Im Reich des Zufalls: Pflegebedürftigkeit, Pflege- Personalbedarf, Pflegequalität Prof. Dr. Albert Brühl Lehrstuhl für Statistik und standardisierte Verfahren Folie 1
Struktur Wahrscheinlichkeit und Zufall in der Erklärung von Pflegebedürftigkeit Erklärung von Pflege- und Betreuungsaufwand Erklärung von Pflegequalitätsindikatoren Pflegebedürftigkeit abhängig von Pflegequalität Pflege in Baden Württemberg (PiBaWü), Folgestudie von Pflegebedarf im Saarland (PiSaar, 2013) Folie 2
Wahrscheinlichkeit, Zufall, Pflegebedürftigkeit Wahrscheinlichkeit pflegebedürftig zu werden ist gleich der Wahrscheinlichkeit, eine Person als pflegebedürftig zu beurteilen Zufall herrscht dann, wenn diese Urteile unsystematisch variieren Folie 3
Wahrscheinlichkeit, Zufall, Pflegebedürftigkeit Wahrscheinlichkeit bezieht sich in der Pflege auf Eintretenshäufigkeiten von Ereignissen in Datenserien Folie 4
Datenserie PiSaar (2013) 68 Wohnbereiche in 61 der 120 stationären Langzeitpflegeinrichtungen im Saarland 2028 Bewohner mit Zeiterhebung durch Beobachter an zwei aufeinanderfolgenden Werktagen Bewohner- und Organisationsvariablen Folie 5
Häufigkeit von Pflegestufen (PiSaar) Benötigt keine emotionale Unterstützung Benötigt emotionale Unterstützung Kein Beitrag zur Erklärung Folie 6
Häufigkeit von Pflegestufen (PiSaar) ohne Hilfe nicht mehr hinsetzen ohne Hilfe hinsetzen Beitrag zur Erklärung Folie 7
Häufigkeit von Pflegestufen Kein gutes Kurzzeitgedächtnis Gutes Kurzzeit- Gedächtnis Beitrag zur Erklärung Folie 8
Häufigkeit von Pflegestufen Keine Depression Depression Kein Beitrag zur Erklärung Folie 9
Zufall, Wahrscheinlichkeit und Erklärung Pflegebedürftigkeit ist konstruiert Erklärungsgehalt von Kriterien basiert auf Konstruktion Differenz zwischen Konstruktion und Empirie Aktuell und zukünftig haben wir mehr Kriterien als Gruppen Nicht alle Kriterien werden in den Gruppen differenziert Interaktionen zwischen Einzel-Kriterien sind komplex Kriterien sind stochastisch abhängig von einander Eindeutigkeit in der Klassifikation von Pflegebedürftigkeit? Folie 10
Zufall als unsystematisch variierendes Urteil: Wissenschaftlich wäre entweder eine Reduktion der Kriterien oder eine drastische Erhöhung der Zahl der Pflegegruppen sinnvoll Empirisch kann man prüfen, welche Differenzierungen im jeweiligen Klassifikations-System zum Tragen kommen und welche Differenzierungen wirkungslos sind Wie weit liegen die Differenzierungen in einer Einrichtung über dem Niveau der Differenzierung der Pflegestufen/Pflegegrade? Was bedeutet dabei die Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade? Folie 11
Ebenen Normativ Empirie Gegenstand Pflegestufen/ grade z.b.klassifikationsgüte Pflegebedürftigkeit Pflegenoten z.b. Trennschärfe Pflegequalität Anhalts Zahlen z.b. Pflege und Betreuungszeiten Personalausstattung Folie 12
Struktur Wahrscheinlichkeit und Zufall in der Erklärung von Pflegebedürftigkeit Erklärung von Pflege- und Betreuungsaufwand Erklärung von Pflegequalitätsindikatoren Pflegebedürftigkeit abhängig von Pflegequalität Pflegebedarf in Baden Württemberg (PiBaWü), Folgestudie von Pflegebedarf im Saarland (PiSaar, 2013) Folie 13
Erklärung von Pflegeaufwand Pflege- und Betreuungszeiten, die in den Pflegegruppen anfallen, sind objektive Ereignisse Zwischen den Pflege-Gruppen sollten Unterschiede bestehen, innerhalb der Pflege-Gruppen sollte Homogenität vorherrschen Folie 14
Ergebnisse Pflegestufen in boxplots 29% der Zeitvarianz (Pflege + Betreuungszeit) lassen sich auf die Pflegestufen (0-3) zurückführen Boxplots 0 1 2 3 Folie 15
Pflegeaufwand - Bewohnervariablen: Pflegestufen und Pflegegrade (aus Rothgang et al. 2015) Erklärt??% Zeitvarianz Folie 16
Pflegestufen/Pflegegrade Gruppen erklären ca. ein Drittel des Pflegeaufwands Geringe Anzahl von Gruppen bei großer Anzahl von Kriterien Empirisch: Wie viele Kriterien passen in sechs Gruppen bei eindeutiger Klassifikation? Folie 17
Wie viele Kriterien und welche bilden die wichtigsten ersten sechs Gruppen? Wenn man die Einzel-Kriterien interagieren lässt Wenn man Hierarchie in den Kriterien nutzt Dann sind es drei Kriterien: Toilettengang selbständig (ja/nein), Essen selbständig (ja/nein) und sich ohne Hilfe hinsetzen (ja/nein) Folie 18
Drei Kriterien in sechs Gruppen (N=2028): Toilettengang selbständig nein ja Essen Selbständig Essen Selbständig Erklärt 34% Zeitvarianz nein ja Sich ohne Hilfe hinsetzen nein ja Sich ohne Hilfe hinsetzen nein ja nein ja Folie 19
Zufall und Wahrscheinlichkeit In sechs Gruppen passen eindeutig nur drei Kriterien Pflegestufen oder Pflegegrade sind weniger aussagekräftig als die einzelnen Kriterien aus denen sie gebildet werden Weg von Kriterien zur Klassifikation wird bei mehr als drei Kriterien und weniger als sechs Gruppen mehrdeutig Kriterien-Interaktionen steigen exponentiell Folie 20
Was wird in der Praxis passieren? Texanisches Zielschießen Der texanische Scharfschütze schießt auf ein Tor, malt um das Einschussloch eine Zielscheibe und freut sich über den Volltreffer. Folie 21
Abweichungen verteilen sich nicht gleich zwischen den Wohnbereichen Es gibt große Unterschiede zwischen den Wohnbereichen in den zeitlichen Abweichungen innerhalb der Pflegestufen Folie 22
Unterschiede in den Abweichungen in den ersten zehn Wohnbereichen aus PiSaar Folie 23
Zufall und Wahrscheinlichkeit Personalbemessung nach Pflegestufen/Pflegegraden führt zur Zufallsvarianz von Personalausstattung Zufallsvarianz von Personalausstattung ist dominierende Orga-Variable (>Qualifikation, >Größe,>Konzepte etc.) Pflegequalität wird von Zufallsvarianz der Personalausstattung beeinflusst Wird die Zufallsvarianz von Personalausstattung mit den Pflegegraden steigen? Folie 24
Pflegebedürftigkeit als Merkmal, das ein Individuum trägt Pflegeaufwand Pflegebedürftigkeit in Gruppen Folie 25
Pflegeaufwand Empirischer Ist-Zustand Pflegemanagement Soll- Zustand Pflegebedürftigkeit Klassifikation Institution/ Organisation Pflegeaufwand Pflegebedürftigkeit Pflegepraxis Folie 26
Wie geht es denn exakter? 57 Bewohner-Variablen in komplexen Modellen können bis zu 62% von Pflege- und Betreuungsaufwand erklären Über alle Wohnbereiche führt das zu bis zu 170 Gruppen In einzelnen Wohnbereichen werden bis zu 32 Gruppen unterschieden Es gibt aber Wohnbereiche, die mit drei Gruppen auskommen Folie 27
Wie geht es denn exakter? 7 Bewohner- und 5 Organisations-Variablen und ihre Interaktionen erklären 70% von Pflege- und Betreuungsaufwand Die besten Modelle müssen Organisationsvariablen berücksichtigen Folie 28
Beste Modelle mit Organisationsund Bewohner Variablen (R² =.70) Organisation: Größe Wohnbereich Freistellung PAL Freistellung QMB Mehrarbeitsquote Güte der Pflegestufen Bewohner Transfer aus dem Bett Sich ohne Hilfe aufsetzen Oberbekleidung selb. anziehen Mundgerechte Zubereitung Essen Essen selbständig Ungewollter Stuhlverlust Selbständig stehen Abh. Variable: Gesamtzeit Folie 29
Struktur Wahrscheinlichkeit und Zufall in der Erklärung von Pflegebedürftigkeit Erklärung von Pflege- und Betreuungsaufwand Erklärung von Pflegequalitätsindikatoren Pflegebedürftigkeit abhängig von Pflegequalität Pflegebedarf in Baden Württemberg (PiBaWü), Folgestudie von PiSaar (2013) Folie 30
Qualitätsindikatoren In der Diskussion sind über 200 verschiedene Zentrales Thema ist Risikoadjustierung Schwierige Indikatoren: z.b. Dekubitalulcera Beispielindikator: Mobilitätserhalt Qualität wird erheblich beeinflusst durch die Zufallsvarianz in der Personalausstattung: Mobilitätserhalt zu 42 % abhängig vom Wohnbereich Folie 31
Empirisches Modell (68 Wohnbereiche 2028 Pflegebedürftige) von Pflegequalität - Restmobilität: Organisation Pro 100 Minuten positiver Abweichung der Zeitwerte in den Pflegestufen 1.8 fach höherer Anteil der Bettlägerigen, die sich noch im Bett drehen können Fähigkeit zum Positionswechsel bei Bettlägerigen Bewohner Merkmale Bei freiheitsentziehenden Maßnahmen ist die Wahrscheinlichkeit sich nicht mehr im Bett drehen zu können 1,68 fach höher, aber auch das variiert Setting Einfluss von Kontrakturen variiert über die Wohnbereiche hinweg Folie 32
Zusammenfassung Wohnbereichsunterschiede sind groß Qualitätsindikatoren sind abhängig von der Ausstattung der Wohnbereiche Die zufällig variierende Personalausstattung ist die einflussreichste Variable in allen Modellen Pflegebedürftigkeitsklassifikation, Personalausstattung und Pflegequalität bedingen einander Folie 33
Struktur Wahrscheinlichkeit und Zufall in der Erklärung von Pflegebedürftigkeit Erklärung von Pflege- und Betreuungsaufwand Erklärung von Pflegequalitätsindikatoren Pflegebedürftigkeit abhängig von Pflegequalität Pflegebedarf in Baden Württemberg (PiBaWü), Folgestudie von Pflegebedarf im Saarland (PiSaar, 2013) Folie 34
Aktuelle Perspektive Reale Qualitätsunter schiede Reale Ausstattung Möglicher Pflegeaufwand Folie 35
Wechsel der Perspektive Qualitätsniveaus? Empirisch erreichte Qualität Notwendige Ausstattung Empirische Differenzierung Pflegebedürftigkeit Folie 36
Interaktionsmodell Personalausstattung Pflegequalität Datensatz Klassifikation von Pflegebedürftigkeit Folie 37
Struktur Wahrscheinlichkeit und Zufall in der Erklärung von Pflegebedürftigkeit Erklärung von Pflege- und Betreuungsaufwand Erklärung von Pflegequalitätsindikatoren Pflegebedürftigkeit abhängig von Pflegequalität Pflege in Baden Württemberg (PiBaWü), Folgestudie von Pflege im Saarland (PiSaar, 2013) Folie 38
Projekt Pflege in Baden- Württemberg (PiBaWü) 2015-2018* Pflege in Baden-Württemberg (PiBaWü)- Wie hängen Pflegebedürftigkeit, Personalbemessung und Pflegequalität zusammen? Auftaktveranstaltung am 21.01.2016 in Stuttgart *Gefördert vom Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg aus Mitteln des Landes Baden-Württemberg Unterstützt vom Ausschuss Alter und Gesundheit, Arbeitsgruppe stationäre Pflege der Liga der freigemeinnützigen Wohlfahrtspflege und von der Keppler-Stiftung Folie 39
Ziele von PiBaWü Einrichtungsbezogene Erkenntnisse über Pflegebedürftigkeit, Personaleinsatz und Pflegequalität in den Einrichtungen (auch im Vergleich mit dem Durchschnitt aller beteiligten Einrichtungen in Baden Württemberg) Schaffung von Grundlagen zur Entwicklung eines Verfahrens zur Personalbemessung, das die komplexen, interaktiven Zusammenhänge von Pflegebedürftigkeit, Pflegequalität und normativer Personalausstattung berücksichtigt. Folie 40
Nutzen von PiBaWü Unterstützung beim Umstieg von Pflegestufen auf Pflegegrade Qualitätsindikatoren auf Validität prüfen Anonymisierte regionale und individuelle Rückmeldeveranstaltungen Gestaltungschancen in der Projektgruppe und in Regionalveranstaltungen mit Fortbildungscharakter Fachleute beteiligen Folie 41
Wer kann an PiBaWü teilnehmen? Stationäre Langzeitpflegeinrichtungen Pflegeschulen Träger Pflegedienst und Heimleitungen Folie 42
Wie kann man an PiBaWü teilnehmen? Auftaktworkshop am 21.01.16 in Stuttgart: Anmeldung unter pibawue@pthv.de Im Projektbeirat, in der Projektgruppe, als Ansprechpartner vor Ort Erhebung von Bewohnermerkmalen, Orga Variablen und von Pflege und Betreuungszeit Folie 43
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Anmeldung Auftaktveranstaltung PiBaWü am 21.01.16 Stuttgart von 10-15:30 Uhr im GENO-Haus bitte bis zum 15.12.15 unter pibawue@pthv.de Projektmitarbeiter von links nach rechts: Univ.-Prof. Dr. Albert Brühl MScN Ulrike Schleinschok BScN Philipp Bentz Prof. Dr. Katarina Planer Folie 44