Wildnis und Natura 2000 Beispiel Nationalpark Hainich Internationale Naturschutzakademie Vilm 14. Juni 2016
Gliederung 1. Kurz-Vorstellung Nationalpark Hainich 2. Rechtliche Rahmenbedingungen 3. Arten und Lebensräume FFH-Richtlinie/ VS-RL 4. Zielkonflikte bei Arten und Lebensräumen 5. Umsetzungsmöglichkeiten 6. Fazit/ Diskussion
Urwald mitten in Deutschland Nationalpark Hainich
Nationalpark Natur Natur sein lassen Bewahrung Erholung, Umweltbildung Forschung
Gesamtfläche: 16.000 ha Davon Wald: 13.000 ha Davon buchendominiert: 11.000 ha
Plenterwald Nationalpark Hainich
Anteil nutzungsfreier Flächen: 94 %
Größte nutzungsfreie Laubwaldfläche Deutschlands
Verteilung der Waldbiotoptypen 2010
Nationalpark Hainich Charakteristik + eines der größten Laubwaldgebiete in Deutschland (aber kleiner Nationalpark!) + naturnahe, für Mitteleuropa typische Buchenwälder, Teilbereiche urwaldähnlich + größter nutzungsfreier Laubwald in Deutschland + konsequente Umsetzung von Natur Natur sein lassen (94 %, aber Wildregulierung!, keine AHP, keine LS-Pflege) + 6 % (450 ha) mit Schafen beweidet (1998 1.700 ha, 20 %)
3 Schutzzweck Schutzzweck des Nationalparks ist es, den Südteil des Hainich von menschlichen Einflüssen weitgehend freizuhalten, um die Vielfalt, besondere Eigenart und hervorragende Schönheit der in Mitteleuropa einzigartigen großflächigen zusammenhängenden und naturnahen Laubmischwälder des Hainich, die Lebensstätten seines artenreichen Tier- und Pflanzenbestands und der aus diesen Arten bestehenden Lebensgemeinschaften in ihrer Dynamik zu erhalten, einer natürlichen Entwicklung zuzuführen und Beeinträchtigungen fernzuhalten. Die Errichtung des Nationalparks dient insbesondere der Sicherung und Herstellung eines weitgehend ungestörten Ablaufs der Naturprozesse sowie der Erhaltung und Regeneration naturnaher Waldbestände. Der Nationalpark dient auch einer umweltschonenden naturnahen Erholung, der Entwicklung des Fremdenverkehrs, soweit dies mit dem Schutzzweck im übrigen vereinbar ist, der Umweltbildung sowie der Forschung.
3 Abs. 1a NPHG (2003) Der Nationalpark hat im Hinblick auf die Umsetzung der Richtlinie 92/43/EWG besondere Bedeutung für 1. folgende Lebensräume: Schlucht- und Hangmischwälder, Auenwälder mit Alnus glutinosa und Fraxinus excelsior (prioritäre Lebensräume), Hainsimsen-Buchenwald, Waldmeister-Buchenwald, Labkraut-Eichen-Hainbuchenwald, naturnahe Kalk-Trockenrasen und deren Verbuschungsstadien sowie 2. folgende Arten: Gelbbauchunke, Kammmolch, Skabiosen-Scheckenfalter, Bechsteinfledermaus, Großes Mausohr. Die Festsetzung als Nationalpark dient auch dazu, für die in Satz 2 genannten Lebensraumtypen und Arten einen günstigen Erhaltungszustand zu sichern.
Thüringer Natura2000-Erhaltungsziele-VO (2008) Lebensräume: temporär wasserführende Karstseen und -tümpel, Trespen- Schwingel-Kalk-Trockenrasen (besondere Bestände mit bemerkenswerten Orchideen), Kalktuffquellen, Schlucht- und Hangmischwälder, Moorwälder, Auenwälder mit Erle, Esche und Weide (prioritäre Lebensräume), nährstoffarme bis mäßig nährstoffreiche, kalkhaltige Stillgewässer mit Armleuchteralgen, Wacholderheiden, Trespen-Schwingel-Kalk-Trockenrasen, feuchte Hochstaudenfluren, kalkreiche Niedermoore, Waldmeister- Buchenwälder, Orchideen-Kalk-Buchenwälder, Sternmieren-Stieleichen- Hainbuchenwälder, Labkraut-Traubeneichen-Hainbuchenwälder Arten: Gelbbauchunke, Kammmolch, Skabiosen-Scheckenfalter, Mopsfledermaus, Bechsteinfledermaus, Großes Mausohr, Kleine Hufeisennase Vogelarten: Birkhuhn, Grauspecht, Halsbandschnäpper, Heidelerche, Mittelspecht, Neuntöter, Rohrweihe, Rotmilan, Schwarzmilan, Schwarzspecht, Schwarzstorch, Sperbergrasmücke, Wachtelkönig, Wespenbussard, Wiesenweihe, Zwergschnäpper
Leitbild Urwald mitten in Deutschland (aus Nationalparkplan 2010) Im Nationalpark Hainich bleibt die Natur sich selbst überlassen. Im Sinne des Mottos Urwald mitten in Deutschland unterliegen die vielfältigen Laubwald- und Offenlandökosysteme der natürlichen Dynamik. Das Erlebnis der ungestörten Natur für alle Menschen und die Vermittlung von Wissen über die Natur sind besonderes Anliegen. Die Entwicklung der Lebensgemeinschaften wird wissenschaftlich beobachtet
Aussagen NLP-Plan 2010 Auf Grund der langen Entwicklungszeiträume von Wald- Lebensraumtypen besteht in den nächsten 10 Jahren kein Handlungserfordernis. Dies gilt auch für daran gebundene Waldarten (Anhang II FFH-RL sowie Vogelarten). Erhaltungsziele des Offenlandes (LRT und Arten) sind vorerst in der Schutzzone 2 abzusichern. Weitere Festlegungen bleiben der FFH-Managementplanung vorbehalten.
Aussagen zur natürlichen Entwicklung (gem. NLP-Plan 2010) Langfristig soll die gesamte Nationalparkfläche einer natürlichen Entwicklung unterliegen. - Eingriffe in die Nadelholzbestände werden kurzfristig vollständig eingestellt (8 ha) - Rückbaumaßnahmen werden in einem kurz- bis mittelfristigen Zeitraum komplett abgeschlossen - Das Wildmanagement wird weiter reduziert und im Bereich des Welterbegebietes komplett eingestellt - Die Beweidung wird mittelfristig weiter reduziert - Die aktuelle Wiesennutzung wird kurzfristig komplett eingestellt
Aussagen zur Beweidung (gem. NLP-Plan 2010) Es ist beabsichtigt, die Beweidung nach Laufzeitende der derzeitigen Pachtverträge im Jahr 2013 flächenmäßig unter Beachtung der Betriebsstrukturen weiter zu reduzieren, sofern die Natura 2000-Erhaltungsziele abgesichert sind. Auch zukünftig findet Beweidung lediglich durch Schafe und einem geringen Anteil Ziegen statt. Langfristig soll die Beweidung nach Möglichkeit auf den unmittelbar angrenzenden landwirtschaftlichen Flächen rings um den Nationalpark fortgesetzt werden.
Aussagen zur Wiesennutzung (gem. NLP-Plan 2010) Die aktuelle Wiesennutzung wird kurzfristig nach Ablauf der derzeitigen Pachtverträge eingestellt. Ob zur Sicherung der Natura 2000-Erhaltungsziele eine Wiesennutzung in der Schutzzone 2 erforderlich wird, bleibt der FFH- Managementplanung vorbehalten.
Kartierungen (seit 2004) - Offenland-BK 2004 - Wald-BK (1. Fortschreibung und Aktualisierung) 2008-2010 - Ornithologische Erfassungen und Monitoringprojekte (insbesondere IMS, Monitoring Greifvögel & Eulen und Specht-Monitoring) - Fledermauskundliche Inventarisierung im Nationalpark 1999-2006 und spezielle Untersuchungen zur Bechsteinfledermaus 2004-2006 - Amphibien- und Libellen-Monitoring seit 2004 bzw. seit 2008 - Erhebungen im Rahmen des Natura 2000-Monitoring 2011-2013 - Untersuchung zum Bestand, der Populationsstruktur, dem Wanderverhalten und der Habitatnutzung der Gelbbauchunke 2014 - Untersuchungen zum Vorkommen und zum Bestand des Skabiosen- Scheckenfalters 2015-2016 - Erfassung der Vorkommen der Schmalen Windelschnecke 2015 - Offenland-Lebensraumtypen-Kartierung (inkl. 1. Fortschreibung und Aktualisierung der OBK) 2015
Arten Anhang II (gemäß SDB) - Bechstein-Fledermaus - Großes Mausohr - Mops-Fledermaus - (Kleine Hufeisennase) - Gelbbauchunke - Kamm-Molch - Skabiosen-Scheckenfalter In den letzten Jahren außerdem nachgewiesen - Schmale Windelschnecke - Große Moosjungfer - Grünes Besenmoos - Rogers Kapuzenmoos
FFH-Waldlebensraumtypen FFH-Waldlebensraumtypen Fläche (ha) Erstkartierung Fläche (ha) Wiederh.-kart. Differenz (ha) Waldmeister-Buchenwälder (9130) 2.462,0 3.121,2 +659,2 Orchideen-Kalk-Buchenwälder (9150) 521,0 4,8-516,2 Sternmieren-(Stiel-)Eichen-Hainbuchenwälder (9160) 40,0 17,1-22,9 Labkraut-Eichen-Hainbuchenwälder (9170) 277,0 210,7-66,3 Schlucht- und Hangmischwälder (9180) 41,0 2,2-38,8 Moorwälder (91D0) 1,3 0-1,3 Auenwälder aus Erle und/oder Esche (91E0) 50,0 15,6-34,4 Summe 3.392,3 3.371,6-20,7 Der Nationalpark hat..besondere Bedeutung für. Schlucht- und Hangmischwälder, Hainsimsen-Buchenwald
Vorkommen der Wald-FFH-Lebensraumtypen
FFH-Offenlebensraumtypen
FFH-Offenlebensraumtypen
Vogelarten nach Anhang I VS-RL (Erhaltungsziele-VO) Birkhuhn Grauspecht Halsbandschnäpper Heidelerche Mittelspecht Neuntöter Rohrweihe Rotmilan Schwarzmilan Schwarzspecht Schwarzstorch Sperbergrasmücke Wachtelkönig Wespenbussard Wiesenweihe Zwergschnäpper (von 16 Arten nur bei 7 Arten aktuelle Brutnachweise, von 5 Arten ältere Brutnachweise, von 4 Arten überhaupt keine Brutnachweise)
Karte der potentiell natürlichen Vegetation
Waldgesellschaften der pnv und deren Flächenanteile Waldgesellschaft (pnv-grundeinheit) nach BUSHART & SUCK (2008) Fläche (ha) %-Anteil an der NLP- Fläche Waldgersten-Buchenwald 4.857,3 64,5 % Waldgersten-Buchenwald mit Übergang zum Orchideen-Buchenwald 626,9 8,3 % Orchideen-Buchenwald 4,7 0,1 % Waldmeister-Buchenwald 1.746,2 23,3 % Winterlinden-Buchenmischwald 86,4 1,1 % Flattergras-Buchenwald / Waldmeister-Buchenwald 42,6 0,6 % Hainmieren-Erlenwald 97,5 1,3 % Walzenseggen-Erlenbruchwald 42,7 0,6 % Eschen-Erlen(sumpf)wald 4,7 0,1 % Eschen-Bergahorn-Hang- und Schluchtwald 4,0 0,1 % Gesamt: 7.513,0 100,0 %
Waldlebensräume - Fazit - Die Erhaltung der Buchenwaldtypen in Umfang und Qualität ist gewährleistet bzw. wird im Laufe der Zeit sowohl flächenmäßig als auch qualitativ (bezüglich Totholz und Sonderstrukturen) noch deutlich zunehmen; dies betrifft auch den Orchideen-Buchenwald bei Hinzuziehung des standörtlich bedingten Überganges zwischen diesem Typ und dem Waldgersten-Buchenwald - Wald auf Sonderstandorten (Schlucht- und Hangmischwälder sowie Auenwälder mit Esche und Erle) werden sich ebenfalls leicht bzw. deutlich entsprechend den natürlichen Möglichkeiten flächenmäßig und qualitativ entwickeln - Völlig verschwinden werden die Eichen-Hainbuchenwälder (kartiert 9160 mit 17 ha und 9170 mit 210 ha)
Arten, die von der natürlichen Entwicklung profitieren werden (oder indifferent sind) - Bechstein-Fledermaus - Großes Mausohr - Mops-Fledermaus - Gelbbauchunke - Kamm-Molch - Skabiosen-Scheckenfalter - Schmale Windelschnecke (?) - Große Moosjungfer (?) - Grünes Besenmoos - Rogers Kapuzenmoos
Dicranum viride Alte Wälder, die Vorkommen der Art beherbergen, sollten geschützt werden und nur minimal bis gar nicht forstlich genutzt werden. Orthotrichum rogeri Wichtig ist der Schutz der Wuchsorte vor der Zerstörung Hierbei ist insbesondere die Erhaltung der Trägerbäume prioritär.
Schmale Windelschnecke (Gutachten Bössneck) Insgesamt kann eingeschätzt werden, dass im FFH-Gebiet 36 durchgängig keine wesentlichen Beeinträchtigungen der Habitate der Schmalen Windelschnecke festzustellen sind.
Gewässer
Vogelarten, die von der natürlichen Entwicklung profitieren werden (oder indifferent sind) - Grauspecht - Mittelspecht - Neuntöter - Rotmilan - Schwarzspecht - Sperbergrasmücke - Wespenbussard
Vogelarten Anhang I VS-RL Vogelart NLP SPA Thüringen Grauspecht 16 18 BP 20 25 BP 300 400 BP Mittelspecht 60 70 BP 80 100 BP 800 1.000 BP Schwarzspecht 9 11 BP 10 15 BP 1.100 1.300 BP Sperbergrasmücke 30 35 BP 10 15 BP Ca. 110 BP
Eichen-Hainbuchenbestände
Kalkmagerrasen
Vorkommen Skabiosen-Scheckenfalter
Vorkommen Gelbbauchunke
Alternativ oder in Kombination mit Pflegeeingriffen ist eine extensive Nutzung der zumeist halboffenen Gelbbauchunken-Lebensräume anzustreben. Dies kann beispielsweise in Form einer Extensiv-Beweidung mit robusten Schafrassen oder Rindern erfolgen Wiederzulassung der Fließgewässerdynamik!
- Der NLP kann nicht alle Arten, die bei seiner Gründung vorkamen, im damaligen Umfang erhalten; dies ist auch nicht Zielsetzung - Selbst Einzelvorkommen hochgradig gefährdeter Arten bzw. Arten mit besonderer Verantwortung (jenseits von Natura2000) können nicht in allen Fällen als gesichert betrachten werden - Bei Arten und Lebensräumen der FFH-Richtlinie bzw. Vogelarten der VS-RL, die mit Natur Natur sein lassen verschwinden werden, gilt es, langfristig tragfähige und umsetzbare Konzepte zu entwickeln (z.b. extensive Weidenutzung); auch dabei wird es nicht möglich sein, ehemals festgestellte Zustände (hier z.t. durch Militär entstanden) 1 : 1 zu übertragen - Zielsetzung ist es, langfristig das Umfeld zu verbessern: Pflege und Entwicklung bereits bestehender LR unterstützen, neue wertvolle LR zu entwickeln, Nutzung extensivieren, Puffer schaffen, Dynamik in den Auen ermöglichen (Gelbbauchunke) - Wesentliche Zielsetzung galt und gilt der ungesteuerten Entwicklung als Wildnis-/ Prozessschutzgebiet
Verbesserung des Umfeldes (Zielsetzung in Naturpark-VO und im NP-Plan)
Abschließende Gedanken/ Anmerkungen - Fehlende bzw. fehlerhafte Kartierungen führen zu falschen Zielen - Fehlende Prioritätensetzung ohne Beachtung der langfristigen Konsequenzen führt zu Problemen (z.b. Eichen-Hainbuchenwälder, Birkhuhn, Gelbbauchunke) - Sinnhaftigkeit von Naturschutzmaßnahmen! ( traditionelle Landnutzung ja, aber Militär? keine massive Zerstörung, keine dauerhaften Eingriffe, sondern Einbindung in Nutzungskonzepte) - Probleme des Erhalts von Offenland liegen nicht in Wildnisgebieten, sondern in der Gesamtsituation der Landwirtschaft; hier ist die EU- Agrarpolitik gefordert! (keine Umsetzung von Managementzielen im Offenland ohne LW-Betriebe) - Natura 2000 darf nicht statisch sein, sondern ist auch ein dynamisches Konzept und bedarf der kritischen Hinterfragung und ggf. Anpassung in den Gebieten unter Beachtung der großräumigen Situation
Urwald mitten in Deutschland Nationalpark Hainich