Menschenbild einem pädagogischen Handeln zugrunde liegt!

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Transkript:

Die vier Säulen der Pädagogik 19 Ein Lehrbuch. Rowohlt, Reinbek Hurrelmann, K. (2006): Einführung in die Sozialisationstheorie. 2. Aufl. Beltz, Weinheim Giesecke, H. (2004): Einführung in die Pädagogik. Juventa, Weinheim / München Gudjons, H. (2012): Pädagogisches Grundwissen. Überblick Kompendium Studienbuch. UTB Taschenbuch. 11. Aufl. Klinkhardt, Bad Heilbrunn. Hörner, W., Drinck, B., Jobst, S. (2010): Bildung, Erziehung, Sozialisation. 2. Aufl. UTB Taschenbuch. Barbara Budrich, Opladen Kaiser, A., Kaiser, R. (2001): Studienbuch Pädagogik. Grund- und Prüfungswissen. Cornelsen Scriptor, Berlin Seel, N. M., Hanke, U. (2015): Erziehungswissenschaft. Lehrbuch für Bachelor-, Master- und Lehramtsstudierende. Springer, Berlin, Heidelberg Übungsaufgaben 1 Schildern Sie die Aufgaben einer wissenschaftlichen Pädagogik als Reflexionswissenschaft und als Handlungs wissenschaft! 2 Erläutern Sie, warum es wichtig ist, sich damit zu befassen, welches Menschenbild einem pädagogischen Handeln zugrunde liegt! 3 Diskutieren Sie den folgenden Dialog an einem Gymnasium anhand eines Rückgriffs auf die Menschenbilder der Pädagogik: Hintergrund: Heike ist in der 7. Klasse sitzen geblieben. Als sie nun in der 9. Klasse erneut sitzen bleibt, fälscht sie die Unterschrift des Vaters und verheimlicht dieses den Eltern. Das ist nun aufgeflogen. Eine Lehrerin sagt: Heike tut mir unheimlich leid. Der Druck, der sich bei ihr durch die erfolgreichen Eltern und den Bruder aufgebaut hat, ist kaum zu ermessen. Wir hätten hier schon viel eher intervenieren müssen und sollten das Gespräch mit allen Beteiligten suchen. Ein zweiter Lehrer sagt: Heike hat eine kriminelle Energie, unglaublich! Dass sie wirklich die Unterschrift fälscht und dann die Eltern über zwei Monate im Unklaren lässt, ist bezeichnend. Ob wir sie an der Schule halten sollten, ist meiner Meinung nach fraglich! 4 Erarbeiten Sie die für Kinder spezifischen Bedürfnisse und die darauf abgestimmten Aufgaben einer kindgerechten Schule! 5 Schildern Sie davon ausgehend, welche Dimensionen und Bedürfnisse den Menschen konstituieren und wie die Pädagogik auf diese Dimensionen und Bedürfnisse adäquat reagieren muss. Erläutern Sie Bedürfnisse und Aufgaben der Pädagogik exemplarisch für den Bereich des Jugendalters und des höheren Erwachsenenalters! 6 Schildern Sie die drei hauptsächlichen Wissenschaftstheorien, die einer wissenschaftlichen Pädagogik zugrunde liegen und erläutern Sie, wie diese zusammenwirken müssten, damit Pädagogik in einem ganzheitlichen Verständnis als Wissenschaft gefasst wird! 7 Benennen Sie die vier Säulen der Pädagogik und wie diese aufeinander aufbauen! Die Antworten finden Sie unter www.reinhardt-verlag.de.

20 2 Sozialisation Überblick In Kapitel 2 rückt die Sozialisation als Überbegriff von Erziehung, Bildung und Lernprozessen ins Zentrum der Diskussion. Familie gilt als primäre, Schule als sekundäre, sowie Arbeitswelt und Universität als tertiäre Sozialisationsinstanz. Diese drei Hauptsozialisationsinstanzen üben Einfluss auf das Individuum aus. Es wird erläutert, wie sich dieser Einfluss gestaltet. Hinzu kommen Theorien der Sozialisation, welche deren Wirkmechanismen aufzeigen, etwa der Strukturfunktionalismus, der Symbolische Interaktionismus und die ökologische Systemtheorie, die in ihren Grundzügen umrissen werden. Abschließend beschäftigen uns aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, die mit Schlagworten wie Risikogesellschaft, postmoderne Gesellschaft, Globalisierungsprozesse und soziale Polarisierungstendenzen beschrieben werden. Ihnen wird ein enormer Einfluss auf die Sozialisation eines jeden Menschen zugeschrieben im schlimmsten Fall sogar eine Gefährdung der individuellen Identitätsbildung sowie der gesellschaftlich geteilten, gemeinsamen Handlungspraxis. 2.1 Definition: Was ist Sozialisation? 2.2 Die wichtigsten Sozialisationsinstanzen: Familie, Schule und Beruf 2.3 Der Anlage-Umwelt-Diskurs in der Wissenschaft 2.4 Theorien der Sozialisation 2.5 Sozialisation vor dem Hintergrund postmoderner Gesellschaft 2.1 Begriff Sozialisation Definition: Was ist Sozialisation? Der Begriff Sozialisation leitet sich etymologisch vom lateinischen Begriff sociare, das heißt verbinden, ab. Bildlich gesprochen stiftet die Sozialisation das verbindende Band zwischen dem einzelnen Menschen und der Gesellschaft.

Definition: Was ist Sozialisation? 21 Die Sozialisation umfasst alle Prozesse der Persönlichkeitswerdung des Menschen in Auseinandersetzung mit der materialen, sozialen und institutionellen Umwelt. Ziel der Sozialisation ist die vollständig entwickelte Persönlichkeit (= Identität) des Einzelnen, wobei Sozialisation ein lebenslanger Prozess ist. Wie der Begriff der Auseinandersetzung nahe legt, geschieht die Entwicklung der Persönlichkeit nicht durch eine direkte Übernahme von z. B. gesellschaftlichen Normen, Rollen und Kulturanschauungen. Vielmehr findet eine Wechselwirkung zwischen dem Individuum und seiner Umwelt statt, ein sog. bidirektionaler Prozess. Zum einen verarbeitet jeder Mensch die Erfahrungen in seiner Umwelt auf produktive, individuelle Weise. Zum anderen werden gesellschaftliche Normen, Rollen und Kulturanschauungen nicht kritiklos übernommen. Jedes Individuum wirkt auf seine Umwelt zurück und übt dadurch Einfluss auf seine Umgebung aus. Am Ende steht folglich nicht die übernommene Identität, sondern die selbsterarbeitete Persönlichkeit (Y Kap. 6.2.3). Neben der Persönlichkeitsentwicklung des Menschen in Auseinandersetzung mit seiner Umwelt umfasst Sozialisation auch die Entwicklung einer gemeinsamen Handlungspraxis in einer Gesellschaft, also das Herausbilden von Werten, Normen, Kommunikationsstrukturen und Rollenmustern (Hurrelmann / Ulich 1999). Persönlichkeitswerdung des Menschen Merksatz Sozialisation ist ein lebenslanger, bidirektionaler Prozess, der die Persönlichkeitswerdung des Menschen in produktiver Auseinandersetzung mit seiner Umwelt und die Rückwirkungen des Menschen auf seine Umwelt beinhaltet. Das Ziel ist die vollständig entwickelte Identität des Einzelnen und die Entwicklung einer gemeinsamen Handlungspraxis. Entwicklung einer gemeinsamen Handlungspraxis Beispiel Als Beispiel für einen Prozess der Sozialisation kann die Herausbildung einer eigenständigen Wertorientierung sowie die Entwicklung einer ge sellschaftlich geteilten Werte- und Normenbasis genannt werden. Die Werteentwicklung ist niemals abgeschlossen. Werte werden von jüngeren Menschen nicht passiv von der älteren Generation übernommen, sondern Kinder und Jugendliche wirken ebenfalls auf die Einstellung ih rer Eltern und die gesamte Gesellschaft zurück (Begriff Wertewandel ).

22 Sozialisation 2.2 Soziale Gruppen Die wichtigsten Sozialisationsinstanzen: Familie, Schule und Beruf Persönlichkeit und Handlungspraxis bilden sich in Auseinandersetzung mit der materialen, geistigen und sozialen Umwelt des Einzelnen heraus. Insbesondere sozialen Gruppen und Institutionen kommt im Sozialisationsprozess herausgehobene Bedeutung zu, da diese in Interaktion und Kommunikation mit dem Einzelnen gesellschaftliche Wirklichkeit vermitteln und in die Diskussion über gesellschaftliche Normen, Erwartungen und Rollen eintreten. Beispiel Beispielsweise erlebt das Kind das abstrakte gesellschaftliche Prinzip der Gleichheit aller Menschen darüber, dass alle Geschwister in einer Familie und alle Schülerinnen und Schüler in einer Klasse von den Eltern beziehungsweise Lehrkräften möglichst gleichberechtigt behandelt werden sollten ohne Bevorzugung einzelner. Sozialisationsinstanzen Merksatz Im Sozialisationsprozess treten soziale Gruppen und Institutionen mit dem Individuum in Wechselwirkung, die als Sozialisationsinstanzen bezeichnet werden. Familie und Peergroup gelten als primäre, Schule als sekundäre sowie Arbeitswelt und Universität als tertiäre So zialisationsinstanz. Im Allgemeinen werden, gemäß dem Lebensalter des Individuums und deren Bedeutung im Lebenslauf, Instanzen der primären, sekundären und tertiären Sozialisation unterschieden. Daneben wird den Medien oft die Rolle einer heimlichen Sozialisationsinstanz zugeschrieben (Hurrelmann / Bründel 2003). Heimliche Sozialisationsinstanzen treten nicht in einen direkten persönlichen Kontakt mit der Person, wie z. B. die Sozialisationsinstanzen Familienmitglieder oder Arbeitskollegen, sondern spiegeln auf indirektem Wege gesellschaft liche Werte oder mögliche Handlungsweisen in bestimmten Situationen wider. Hierbei wirken Medien stark normierend. Über Medien werden insbesondere Strömungen des sogenannten Zeitgeistes transportiert. 2.3 Anlage-Umwelt-Debatte Der Anlage-Umwelt-Diskurs in der Wissenschaft Eine der wichtigsten Fragestellungen der Sozialisation bezieht sich auf die Frage, ob die individuelle und eigenständige Persönlichkeit jedes Menschen primär durch seine genetischen Anlagen determiniert ist, oder ob der Einzelne hinsichtlich seiner Persönlichkeit in erster Linie

Der Anlage-Umwelt-Diskurs in der Wissenschaft 23 Die Instanzen der Sozialisation Tab. 3 Instanz der Sozialisation Instanz der primären Sozialisation: Familie Prozess der Soziabilisierung Instanz der sekundären Sozialisation: Schule Prozess der Enkulturation Instanz der tertiären Sozialisation: Arbeitswelt und Universität Prozess der Individuation Aufgabe im Sozialisationsprozess Einführung in die basalen Grundfertigkeiten einer Gesellschaft (Sprache etc.) (Ur)vertrauensentwicklung etwa in Abhängigkeit der Qualität der Eltern-Kind- Beziehung Erlernen grundlegender Werte Erlernen grundlegender Kulturtechniken (Schrift, Mathematik etc.) Erlernen von Normen, Regeln, Konventionen sowohl durch die Institution Schule selbst (Klassensprecherwahl etc.) als auch durch den inoffiziellen Umgang mit einer Gruppe Gleichaltriger/ Peers. Lebenslanger Prozess der Menschwerdung, das heißt Herausbildung einer eigenständigen, individuellen Überzeugung politischer, gesellschaftlicher Art durch die Umwelt geprägt ist. Diese Fragestellung wird auch als Anlage - Umwelt-Debatte bezeichnet. Theorien, welche davon ausgehen, dass der Mensch in erster Linie Entwicklung über die Entfaltung seiner Veranlagungen oder seiner genetischen Grundausstattung erfährt, basieren auf der Anlage-Annahme. Theorien, welche davon ausgehen, dass das Verhalten in erster Linie durch die Umwelt determiniert wird, basieren auf der Umwelt-Annahme. Der Umwelteinfluss bezieht sich nicht nur auf die aktuellen Reize und Einflussgrößen, die in der gegenwärtigen Situation wirken, sondern auch auf die Einflussgrößen, die im Laufe der Erziehungs- und Lerngeschichte den Einzelnen prägen und geprägt haben. Extrempunkte in der Theoriebildung hinsichtlich der Anlage-Umwelt-Debatte stellen die Verhaltensbiologie (Anlage-Annahme) und der Behaviorismus (Umwelt-Annahme) dar. Die Verhaltensbiologie geht davon aus, dass die Entwicklung der Per sönlichkeit auch als Reifungsprozess dargestellt werden kann. Dies bedeutet, dass wie sich der Mensch entwickelt, völlig durch seine Erban lagen determiniert ist, auf welche die Umwelt wenig Einfluss hat. Die Reifung soll sich dabei in erster Linie in sogenannten kritischen oder sensiblen Phasen vollziehen. Hierunter wird ein Zeitfenster gefasst, in welchem sich bestimmte Erbanlagen optimal entfalten können. Die Verhaltensbiologie stützt sich in ihrer Argumentation häufig auf Tierbe obachtungen oder ethnologische Beobachtungen. Ähnlich Anlage-Annahme