Auswirkungen des Beitritts der EU zur EMRK Tagung Europäische Rechtsakademie, Trier Current Reflections on EU Equality and Non-Discrimination Law ao. Univ.Prof. Dr. Hannes Tretter Universität Wien, Institut für Staats- und Verwaltungsrecht Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM)
Vertrag von Lissabon I Art 2 EUV Werte der Union: Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören Gesellschaft der MS zeichnet sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität, Gleichheit von Frauen und Männern aus
Vertrag von Lissabon II Art 6 EUV Grundrechte: Verweis auf die Grundrechtecharta, die mit den Verträgen rechtlich gleichrangig ist Beitritt der EU zur EMRK wird festgelegt, Modalitäten müssen erst verhandelt werden EMRK und gemeinsame Verfassungsüberlieferungen der MS weiterhin allgemeine Grundsätze des Unionsrechts
EU Grundrechte Charta Primärrecht mit dem Vertrag von Lissabon Verweis auf die Charta idf 2007 im neuen Art 6 EUV idf des Vertrags von Lissabon mit dessen Inkrafttreten wurde die Charta im Rang von Primärrecht rechtsverbindlich Bindung von EU-Organen und Mitgliedstaaten in Durchführung von EU-Recht Durchsetzbarkeit vor dem EuGH für Mitgliedstaaten, Parlament, Rat und Kommission aber generell keine direkte individuelle Beschwerdemöglichkeit Implementierungsstrategie der Kommission 2010
Verhältnis der Charta zur EMRK Charta enthält auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Charta übernimmt teilweise Rechtsprechung des EGMR Art 52 der Charta: Tragweite der Rechte so wie EMRK in der Rechtsprechung des EGMR EMRK damit europäischer Grundrechtsstandard Günstigkeitsprinzip des Art 53, insbesondere im Hinblick auf EMRK
Verhältnis EuGH und EGMR Ein Fall für zwei : Doppelter europäischer Menschenrechtsschutz ein Luxus? Rechtsprechungsdivergenzen versus Berücksichtigungsgebot EGMR höchste menschenrechtliche Instanz Fall Matthews gegen das Vereinigte Königreich (Ausschluss vom Wahlrecht zum EU-Parlament), Fall Senator Lines gegen 15 EU-MS (Geldbuße der EK wegen Wettbewerbsverstoß) Verantwortung aller EU-MS für Einhaltung der EMRK Fall Bosphorus gegen Irland (Beschlagnahme aufgrund von UN-Sanktionen) Solange-Rsp des EGMR im Verhältnis zum EU-Recht
Verhältnis zwischen Charta, EMRK und nationalem Grundrechtsschutz EMRK Mindeststandard der Charta hinsichtlich ziviler und politischer Rechte Alle EU-Staaten Mitgliedstaaten der EMRK EU tritt EMRK bei, womit EU-Rechtsakte vor dem EGMR anfechtbar werden EU-Sekundärrecht muss Charta entsprechen Nationale Umsetzung von EU-Recht muss nationalem GR-Katalog, EMRK und Charta; nationale Rechtsakte müssen nationalem GR- Katalog und EMRK entsprechen
Möglicher Rechtszug Ein nationales Gericht leitet beim EuGH ein Vorabentscheidungsverfahren ein, in dem es um eine grundrechtliche Frage geht Das nationale Gericht entscheidet auf Grundlage des EuGH-Urteils, das keinen Grundrechtsverstoß erblickt, das Verfahren Die letztinstanzliche nationale Entscheidung wird beim EGMR angefochten, dieser verurteilt den Staat wegen Verletzung eines EMRK-Rechts Widerspruch zum EuGH-Urteil bzw zum EU-Recht Wie ist dieser Widerspruch aufzulösen? dzt. Solange-Rechtsprechung wie sieht es nach Beitritt der EU zur EMRK aus?
Entwurf eines Übereinkommens des Beitritts der EU zur EMRK Wie wurde bisher Auftrag des Art 6 EUV umgesetzt? Verhandlungsrichtlinien des EU Council s Permanent Representatives Committee, Mai 2011 CDDH Informal Working Group (CDDH-UE) and European Commission CDDH-UE (2011) 16 final version, 19 July 2011: Draft Legal Instruments on the Accession of the European Union to the European Convention on Human Rights
Umfang des Beitritts (Art 1) I Beitritt der EU zur EMRK und zum 1. und 6. Zusatzprotokoll, Vorbehalte möglich EU kann den Protokollen der EMRK beitreten Gilt für Individual- u. Staatenbeschwerden Beitritt beeinflusst nicht EU-Kompetenzen Durch Beitritt EU-Verpflichtungen nur im Hinblick auf Handlungen, Maßnahmen oder Unterlassungen, die Organe betreffen, die für sie handeln EU nicht zu Handlungen verpflichtet, für die sie keine Kompetenz besitzt
Umfang des Beitritts (Art 1) II Ausdrücke in EMRK, die sich ausdrücklich auf den Staat beziehen (zb Vertragspartei ), sind auch als auf die EU bezogen zu verstehen Ausdrücke, die sich allgemeiner auf das Konzept eines Staates beziehen (zb nationales Recht ) sind ebenfalls auf die EU bezogen zu verstehen Entscheidungen des EGMR in Verfahren, in denen die EU Partei ist, sind für alle EU- Institutionen bindend, auch für den EuGH Status der EU als Vertragspartei wird in separatem Beitritts-Übereinkommen näher geregelt = Entlastung der EMRK
Mitbeklagtenmechanismus (Art 3) I EU kann Mitbeklagte in Verfahren gegen einen oder mehrere MS werden MS können Mitbeklagte in Verfahren gegen die EU werden Voraussetzung, dass EU Mitbeklagte: Behauptete Verletzung der Konvention stellt die Vereinbarkeit von EU-Recht (Primär- und Sekundärrecht) mit der Konvention in Frage Verletzung hätte nur bei Missachtung einer Verpflichtung nach dem EU-Recht vermieden werden können
Mitbeklagtenmechanismus (Art 3) II Jede Partei kann beantragen, Mitbeklagte zu werden, kann aber nicht dazu gezwungen werden Ein diesbezüglicher Beschluss des EGMR ist ebenfalls erforderlich Voraussetzung: Die Partei, die die rechtliche Grundlage für die Handlung oder Unterlassung geschaffen hat, die die Verletzung verursacht hat, wird Mitbeklagte (nicht die Partei, die für diese verantwortlich ist, diese ist Beklagte)
Verfahren, wenn EU mitbeklagte Partei Vor der meritorischen Entscheidung des EGMR wird der Fall dem EuGH vorgelegt, falls dieser noch nicht befasst war, der sodann eine Beurteilung der Vereinbarkeit des EU-Rechts mit der EMRK abgibt Ohne Befassung des EuGH entscheidet der EGMR über die Vereinbarkeit eines EU-Rechtsakts mit der EMRK, wenn insbesondere der EuGH nicht über die konkrete Handlung oder Unterlassung, die gerügt wird, sondern über deren rechtliche Grundlage zu entscheiden hätte, oder die Einbeziehung des EuGH keinen Einfluss auf die Kompetenzen und die Zuständigkeit des EGMR hätte
Auswirkungen des Mechanismus I Mitbeklagter hat Parteistatus Zulässigkeit von Beschwerden ist nicht von Teilnahme der mitbeklagten Partei abhängig Mitbeklagte Partei ist an das Urteil des EGMR gebunden Beide Parteien können für Verletzung verantwortlich sein Verletzung wird gegenüber EU und MS schlagend, sonst Risiko, dass der EGMR über die Aufteilung der Kompetenzen zwischen der EU und ihren MS entscheidet
Auswirkungen des Mechanismus II Beide Parteien müssen Gütlichen Einigungen zustimmen Antrag auf Verweisung an die Große Kammer zur erneuten Überprüfung durch beklagte und mitbeklagte Partei ohne Zustimmung der jeweils anderen möglich, Große Kammer entscheidet über die Zulassung der erneuten Prüfung Differenziert eine Beschwerde zwischen Verletzungen der EMRK durch EU bzw MS, dann findet Mechanismus keine Anwendung
EU-Teilnahme an Parlamentarischer Versammlung und Ministerkomitee Abgeordnete des EP mit Stimmrecht in Parlamentarischer Versammlung des EuR bei Wahl der EGMR-Richter Teilnahme der EU mit Stimmrecht im Ministerkomitee des EuR bei Annahme von EMRK-Protokollen sowie Gütlichen Einigungen und Überwachung von Urteilen des EGMR diese Funktionen des Ministerkomitees dürfen durch Beitritt der EU zur EMRK nicht beeinträchtigt werden ausgeklügelte Abstimmungsmodalitäten in Beitritts- Übereinkommen, um Blockierungen zu vermeiden
Abschließendes zum Verhältnis EGMR EuGH Kompetenz des EGMR, die Vereinbarkeit von EU- Recht mit den Rechten der EMRK zu beurteilen, beeinflusst nicht das Prinzip der autonomen Interpretation des EU-Rechts EU wird weiterhin grundlegende Rechte gewährleisten, was insbesondere vom EuGH über die EU-Grundrechtecharta sichergestellt wird Beitritt der EU zur EMRK stärkt die Kohärenz des rechtlichen Schutzes von Menschenrechten in Europa Realisierung = politische Entscheidung
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