Opferrechte und Zeugenpflichten bei sexuellem Missbrauch

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Transkript:

Opferrechte und Zeugenpflichten bei sexuellem Missbrauch Stephanie Vogt Rechtsanwältin für Opferrechte und Strafrecht Stephanienstr. 7 76133 Karlsruhe Tel. 0721 / 22 8 11 www.kanzleivogt.de 1

Zeugenpflichten - Keine generelle Anzeigepflicht gegenüber der Polizei bei Missbrauchsverdacht Grund: Persönlichkeitsrecht des Opfers - Schutzpflicht aus Garantenstellung?: Mögliche eigene Strafbarkeit (bei gänzlichem Nichtstun) wegen Teilnahme/ Beihilfehandlung durch Unterlassen (einzelfallabhängig) im Wiederholungsfall wegen Unterlassener Hilfeleistung gem. 323 c StGB bei unmittelbarer Tat (allgemeine Solidarpflicht) - Wahrheitspflicht gem. 57 StPO 2

Legalitätsprinzip = Verfolgungszwang der Ermittlungsbehörden Folgen einer Strafanzeige Keine Strafanzeige ohne Einverständnis der geschädigten Person!! (m.e.) 3

Der ideale Zeuge sachlich wahrheitsgemäß vollständig detailgetreu neutral verschwiegen gegenüber unbeteiligten Dritten 4

Strafbarkeit des Zeugen im Fall der Nichterweislichkeit der Straftat? Strafbarkeit wegen Beleidigungsdelikten Beleidigung, Übler Nachrede, Verleumdung, 185-187 StGB? Nicht bei Sachlichkeit und Verzicht auf Formalbeleidigung; z.b. Kinderschänder Strafbarkeit wg. Verleumdung, 187 StGB? Wider besseren Wissens erfordert Kenntnis der Unwahrheit. Strafbarkeit wg. Falscher Verdächtigung, 164 StGB? Subjektives Ziel: Einleitung eines Strafverfahrens Wider besseren Wissens erfordert Kenntnis der Unwahrheit. 5

Handlungskonzepte für den Zeugen Als Zeuge: sachlich wahrheitsgemäß vollständig detailgetreu neutral verschwiegen gegenüber unbeteiligten Dritten Zeuge vom Hörensagen: Sachliche Wiedergabe der Aussage des Geschädigten Anfertigung einer Gesprächsnotiz Keine ehrverletzenden Äußerungen; keine Information gegenüber unbeteiligten Dritten Grund: Prävention!! 6

Opferrechte im Ermittlungsverfahren - Hinweispflicht der Ermittlungsbehörden auf Verletztenbefugnisse gem. 406 h StPO = Informationsrecht des Opfers, Übergabe der Opferschutzbroschüre Mitteilung über Ausgang des Verfahrens, 406 d StPO Mitteilung über Weisung Kontakt- u. Verkehrsverbot, 406 d StPO Mitteilung über freiheitsentziehende Maßnahmen, Vollzugslockerung oder (Haft-)Urlaub, 406 d StPO 7

Opferrechte im Ermittlungsverfahren Akteneinsichtsrecht des Verletzten, 406 e StPO Anwaltliche Vertretung durch Zeugen -, Verletztenbzw. Nebenklagebeistand, 68 b, 406 f, 406 g StPO Hinzuziehung einer Vertrauensperson des Verletzten, 406 f StPO bei Vernehmung Vernehmungsbeamte sind ausschlussberechtigt. Anschluss als Nebenklagebefugter, 395, 406 g StPO, 80 Abs.3 JGG (bereits im Ermittlungsverfahren!) auf Antrag 8

Opferrechte im Ermittlungsverfahren Videovernehmung des Verletzten oder Zeugen, 255 a, 58 a StPO Hinweispflicht auf Widerspruchsrecht gem. 58 a StPO Vorteil: Vermeidung von Mehrfachvernehmungen bei Verwertbarkeit in der Hauptverhandlung Nennung der ladungsfähigen Anschrift gemäß 68 StPO Nennung des Geschäfts- oder Dienstortes, anderer ladungsfähiger Anschrift anstatt der Wohnadresse 9

Opferrechte im Strafverfahren Sog. kostenloser Opferanwalt Beiordnung eines Rechtsanwalts bei minderjährigen Missbrauchsopfern, 397a, 406 g StPO Bei minderjährigen Missbrauchsopfern (auch von Vergehen) im Fall der Antragstellung vor dem 18. Lebensjahr Vergehen sind z.b.: - 174 bis 182 StGB (z.b. Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, Sexueller Missbrauch von Kindern, Sexueller Missbrauch von Jugendlichen, etc.) - 221 StGB Aussetzung (Fälle von schwerer Kindesvernachlässigung, z.b. durch die Eltern) - 225 StGB Misshandlung von Schutzbefohlenen 10

Opferrechte im Strafverfahren Sog. kostenloser Opferanwalt Beiordnung eines Rechtsanwalts bei (auch erwachsenen) Opfern eines Sexualverbrechens, siehe 397a, 406 g StPO Verbrechen sind z.b.: - Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, 177 StGB - Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, 176 a StGB Beiordnung bereits im Ermittlungsverfahren möglich, auf Antrag. 11

Opferrechte im Strafverfahren Kostenvorschuss (Übernahme der eigenen RA-Kosten) durch den Staat durch: Bewilligung von Prozesskostenhilfe - bei Bedürftigkeit und - bei besonderer Schutzwürdigkeit des Zeugen: Unfähigkeit einer eigenen Interessenwahrnehmung Opfer kann aufgrund psychischer und/oder physischer Situation seine Rechte nicht selbst wahrnehmen. Schwierige Sach- und Rechtslage Migrationshintergrund beim Opfer (z.b. Sprachschwierigkeiten) 12

Opferrechte im Hauptverfahren Nebenklage gem. 395 Abs.1 Nr.1 StPO (Sexualstraftaten) Vorteile: - Anwesenheitsrecht in der gesamten Hauptverhandlung - Beweisantrags- und Fragerecht - Plädoyer - Rechtsmittelbefugnis 13

Opferrechte im Hauptverfahren Ausschluss der Öffentlichkeit im Zeitpunkt der Geschädigtenvernehmung gem. 171 b, 172 GVG - bei Zeugen unter 18 Jahren - zum Persönlichkeitsschutz des Zeugen (Intimsphäre), insb. bei Sexualstraftaten - bei Gefährdung des Leibes, Lebens oder der Freiheit des Zeugen 14

Opferrechte im Hauptverfahren Entfernung des Angeklagten aus dem HVT, 247 StPO - selten, da Revisionsgefahr - insb. bei Zeugen unter 18 Jahren - bei erheblicher Gesundheitsgefährdung für den Zeugen, z.b. drohender Nervenzusammenbruch bei Vernehmung in Anwesenheit des Angeklagten 15

Opferrechte im Hauptverfahren Sog. Adhäsionsverfahren, 403 ff. StPO - 81 JGG, nicht gegen Jugendliche, str. Vorteile: - insb. zur Geltendmachung von Schmerzensgeld - Ersparnis einer weiteren Gerichtsverhandlung - ansonsten: Zivilklage auf Schadensersatz u. Schmerzensgeld Ansprüche nach dem OEG 16

Handlungskonzepte Als Zeuge: sachlich, wahrheitsgemäß, vollständig, detailgetreu, neutral, verschwiegen gegenüber unbeteiligten Dritten. Präventionsmaßnahmen ergreifen (Garantenstellung). Eltern informieren, bei minderjährigen Kindern. Bei mangelnder Schutzbereitschaft der Eltern Jugendamt informieren. Fachberatungsstellen aufsuchen, professionelle Hilfe holen. 17

Handlungskonzepte Opferanwalt einschalten zur Rechtsberatung. Opferrechte wahrnehmen! (Hilfreich zur Tataufarbeitung, zum Schutz des Zeugen, auch vor den Belastungen durch das Strafverfahren selbst.) Bei konkreter Gefahr Polizei informieren. Bei konkreter Tat: Eingreifen, jedoch nicht unvorsichtig sein (Hilfe holen!) und Stellung beziehen. Zivilcourage zeigen! Empathie mit dem Opfer! Keine Anzeige wider Willen!! Also: Rücksprache mit dem Opfer halten. 18

DANKE für Ihre Aufmerksamkeit! 19

Kleines P.S.: Bitte beachten Sie, dass jeder Einzelfall einer gesonderten juristischen Prüfung durch einen Rechtsanwalt zu unterziehen ist. Zur Vereinfachung habe ich im Vortrag versucht, die Opferrechte und Zeugenpflichten auf einfache Thesen herunterzubrechen. Dies darf aber nicht den Eindruck erwecken, diese seien für jeden Fall allgemeingültig, sondern es bedarf vielmehr in jedem Fall einer genaueren juristischen Hinschau und Prüfung, ob und welche Opferrechte am besten ausgeübt werden sollen und können. Insoweit kann für diesen Vortrag keine rechtliche Gewähr übernommen werden, sondern es bedarf jedenfalls bzw. im Idealfall der Einschaltung eines auf Opferrecht spezialisierten Anwalts bzw. einer hierauf spezialisierten Anwältin, um den Einzelfall zu prüfen und die Opferrechte geltend zu machen. 20