Das Wahlsystem in der BRD Allgemeine Einführung

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Transkript:

Das Wahlsystem in der BRD Allgemeine Einführung Das Wahlsystem der BRD ist nicht strikt verfassungsrechtlich vorgegeben. Die konkrete Ausgestaltung des Wahlsystems erfolgt durch einfaches Gesetz (Bundeswahlgesetz). Der Gesetzgeber kann das Wahlsystem unter Beachtung der in Art. 38 Abs. 1 niedergelegten Wahlrechtsgrundsätze (bzw. Grenzen) frei gestalten. Für ein Wahlsystem kommen grundsätzlich zwei verschiedene Systeme in Betracht: - Abgrenzung: (absolutes/relatives) Mehrheitswahl- oder Verhältniswahlrecht Mehrheitswahl: wer die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt, gilt als gewählt; das Wahlgebiet wird hierfür in Wahlkreise untergliedert - Vorteil: eindeutige und klare Regelung - Nachteil: kann dazu führen, dass im nationalen Gebiet vertretene Minderheiten nicht oder zu stark vertreten werden Verhältniswahl: die Anzahl der Abgeordneten richtet sich nach dem Verhältnis der für sie abgegebenen Stimmen/ die Kandidaten stellen sich im gesamten Gebiet zur Wahl In Deutschland: System der personalisierten Verhältniswahl enthält Elemente der Mehrheitswahl und der Verhältniswahl Man differenziert bei der Wahl zum Dt. Bundestag zwischen: Erststimme Das gesamte Gebiet ist in 299 Wahlkreise unterteilt, je Wahlkreis wird ein Abgeordneter entsandt, der die Mehrheit der Stimmen erhält Element der Mehrheitswahlrechts Zweitstimme Reine Verhältniswahl; Listenwahl und Ermittlung von 598 Abgeordneten nach dem Verfahren von Hare/Niemeyer abzgl. Der 299 Wahlkreisabgeordneten Insgesamt somit 598 Sitze plus sog. Überhangmandate Die bestehenden Wahlrechtsgrundsätze Art. 38 Abs. 1 S.1 GG normiert für die Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages fünf Wahlrechtsgrundätze: Diese werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Damit werden aber nicht nur die Modalitäten der Wahl bestimmt. Es wird auch das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs.1, Abs. 2 GG näher ausgestaltet, da Art. 38 Abs.1 S.1 GG zunächst voraussetzt, dass die Abgeordneten überhaupt vom Volk gewählt werden können. Die fünf Wahlrechtsgrundsätze gelten als allgemeine Verfassungsprinzipien über den Regelungsbereich des Art. 28 Abs.1 S.2 GG hinaus für alle Wahlen zu Volksvertretungen sowie Volksentscheide (BVerfGE 60, 162 (167) m.w.n; str. aa Kunig Jura 1994, 554 (556)).

Es handelt sich bei Art. 38 Abs.1 S.1 GG nicht nur um ein objektive, sondern um grundrechtsgleiche Rechte. Diese können, sofern es sich um politische Wahlen auf Bundesebene handelt, mit der Verfassungsbeschwerde eingefordert werden (vgl. Art. 93 Abs.1 Nr.4a GG). Zu beachten ist, dass sich nur Deutsche im Sinne von Art. 116 GG auf die Wahlrechtsgrundsätze des Art. 38 Abs.1 S.1 GG berufen können, da nur diese dem Begriff des Staatsvolkes gemäß Art. 20 Abs.2 GG unterfallen. Eine genauere Ausformung dieser Grundsätze erfolgt gemäß Art. 38 Abs.3 GG teilweise durch das Bundeswahlgesetz (BWahlG). Allgemeinheit Allgemein ist eine Wahl, wenn alle deutschen Staatsbürger ohne Unterschied bezüglich ihrer Rasse, Religion, ihres Geschlechts oder ihrer politischen Anschauung aktiv (=wählen) oder passiv (sich wählen lassen) teilnehmen dürfen. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl bezieht sich auf das aktive und passive Wahlrecht. Beides muss grundsätzlich allen Bevölkerungsgruppen gleichermaßen offen stehen. Die Teilnahme an der Wahl darf nicht von besonderen, nicht von jedermann erfüllbaren Voraussetzungen (z.b. Einkommen, Bildung, Höhe der entrichteten Steuern) abhängig gemacht werden. Ferner gebietet dieser Grundsatz auch, dass der organisatorische Ablauf der Wahl so ausge-staltet wird, dass die Teilnahme am Wahlakt allen Wahlberechtigten ermöglicht wird.mit diesem Grundsatz lässt sich auch die Zulässigkeit der Briefwahl ( 30, 36 BWahlG) rechtfertigen. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes in Art. 3 Abs.1 GG, auf welchen daher im Anwendungsbereich dieses speziellen wahlrechtlichen Gleichheitssatzes nicht zurückgegriffen werden kann (BVerfGE 99, 1 (10)). Während Art. 3 Abs.1 GG eine Ungleichbehandlung verbietet, die nicht durch sachgerechte Gründe gerechtfertigt ist, werden für eine Durchbrechung der Allgemeinheit der Wahl zwingende Gründe verlangt (BVerfGE 36, 137 (141)). Als zulässig angesehen wurde vom Bundesverfassungsgericht beispielsweise die Forderung eines bestimmten Wahlalters (BVerfGE 36, 137 (142); 42, 312 (341)), der Sesshaftigkeit im Wahlgebiet (BVerfGE 58, 202 (205) m.w.n.), die Aberkennung der Wählbarkeit oder des Wahlrechts durch straf- oder verfassungsrechtliches Urteil (BVerfGE 36, 137 (141)), sowie der Ausschluss von Geisteskranken. Auch sog. Auslandsdeutsche können gemäß 12 Abs.2 BWahlG wählen. Unmittelbarkeit Eine Wahl ist unmittelbar, wenn die Stimmabgabe der Wahlberechtigten sich auf die zu entsendenden Vertreter selbst ohne Zwischenschaltung von Wahlmännern bezieht.

Die Unmittelbarkeit der Wahl ist als Verbot eines Wahlmännersystems zu verstehen. Zwischen der Stimmabgabe des Wahlberechtigten und der Ermittlung der Abgeordneten darf keine weitere Instanz zwischengeschaltet sein. Unzulässig wäre daher auch, lediglich Parteien zur Wahl zu stellen, welche dann die Abgeordnetenwahl übernehmen würden. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl fordert ein Wahlverfahren, in dem der Wähler vor dem Wahlakt erkennen kann, wer sich um ein Mandat bewirbt und wie sich die eigene Stimmabgabe auf Erfolg oder Misserfolg des Bewerbers auswirken kann (BVerfGE 95, 335 (350); 97, 317 (326)). Nach einem Ausscheiden von Abgeordneten dürfen nur solche Ersatzmänner nachfolgen, die bereits am Wahltag mitgewählt wurden (BVerfGE 97, 317 (323)). Eine Listenwahl ist zulässig mit den Wählern bekannten, im Voraus unabänderlich festgelegten Bewerbern (BVerfGE 47, 253 (281)). Freiheit Der Grundsatz der freien Wahl besagt, dass die Entscheidung für eine bestimmte Partei oder einen bestimmten Kandidaten frei von staatlichem, politischem oder wirtschaftlichem Druck erfolgen muss. Die Wahlfreiheit umfasst zunächst ein freies Vorschlagsrecht für alle Wahlberechtigten (BVerfGE 89, 243 (251) m.w.n.). Vor allem aber wird die freie Stimmabgabe geschützt. Der Wähler muss in einem freien, offenen Prozess zu seiner Entscheidung finden und diese zum Ausdruck bringen können (BVerfGE 79, 161 (165)). Dies gilt auch für die Kandidatenaufstellung in den Parteien. Der Wähler muss gegen Zwang, Druck und alle ernstlich beeinträchtigenden Beeinflussungen von staatlicher und nichtstaatlicher Seite geschützt werden (BVerfGE 66, 369 (380); vgl. auch 108 Abs.1 S.1 StGB). Aus diesem Grunde dürfen auch in oder an Wahllokalen keine Wahlplakate angebracht werden, 32 Abs.1 BWahlG. Ebenso ist die Veröffentlichung von Hochrechnung vor dem Ende der Wahlzeit unzulässig, 32 Abs.2 BWahlG. Umstritten ist die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Wahlpflicht (für die Verfassungsmäßigkeit bspw. Schmidt/Bleibtreu, 10. Aufl. 04, Art. 38 Rn 20; dagegen z.b. v. Münch/Kunig, 5. Aufl. 01, Art. 38 Rn 39). In anderen europäischen Ländern gibt es unterschiedlich ausgeformte Wahlpflichten, so z.b. in Italien, Österreich und Belgien. Gleichheit Gleichheit der Wahl besagt, dass jedermann sein Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben soll. Hier ist zu unterscheiden zwischen der Zähl- und der Erfolgswertgleichheit.

Die Gleichheit des Zählwertes besagt, dass jede Stimme bei der Zählung das gleiche Gewicht haben muss. Jede Stimme darf nur einmal zählen ( one man - one vote ). Das preußische Drei-Klassen-Wahlrecht, das jedem Wahlberechtigten nach dem Umfang der Steuerzahlungen zwischen einer und drei Stimmen verlieh, wäre daher grundgesetzwidrig. Unter dem Prinzip der Erfolgswertgleichheit muss jede Stimme den gleichen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlamentes haben. Bei der reinen Mehrheitswahl wäre dies nicht der Fall, denn die auf den nicht gewählten Kandidaten entfallenden Stimmen blieben bei der Zusammensetzung des Parlamentes unberücksichtigt. Nach einer Auffassung soll das reine Mehrheitswahlrecht daher verfassungsrechtlich unzulässig sein. Die hm und das BVerfG (BVerfGE 6, 84 (90)) sehen dies anders. Die Ermächtigung des Art. 38 Abs.3 GG lasse erkennen, dass die Verfassung es dem einfachen Gesetzgeber überlasse, sich für ein Wahlsystem zu entscheiden. Mache der einfache Gesetzgeber von seiner Entscheidungsfreiheit Gebrauch und entscheide sich für ein reines Mehrheitswahlsystem, so reduziere sich der Grundsatz der Gleichheit der Wahl sodann auf die Gewährleistung des gleichen Zählwertes. Abweichungen von diesen zwei Prinzipien sind nur in engen Grenzen zulässig und müssen durch zwingende Gründe gerechtfertigt sein (BVerfGE 93, 373 (376); 95, 408 (418)). Einen solchen zwingenden Grund stellt insbesondere die Funktionsfähigkeit des Parlaments dar. Mit diesem Argument werden auch die sog. Sperrklauseln gerechtfertigt, die meist bei 5% ansetzen. Die bei Bundestagswahlen geltende 5%-Klausel besagt, dass bei der Verteilung der Sitze im Bundestag grundsätzlich nur solche Parteien berücksichtigt werden, auf die mehr als 5 % der abgegebenen Zweitstimmen im jeweiligen Wahlgebiet entfielen, 7 Abs.6 S.1 BWahlG. Hierdurch soll parlamentarischer Parteizersplitterung wie zu Zeiten der Weimarer Republik entgegengewirkt werden. Auch müssen die Wahlkreise im Rahmen des Möglichen annähernd gleich groß bemessen sein, da nur sich nur dann die Überhangmandate mit dem durch sie verursachten Verstoß gegen die Erfolgswertgleichheit rechtfertigen lassen. Das Gebot der Wahlgleichheit erstreckt sich auch auf das Wahlvorschlagsrecht, untersagt jedoch nicht die Anforderung der Beibringung einer angemessenen Zahl an Wählerunterschriften vor Aufnahme in die Wahllisten. Ebenso ist das passive Wahlrecht erfasst, also Wählbarkeit und Annahme eines errungenen Mandats. Alle Staatsbürger, auch parteilose Bewerber, müssen die gleichen Chancen haben, Mitglied des Parlaments zu werden. Geheime Wahl Die Stimmabgabe ist geheim, wenn sie weder offen noch öffentlich, sondern vielmehr in verschlossenem Umschlag und unter weiterer Sicherung der Geheimhaltung erfolgt. Dieser Grundsatz besagt, dass jeder sein Wahlrecht so ausüben können muss, dass andere Personen keine Kenntnis von seiner Wahlentscheidung erhalten. Er ist die wichtigste institutionelle Sicherung der der Wahlfreiheit (BVerfGE 99, 1 (13)) und wird in 33 BWahlG genauer ausgeformt.der Grundsatz der Geheimhaltung der Wahl verbietet jede offene oder öffentliche Stimmabgabe, gleich, ob sie gezwungenermaßen oder freiwillig erfolgt. Erst außerhalb der eigentlichen Wahlhandlung darf der Wähler seine Wahlentscheidung preisgeben.

Geschützt wird nicht nur die eigentliche Stimmabgabe, sondern auch die Vorbereitung der Wahl, sodass z.b. übermäßig hohe Unterschriftserfordernisse bei Wahlvorschlägen ebenso wie die Pflicht des Wählers, sein Verhältnis zu einer bestimmten Partei zu offenbaren, gegen das Gebot der geheimen Wahl verstoßen können.problematisch kann die Briefwahl sein, da hier nicht wie in einem Wahllokal die Geheimheit der Wahl überwacht werden kann. Daher wird verstärkt von den Möglichkeiten der 8, 13, 61 bis 64 BWahlO Gebrauch gemacht und es werden Sonderwahlbezirke gebildet und fahr-bare Wahllokale eingesetzt. Die geheime Wahl wird durch 107c StGB geschützt. Literaturhinweise: Kunig, Fragen zu den Wahlrechtsgrundsätzen, Jura 1994, 554 Lechleitner, Das Wahlsystem des Bundeswahlgesetzes, Jura 2002, 602 Erichsen, Die Wahlrechtsgrundsätze des Grundgesetzes, Jura 1983, 635 Dietlein, Examinatorium Staatsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 37ff Saarheim: http://www.saarheim.de/faelle/wahlrecht-fall.htm