Weltoffenes Sachsen?

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COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt Deutschlandradio Kultur Länderreport Sendung vom 24.11.2011 Weltoffenes Sachsen? Der schwierige Kampf gegen die extreme Rechte Von Claudia Altmann Alternative Jugendliche aus Limbach-Oberfrohna wollen die sächsische Kleinstadt nicht der rechten Szene überlassen. Dafür beziehen sie regelmäßig Prügel, werden als Nestbeschmutzer und Linksextreme angeprangert, ihre Familien werden bedroht. Die Stadtväter haben das Ausmaß des Problems jahrelang unterschätzt. Die Landesregierung hat der Stadt Unterstützung zugesagt, plant jedoch zugleich die Polizeipräsenz zu reduzieren. Ein Länderreport über den schwierigen Kampf gegen Rechts und die Entstehung starker rechter Szenen. Redaktion Stucke, Julius

M A N U S K R I P T B E I T R A G Hier muss man sich entscheiden. Das steht definitiv fest. Automatisch, man geht in irgendeine Meinung über, entweder rechts oder links. Ich hoffe eben nur, dass unser Sohn weggeht. Das hoffe ich. Und da rede ich ihm auch immer wieder zu. Irgendwann ist keiner mehr auf der Straße. Das ist für mich dann keine Stadt mehr. Das ist für mich dann keine Heimat mehr. Dann kann ich auch hier wegziehen. (Daniel Drescher) Warum ist denn Limbach so, weil immer alle weggezogen sind. Menschen, die ihre Heimatstadt verlassen, weil sie wegen ihrer Weltanschauung verfolgt und bedroht werden oder weil sie sich einfach nicht mehr sicher fühlen. Nein, wir sind nicht in einer fernen Diktatur. Wir sind in der sächsischen Kleinstadt Limbach-Oberfrohna. Seit Jahren gibt es hier eine starke rechte Szene. Wer sich dagegen stellt, bekommt zu spüren, dass er hier unerwünscht ist. So auch die 15 jungen Leute vom alternativen Verein Schwarzer Peter. Ihr Jugendclub ist in der Dorotheenstraße. Ein dreistöckiges Haus, die Fassade grau, ein Transparent: Jugendliche bauen für Jugendliche. Sie sind Studenten, Azubis und Schüler. Einige haben ihre Haare bunt gefärbt, sie tragen schwarze Kleidung sie sind Punks. Eigentlich sollte ihr Jugendclub schon lange fertig sein. Vor einem Jahr aber wurde er angezündet. Der Brandstifter ein heute 20jähriger Neonazi hatte zuvor mit anderen Gleichgesinnten Jagd auf Linke gemacht, dabei rechte Parolen gebrüllt und eines der Opfer im Gesicht verletzt. Er wurde im September zu zweieinhalb Jahren Jugendhaft verurteilt. Der Anschlag war der bisherige Höhepunkt der Angriffe auf die alternative Szene. Laut Polizei gibt es in der Kleinstadt Limbach-Oberfrohna einen harten Kern von 30 einschlägig bekannten Rechtsextremisten. Viele Jugendliche schließen sich ihnen an. Zu Dutzenden treffen sie sich nachts im Stadtpark oder an einer Tankstelle. Orte, die von den Punks bewusst gemieden werden. Deshalb auch das eigene Vereins-Domizil, sagt Moritz Thielicke. (Moritz Thielicke) Damals als wir uns gegründet haben, wollten wir einfach Toleranz schaffen, einfach einen Rückzugsraum für eigentlich alle Jugendlichen, die eben nicht rassistisch sind, schaffen, Einfach weil es eine sehr ausgeprägte rechte Szene hier auch gibt. Ursprünglich war das Ansinnen, dass man sich mal treffen will im eigenen Kreis und nicht überall vertrieben wird oder angegriffen zu werden. Durch die massiven Angriffe hat sich das dann auch so

Ein bisschen mit gewandelt in die Aufklärungsarbeit, dass man eben versucht hat, die Bevölkerung auch zu sensibilisieren auf diesem gesamten Gebiet, dass man eben nicht alleine ausgesetzt ist diesem Problem der rechten Gewalt. Auch Daniel Drescher erlebt dies seit Jahren. Pöbeleien, körperliche Angriffe, ein Aufkleber auf dem Auto mit der Aufforderung zum Selbstmord. (Daniel Drescher) Naja, man muss sich halt bereithalten, dass es zu körperlichen Auseinandersetzungen kommen kann und damit muss man dann rechnen. Auf dem Weg zu diesem Interview wird der 19jährige am helllichten Tag von einem Mann Mitte 20 als Zecke beschimpft und angegriffen. Nur mir Pfefferspray kann Drescher die Attacke abwehren. Derartige Gegenwehr hat ihm und seinen Mitstreitern von Vertretern der Stadt den Vorwurf des Linksextremismus eingebracht. Unsinn, sagt er. (Daniel Drescher) Der Verein selbst sieht sich als unpolitischer Verein, der sich gegen menschenverachtende Ideologien einsetzt und sich für mehr Demokratie und Toleranz einsetzt. Ich kann daran nichts Linksextremistisches erkennen. Auch die Familien der jungen Leute bleiben von diesen Angriffen nicht verschont. Daniel Dreschers Mutter lebt schon seit Jahren mit der Angst. (Frau Drescher) Sind halt ständig, von 2008 an ständig irgendwelche Übergriffe auf mein Kind passiert und auf den seine Freunde passiert. Ich hatte vorher nie Berührung mit der Polizei. Ich wusste kaum, wo das Polizeirevier ist. Ja, man schläft schlecht nachts, wenn das Kind nicht zu Hause ist. Jetzt ist er ganz ausgezogen, altersbedingt, man schläft deswegen nicht ruhiger. Es ist halt schlimm. Lange waren die Dreschers mit dieser Angst allein. Bis sie merkten, dass auch andere davon betroffen sind. So die Familie eines 17Jährigen, der sich ebenfalls seit drei Jahren im politischen Bildungsverein Schwarzer Peter engagiert. Die Mutter, die ihren Namen nicht sagen möchte, erinnert sich noch genau an den 21. Mai 2010. Es war ein gemütlicher Grillabend mit Bekannten. Sie waren gerade alle ins Haus gegangen, wo auch ihr Sohn mit drei Freunden in seinem Zimmer war. Und auf einmal ist unten bei unserem Sohn richtig krach. Und ich hab gedacht: Oh, was ist jetzt wieder los? Und da kommt der die Treppe hochgerannt, ist ganz bleich, und schreit: Die schlagen mir die Scheiben ein. Und mein Mann, wie von der Tarantel gestochen, raus auf Socken, hat dann noch so ne Horde Vermummter mit Stöcken gesehen. Ja und da haben sie zwei Fenster eingeschlagen. Und das Perfide, dass zwei vor m Fenster gestanden haben. Erst geklopft haben. Haben gesagt: Hier, kommt raus! Und im Hof standen zehn bis zwölf schwarz gekleidete Vermummte mit Schlägern.

Die Eltern erstatten Anzeige. Polizei und Staatsschutz ermitteln, ohne Ergebnis. Doch etwas anderes enttäuscht die Familie besonders: Die Stadt hat sich nicht gerührt. Ich hätte schon erwartet, dass es war ja so mit das erste Privathaus, das angegriffen worden ist dass da ne Reaktion kommt. Aber es ist nichts gekommen. Die Stadtoberen versuchen, das Problem herunterzuspielen. Auf der Internetseite der Stadt und im Stadtspiegel ist die Rede von Rechts- und Linksextremisten. Was Bewohner nachts nicht schlafen lässt, wird lediglich zum Randproblem erklärt. Und dann kam eben das Organisieren der Eltern, dass wir überlegt haben: Was tun wir? Dann eben der Versuch, sich Gehör zu verschaffen bei der Stadtverwaltung, eben auch klarzumachen, dass es eben keine Spinnerei ist von den Jugendlichen. Und das ist ja wirklich alles fehlgeschlagen. Auch als die verzweifelten Eltern an die Öffentlichkeit gehen, wird ihnen kein Verständnis entgegengebracht. Stattdessen hören sie wieder Vorwürfe: Ihre Kinder seien doch selbst schuld, wenn sie so provozieren. Was ich damals, ja fast noch dramatischer finde, als heute, dass die ja in dem Alter waren, wo so viel passiert und die so ein ganz falsches Weltbild mitbekommen, die eben mitbekommen: Wir können verfolgt werden, wir können bespuckt werden, wir können mit Bierflaschen beworfen werden. Das spielt hier überhaupt keine Rolle. Ich kann auch zur Polizei gehen. Das ist aber auch völlig uninteressant. Was kriegen die für ein Weltbild mit und wie soll man da als Eltern noch entgegen wirken? Wie sollen wir sagen: Das ist eigentlich nicht so. Um ihren Kinder zu zeigen, dass es nicht so sein kann, haben sich die Eltern der jungen Leute von Schwarzer Peter schließlich in einem Bürgerbündnis zusammengeschlossen. Sie sind Arzt, Architekt, Lehrer, Anwältin, Vertreter der Kirche und wollen eine demokratische Debatte anstoßen. Dass es durchaus kein Randproblem ist, wurde bei Ihrer Arbeit immer deutlicher. Bei einer von den alternativen Jugendlichen organisierten Aktion gegen Rechts hatten sie einen Kummerkasten eingerichtet, der die Aufmerksamkeit eines jungen Mannes auf sich gezogen hat. Frau Drescher erinnert sich: (Frau Drescher) Erst hat er gezögert und sah auch sehr ernst aus und hat überlegt und sich nicht so richtig getraut. Hat dann wirklich erst reingeschrieben, als ich gesagt habe, es erfährt niemand, wer das geschrieben hat. Ich kenne sie nicht. Das ist anonym. Und hab ihm dann meinen Stuhl angeboten, meinen Platz, auf dem ich gesessen habe, und dann hat er sich hingesetzt und diesen Brief verfasst eben.

(Brief) Ich habe am eigenen Leib erlebt, wie Rechtsextremismus in Limbach aussehen kann. Die Rede ist von Beschimpfungen, Prügel, Drohungen und Stadtverbot, von einem nur durch einen glücklichen Umstand gescheiterten Mordanschlag auf ein Familienmitglied, der aus Angst niemals der Polizei gemeldet wurde. Aus den Zeilen spricht die Verzweiflung, die den Verfasser schließlich aus der Stadt getrieben hat. mit freundlichen Grüßen. Ein Limbacher. Für sein Engagement hat das Bunte Bürgerforum vor zwei Wochen in Dresden den sächsischen Förderpreis für Demokratie erhalten. Indes ihr Versuch, die Lokalpolitiker auf ihre Situation aufmerksam zu machen, scheiterte bisher. Jens Paßlack vom staatlich geförderten Kulturbüro Sachsen, das Initiativen gegen Rechts beratend unterstützt, verfolgt die Situation seit Jahren. Was in Limbach-Oberfrohna passiert, ist seiner Ansicht nach in diesem Ausmaß einmalig. (Jens Paßlack) Die größte Schwierigkeit in der Stadt ist, dass kommunalpolitisch Verantwortliche die Angriffe negieren, sie nicht ernst nehmen und diejenigen, die von Angriffen betroffen sind, auch nicht ernst nehmen. Bis dazu, dass diejenigen, die angegriffen werden, verantwortlich gemacht werden, Schuld zugewiesen bekommen und ihnen unterstellt wird, dass sie eine Eskalation vorantreiben. Wir haben hier tatsächlich das Problem, dass eine große Abwehr von vielen auch geteilt wird, die in dieser Stadt leben. Viele Bürgerinnen und Bürger verstehen nicht, was die Angegriffenen umtreibt, was ihr Problem ist und sie sehen sich da einig mit der Stadtverwaltungsspitze, dass alle Kritik das Image der Stadt beschädigt. Eine solche Haltung bremse seit Jahren das Engagement von Bürgern aus, die das Problem rechter Gesinnung in der Stadt ansprechen wollen. Oberbürgermeister Hans-Christian Rieckauer von der CDU teilt Paßlacks Einschätzung nicht. (Hans-Christian Rieckauer) Ich denke, dass Limbach-Oberfrohna zu Unrecht in den Schlagzeilen ist. Unser Menschenbild ist mit dem Menschenbild der Rechten in keiner Weise vereinbar und da braucht es eine klare Abgrenzung. Man muss aber auch sagen, dass das Gros der Bevölkerung nichts mit den Rechten zu tun haben will und dass es das ablehnt. Hier beschmutzen Einzelne das Nest und von denen muss man sich distanzieren und ganz deutlich machen: Das Gemeinwesen ist ein demokratisches Gemeinwesen und wehrt sich gegen solche Leute, die hier ein extremistisches Potential aufbauen wollen.

Dieses Potential ist jedoch seit Jahren fest etabliert. Im vergangenen Jahr war Limbach mit 48 rechten Straftaten trauriger Spitzenreiter unter den Städten vergleichbarer Größenordnung in Sachsen. Wir begleiten einen Streetworker der Stadt bei seiner nächtlichen Tour. Seine Aufgabe ist es, mit den rechten Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. Er will weder an seinem Namen noch seiner Stimme erkannt werden. Die Fahrt führt uns durch menschenleere Straßen. An den üblichen Treffpunkten stehen Jugendliche, die auch äußerlich ihre rechte Gesinnung zur Schau tragen. Wir treffen einen Aussteiger aus der rechten Szene, der beschreibt, wie leicht es ist, in das Milieu reinzurutschen. Seinen Namen will er uns nicht nennen, weil auch er von seinen einstigen Gesinnungsfreunden bedroht wird. Jeden Tag versuchen die im Stadtpark oder, die stehen einfach nur da. Die machen einen auf dickes Kreuz, haben ihre Thor-Steiner-Klamotten an oder ihren, was weiß ich, Anti-Antifa und ihren ganzen Müll. Und damit sind die für die Jugendlichen Interessant. Das zieht die an. Deswegen hängen die auch immer mehr mit denen ab. Dann werden die Klamotten gekauft und dann hängen die jeden Tag da mit den Leuten ab und dann gehören die irgendwann mit dazu. Dazugehören bedeutet hier auch schnell, zuschlagen. Man verabrede sich nachts, um dann wie er sagt Stress zu suchen. Das geschehe meist spontan, manchmal auch organisiert, wenn die Ansage aus den Nachbarorten komme. Also ich sag mal so, die höheren Tiere davon, das sind alles keine Limbacher. Nur die ganzen kleinen Mitläufer. Also die Burgstädter und die Hartmannsdorfer sind eigentlich die, die ganzen Fäden in der Hand haben. Also die entscheiden zum Beispiel, wann irgendwas geschieht. Der junge Mann hält die Situation für sehr gefährlich. Die sind dann halt sehr aggressiv, was so was angeht. Zum Beispiel wurde ein rechter Jugendlicher mit einer scharfen Pistole festgenommen. Also das kann eigentlich auch nicht sein, dass so was. Erstens die Frage, wie kommt der an die Pistole ran? Und zweitens, was soll die ganze Aktion? Warum läuft der mit ner scharfen Pistole draußen rum? Auch der Brandstifter, der den Jugendclub in der Dorotheenstraße angezündet hat, besaß eine Pistole. Weil er sie am Tatort vergessen hatte, waren ihm die Ermittler unter anderem auf die Spur gekommen. Dass die Auseinandersetzungen ein solches Ausmaß annehmen, war für den Aussteiger ein Grund, dem rechten Milieu den Rücken zu kehren. Er kann gut verstehen, dass die Alternativen darüber nachdenken, wie sie sich zur Wehr setzen können. Auch wenn er keinerlei Sympathie für sie hat.

Ich kann s verdammt sehr sehr nachvollziehen. Erstens, die Rechten haben den Jugendclub niedergebrannt und es wurde halt öfters gegen Linke vorgegangen, gewaltsam. Man hat Parolen in ganz Limbach gesprüht, die man jetzt immer noch sieht: Nationaler Widerstand oder NS Jetzt oder Frei, sozial und national. Halt die normalen Sprüche oder Hakenkreuze oder SS-Zeichen. Die haben die Schnauze voll jetze. Nachdem auch zum Stadtparkfest eben der Großansturm von Rechten war auf ihren neuen Jugendclub, von 40 maskierten Nationalsozialisten, die halt den neuen Jugendclub stürmen wollten. Ich denke mal, also in Einem baut sich eine extreme Wut dagegen auf. Um die Situation in den Griff zu bekommen, wurde die Polizeipräsenz erhöht. Auch während wir reden, fährt eine Zivilpatrouille an uns vorbei. Dass das Revier im Zuge der in Sachsen geplanten Polizeireform demnächst geschlossen werden soll, beunruhigt viele Bürger. Innenminister Markus Ulbig aber sieht keinen Grund zur Besorgnis. (Markus Ulbig) Also erstmal gilt ganz klar: Dort, wo Gewaltstraftaten verübt werden, wo so eine Situation vorzufinden ist, ist natürlich die Polizei gefordert und da muss es auch klare repressive Maßnahmen und entsprechende Interventionen geben. Deshalb ist die Entscheidung getroffen, die Polizeipräsenz zu erhöhen. Und die dafür notwendigen Kräfte werden solange vor Ort sein, bis sich die Lage wieder entschärft hat. Vor diesem Hintergrund brauchen sich die Menschen in Limbach- Oberfrohna und auch in der Region um Sicherheit auch in Zukunft keine Sorgen zu machen. Als ehemaliger Oberbürgermeister der Stadt Pirna weiß er, wie schwer der Kampf gegen rechtsextremistische Kräfte ist. (Markus Ulbig) Wichtig ist, dass es ein bürgerschaftliches Engagement gibt, dass die Menschen in einer Stadt ganz klar nicht nur in der Wohnstube und am Stammtisch sagen, Mit diesen Typen wollen wir nix zu tun haben, sondern dass es so etwas wie einen Konsens, eine uneingeschränkte Zustimmung in der gesamten Bevölkerung gibt, dass man sagt: Wir wollen das nicht und wir sagen das auch klar nach außen. Und nach Ulbigs Erfahrungen kann man nur Erfolg haben, wenn es gelingt: (Markus Ulbig)...eine gemeinsame Basis zu finden zwischen den Demokraten. Nicht zu sagen, wir sind die Besseren oder Euch wollen wir nicht dabei haben. Sondern man muss die Spielregeln definieren. Und ich denke, das ist die Aufgabe, die in Limbach-Oberfrohna unbedingt angepackt werden muss und damit diesen Grundkonsens in der Bevölkerung insgesamt erzeugen und nicht noch mal unterschiedliche Strömungen bewusst befördern und damit natürlich eine Uneinigkeit sogar sichtbar nach außen zu dokumentieren. Dann wird das Engagement nicht oder zumindest nicht in vollem Umfange ernst genommen.

Limbach-Oberfrohna ist nicht die einzige Stadt in Sachsen, in der rechte Gesinnung so massiv und sichtbar auftritt. Andreas Zick - Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Uni Bielefeld - untersucht, warum so viele Leute menschenverachtende Haltungen einnehmen. (Andreas Zick) Tatsächlich beobachten wir zur Zeit, dass in Sachsen menschenfeindliche Einstellungen doch im Vergleich zu anderen Bundesländern höher ausgeprägt sind. Das liegt zum Einen daran, dass sich Menschenfeindlichkeit, Rechtsextremismus lokal verdichtet und verhärtet. Wir haben immer noch Landgewinne von Rechtsextremisten, die sich lokal festsetzen und unsere Daten zeigen, dass die tatsächlich das Klima verändern können. Also da wo Extremismus ist, von rechts, verändert sich auch das Niveau an Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft. Man gewöhnt sich daran. Es schleicht weiter ein. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise seien es vor allem Abstiegsängste von Menschen aus der so genannten Mitte, die das befördern und beschleunigen. (Andreas Zick) Wir haben ja so ein Phänomen auch, dass die Mitte an sich schrumpft und da die Ängste sich so sehr verdichten. Also das ist der alte Frustrations-Sündenbock- Effekt, der aber immer nur dann zustande kommt, wenn auch in einer Umgebung mit viele zustimmen. Das darf man nicht vergessen. Und da haben wir ein Reservoir an negativen Meinungen, an dem in Sachsen noch zu wenig gerüttelt wurde. Wenn wir Extremismus irgendwo haben und es gibt ne Mehrheit, die schweigt und toleriert, dann steckt dieses Schweigen an. Dann denkt man nämlich: Oh Mensch, wenn die Mehrheit schweigt, dann sollte ich auch besser schweigen. Auch in Limbach-Oberfrohna schweigt die Mehrheit bisher. Aber es tut sich etwas. Im Rathaus liegt seit kurzem ein Buch für Toleranz, in das sich die Bürger eintragen und so ihre Ablehnung gegen Extremismus bekunden können. Die Schulen beschäftigen sich in dieser Woche auf Toleranztagen mit dem Problem. Außerdem soll sich ein externer Vermittler der Sache annehmen und die verhärteten Fronten aufbrechen. Miteinander zu reden, wäre ja schon ein Anfang. Ehe noch mehr Menschen die Stadt als nicht mehr lebenswert empfinden. So wie etwa der Aussteiger. Irgendwann ist keiner mehr auf der Straße, niemand mehr. Da ist Limbach auf Deutsch gesagt, tot. Da geht man nur noch hier arbeiten und geht ins Bett. Das ist für mich dann keine Stadt dann mehr, das ist für mich dann keine Heimat mehr. Da kann ich dann och hier wegziehen. Meine Omi zum Beispiel, die hat gesagt, wenn das so weitergeht mit der ganzen Auseinandersetzung, mit der ganzen Gewalt, werd ich sagen, ich werd aus Limbach ausziehen und meine Eltern haben das auch gesagt, wenn das weiter so geht. Weil, das ist keine Stadt mehr hier, das ist einfach nur ein Schlachtfeld. Käme es auch für Daniel Drescher vom Verein Schwarzer Peter in Frage, wegzugehen?

(Daniel Drescher) Da denkt man natürlich sehr oft drüber nach, aber da kommt dann immer wieder der Gedanke: Warum ist denn Limbach so, weil immer alle weggezogen sind. Also irgendjemand muss da mal anfangen, dazubleiben. E N D E