Krise oder Chance? Das Thema Flüchtlinge seit Sommer 2015 HEKS Wissenswerkstatt 2016 Amriswil, 16.6.2016 Dipl.-Jur. Tilla Jacomet, MAES (Basel)
HEKS Rechtsberatungsstellen für Asylsuchende St.Gallen/Appenzell und Thurgau ST.GALLEN / APPENZELL Tellstrasse 4 St.Gallen 071 222 22 79 Offene Sprechstunde: Jeden Dienstag, 13.30-16.30 Uhr THURGAU Bahnhofstrasse 2 Kreuzlingen 071 622 42 41 Offene Sprechstunde: Mittwoch: 13.30-16.30 Uhr Freitag: 8.30-11.30 Uhr 300 Stellenprozent finanziert durch: Kirchen, Parteientschädigungen und Spenden
Unsere Arbeit Rechtsberatung Begleitung im Asylverfahren Rechtsvertretung in komplexen Fällen HEKS InfoRefugees: Information und Weiterbildung im Asylrecht HEKS Asyllexikon Leistungsaufträge: Migrationsamt Thurgau (UMA) Kanton Appenzell Ausserrhoden (Familienzusammenführung, UMA) Beratungsstelle für Asylsuchende Graubünden (juristische Unterstützung)
Rechtsberatungsstelle 2015 4186 Rechtsberatungen 465 verfasste Rechtschriften (Beschwerden, Gesuche, Stellungnahmen) 278 neue Mandate 555 Chancenberatungen nach negativem Entscheid 371 eingegangene Entscheide, davon 77 % mit positivem Ergebnis 70 Einsätze als Vertrauensperson für unbegleitete Minderjährige
Flüchtlingsströme seit September 2015: Krise, Not und Verzweiflung http://www.spiegel.de/video/festung-europa-fluechtlingsdrama-an-dengrenzen-video-1656026.html Langes Video über Griechenland und Europa insgesamt, Vorlauf zu Flüchtlingsgipfel März 2016 http://www.spiegel.de/video/suche/index.html?suchbegriff=eu+t%c3%bcrkei+ deal Flüchtlinge in Libyen und Mittelmeer (2 Teile)
Euregio- Vergleich 2014 Deutschland: 202 834 Österreich: 28 452 Schweiz: 23 765 2015 476 649 88 917 39 523
«Schweiz unattraktiv wie noch nie» Mario Gattiker, Direktor des Staatssekretariats für Migration Bild: Reuters.
Wie wird man als Land unattraktiv? Was zieht Flüchtlinge an (Pulleffekt)?
Dublinverordnung versus Selbstbestimmung https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-113447.html Dublin-kurz erklärt
Dublin-Verordnung 1990 Dubliner Übereinkommen, 2003 Dublin-Verordnung, 2013 Dublin-III-Verordnung Ziele des Dublin-Systems - Kein Asylshopping - Keine refugees in orbit - Vereinheitlichung der Asyl-Systeme Probleme von Anfang an: - Grosse Unterschiede in Unterbringung und Verfahren - Überlastung der Grenzstaaten - Praktische Probleme bei der Durchführung
Dublin Kriterien 1. Unbegleitete Minderjährige werden nicht überstellt 2. Anwesenheit von nahen Familienangehörigen 3. Aufenthaltstitel oder Visum: der ausstellende Staat ist zuständig 4. Illegale Einreise: wo wurde Grenze illegal überschritten 5. Ansonsten: Ort des Asylgesuchs Grundsätzlich immer möglich: Selbsteintritt aus humanitären Gründen (Art.17 Dublin-III) Bsp. Deutschland Herbst 2015 Dublin-III: Bei systemischen Mängeln ist CH zuständig
12. November 2015
Ablauf Dublinverfahren Fingerabdrücke-Vergleich in EURODAC-Datenbank, Visa-Datenbank Befragung zum Reiseweg und Zuständigkeitskriterien Bei konkreten Hinweisen: Übernahmeersuchen an anderen Staat innert 2 Monaten (sonst ist Schweiz zuständig) Antwort angefragter Staat: innert 2 Monaten (sonst Zustimmungsfiktion) Bei Verneinung wird Schweiz zuständig (sog. Remonstrationsverfahren möglich)
Rechtsfolgen Dublin-Nichteintretensentscheid in der Schweiz: Ablehnung des Asylgesuches (Nichteintreten) mit Wegweisung in zuständigen Dublinstaat Ausschaffungshaft ab sofort möglich 5-tägige Beschwerdefrist ohne aufschiebende Wirkung Sofortiger Sozialhilfestopp, Möglichkeit Nothilfe zu beantragen Absolutes Arbeitsverbot Überstellung muss innert 6 Monaten ab Feststellung der Zuständigkeit erfolgt sein (Verlängerung bei Untertauchen auf 18 Monate)
Dublin und die Schweiz http://www.srf.ch/news/schweiz/wie-dieschweiz-das-dublin-abkommen-umsetzt 2min
Was ist 2015 passiert? Eigentlich hätten alle registrieren müssen und Asylverfahren bei sich durchführen Faktisch wollte aber kaum einer Flüchtlinge bei sich behalten und die Flüchtlinge wollten weiter Konsequenz: Inhaftierungen, Transporte, Durchleiten, Umleiten, Abwehr mit Zäunen und Tränengas Plötzlich wurden Zielländer (Binnenländer) sehr schnell von einer grossen Zahl überrumpelt Situation der Flüchtlinge in Italien/Ungarn Sommer 2015 https://www.youtube.com/watch?v=ldzlrkvcvdw
EU-Reaktionen auf die hohen Zahlen
Jean-Claude Juncker: "Wir müssen die Türe ein wenig öffnen, damit die Menschen nicht durch ein Fenster einsteigen müssen"
Wir stehen vor einer großen nationalen Aufgabe. (...) Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft wir schaffen das! Wir schaffen das, und dort, wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden, muss daran gearbeitet werden. Wir schaffen das. Ich kann das sagen, weil es zur Identität unseres Landes gehört, Größtes zu leisten. Abschottung im 21. Jahrhundert ist keine vernünftige Option. (...) Wir sind nie blauäugig. Doch genauso lassen wir es nie zu, dass Ängstlichkeit und Pessimismus uns am erfolgreichen Handeln für die Zukunft hindert. (...) Es kommen keine Menschenmassen, sondern es kommen einzelne Menschen zu uns. Niemand, egal warum er sich auf den Weg macht, verlässt leichtfertig seine Heimat. Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht
Victor Orban: Das ist so, als würde es in Deutschland regnen und wir müssten einen Regenschirm aufmachen, so der Ministerpräsident. Laut einer Umfrage des polnischen Instituts CBOS wünschen sich 69 Prozent der jungen Erwachsenen in Polen (18 bis 24 Jahren), dass man auf gar keinen Fall Flüchtlinge aus Kriegsgebieten in ihrem Land aufnimmt.
Wir brauchen mehr Gemeinsamkeit und weniger nationalen Partikularismus", forderte Parlamentschef Martin Schulz vor dem EU-Gipfel. Wenn man unter gut 500 Millionen EU-Bürgern ein bis zwei Millionen Flüchtlinge gerecht verteilen würde, wäre das kein Problem, meint Schulz. "Wenn aber nur ganz wenige Staaten sich beteiligen an der Aufnahme von Flüchtlingen, dann ist es ein Problem."
Grenzen schützen (Frontex) Schlepperbekämpfung mit Zerstörung der Boote Seenotrettung wieder ausbauen EU- Verteilquote festlegen Hot Spots an den Aussengrenzen einrichten Geld sprechen für Flüchtlingslager in der Nähe Syriens Der Türkei Deal
Die Tage illegaler Migration nach Europa sind vorbei", sagte EU-Ratspräsident Tusk auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Davutoglu und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. März 2016
Hot Spots
Das will die EU Die Türkei soll die illegale Migration Richtung Griechenland komplett stoppen. Alle Flüchtlinge, die neu in Griechenland ankommen, nimmt die Türkei zurück. Gleichzeitig verpflichtet sich die EU. Die gleiche Anzahl von Syrern direkt aus der Türkei in die EU auszufliegen und in die einzelnen Mitgliedsstaaten zu verteilen. Das will die Türkei Drei Milliarden Euro zur Versorgung der Flüchtlinge und Visafreiheit für Türken im Schengenraum.
Der EU-Türkei Deal vom 17. März 2016 Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei, die ab dem 20. März in Griechenland einreisen, Rückführungen beginnen am 4. April Rechtsstaatlichkeit soll gewahrt bleiben, Richter und Asylfachleute entscheiden in Griechenland über jeden Asylantrag. Wer zeigen kann, dass er in der Türkei nicht sicher wäre, soll in der EU Schutz erhalten. Verteilung Für jeden Syrer, der aus Griechenland in die Türkei zurückgewiesen wird, gelangt ein Syrer aus dem Land über legale Verfahren in die EU. Zunächst 18.000 Plätze, ein zweites Kontingent von 54.000 Personen soll danach greifen. Die Massnahme ist zeitlich befristet und die EU-Staaten sollen sich freiwillig an der Aufnahme der insgesamt maximal 72.000 Menschen aus der Türkei beteiligen können. Ressourcen für Griechenland Richter, Sachbearbeiter und Dolmetscher für die Eilverfahren, EU hilft mit Geld und Personal Geld für die Türkei 3 Mrd. Euro und bis 2018 weitere 3 Mrd. Euro Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU sind eher symbolischer Art Visafreiheit 72 Bedingungen für die Türkei, darunter auch Standards für die Behandlung von Flüchtlingen. Die Türkei will diese bis Ende April komplett erfüllen. Das soll die EU bis Ende Juni prüfen und erst dann die Visafreiheit für die Türken einführen.
Oder eine grosse Chance? Wo sind Chancen für uns und die Flüchtlinge denkbar?
Flüchtlinge verbessern Chancen einheimischer Arbeitnehmer Durch die vielen potentiellen Arbeitskräfte, die ins Land kommen, verbessert sich laut einer neuen Studie die berufliche Situation der Einheimischen. Die Jahrhundertchance Kann der Flüchtlingsstrom zum Wirtschaftswunder werden? "Wir schaffen das" ist ein hübscher, aber irreführender Satz. "Wir müssen es schaffen, dass sie etwas schaffen" trifft die Sache schon eher. Diese Aufgabe zu lösen verlangt, dass viele über ihren Schatten springen, viel investiert und viel Geduld aufgebracht wird. Verjüngung unserer Gesellschaft? Fachkräftemangel?