VERBAND DER CHEMISCHEN INDUSTRIE e.v.

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Transkript:

VERBAND DER CHEMISCHEN INDUSTRIE e.v. Ausführungen von Herrn Kurt Bock, Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), am 8. Dezember 2016 auf der Jahrespressekonferenz in Frankfurt (Es gilt das gesprochene Wort) Sehr geehrte Damen und Herren, ich will nicht lange drumherum reden: 2016 war ein durchwachsenes Jahr für unsere Branche. Die deutsche Chemie- und Pharmaindustrie hat ihre Investitionen auf hohem Niveau und die Auslastung ihrer Produktionsanlagen stabil gehalten. Aber wir sind weniger gewachsen als noch vor einem Jahr erwartet. Unsere Umsätze sind, im Wesentlichen infolge gesunkener Rohstoff- und damit auch Verkaufspreise, sogar zurückgegangen. Diese Bilanz mag in Anbetracht der politischen Turbulenzen in Europa und der Verunsicherung vieler Marktteilnehmer nicht überraschen für uns ist sie gleichwohl unbefriedigend. Im Einzelnen: I. Konjunktur Die Produktion steigt in diesem Jahr vermutlich nur um 0,5 Prozent; ohne den Pharmaanteil stagniert die Produktionsmenge sogar. Bei Fortsetzung der positiven Entwicklung der letzten Monate und glaubt man den Frühindikatoren für das vierte Quartal liegen wir vielleicht etwas darüber. Damit wächst die Chemie etwas weniger als die anderen Industriebranchen (+1,0 Prozent) und bleibt hinter der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (+1,7 Prozent) zurück. Grafik 1: Verlauf Produktion Es fehlten durchgreifende Impulse von der Weltwirtschaft. Vor allem die Entwicklung in den Schwellenländern verlief enttäuschend: Russland und Brasilien befanden sich in einer Rezession, in China schwächte sich das Wachstum deutlich ab. Diese Kombination bremste weltweit die Mainzer Landstraße 55 60329 Frankfurt E-Mail: presse@vci.de Internet: www.vci.de/presse Telefon +49 69 2556-1496 Telefax +49 69 2556-1613

Industrieproduktion. Entsprechend langsam wuchs die globale Nachfrage nach Chemikalien. Das bekamen auch unsere Unternehmen zu spüren. Die Nachfrage nach Chemikalien und Pharmazeutika blieb im In- und Ausland schwach. Gleichzeitig war der Wettbewerbsdruck hoch, und die Preise standen unter Druck. Bei nahezu konstanten Mengen belief sich die Kapazitätsauslastung auf durchschnittlich 83,7 Prozent. Ein Wert, der eher am unteren Rand der vergangenen drei Jahre lag. Spartenentwicklung Nicht in allen Teilen der Branche war die Entwicklung einheitlich. Werfen wir deshalb im Folgenden einen Blick auf die unterschiedlichen Chemiesparten: Ein leichtes Wachstum verzeichneten die Basischemikalien. Die Importe nahmen in dieser Sparte ab, vor allem weil ein schwacher Euro und der niedrige Ölpreis die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Hersteller gestärkt haben. Dadurch konnte die Produktionsmenge im Inland wieder ausgeweitet werden. Die Herstellung von Petrochemikalien legte um 0,5 Prozent zu. Bei Polymeren betrug das Plus 1,5 Prozent. Anorganische Grundstoffe schnitten dagegen schlechter ab: Die Produktion von Industriegasen, Düngemitteln und anderen anorganischen Grundstoffen sank um 1,5 Prozent. Grafik 2: Veränderung Produktion Sparten Die schwache Weltkonjunktur belastete das Geschäft mit Fein- und Spezialchemikalien. Im Vergleich zu 2015 ergibt sich für diese Sparte ein Produktionsminus von 0,5 Prozent. Auch die Produktion konsumnaher Chemikalien lag unter dem Niveau des Vorjahres. Zwar stieg die Konsumnachfrage in Deutschland insgesamt an. Aber durch den steigenden Importdruck konnten die inländischen Hersteller von Seifen, Wasch- und Reinigungsmitteln oder Kosmetika davon nicht profitieren. Sie mussten ihre Produktion um 2,5 Prozent drosseln. Die Pharma-Nachfrage erwies sich als robust. Die Hersteller erzielten ein Produktionsplus von 2,0 Prozent. Erzeugerpreise Zwar stiegen die Ölpreise im Verlauf des Jahres wieder leicht an. Wegen der anhaltend schwachen Weltkonjunktur und hohen Fördermengen lagen die Preise für Rohöl trotz der jüngsten Preisanstiege im Jahresdurchschnitt mit 44 US-Dollar Grafik 3: Entwicklung Rohölpreis 2

pro Barrel immer noch 16 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres. Naphtha, der wichtigste Rohstoff der deutschen Chemie, verbilligte sich in ähnlicher Größenordnung (rund 17 Prozent). Um ihre Kapazitäten weiterhin auslasten zu können, gaben die Unternehmen die gesunkenen Rohstoffpreise an die Kunden weiter. Dadurch sanken die Chemikalienpreise 2016 um 2,0 Prozent. Umsatz Wegen rückläufiger Preise schrumpfte der Umsatz der Branche trotz gestiegener Produktionsmenge. Mit 183 Milliarden Euro lagen die Verkaufserlöse der deutschen Chemie- und Pharmaindustrie 3 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor. Im Inland haben die industriellen Kunden deutlich weniger Chemikalien geordert. Der Inlandsumsatz sank um 4,0 Prozent auf 71,5 Milliarden Euro. Grafik 4: Veränderung Kernindikatoren Kaum besser verlief das Auslandsgeschäft. Der Auslandsumsatz sank um 2,5 Prozent auf 111,5 Milliarden Euro. Beschäftigung Trotz des schwierigen konjunkturellen Umfelds blieb die Beschäftigung in der Chemie- und Pharmaindustrie 2016 stabil. Die Zahl der Arbeitsplätze ist mit 446.300 Beschäftigten unverändert. Investitionen Bei den Investitionen in Sachanlagen deutete sich bereits 2015 eine Trendwende an: Nach vier Jahren steigender Budgets stagnierten die Ausgaben. 2016 investierten die Chemieunternehmen mit 7,1 Milliarden Euro nun 0,3 Prozent weniger als im Jahr davor. Auch die Investitionen im Ausland waren in diesem Jahr rückläufig. Die Unternehmen investierten knapp 8,4 Milliarden Euro an ausländischen Standorten fast 3 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Dennoch liegen die Auslandsinvestitionen weiterhin deutlich über dem Niveau in Deutschland. Grafik 5: Verlauf Investitionen in Sachanlagen Die Forschungsbudgets der Branche wurden erneut aufgestockt. Insgesamt gaben die chemisch-pharmazeutischen Unternehmen 2016 rund 10,7 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus. Das sind 2 Prozent mehr als im Vorjahr. 3

Ausblick Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Bilanz der deutschen Chemieindustrie für das Geschäftsjahr 2016 fällt durchwachsen aus. Zum Jahresende hin ist der Branchenumsatz zwar wieder gestiegen. Aber eine Trendwende können wir darin noch nicht erkennen. Die Unternehmen geben sich jedenfalls zurückhaltend, was die weitere Geschäftsentwicklung betrifft. Die Verunsicherung wegen der anhaltenden Wachstumsschwäche der Schwellenländer trägt dazu ebenso bei wie die Sorge um die Stabilität Europas. Das Chemiegeschäft wird vermutlich auch 2017 ohne nennenswerte Dynamik bleiben. Die Unsicherheit und die konjunkturellen Risiken haben in den letzten Monaten sogar zugenommen. Das trifft vor allem auf die Europäische Union zu, unseren Heimatmarkt. So hat der Ausgang des BREXIT-Referendums bewirkt, dass sich das Investitions- und Konsumklima in Großbritannien verschlechtert hat. Zudem lastet auf der EU eine lange Liste weiterer Probleme: die Flüchtlingskrise, der instabile Bankensektor, eine schwierige Regierungsbildung in Spanien, die schwelende Zahlungsunfähigkeit Griechenlands, das Verfassungsreferendum und die Regierungskrise in Italien oder die kontroverse Diskussion über Handels- und Investitionsabkommen wie CETA und TTIP. Derzeit spricht kaum etwas für eine wirtschaftliche Belebung in Europa. Auch außerhalb des Kontinents ist die wirtschaftliche Großwetterlage schwierig: Welchen Weg die USA unter Präsident Trump handelspolitisch einschlagen werden, ist noch nicht klar. Das von ihm angekündigte Programm zur Infrastruktur und die versprochene Steuersenkung könnten die Wirtschaft kurzfristig beleben. In den Schwellenländern hält die Wachstumsschwäche an. Zwar scheint mittlerweile in Brasilien und Russland die Talsohle erreicht. In China rechnen wir mit einer weiteren Abschwächung des Wachstums mit spürbaren Auswirkungen auf die asiatischen Nachbarländer. Zudem hängt die bevorstehende Zinswende in den USA wie ein Damoklesschwert über vielen Schwellenländern. Dies sind keine förderlichen Rahmenbedingungen für ein solides Wachstum der chemisch-pharmazeutischen Industrie. In Zahlen bedeutet das für die Indikatoren von Deutschlands drittgrößter Branche im nächsten Jahr: 4

Prognose 2017 Für 2017 rechnen wir mit einem Produktionsplus von 0,5 Prozent. Bei leicht steigenden Preisen (+0,5 Prozent) sollte der Umsatz um rund 1 Prozent auf rund 185 Milliarden Euro wachsen. Während das Inlandsgeschäft stagniert, dürfte der Auslandsumsatz um 1,5 Prozent zulegen. Meine Damen und Herren, kurz- und mittelfristige konjunkturelle Schwankungen sind in einem marktwirtschaftlichen System ein Stück weit normal. Die Welt der chemischpharmazeutischen Industrie befindet sich aber darüber hinaus auch langfristig in einem grundsätzlichen Umbruch. Das unterstreicht die gemeinsame Analyse von Prognos und VCI für die Branche bis zum Jahr 2030. Die Wachstumszentren verschieben sich, der Wettbewerb wird intensiver. Nicht nur die asiatischen Schwellenländer investieren verstärkt in Forschung und Entwicklung. Auch Industrienationen wie USA oder Japan forcieren ihre Innovationsprozesse, um Marktanteile zu gewinnen. Die Herausforderung für die deutsche Chemie ist daher größer denn je, ihre Top- Position im internationalen Wettbewerb zu behaupten. Hinzu kommt: Globalisierung und Digitalisierung der Wertschöpfungsketten verändern Produktion und Geschäftsmodelle in der chemischen Industrie. Darauf müssen wir uns einstellen. Aber auch die Vision eines weltweit klimaneutralen Wirtschaftens, das politische Ziel einer Kreislaufwirtschaft in der EU oder die Energiewende in Deutschland stellen uns vor die Aufgabe, unsere Innovationsfähigkeit für diese Herausforderungen zu nutzen. Viele unserer Mitgliedsfirmen stellen sich aktiv diesen Herausforderungen. Der VCI untersucht derzeit, welche Folgen dies für unsere Branche haben kann. Die Ergebnisse der Studie werden wir Ihnen in der zweiten Jahreshälfte 2017 vorstellen. Ich bin überzeugt, dass wir erneut vor einer Weichenstellung stehen. Chemie 4.0 drückt dies aus und ist mehr als nur die weitere Digitalisierung der chemischen Industrie. Um das Neue qualitativ einordnen zu können, ist ein Blick zurück auf die Entwicklungsstufen der Branche hilfreich. Grafik 6: Prognose Chemieproduktion II. Chemie 4.0: Innovationen für eine Welt im Umbruch 5

Die chemische Industrie in Deutschland hat in ihrer über 150-jährigen Geschichte immer wieder bewiesen, dass sie sich erfolgreich erneuern kann technologisch wie strukturell. Mehrere Zeitabschnitte lassen sich erkennen. Dazu finden Sie auch eine Übersicht in Ihren Unterlagen: Entwicklungsstufen der chemischen Industrie in Deutschland Chemie 1.0 (1865 und folgende Jahre) Die Gründer- und Pionierzeit der Branche ist stark von einzelnen Erfindern geprägt. Sie setzen die chemischen Erkenntnisse in großtechnische Verfahren um. So entstehen und wachsen die ersten Chemieunternehmen. Die Industrialisierung stimuliert die Nachfrage nach Chemieprodukten wie Kunstdünger, Seifen und Pharmazeutika. Naturstoffe als Färbemittel werden durch synthetische Farbstoffe Beispiel Indigo ersetzt. Als Rohstoffbasis dienen aufgearbeitete Rückstände aus der Kohle-Chemie (Teer) oder pflanzliche und tierische Fette sowie Öle. Produktion findet überwiegend im diskontinuierlichen Batch-Prozess statt. Chemie 2.0 (1950 und folgende Jahre) Nicht ganz hundert Jahre später erfolgt sukzessive der Umstieg auf das Öl- Destillat Naphtha als Rohstoffbasis. Rohbenzin eröffnet der Kohlenstoff-Chemie nahezu unbegrenzte Möglichkeiten für neue Moleküle. Aus wenigen Primärchemikalien (Building Blocks) entsteht in Verbundproduktion über mehrstufige Synthesen eine enorme Vielfalt von Industriechemikalien. Polymere Werkstoffe aus der Petrochemie und synthetische Fasern werden zu Alltagsprodukten. Die stark wachsende Nachfrage fördert den Aufbau von Großanlagen, über deren Skaleneffekte sich die Produktionskosten reduzieren lassen. In den großen Unternehmen, die das Chemiegeschäft dominieren, werden zentrale Forschungsabteilungen ausgebaut. Nachsorgender Umweltschutz in Form von Abluftfiltern und Abwasserreinigung etabliert sich in Reaktion auf zunehmende Umweltprobleme. Chemie 3.0 (1980 und folgende Jahre) Ab den 80er Jahren verbreitert der zunehmende Einsatz von Erdgas und nachwachsenden Rohstoffen die bisherige Rohstoffbasis. Gleichzeitig erweitert die Biotechnologie die Produktionsverfahren der Branche und ermöglicht eine neue Generation von Medikamenten. Die enge Kooperation zwischen universitärer Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung stärkt die Innovationskraft der Unternehmen. Globalisierung der Exporte und eine Internationalisierung der Produktionsstätten beflügeln das Wachstum der 6

Branche. Outsourcing von Dienstleistungen und Konzentration auf das Kerngeschäft sind Teil der Veränderung in den großen Unternehmen. Fusionen und Übernahmen nehmen zu. Im Mittelstand findet eine Ausrichtung auf Nischen und Spezialchemikalien statt. Der Strukturwandel in der Branche führt auch zur Bildung von Chemieparks. Gleichzeitig machen die Unternehmen beim Umweltschutz einen großen Schritt nach vorne: Indem Umweltaspekte bereits in die Produktions- und Anlagenplanung integriert werden, kann die Branche die Emissionen weiter verringern. Durch eine erweiterte Betrachtung der Stoffeigenschaften wächst parallel die Produktsicherheit. Nach diesem Rückblick aber nun zur Gegenwart und zum Blick nach vorne. Was charakterisiert die nächste Stufe Chemie 4.0 (ab 2010)? Es sind vor allem die Auswirkungen der Digitalisierung und der Nachhaltigkeit. Sie verändern das Zusammenspiel der Unternehmen im Industrieland Deutschland über Branchen hinweg. Noch stehen wir hier am Anfang. Die horizontale Vernetzung von Wertschöpfungsketten rückt immer mehr in den Vordergrund unter Betrachtung aller drei Dimensionen der Nachhaltigkeit. Die intensive Nutzung von Daten und die Kommunikation zwischen Anlagen über Unternehmensgrenzen hinweg bieten neue Chancen für Effizienzsteigerungen und innovative Geschäftsmodelle in unseren Kundenbranchen. Die Chemie ist Teil dieser Entwicklung: Vorausschauende Steuerung der Anlagen durch Predictive Maintenance, punktgenauer Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln in der Landwirtschaft durch Digital Farming oder bessere Steuerung der Logistik durch Funketiketten (RFID-Chips) das sind nur einige Beispiele für Anwendungsfelder, bei denen digitalisierte Informationen zur Steigerung der Kosten- und Ressourceneffizienz bereits genutzt werden. Auch Forschung und Entwicklung profitieren stark von den Auswertungsmöglichkeiten großer Datenmengen. Vor allem, wenn die Ergebnisse in international vernetzten Teams erarbeitet werden. Die Branche will mit Chemie 4.0 aber auch ihre Funktion in den Wertschöpfungsketten weiterentwickeln. Das Ziel: Nicht nur Lieferant von Vorprodukten zu sein, sondern sich als Anbieter von ganzheitlichen Lösungen und Leistungspaketen für die Kunden zu etablieren. 3D-Druck ist hier ein Beispiel für ein neues Geschäftsmodell. Unter Chemie 4.0 verstehen wir also mehr, als nur die Chancen zu nutzen, die sich durch die Digitalisierung eröffnen: Nachhaltigkeit wird zum umfassenden 7

Leitbild und Zukunftskonzept für das Handeln der Branche. Dafür steht unsere Initiative Chemie3. Dazu gehört, dass wir eine wichtige Funktion in einer Kreislaufwirtschaft durch die Wiederverwendung kohlenstoffhaltiger Abfälle übernehmen können. Dazu gehört auch die mittelfristige Perspektive, Wasserstoff aus erneuerbaren Energien in Kombination mit CO 2 für die Produktion von Grundchemikalien einzusetzen. So könnten wir die Vision eines weltweit klimaneutralen Wirtschaftens konkretisieren. Ein prominentes, aktuelles Beispiel: Die Chemie spielt mit ihren Innovationen eine zentrale Rolle für die fundamentale Veränderung der Mobilität durch elektrische Antriebstechnik. Meine Damen und Herren, Chemie 4.0 steht für die Strategie, durch Innovationen auf allen Ebenen nachhaltiges Wachstum für die Branche zu erzeugen. Die Fähigkeit der Unternehmen, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln, hat Deutschland zu einer der führenden Standorte für die Chemie- und Pharmabranche in der Welt gemacht. Mit Chemie 4.0 arbeiten wir daran, dass wir unsere globale Top-Position weiterhin behaupten und so unseren Beitrag zum Standort Deutschland auch in Zukunft leisten werden. ****************** Kontakt: VCI-Pressestelle Telefon: 069 2556-1496 E-Mail: presse@vci.de 8