wenn A(n), dann auch A(n ), so gilt A(x) für alle x N. BEWEIS Es sei W = {x N A(x)} die Erfüllungsmenge der Aussageform A(x) in N. Da A(0) gilt, ist 0 W; und da für alle n N, die A(x) erfüllen, auch A(n ) gilt, ist für alle n W auch n W. Damit erfüllt W die Voraussetzungen von P 4, und nach P 4 gilt daher W = N. Also ist A(x) allgemeingültig über N, d. h. es gilt A(x) für alle x N. Bemerkung 3 In Satz 1 wurde bewiesen, dass das Prinzip der vollständigen Induktion eine gültige Beweismethode. Der Beweis von Satz 1 greift wesentlich auf das Axiom P 4 zurück. Daher kann man sagen: Das Prinzip der vollständigen Induktion ist gerade deshalb ein gültiges Beweisverfahren, weil man in das vierte Peano-Axiom hineingeschrieben hat, dass es ein gültiges Beweisverfahren ist. Für den mathematischen Laien mag diese Begründung wie ein billiger Taschenspielertrick wirken: Man definiert sich gerade das zurecht, was man haben möchte. Selbst großen Mathematikern wie beispielsweise Frege, Russell und Brouwer ist aus diesem Grund die axiomatische Methode umstritten gewesen (Russell spricht davon, dass sie dieselben Vorteile habe wie der Diebstahl gegenüber der ehrlichen Arbeit). Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat sie sich dennoch immer weiter ausgebreitet und ist mittlerweile auf allen Gebieten der Mathematik akzeptiert (in der Geometrie war sie es schon seit der Antike). Lemma 1 Die Nachfolgerfunktion ν ist eine injektive Funktion, und N ist das Bild (oder der Wertebereich) von ν. BEWEIS Nach P 1 ist ν ein Funktion, und nach P 3 ist ν injektiv. Nach P 2 ist 0 kein Element des Bildes von ν. Nun ist noch zu zeigen, dass 0 das einzige Element von N ist, das nicht im Bild von ν liegt. Dazu sei W = {0} Bild(ν). Da 0 W ist und Bild(ν) zu jedem n N den Nachfolger n enthält, ist W = N nach P 4. Also ist Bild(ν) = N\{0} und damit 0 die einzige natürlich Zahl, die nicht in Bild(ν) enthalten ist. Korollar 1 Die einzige natürliche Zahl, die kein Nachfolger einer natürlichen Zahl ist, ist 0. Insbesondere ist 0 dadurch eindeutig bestimmt, d. h. es gibt keine von 0 verschiedene natürliche Zahl, die ebenfalls P 2 erfüllt. 1.2 Verknüpfungen und algebraische Strukturen Definition 3 Es sei M eine nichtleere Menge und M eine Menge mit M M. Eine Verknüpfung (oder Operation) ist eine Abbildung : M M M. Die Verknüpfung ist auf M abgeschlossen, wenn M = M ist, d. h. wenn für alle a, b M gilt, dass a b M ist.

4 Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen Bemerkung 4 Für Verknüpfungen benutzt man üblicherweise die Infixnotation, d. h. man schreibt nicht in Präfixnotation (a, b), wie es bei Abbildungen üblich ist, sondern a b (gelesen: a verknüpft mit b oder a Kreis b ). Definition 4 Eine algebraische Struktur ist ein Paar (M, ), bestehend aus einer nichtleeren Menge M und einer Verknüpfung : M M M mit M M. Eine algebraische Struktur (M, ) ist abgeschlossenen, wenn abgeschlossen ist. Beispiel 1 Abgeschlossene algebraische Strukturen sind beispielsweise: (N, +) (das soll im Weiteren gezeigt werden) (Q, ) (P(M), ), wobei M eine beliebige nichtleere Menge ist. (R n n, ), wobei R n n die Menge der quadratischen n n-matrizen über den reellen Zahlen und die Matritzenmultiplikation ist. (Sym(3), ), wobei Sym(3) die Menge aller bijektiven Abbildungen der Menge {1, 2, 3} in sich selbst und das Hintereinanderausführen von Abbildungen ist. (N, ˆ), wobei ˆ das Potenzieren ist (dagegen ist (N, ˆ) keine algebraische Struktur, da 0 0 nicht definiert ist und das Potenzieren wegen dieser Definitionslücke keine Verknüpfung auf N ist). Die folgenden Paare sind zwar algebraische Strukturen, jedoch nicht abgeschlossen: (N, ), denn die Subtraktion führt in die ganzen Zahl hinein. (N, ), denn die Division führt in die rationalen Zahl hinein (ebenso wie (N, ˆ) ist (N, ) keine algebraische Struktur, da die Division durch Null nicht definiert ist). Definition 5 Es sei (M, ) eine algebraische Struktur. 1. Die Verknüpfung ist assoziativ, wenn a (b c) = (a b) c für alle a, b, c M gilt. 2. Die Verknüpfung ist kommutativ oder abelsch, wenn a b = b a für alle a, b M gilt. 3. Die Verknüpfung ist regulär, wenn für alle a, b, c M gilt: Ist a b = a c oder b a = c a, so ist b = c. Diese Eigenschaft wird auch Kürzungsregel genannt. 4. Gibt es ein e M mit e a = a e = a für alle a M, so ist e ein Neutralelement von M bezüglich.

1.2 Verknüpfungen und algebraische Strukturen 5 Lemma 2 Ist (M, ) eine algebraische Struktur mit einer regulären Verknüpfung und a, b, x M, so ist jede Gleichung der Form a x = b eindeutig bezüglich x lösbar, sofern sie überhaupt lösbar ist. BEWEIS Man nehme an, die Gleichung a x = b sei lösbar und habe für x zwei verschiedene Lösungen, d. h. es gebe x 1, x 2 M mit x 1 = x 2, sodass a x 1 = b und a x 2 = b gilt. Durch Gleichsetzen erhält man a x 1 = a x 2. Da (M, ) regulär ist, folgt daraus x 1 = x 2 im Widerspruch zu x 1 = x 2. Also hat die Gleichung a x = b, wenn sie überhaupt lösbar ist, nicht mehr als eine Lösung. Beispiel 2 Für die Strukturen aus Beispiel 1 gilt: Struktur abgeschlossen assoziativ kommutativ regulär Neutralelement (N, +) ja ja ja ja 0 (Q, ) ja ja ja nein 1 (Q \ {0}, ) ja ja ja ja 1 (R n n, ) ja ja ja/nein nein Einheitsmatrix (Sym(3), ) ja ja nein ja id (P(M), ) ja ja ja nein (N, ) nein nein nein ja 0 (Z, ) nein nein nein ja 1 (N, ˆ) ja nein nein nein nicht vorhanden Tabelle 1.1: Eigenschaften ausgewählter algebraischer Strukturen Dabei ist id die sogenannte identische Abbildung, d. h. die Abbildung, die jedes Element auf sich selbst abbildet. Beispiel 3 Die Struktur (R n n, ) ist für n = 1 kommutativ und für alle n > 1 nicht, was man für den Fall n = 2 an folgenden Matrizen sehen kann: ( ) 1 2 3 1 ( ) 2 1 = 1 0 ( ) 4 1 = 7 3 ( ) 5 5 = 1 2 ( ) 2 1 1 0 ( ) 1 2. 3 1 Die Struktur (R 2 2, ) ist nicht nur nicht kommutativ, sie ist darüberhinaus auch nicht regulär, wie das folgende Beispiel zeigt: Die Gleichung ( ) 1 0 x = 0 0 ( ) 0 0 0 0 ist beispielsweise für x = ( ) 0 0 1 1 und x = ( ) 0 0 0 1

6 Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen erfüllt. Wäre (R 2 2, ) regulär, so dürfte es jedoch nur eine Lösung für diese Gleichung geben. An diesen beiden Beispielen kann man sehr erkennen, wie man nachweist, dass eine algebraische Struktur eine bestimmte Eigenschaft nicht hat: Die oben genannten Eigenschaften sind in der Regel darüber definiert, dass eine Bedingung für alle Elemente einer algebraischen Struktur erfüllt sein muss, damit die jeweilige Eigenschaft algebraische Struktur zutrifft. Um nachzuweisen, dass eine algebraische Struktur eine dieser Eigenschaften nicht hat, braucht man man nur zu zeigen, dass ein Element die Bedingung aus der Definition nicht erfüllt, d. h. es reicht, ein Gegenbeispiel anzugeben. Dem gegenüber ist es in der Regel schwierig nachzuweisen, dass eine algebraische Struktur eine dieser Eigenschaften hat, da man in diesem Fall zeigen muss, dass eine bestimmte Bedingung für alle Elemente der Struktur erfüllt ist. Wie man so etwas zeigt, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Im weiteren werden Sie dazu einige Methoden kennenlernen, die sich für natürliche Zahlen eignen. Definition 6 Eine Halbgruppe (H, ) ist eine abgeschlossene, assoziative algebraische Struktur, d. h. : 1. Für alle a, b H ist a b H. 2. Für alle a, b, c H gilt a (b c) = (a b) c. 1.3 Verknüpfungen der natürlichen Zahlen Dieser Abschnitt führt zuerst die üblichen Verknüpfungen der natürlichen Zahlen ein, nämlich die Addition und die Multiplikation und daraus abgeleitet die Umkehroperationen Subtraktion und Division. Anschließend werden einige der wichtigsten Eigenschaften dieser Verknüpfungen bewiesen, wie beispielsweise ihre Assoziativität, Kommutativität und Regularität (sofern sie auf die jeweilige Verknüpfung zutreffen) Dabei wird das axiomatische Vorgehen der Mathematik deutlich: All diese Verknüpfung, die mit ihren Eigenschaften in der Schule als naturgegeben angenommen werden, lassen sich durch in Anschluss an die Peano-Axiome definieren, und man kann dann ihre Eigenschaften aus den Peano-Axiomen beweisen. Diese Beweise sind größtenteils relativ technisch. Sie müssen daher (anders als alle anderen Teile dieses Skriptes) nicht im Detail nachvollzogen werden. Es reicht, wenn man sich darüber im Klaren ist, dass sich alle Eigenschaften der beiden Verknüpfungen im Prinzip aus den Peano- Axiomen beweisen lassen, ohne selbst diesen Beweis aufstellen zu können. Was hingegen aus diesem Abschnitt unverzichtbar ist: Man sollte die grundlegenden Eigenschaften der vier Verknüpfungen kennen und anwenden können und darüber hinaus die Verknüpfungen der natürlichen Zahlen als Spezialfälle der algebraischer Strukturen einordnen können. Dazu gehören neben den bereits genannten Begriffen auch die folgenden: Gruppe, Verknüpfung, Neutralelement, Nullteilerfreiheit, Regularität, Abgeschlossenheit, Inverses und inverse bzw. Umkehroperation.

1.3 Verknüpfungen der natürlichen Zahlen 7 1.3.1 Addition Definition 7 Es sei n N. Es ist f n : N N eine n-additionsfunktion, wenn f n die folgenden beiden Bedingungen erfüllt: 1. Es ist f n (0) = n. 2. Für alle m N ist f n (m ) = f n (m). Lemma 3 Es sei n N. Dann gilt: 1. Es gibt eine n-additionsfunktion f n. 2. Die Funktion f n ist eindeutig bestimmt. 3. Die Funktion f n ist injektiv. BEWEIS Der Beweis dieses Satzes erfordert genauere Kenntnis der Mengenlehre und wird aus diesem Grund hier ausgelassen. Definition 8 Es seien n, m N. Dann ist n + m := f n (m). Dabei ist f n die n-additionsfunktion. Bemerkung 5 Durch die Fallunterscheidung in Definition 8 wird der Null eine Sonderrolle bei der Addition natürlicher Zahlen zugewiesen. Sie wird dadurch zum Neutralelement in (N, +). Hieran sieht man: Welche mathematischen Gesetze gelten, hängt davon ab, welche Definitionen man verwendet. Lemma 4 Die Verknüpfung + ist auf N abgeschlossen. BEWEIS Für einen Ausdruck der Art 0 + m liegt 0 + m = m nach Definition von + in N; und für n N ergibt sich n + m N daraus, dass f n nach Lemma 3 eine Funktion mit Werten in N ist. Lemma 5 Für alle n, m N gilt n + m = (n + m). BEWEIS Induktionsanfang: Für n = 0 gilt 0 + m = m = (0 + m) unmittelbar nach Definition. Induktionsschritt: Als Induktionsvoraussetzung gelte n + m = (n + m). Nun ist zu zeigen, dass unter dieser Voraussetzung auch n + m = (n + m) gilt. Es gilt: n + m = f n (m ) (nach Definition der Addition) = f n (m) (nach den Eigenschaften der n-additionsfunktion) = (n + m ) (nach Definition der Addition) = ((n + m) ) (nach Induktionsvoraussetzung) = ( f m (n) ) (nach Definition der Addition)

8 Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen = ( f m (n )) (nach den Eigenschaften der n-additionsfunktion) = (n + m) (nach Definition der Addition) Also ist insgesamt gezeigt, dass n + m = (n + m) gilt. Bemerkung 6 Lemma 5 ist wahrlich kein besonders tiefsinniger Satz (nach ihm gilt beispielsweise 2 + (3 + 1) = (2 + 3) + 1; und wen sollte dieses Ergebnis überraschen?). Es ist erstaunlich, dass man einen derart trivialen Satz relativ umständlich beweisen muss. Dies liegt an der Natur der axiomatischen Methode: Man versucht mit möglichst wenig Axiomen auszukommen. Für die ersten Beweise hat man daher nur einen sehr schmale Vorrat an Grundlagen, auf die man sich in den Beweisen stützen kann. Deshalb muss man in den ersten Beweisen häufig mehrmals auf dieselben Aussagen zurückgreifen und produziert daher auch für einfache Sätze relativ lange und umständliche Beweise. Satz 2 (Eigenschaften der Addition) Für alle n, m, k N gilt: 1. 0 + n = n + 0 = n (Neutralität von 0), 2. n + (m + k) = (n + m) + k (Assoziativität), 3. n + m = m + n (Kommutativität), 4. n + m = n + k m = k (Regularität oder Kürzungsregel), 5. n + m = 0 n = 0 m = 0. BEWEIS 1) Es gelten 0 + n = n und n + 0 = f n (0) = n unmittelbar nach der jeweiligen Definition. 2) Induktionsanfang: Es sei n = 0. Dann ergibt sich die Behauptung unmittelbar aus der Definition. Induktionsvoraussetzung: Für n sei bereits gezeigt, dass n + (m + k) = (n + m) + k gilt. Nun ist im Induktionsschritt zu zeigen, dass auch n + (m + k) = (n + m) + k gilt. Es ist n + (m + k) = (n + (m + k)) = ((n + m) + k) = (n + m) + k = (n + m) + k nach Lemma 5 und aufgrund der Induktionsvoraussetzung. 3) Analog zum vorangegangenen Beweis. 4) Induktionsanfang: Es sei n = 0. Dann folgt aus 0 + k = 0 + m unmittelbar nach Definition der Addition die Aussage k = m. Induktionsschritt: Als Induktionsvoraussetzung sei bereits gezeigt, dass aus n + m = n + k die Aussage m = k folge. Nun ist zu zeigen, dass auch aus n + m = n + k die Aussage m = k folgt. Es gelte n + m = n + k. Daraus folgt nach Lemma 5, dass auch (n + m) = (n + k) gilt. Da die Nachfolgerfunktion nach Lemma 1 injektiv ist, folgt aus (n + m) = (n + k), dass n + m = n + k ist. Nun gilt nach Induktionsvoraussetzung k = m. 5) Man nehme an, es sei n = 0 oder m = 0. Falls m = 0 ist, dann gibt es ein u N mit u = m. Daher ist 0 = n + m = f n (m) = f n (u ) = f n (u) im Widerspruch dazu, dass 0 kein Nachfolger einer natürlichen Zahl ist. Falls n = 0 ist, erhält man wegen der Kommutativität der Addition analog einen Widerspruch.

1.3 Verknüpfungen der natürlichen Zahlen 9 Korollar 2 Es ist (N, +) eine kommutative, reguläre Halbgruppe mit 0 als Neutralelement. Satz 3 Es seien a 1, a 2,..., a n N. Dann ist die Summen von a 1, a 2,..., a n unabhängig von der Klammerung und der Reihenfolge der Zahlen a 1, a 2,..., a n, insbesondere ist a 1 + a 2 +... + a n ohne jede Klammerung ein sinnvoller Ausdruck. BEWEIS Zuerst wird gezeigt, dass der Wert von a 1 + a 2 +... + a n unabhängig von der Klammerung ist. Induktionsanfang: Für n = 3 folgt a 1 + (a 2 + a 3 ) = (a 1 + a 2 ) + a 3 aus der Assoziativität, die in Satz 2 bewiesen wurde. Also kann insbesondere auf die Klammerung im Ausdruck a 1 + a 2 + a 3 verzichtet werden. Induktionsschritt: Für n sei bereits gezeigt, dass im Ausdruck a 1 + a 2 +... + a n die Klammerung keine Rolle spielt. Es sei a der nach der Induktionsvoraussetzung eindeutig bestimmte Wert einer beliebig geklammerten Summe, in der jedes Element aus der Menge {a 1, a 2,..., a n } bis auf ein beliebiges Element a i dieser Menge genau einmal als Summand auftritt. Dann gilt (a + a i ) + a n+1 = a + (a i + a n+1 ) wegen der Assoziativität der Addition. Nun wird gezeigt, dass der Wert von a 1 + a 2 +... + a n unabhängig von der Reihenfolge der Summanden ist. Induktionsanfang: Für n = 2 ergibt sich a 1 + a 2 = a 2 + a 1 unmittelbar aus der Kommutativität der Addition. Induktionsschritt: Für n sei bereits gezeigt, dass der Wert des Ausdrucks a 1 + a 2 +... + a n unabhängig von der Reihenfolge der Summanden ist. Es sei a der nach der Induktionsvoraussetzung eindeutig bestimmte Wert der Summe, in der jedes Element aus der Menge {a 1, a 2,..., a n } in beliebiger Reihenfolge genau einmal als Summand auftritt. Dann gilt a + a n+1 = a n+1 + a wegen der Kommutativität der Addition. 1.3.2 Multiplikation Definition 9 Es sei n N. Es ist g n : N N eine n-multiplikationsfunktion, wenn g n die folgenden Bedingungen erfüllt: 1. Es ist g n (0) = 0. 2. Für alle m N ist g n (m ) = g n (m) + n. Lemma 6 Es sei n N. Dann gilt: 1. Es gibt eine n-multiplikationsfunktion g n. 2. Die Funktion g n ist eindeutig bestimmt. 3. Die Funktion g n ist injektiv.

10 Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen BEWEIS Der Beweis dieses Satzes erfordert genauere Kenntnis der Mengenlehre und wird aus diesem Grund hier ausgelassen. Definition 10 (Multiplikation) Es seien n, m N. Dann ist n m := g n (m). Dabei ist g n die n-multiplikationsfunktion. Satz 4 (Eigenschaften der Multiplikation) Für alle n, m, k, s N gilt: 1. 0 n = n 0 = 0, 2. 1 n = n 1 = n (Neutralität von 1), 3. n (m k) = (n m) k (Assoziativität), 4. n m = m n (Kommutativität), 5. n (s + k) = n s + n k (Distributivität), 6. Falls n > 0 ist, gilt s n = k n s = k (Regularität oder Kürzungsregel), 7. s k = 0 s = 0 k = 0 (Nullteilerfreiheit) Überlegen Sie bitte selbst, warum zum Teil Null als Wert der Variablen ausgeschlossen werden muss, um wahre Aussagen zu erhalten. BEWEIS 1) Die Behauptung folgt unmittelbar aus der Definition der Multiplikation. 2) Es gilt 1 n = n und n 1 = g n (1) = n unmittelbar nach den jeweiligen Definitionen. 3) Analog zum Nachweis der Assoziativität in Satz 2. 4) Analog zum Nachweis der Kommutativität in Satz 2. 5) Induktionsanfang: Es sei n = 0. Dann gilt 0 (s + k) = 0 und 0 s + 0 k = 0 + 0 = 0 unmittelbar nach den Definitionen der Addition und Multiplikation. Induktionsschritt: Als Induktionsvoraussetzung sei bereits gezeigt, dass n (s + k) = n s + n k gelte. Dann gilt: n (s + k) = n (s + k) + s + k (nach Definition der Multiplikation) = n s + n k + s + k (nach Induktionsvoraussetzung) = n s + s + n k + k (wegen der Kommutativität der Addition) = n s + n k (nach Definition der Multiplikation) Damit ist insgesamt n (s + k) = n s + n k bewiesen. 6) Analog zum Nachweis der Regularität in Satz 2. 7) Man nehme an, es sei s k = 0, und es gelte sowohl s = 0 als auch k = 0. Da k = 0 ist, gibt es nach Korollar 1 ein u N mit u = k. Da s = 0 ist, gilt s k = g s (k) = g s (u ) = g s (u). Also ist s k der Nachfolger von g s (u). Da aber Null nach Korollar 1 kein Nachfolger einer natürlichen Zahl ist, ist s k = 0 im Widerspruch zu s k = 0.

1.4 Die Ordnung der natürlichen Zahlen 11 Korollar 3 Es ist (N, ) eine kommutative, reguläre, nullteilerfreie Halbgruppe mit 1 als Neutralelement. Satz 5 Es seien a 1, a 2,..., a n N. Dann ist das Produkt von a 1, a 2,..., a n unabhängig von der Klammerung und der Reihenfolge der Zahlen a 1, a 2,..., a n, insbesondere ist a 1 a 2... a n ohne jede Klammerung ein sinnvoller Ausdruck. BEWEIS Analog zum Beweis von Satz 3. 1.3.3 Subtraktion und Division Definition 11 Es seien n, m N. Dann gilt n m = d genau dann, wenn n = m + d ist. Man nennt dann d die Differenz von n und m. Bemerkung 7 Wegen der Regularität von (N, +) ist die Differenz von n und m eindeutig bestimmt und der Gebrauch des bestimmten Artikels zulässig. Definition 12 Es seien n, m N mit m = 0. Dann gilt n : m = q (oder in anderen Schreibweisen n m = q bzw. m n = q) genau dann, wenn n = m q ist. Man nennt dann q den Quotienten von n bei Division durch m. Bemerkung 8 Wegen der Regularität von (N, ) ist der Quotient von n und m eindeutig bestimmt und der Gebrauch des bestimmten Artikels zulässig. Bemerkung 9 Durch die beiden vorangegangenen Definition werden zwei Abbildungen von jeweils einer Teilmenge von N N in N definiert, nämlich die Subtraktion und die Division. Diese Abbildungen sind keine Verknüpfungen, da Differenz und Quotient nicht für alle Paare natürlicher Zahlen definiert sind. Beispielsweise ist die Gleichung 2 3 = c für kein c N erfüllt, d. h. der Wert der Abbildung ist für das Paar (2, 3) nicht definiert. Erst in Z hat die Gleichung 2 3 = c eine Lösung, nämlich c = 1. Diese Zahl steht jedoch in N nicht zur Verfügung. Dies ist eine Motivation für das Projekt der Zahlbereichserweiterungen: Man erweitert eine Menge von Zahlen (z. B. N) auf eine größere Menge von Zahlen (z. B. N auf Z), damit sich die Lösungsmöglichkeiten von Gleichungen erhöhen, z. B. damit man nicht nur 3 2 = c lösen kann, sondern auch 2 3 = c. 1.4 Die Ordnung der natürlichen Zahlen 1.4.1 Ordnungsrelationen Definition 13 Es sei M eine Menge und R eine Relation auf M. Dann heißt R Ordnung oder Ordnungsrelation auf M, wenn für alle a, b, c M gilt: 1. ara (Reflexivität),

12 Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen 2. arb brc arc (Transitivität) und 3. arb bra a = b (Antisymmetrie oder Identitivität). Wenn darüber hinaus für alle a, b M auch 4. arb bra (Konnektivität) gilt, so ist eine lineare oder totale Ordnung auf M. 1.4.2 Die Ordnungsrelation der natürlichen Zahlen Definition 14 Es seien n, m N. Dann ist n m : s N : n + s = m n < m : n m n = m Beispiel 4 Es ist 3 < 5, da 3 + 2 = 5 ist, d. h. da es ein s N gibt, sodass 3 + s = 5 ist, nämlich s = 3. Dagegen ist 5 3, da es kein s N gibt, sodass die Gleichung 5 + s = 3 erfüllt ist. Satz 6 Die Relation ist eine lineare Ordnung auf N, d. h. für alle n, m, k N gilt: 1. n n (Reflexivität), 2. n m m k n k (Transitivität), 3. n m m n n = m (Antisymmetrie oder Identitivität) und 4. n m n m (Konnektivität). BEWEIS 1) Es gilt n + 0 = n für alle n N und damit n n. 2) Es gelte n m und m k, d. h. es gibt s 1 N mit n + s 1 = m und s 2 N mit m + s 2 = k. Daher gilt k = m + s 2 = (n + s 1 ) + s 2 = n + (s 1 + s 2 ), also n k. 3) Es gelte n m und m n, d. h. es gibt s 1 N mit n + s 1 = m und s 2 N mit m + s 2 = n. Daher gilt n = m + s 2 = (n + s 1 ) + s 2 = n + (s 1 + s 2 ), also n + 0 = n + (s 1 + s 2 ). Wegen der Regularität von (N, +) ist 0 = s 1 + s 2. Nach Satz 2 ist dann s 1 = s 2 = 0, also n = m. 4) Induktionsanfang: Für n = 0 gilt 0 m für alle m N, da 0 + m = m ist. Induktionsschritt: Für n sei als Induktionsvoraussetzung bereits gezeigt, dass n m oder m n gilt. Falls m n gilt, so gilt auch m n, denn einerseits gilt n n wegen n = n + 1, und andererseits folgt aus m n und n n wegen der Transitivität der -Relation die Aussage m n. Falls n m gilt, so kann man n = m annehmen, da der Fall m = m von m n abgedeckt wird. Da n m gilt, gibt es ein s N mit n + s = m. Da s = 0 ist, gibt es nach Korollar 1 ein u N mit u = s. Daher ist n + u = n + 1 + u = n + u + 1 = n + u = n + s = m. Also ist n m.

1.4 Die Ordnung der natürlichen Zahlen 13 Satz 7 (Verträglichkeit) Die Ordnung ist verträglich mit der Addition und Multiplikation, d. h. es gilt für alle n, m, k N: 1. n m n + k m + k, 2. n m n k m k. BEWEIS Übung. 1.4.3 Die Wohlordnung oder das Prinzip des kleinsten Elementes Definition 15 Es sei M eine Menge, eine lineare Ordnung auf M und T eine Teilmenge von M. Falls es ein s M gibt mit t s für alle t T, so ist T nach oben beschränkt, und s heißt obere Schranke von T. Definition 16 Es sei M eine Menge, eine lineare Ordnung auf M und T eine Teilmenge von M. Falls es ein s M gibt mit s t für alle t T, so ist T nach unten beschränkt, und s heißt untere Schranke von T. Lemma 7 Jede nichtleere Teilmenge T von N hat eine untere Schranke. BEWEIS Für alle n N gilt 0 n, da 0 + n = n ist. Also ist Null eine untere Schranke jeder Teilmenge von N. Definition 17 Es sei M eine Menge, T eine Teilmenge von M und eine lineare Ordnung auf M. Falls es genau ein m T gibt, sodass m eine untere Schranke von T ist, so ist m das Minimum von M (in Zeichen: m = min(t)). Satz 8 (Das Prinzip des kleinsten Elementes) Jede nichtleere Teilmenge T von N hat ein Minimum. BEWEIS Es sei S = {s N t T : s t}, d. h. S sei die Menge aller unteren Schranken von T. Nach Lemma 7 ist S =. Da T nicht leer ist, gibt es ein t T. Da t < t ist, ist t / S, also ist S = N. Nach P 4 gibt es daher ein s S mit s / S (denn andernfalls wäre nach P 4 N = S). Nun wird gezeigt, dass s das Minimum von T ist. Da s / S ist, ist s keine untere Schranke von T, d. h. es gilt u T : s u bzw. logisch äquivalent dazu u T : u < s, d. h. es gibt ein u T mit u < s. Da andererseits s eine untere Schranke von T ist, gilt s u, insgesamt also s u < s. Man nehme an, dass s < u gelte, d. h. dass es ein k N gebe mit s + k = u. Da dann aber s = s + 1 s + k = u im Widerspruch zu u < s steht, gilt nicht s < u, sondern s = u. Daher gilt sowohl s S als auch s T, d. h. s ist sowohl ein Element von T als auch eine untere Schranke von T. Also ist s ein Minimum von T. Da N linear geordnet und damit insbesondere antisymmetrisch ist, ist s eindeutig bestimmt.

14 Kapitel 1 Die natürlichen Zahlen Definition 18 Es sei M eine Menge, T eine Teilmenge von M und eine lineare Ordnung auf M. Falls es genau ein m T gibt mit t m für alle t T, so ist m das Maximum von M (in Zeichen: m = max(t)). Satz 9 Jede nach oben beschränkte, nichtleere Teilmenge T von N hat ein Maximum. BEWEIS Analog zum Beweis von Satz 9.

Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen 2.1 Die Teilbarkeitsrelation Definition 19 Es seien n und m natürliche Zahlen. Dann ist m ein Teiler von n (in Zeichen: m n), wenn es ein s N gibt mit n = s m. Formal: m n : s N : n = s m Es ist m ein echter Teiler von n, wenn m n und m / {1, n} gilt. Ist m kein Teiler von n, so schreibt man m n. Bemerkung 10 Durch Definition 19 wird eine Relation auf N eingeführt, nämlich die Teilbarkeitsrelation { } = (m, n) N 2 s N : n = s m Die Teilbarkeitsrelation ist reflexiv, transitiv und antisymmetrisch und weist darüber hinaus einige weitere spezielle Eigenschaften auf, die im Satz 10 zusammengefasst sind. Satz 10 (Teilbarkeitsregeln) Für alle n, m, k N gilt: 1. 1 n. 2. n n (Reflexivität). 3. m n 1 m n für n = 0. 4. m n n m n = m (Antisymmetrie). 5. m k k n m n (Transitivität). 6. m n m t n für alle t N. 7. k n k m k n + m. 8. k n k n + m k m.

16 Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen BEWEIS An dieser Stelle werden nur die Transitivität und die letzte Aussage exemplarisch bewiesen. Alle anderen Aussagen lassen sich ähnlich beweisen. Diese Beweise bleiben dem Leser zur Übung überlassen. Zur Transitivität: Nach Definition 19 gibt es s 1, s 2 N mit k = s 1 n und m = s 2 k. Daher ist m = s 2 k = s 2 (s 1 n) = (s 2 s 1 ) n. Also ist n ein Teiler von m. Zur letzten Aussage: Es sei k ein Teiler von n und n + m. Dann gibt es nach Definition 19 natürliche Zahlen s 1 und s 2 mit n = s 1 k und n + m = s 2 k. Daher ist m = s 2 k n = s 2 k s 1 k = (s 2 s 1 ) k. Da n + m > n ist, ist auch s 2 k > s 1 k und somit s 2 s 1 N. Also ist k ein Teiler von m. Korollar 4 Es seien n, m, l N mit n = m + l. Teilt t N zwei der Zahlen aus der Menge {n, m, l}, so teilt t auch die dritte dieser Zahlen. Definition 20 Es sei n eine natürliche Zahl. Dann ist T n = {m N s N : n = s m} die Teilermenge von n, die Anzahl der Teiler von n, die Summe der Teiler von n, τ(n) = T n σ(n) = t T n t T n = T n \ {1, n} die Menge der echten Teiler von n und die Vielfachenmenge von n. Beispiel 5 Für n = 12 ist V n = {m N s N \ {0} : m = s n} T 12 = {1, 2, 3, 4, 6, 12} τ(12) = 6 σ(12) = 28 T 12 = {2, 3, 4, 6} V 12 = {12, 24, 36,...} Außerdem ist T 0 = N, τ(0) =, V 0 = {0}, T 1 = {1}, τ(1) = 1 und V 1 = N. Damit sind Null und Eins Sonderfälle. Wie sich später zeigen wird, ist für alle n N die Menge T n endlich und V n unendlich. Bei Null ist es umgekehrt. Unter anderem aus diesem Grund muss Null in vielen Sätzen ausgenommen werden, d. h. die meisten der kommenden Sätze gelten nur für N = N \ {0}, und nicht für ganz N.

2.1 Die Teilbarkeitsrelation 17 Ebenso wird 1 in manchen Fälle ausgeschlossen, da sich manche Sätze nur beweisen lassen bzw. manche Definitionen nur brauchbar sind, wenn T n 2 ist. Dies wird aber von 1 als einziger natürlicher Zahl nicht erfüllt. Lemma 8 Es sei n N. Dann ist T n eine endliche Menge. BEWEIS Es sei m n. Nach Satz 10 ist dann 1 m n. Daher ist T n {1, 2,..., n}, und da {1, 2,..., n} endlich ist, ist auch T n endlich. Definition 21 Es seien n, m, s N, und es gelte n = s m. Dann ist s der zu m komplementäre Teiler von n. Lemma 9 Sind n, m, s N und ist s der Komplementärteiler zu m von n, so ist s eindeutig bestimmt. BEWEIS Nach Satz 4 ist die Multiplikation in N regulär, d. h. aus s m = t m folgt s = t. Damit ist der Komplementärteiler zu m eindeutig bestimmt. Bemerkung 11 Unmittelbar aus der Definition 19 ist ersichtlich, dass jeder Teiler einen komplementären Teiler hat. Möchte man also T n durch Ausprobieren bestimmen, so genügt es daher, natürliche Zahl k mit k n zu betrachten. Alle Teiler von n größer als n sind komplementäre Teiler zu einem Teiler k von n kleiner als n. Beispiel 6 Für n = 132 ist 132 11, 489 bzw. 11 2 = 121 < 132 < 144 = 12 2. Also braucht man nur die Zahlen von 1 bis 11 zu betrachten, um Teiler von 132 zu finden: 132 = 1 132 132 = 2 66 132 = 3 44 132 = 4 33 132 = 5 26 + 2, also 5 132 132 = 6 22 132 = 7 18 + 6, also 7 132 132 = 8 16 + 2, also 8 132 132 = 9 14 + 6, also 9 132 132 = 10 13 + 1, also 10 132 132 = 11 12 Also ist T 132 = {1, 2, 3, 4, 6, 11, 12, 22, 33, 44, 66, 132}. In diesem Beispiel wurde stillschweigend benutzt, dass man beispielsweise aus 132 = 5 26 + 2 folgern kann, dass 5 kein Teiler von 132 ist. Dass dieser Schluss zulässig ist, zeigt das folgende Lemma.

18 Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen Lemma 10 Es seien n, q, s, r N mit n = s q + r und 0 < r < q. Dann ist q kein Teiler von n. BEWEIS Man nehme an, q sei ein Teiler von n. Dann gibt es ein k N mit n = k q. Also ist k q = s q + r. Da 0 < r < q gilt, ist k q > s q. Daher ist die Differenz k q s q eine natürliche Zahl größer als Null. Also ist r = k q s q = (k s) q. Daher gilt q r, also nach Satz 10 auch 1 q r im Widerspruch zu 0 < r < q. 2.2 Primzahlen Definition 22 1. Eine natürliche Zahl p ist eine Primzahl, wenn T p = 2 ist. 2. Die Menge der Primzahlen wird mit P bezeichnet. 3. Eine natürliche Zahl n = 0 ist eine zusammengesetze Zahl, wenn T n 3 ist. 4. Es seien n, p N. Dann ist p ein Primfaktor von n, wenn p n gilt und p eine Primzahl ist. Satz 11 Es sei n N und n > 1. Dann gibt es eine Primzahl p, sodass p n gilt. BEWEIS Falls n eine Primzahl ist, dann ist p n mit p = n erfüllt. Falls n keine Primzahl ist, dann ist n wegen n > 1 eine zusammengesetzte Zahl, d. h. es ist T n > 2, da wegen {1, n} T n der Fall T n 1 ausgeschlossen ist. Also ist T n =. Daher existiert nach Satz 8 ein p T n mit p = min(t n ). Man nehme an, p sei keine Primzahl. Dann ist p ebenfalls eine zusammengesetzte Zahl und hat daher einen echten Teiler k. Nach Satz 10 ist dann 1 < k < p. Wegen der Transitivität der Teilbarkeitsrelation ist k auch ein Teiler von n und daher k = min(t n ) im Widerspruch zu p = min(t n ). Also ist p eine Primzahl. Satz 12 Eine natürliche Zahl n = 0 ist genau dann eine zusammengesetzte Zahl, wenn es eine Primzahl p n gibt mit p n. BEWEIS Es sei n = 0 eine zusammengesetzte Zahl. Nach Satz 11 gibt es wenigstens eine Primzahl p mit p n. Es sei p der kleinste Primfaktor von n. Dann ist p n. Man nehme an, es sei p > n sei. Dann ist der zu p komplementären Teiler n p kleiner als n im Widerspruch zur Minimalität von p. Also ist p n. Nun sei umgekehrt p eine Primzahl mit p n. Dann hat n den echten Teiler p und ist damit eine zusammengesetzte Zahl (für den Beweis der Umkehrung reicht es also aus, dass p ein Primfaktor ist; die Bedingung p n wird nicht benötigt). Bemerkung 12 Aus Satz 12 kann man einen primitiven Primzahltest ableiten: Man prüfe für jede Primzahl p mit p n, ob p ein Teiler von n ist. Wenn sich unter diesen Primzahlen kein Teiler finden lässt, so ist n eine Primzahl.

2.2 Primzahlen 19 Beispiel 7 Für n = 131 ist 131 11, 445 bzw. 11 2 = 121 < 131 < 144 = 12 2. Also braucht man für einen Primzahltest nur die Primzahlen zu betrachten, die kleiner oder gleich 11 sind (bei der Überprüfung der Teilbarkeit wird wieder Lemma 10 benutzt): 131 = 2 65 + 1, also 2 131 131 = 3 43 + 2, also 3 131 131 = 5 26 + 1, also 5 131 131 = 7 18 + 5, also 7 131 131 = 11 11 + 10, also 11 131 Damit ist nachgewiesen, dass 131 eine Primzahl ist. 2.2.1 Das Sieb des Eratosthenes Bemerkung 13 Der Mathematiker Eratosthenes von Kyrene hat im 3. Jahrhundert v. Chr. ein Verfahren vorgestellt, mit dem man Primzahlen aus der Menge {1, 2,..., n 2 } für ein beliebiges n N mit n > 2 aussortieren kann. Dieses Verfahren entspricht im Wesentlichen dem primitiven Primzahltest aus Bemerkung 12 mit dem Unterschied, dass er für alle Zahlen von 1 bis n 2 gleichzeitig durchgeführt wird: 1. Man schreibt die Zahlen von 1 bis n 2 in einem quadratischen Schema der Größe nach sortiert auf (dabei hat jede Zeile und Spalte n Einträge, d. h. die erste Zeile enthält die Zahlen 1, 2,..., n; die zweite die Zahlen n + 1, n + 2,..., 2 n usw.) 2. Man streicht 1 durch. 3. Man markiert 2 und streicht alle Vielfachen von 2 durch. 4. Man wiederholt den letzten Schritt so lange mit der jeweils kleinsten Zahl, die noch nicht gestrichen ist, solange diese kleinste nichtgestrichene Zahl kleiner als n2 = n oder gleich n 2 = n ist (da alle Primzahlen bis n 2 gesucht werden, ist nach Bemerkung 12 die Zahl n 2, also n, die relevante Schranke, d. h. das Abbruchkriterium für das Verfahren). Nach Abschluss des Verfahrens sind die Primzahlen bis n 2 genau die markierten Zahlen. Der Satz 12 garantiert, dass das Verfahren das korrekte Ergebnis liefert. Die quadratische Anordnung der Zahlen hat folgenden Vorteil: Die Vielfachen mancher Zahlen liegen auf senkrechten oder diagonal verlaufenden Geraden und können diesen Geraden gemäß haptisch einfacher gestrichen werden. 2.2.2 Anzahl und Abstände von Primzahlen Satz 13 Die Menge der Primzahlen P ist unendlich.

20 Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen BEWEIS (ERSTE VARIANTE) Man nehme an, P sei endlich, d. h. es gebe ein n N mit P = {p 1, p 2,..., p n }. Man betrachte die Zahl q = 1 + n p i = 1 + p 1 p 2... p n i=1 Da q > 1 ist, hat q nach Satz 11 eine Primzahl p als Teiler. Da P nach Voraussetzung alle Primzahlen enthält, ist p P. Daher ist p einer der Faktoren des Produktes p 1 p 2... p n und somit nach Satz 10 ein Teiler von p 1 p 2... p n. Da p dann sowohl q als auch p 1 p 2... p n teilt, ist p nach Satz 10 ebenfalls ein Teiler von 1. Also ist p = 1 im Widerspruch dazu, dass p eine Primzahl ist. Daher ist P nicht endlich. BEWEIS (ZWEITE VARIANTE) Man nehme an, P sei endlich, d. h. es gebe ein n N mit P = {p 1, p 2,..., p n }. Man betrachte die Zahl q = 1 + n p i = 1 + p 1 p 2... p n i=1 Da für alle i {1, 2,..., n} die Primzahl p i ein Teiler des Produktes p 1 p 2,..., p n ist, ist nach Lemma 10 für alle i {1, 2,..., n} die Primzahl p i kein Teiler von q. Also ist q nach Satz 12 eine Primzahl. Da q > p i für allen i {1, 2,..., n} ist, ist q kein Element von {p 1, p 2,..., p n } im Widerspruch dazu, dass {p 1, p 2,..., p n } alle Primzahlen enthält. Daher ist P nicht endlich. Bemerkung 14 Der Satz 13 wurde bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. von Euklid formuliert und durch einen Widerspruchsbeweis bewiesen, dem derselbe Gedanke zugrunde liegt, wie den beiden hier aufgeführten. Satz 14 Es sei n N. Dann gibt es eine Folge von n aufeinander folgenden natürlichen Zahlen, die allesamt keine Primzahlen sind. BEWEIS Übung. 2.2.3 Exkurs: Vollkommene Zahlen und Mersennesche Primzahlen Bemerkung 15 In diesem Abschnitt werden einige Sätze über vollkommene Zahlen und Mersennesche Primzahlen ohne Beweis zitiert. Diese beiden Arten von Zahlen galten längere Zeit als nutzlose zahlentheoretische Spielereien. Seitdem sich die Informatik im 20. Jahrhundert immer stärker etabliert und technische Bedeutung errungen hat, ist das Interesse an Mersenneschen Primzahlen neu entfacht: Für weit verbreitete Verschlüsselungstechniken (z. B. für das Public-Key-Verfahren) benötigt man möglichst große Primzahlen. Die Mersennezahlen bilden den bisher einfachsten Zugang, große Primzahlen zu finden.

2.3 Primfaktorzerlegung 21 Definition 23 Es sei n N. Die Zahl n heißt vollkommen, wenn σ(n) = 2 n ist. Beispiel 8 Die Zahl 6 ist eine vollkommene Zahl. Es ist T 6 σ(6) = 1 + 2 + 3 + 6 = 12 = 2 6. = {1, 2, 3, 6} und damit Satz 15 Es sei n N. 1. Falls 2 n 1 eine Primzahl ist, dann ist 2 n 1 (2 n 1) eine vollkommene Zahl. 2. Jede gerade vollkommene Zahl lässt sich in der Form 2 n 1 (2 n 1) schreiben, wobei 2 n 1 eine Primzahl ist. Definition 24 Es sei n N. Dann heißt 2 n 1 eine Mersennezahl. Ist 2 n 1 eine Primzahl, so heißt 2 n 1 Mersenneprimzahl. Satz 16 Es sei n N. Eine Mersennezahl 2 n 1 ist keine Primzahl ist, wenn n keine Primzahl ist. Bemerkung 16 Der vorangegangenen Satz eröffnet die Methode, mit der man über Mersennezahlen große Primzahlen finden kann: Man setzt für n eine Primzahl ein und prüft, ob 2 n 1 eine Primzahl ist (diese Prüfung ist notwendig; Mersenne hat zwar geglaubt, dass auch die Umkehrung des Satzes gelte, d. h. dass für jede Primzahl n auch 2 n 1 eine Primzahl ist; diese Vermutung hat sich jedoch nicht bestätigt). Da n als Exponent einfließt, erreicht man selbst bei relativ kleinen Werten für n große Primzahlen. Am 15. Dezember 2005 haben Professoren der Central Missouri State University im Rahmen des George Woltmans GIMPS-Projekts (Great Internet Mersenne Prime Search) die bisher größte bekannte Primzahl gefunden. Sie ist eine Mersenneprimzahl, und zwar 2 30 402 457 1. Dies ist eine Zahl mit 9 152 052 Stellen im Dezimalsystem. Für den ersten Primzahlbeweis einer Zahl mit mehr als 10 Millionen Dezimalstellen hat die Electronic Frontier Foundation einen Preis von 100 000 US-Dollar ausgeschrieben. 2.3 Primfaktorzerlegung 2.3.1 Der Fundamentalsatz der elementaren Zahlentheorie Definition 25 (Primfaktorzerlegung) Es sei n N. Sind p 1, p 2,..., p m Primzahlen mit n = m p i = p 1 p 2... p m, i=1 so ist p 1 p 2... p m eine Primfaktorzerlegung von n.

22 Kapitel 2 Teilbarkeitstheorie der natürlichen Zahlen Beispiel 9 Es ist 126 = 2 3 2 7. Also sind beispielsweise 2 3 7 3 3 7 2 2 2 7 2 3 Primfaktorenzerlegungen von 126. Satz 17 (Fundamentalsatz der elementaren Zahlentheorie) Es sei n N und n > 1. Dann gibt es eine Primfaktorzerlegung von n, und die Primfaktorzerlegung von n ist bis auf die Reihenfolge der Primfaktoren eindeutig bestimmt. BEWEIS (WIDERSPRUCHSBEWEIS NACH ZERMELO) Zu beweisen ist die Existenz und die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung. Der Eindeutigkeitsbeweis folgt einem Vorbild von Ernst Zermelo (1871 1953), der 1908 das erste Axiomensystem der Mengenlehre vorgestellt hat. Dieses System wurde 1922 von Abraham Fraenkel (1891 1965) und Thoralf Skolem (1887 1963) überarbeitet und ist seitdem das meistgebrauchte Axiomensystem der Mengenlehre. Eine prominente und teilweise ebenfalls benutzte Alternative ist die Axiomatisierung von Paul Bernays (1888 1977), Kurt Gödel (1906 1978) und John von Neumann (1903 1957). Existenz) Man nehme an, es gebe natürliche Zahlen ohne Primfaktorzerlegung. Es sei O die Menge dieser Zahlen. Dann gibt es nach Satz 8 ein Minimum von O. Es sei o = min(o). Da o > 1 ist, gibt es nach Satz 11 eine Primzahl p mit p o, d. h. es gibt ein s N mit o = s p. Nach Satz 10 ist 1 s < o. Da o das Minimum von O ist, ist s / O. Also hat s eine Primfaktorzerlegung, d. h. es gibt Primzahlen p 1,..., p k mit s = p 1... p k. Dann aber ist o = s p = p 1... p k p. Also gibt es auch zu o eine Primfaktorzerlegung im Widerspruch zu o O. Somit gibt es keine natürlichen Zahlen ohne Primfaktorzerlegung. Eindeutigkeit) Man nehme an, es gebe natürliche Zahlen mit mehr als einer Primfaktorenzerlegung. Es sei M die Menge dieser Zahlen. Dann gibt es nach Satz 8 ein Minimum von M. Es sei m = min(m). Dann hat m wenigstens zwei verschiedene Primfaktorzerlegungen, d. h. es gibt Primzahlen p 1,..., p r und q 1,..., q s mit n = p 1... p r n = q 1... q s. Zunächst wird gezeigt, dass q 1,..., q s von p 1 verschieden sind. Man nehme an, dass p 1 = q 1 sei. Dann ist nach der Kürzungsregel a = p 2... p r = q 2... q s. Da a < n = min(m) ist, ist a / M. Also hat a eine bis auf die Reihenfolge eindeutige Primfaktorzerlegung. Aber dann hat auch n eine bis auf die Reihenfolge eindeutige Primfaktorzerlegung. Also ist p 1 = q 1. Ebenso zeigt man, dass p 1 = q i für alle i {2,..., s} ist.

2.3 Primfaktorzerlegung 23 Es sei ohne Beschränkung der Allgemeingültigkeit p 1 < q 1 (andernfalls vertausche man die beiden Primfaktorzerlegungen). Dann gibt es ein k N mit p 1 + k = q 1. Also ist n = (p 1 + k) q 2... q s = p 1 q 2... q s + k q 2... q s. Da p 1 ein Teiler von n und p 1 q 2... q s ist, gilt nach Satz 10 auch p 1 k q 2... q s. Es sei b = k q 2... q s. Da b < n und n = min(m) ist, ist b / M. Also hat b eine bis auf die Reihenfolge eindeutige Primfaktorzerlegung. Daher ist jeder Teiler von b eine Teiler von k oder gleich einer der Primzahlen q 2,..., q s. Da p 1 / {q 2,..., q s }, aber p 1 ein Teiler von k q 2... q s ist, gilt p 1 k. Dann gilt auch p 1 p 1 + k = q 1. Da aber q 1 eine Primzahl ist, ist p 1 = q 1 im Widerspruch zu p 1 = q 1, was oben bewiesen wurde. Also ist jede Primfaktorzerlegung bis auf die Reihenfolge der Faktoren eindeutig. BEWEIS (BEWEIS DURCH VOLLSTÄNDIGE INDUKTION) Induktionsanfang: Für n = 2 ist 2 eine Primfakorzerlegung von 2. Induktionsschritt: Es sei n 2, und es sei bereits gezeigt, dass die Zahlen 2, 3,..., n eine Primfaktorzerlegung haben. Nun ist zu zeigen, dass auch n + 1 solch eine Primfaktorzerlegung hat. Da n + 1 > 1 ist, gibt es nach Satz 11 eine Primzahl p mit p n + 1. Falls p = n + 1 ist, so ist p die Primfaktorzerlegung von n + 1. Fall p = n + 1 ist, so es gibt ein s N mit n + 1 = s p und 1 < s < n + 1. Insbesondere ist s n. Daher hat s nach Induktionsvorraussetzung eine Primfaktorzerlegung p 1... p k. Also hat auch n + 1 eine Primfaktorzerlegung, nämlich p p 1... p k. Die Eindeutigkeit der Primfaktorzerlegung kann man nun ähnlich zeigen wie im vorangegangenen Beweis. Lemma 11 Ist n N und p 1... p s eine Primfaktorenzerlegung von n, so kommt keine der Primzahlen p 1,..., p s in der Primfaktorenzerlegung von n + 1 vor. BEWEIS Dieser Satz lässt sich analog zu Satz 13 beweisen. Beispiel 10 Es ist 24 = 2 2 3 und 24 + 1 = 25 = 5 5 und {2, 3} {5} =. 2.3.2 Kanonische und normierte Primfaktorzerlegung Lemma 12 Es sei n N mit n > 1. Dann gibt es zu jedem p P genau ein α p, sodass ist. n = p α p p P