Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7181 -

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Transkript:

Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/7352 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/7181 - Behördliches Verfahren zur Altersfeststellung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern Anfrage der Abgeordneten Björn Thümler und Jens Nacke (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 20.12.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 23.12.2016 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 29.01.2017, gezeichnet Cornelia Rundt Vorbemerkung der Abgeordneten In der WELT vom 15.12.2016 wird im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Mörder der Freiburger Studentin Maria L. berichtet, dass dieser bei seiner Einreise nach Deutschland am 12.11.2015 gegenüber der Bundespolizei den 12.11.1999 als sein Geburtsdatum angab. Ein behördliches Verfahren zur Altersfeststellung wurde bei ihm nicht durchgeführt. Bereits im Mai 2013 wurde dieser Täter in Griechenland wegen Mordversuchs zu zehn Jahren Haft verurteilt, aber schon nach eineinhalb Jahren wieder aus dem Gefängnis entlassen. Sollten die gegenüber der Bundespolizei gemachten Altersangaben stimmen, wäre der Täter bei der in Griechenland verübten Tat erst 13 Jahre alt gewesen. In dem Bericht heißt es weiter, dass die Altersfeststellung bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern grundsätzlich ein hochkomplexes Verfahren sei, in der Praxis die Jugendlichen tatsächlich aber einfach ihr Alter angeben, das dann in Ausweispapieren festgehalten werde, sofern betreuende Sozialpädagogen oder Jugendämter keine begründeten Einwände hätten. Im Zweifel sei rechtlich von der Minderjährigkeit des Ausländers auszugehen. Wie viele Migranten diese Praxis der Behörden ausnutzen, sei unklar. Eine Sozialarbeiterin aus dem Rhein-Main-Gebiet habe berichtet, dass einer ihrer Klienten bereits graue Haare habe. Sie schätze, dass etwa die Hälfte volljährig sei, einige würden sogar ganz offen einräumen, dass sie 25 Jahre alt sind. Das behördliche Verfahren zur Altersfeststellung richtet sich nach 42 f SGB VIII. Danach hat das Jugendamt im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme einer ausländischen Person deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme einzuschätzen und festzustellen. In Zweifelsfällen hat das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung zu veranlassen. Über die Untersuchungsmethode, die möglichen Folgen der Altersbestimmung und die Folgen einer Weigerung, sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, ist die betroffene Person aufzuklären. Die Untersuchung darf nur mit Einwilligung der betroffenen Person und ihres Vertreters durchgeführt werden. Unter Bezugnahme auf die Urteile des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 29.01.2016, Az. StGH 1, 2 und 3/15, Rn. 46, und vom 22.08.2012, Az. StGH 1/12, Rn. 54-56, weisen wir darauf hin, dass wir ein hohes Interesse an einer vollständigen Beantwortung unserer Fragen haben, die das Wissen und den Kenntnis-/Informationsstand der Ministerien, der ihnen nachgeordneten Landesbehörden und, soweit die Einzelfrage dazu Anlass gibt, der Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung aus Akten und nicht aktenförmigen Quellen vollständig wiedergibt. 1

Vorbemerkung der Landesregierung Die Tätigkeit auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendhilfe nehmen die Jugendämter als Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen des eigenen Wirkungskreises der Kommunen als Selbstverwaltungsaufgabe wahr. Hierzu zählen auch die Entscheidungen der Jugendämter im Zusammenhang mit der Altersfeststellung von unbegleiteten minderjährigen Ausländerinnen und Ausländern (uma). Zur Beantwortung der Fragen 3 bis 7 wurden die niedersächsischen Jugendämter um Auskunft gebeten. Von 55 Jugendämtern haben innerhalb der gesetzten Frist 45 Jugendämter geantwortet. Drei von ihnen konnten aus Kapazitäts- und Zeitgründen aber keine Angaben machen. Zum Teil wurde darauf verwiesen, dass zur Erledigung alle Einzelakten ausgewertet werden müssten, was innerhalb der kurzen Fristsetzung nicht erfolgen könne. Die nachfolgenden Antworten beziehen sich auf die Angaben der übrigen 42 Jugendämter. Die Minderjährigkeit ist Voraussetzung für die (vorläufige) Inobhutnahme einer bzw. eines uma ( 42 Abs. 1 Satz 1, 42 a Abs. 1 Satz 1, 7 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 des Sozialgesetzbuchs Achtes Buch Kinder- und Jugendhilfe [SGB VIII]). Das Verfahren zur Feststellung der Minderjährigkeit ist seit dem 01.11.2015 durch das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher vom 28.10.2015 (BGBl I, S. 1802) ausdrücklich normiert. Nach der auf Drängen des Bundesrates aufgenommenen Regelung des 42 f SBG VIII hat das Jugendamt die Minderjährigkeit der betroffenen Person durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere oder ähnlichen Dokumente (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Bundestages, BT-Drs. 18/6392, S. 20) festzustellen. Sind aussagekräftige Ausweispapiere nicht vorhanden, bleibt zunächst nur die Selbstauskunft des Betreffenden (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 22.02.2016 - OVG 1 B 303/15). Verbleiben danach Zweifel, ist eine Alterseinschätzung in Form einer qualifizierten Inaugenscheinnahme vorzunehmen. Diese würdigt den Gesamteindruck, der neben dem äußeren Erscheinungsbild insbesondere die Bewertung der im Gespräch gewonnenen Informationen zum Entwicklungsstand umfasst (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 20). Das Verfahren ist stets nach dem Vier-Augen-Prinzip von mindestens zwei beruflich erfahrenen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern des Jugendamtes durchzuführen (vgl. VGH München Beschluss vom 16.08.2016-12 CS 16.1550 und OVG Bremen, Beschluss vom 22.02.2016 - OVG 1 B 303/15). Führt die qualifizierte Inaugenscheinnahme nicht zu einem hinreichend sicheren Ergebnis, hat das Jugendamt auf Antrag der oder des uma oder von Amts wegen eine medizinische Untersuchung zu veranlassen ( 42 f Abs. 2 SGB VIII). Die ärztliche Untersuchung ist mit den schonendsten und soweit möglich zuverlässigsten Methoden von qualifizierten Fachkräften durchzuführen. Dies schließt beispielsweise Genitaluntersuchungen aus (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 21). In Betracht kommen gegebenenfalls eine Röntgenaufnahme der Hand und der Schlüsselbeine sowie eine zahnärztliche Untersuchung (Zahnstatus) (vgl. Entwurf der Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen, Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (BAGLJÄ), Stand 04.11.2016, S. 51). Die betroffene Person ist umfassend über die Untersuchungsmethode und über mögliche Folgen des Untersuchungsergebnisses aufzuklären (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 21). Die Untersuchung darf nur mit Einwilligung der betroffenen Person und ihrer Vertretung vorgenommen werden ( 42 f Abs. 2 S. 3 SGB VIII). 1. Wie viele minderjährige Ausländer wurden in Niedersachsen seit dem 01.11.2015 in Obhut genommen? Laut Mitteilung der Landesverteilstelle im Landesjugendamt haben die Jugendämter seit dem 01.11.2015 bis zum 13.01.2017 insgesamt 4 927 uma in Obhut genommen. 2. Wie viele davon sind männlich? Davon sind 4 641 (94,2 %) männlichen Geschlechts. 2

3. Bei wie vielen der in Niedersachsen seit dem 01.11.2015 in Obhut genommenen minderjährigen Ausländer beruht die Altersfeststellung auf Vorlage von Ausweispapieren? Nach Angaben der Jugendämter sind dies 926 uma. Die Stadt Hannover hat innerhalb der vorgegebenen Frist nicht alle 650 Einzelvorgänge auswerten können. Die Daten der Stadt beziehen sich auf die 180 uma der eigenen Inobhutnahmeeinrichtungen. Zu Fragen 3 und 4 haben einige Jugendämter mitgeteilt, dass auch in diesen Fällen eine qualifizierte Inaugenscheinnahme stattgefunden habe. 4. Bei wie vielen der in Niedersachsen seit dem 01.11.2015 in Obhut genommenen minderjährigen Ausländer beruht die Altersfeststellung lediglich auf den eigenen Angaben des Ausländers? In 3 213 Fällen beruht die Altersfeststellung auf Selbstauskunft der Betreffenden. Bei verbleibenden Zweifeln an der Richtigkeit der Angaben führen die Jugendämter, wie in den Vorbemerkungen ausgeführt, eigene Altersfeststellungen durch. 5. Bei wie vielen der in Niedersachsen seit dem 01.11.2015 in Obhut genommenen minderjährigen Ausländer, bei denen die Altersfeststellung lediglich auf den eigenen Angaben des Ausländers beruht, wurden die Angaben in Zweifel gezogen? In 683 Fällen wurden die Selbstauskünfte in Zweifel gezogen. In diesen Fällen ist eine qualifizierte Inaugenscheinnahme vorzunehmen. Führt dieses Verfahren nicht zu einem hinreichend sicheren Ergebnis, wird eine medizinische Untersuchung veranlasst. 6. Bei wie vielen der in Niedersachsen seit dem 01.11.2015 in Obhut genommenen minderjährigen Ausländer, bei denen die Angaben zur Altersfeststellung in Zweifel gezogen wurden, wurde eine ärztliche Untersuchung zur Altersfeststellung durchgeführt? Die Jugendämter haben mitgeteilt, dass in 157 Fällen eine ärztliche Untersuchung durchgeführt wurde. 7. Bei wie vielen der in Niedersachsen seit dem 01.11.2015 in Obhut genommenen minderjährigen Ausländer war das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung, dass keine Minderjährigkeit vorliegt? Dies war in 90 Fällen das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung. Ein Jugendamt hat ergänzend darauf hingewiesen, dass in drei Fällen das Ergebnis nicht eindeutig gewesen sei. 8. Ist es nach Auffassung der Landesregierung sinnvoll, dass die Beweislast für das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen von Minderjährigkeit beim Jugendamt und nicht bei dem angeblich minderjährigen Ausländer liegt? Falls ja, weshalb? Die Minderjährigkeit ist Voraussetzung für die Inobhutnahme eines uma. Das Jugendamt hat nach 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) den Sachverhalt im Verwaltungsverfahren von Amts wegen zu ermitteln und dabei alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen. Dieser Untersuchungsgrundsatz gilt auch für das Verfahren der Inobhutnahme (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten vom 08.03.2016 - J 6.220 Lh, JAmt 2016, 255). Das Verfahren, wie die Altersfeststellung abzulaufen hat, ist in seinen Abstufungen in der Vorbemerkung beschrieben. Auch wenn grundsätzlich den um die Obhutnahme bittenden Flüchtling die Darlegungs- und Beweislast für die Tatbestandsvoraussetzung der Minderjährigkeit trifft (vgl. Kunkel/Kepert/Pattar, Sozialgesetzbuch VIII, 6. Aufl. 2016, Rdn. 6 zu 42 f), ist das in der Vorbemerkung beschriebene Verfahren im Hinblick auf das Kindeswohl sachgerecht, da den Minderjährigen in der Regel keine be- 3

weiskräftigen Ausweispapiere oder Dokumente zur Verfügung stehen - nach einem Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rückführung geben mehr als 80 % der einreisenden Asylbewerberinnen und -bewerber an, über keine Pässe oder sonstige Dokumente zu verfügen (zitiert nach Kunkel/Kepert/Pattar, Komm. zum Sozialgesetzbuch VIII, 6. Aufl. 2016, Rdn. 2 zu 42 f). Die Angaben der Jugendämter zu Frage drei bestätigen diese These. 9. Ist es richtig, dass, wie in dem WELT-Artikel behauptet, auch in den Fällen, in denen der Ausländer sein Alter nicht durch Ausweispapiere belegen kann und sich weigert, eine ärztliche Untersuchung zur Altersfeststellung durchführen zu lassen, rechtlich von der Minderjährigkeit des Ausländers auszugehen ist? Ist eine ärztliche Untersuchung von Amts wegen durchzuführen, ist die betroffene Person über die Folgen einer Weigerung, sich der ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, aufzuklären ( 42 f Abs. 2 Satz 3 SGB VIII). Die maßgeblichen Bestimmungen zu den Mitwirkungspflichten im Verfahren ( 60, 62 und 65 bis 67 Sozialgesetzbuch Erstes Buch Allgemeiner Teil (SGB I) sind gemäß 42 f Abs. 2 Satz 4 SGB VIII entsprechend anzuwenden. Weigert sich der junge Mensch, sich der Untersuchung zu unterziehen, kann das Jugendamt eine Aufgabenerfüllung, die an die Minderjährigkeit anknüpft, entsprechend 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I verweigern oder einstellen und Leistungen versagen oder entziehen. Das Jugendamt hat hierüber eine Ermessensentscheidung zu treffen. Die Weigerung der Betroffenen allein führt aber nicht automatisch zur Annahme der Volljährigkeit und dem Verlust aller korrespondierenden Schutzrechte (vgl. BT-Drs. 18/6392, S. 21). Zudem ist im Rahmen des SGB VIII das Wohl des unbegleiteten jungen Menschen ein wichtiges Kriterium (vgl. Katzenstein, Mendez de Vigo, Meysen, Das Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher, JAmt 2015, S. 530). Im Ergebnis hat das Jugendamt eine Ermessensentscheidung unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände zu treffen. Dieses entspricht Artikel 25 Abs. 5 c der EU-Asylverfahrensrichtlinie. Danach stellen die Mitgliedstaaten bei ärztlichen Untersuchungen sicher, dass die Entscheidung, den Antrag auf internationalen Schutz unbegleiteter Minderjähriger abzulehnen, die eine ärztliche Untersuchung verweigert haben, nicht ausschließlich in dieser Weigerung begründet ist. 10. Falls Frage 9. mit Ja beantwortet wurde, welche Folgen hat dann die Weigerung des Ausländers für ihn, und weshalb sollte der Ausländer dann einer solchen Untersuchung überhaupt zustimmen? Auf die Beantwortung der Frage 9 wird verwiesen. 11. Wie hoch schätzt die Landesregierung den Anteil der in Niedersachsen in Obhut genommenen unbegleiteten und angeblich minderjährigen Ausländer, die tatsächlich volljährig sind? Kann sie die Schätzung der in dem WELT-Artikel genannten Sozialarbeiterin aus dem Rhein-Main-Gebiet bestätigen, dass etwa die Hälfte bereits volljährig sei, oder ist die Zahl geringer (bitte Einschätzung begründen)? Die Landesregierung schätzt nicht, sondern hält sich an die ihr zur Verfügung stehenden Kenntnisse und Informationen. Diese werden in den Fragen 1 bis 7 vorgetragen. 12. Schöpfen die niedersächsischen Jugendämter nach Kenntnis der Landesregierung die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten zur Altersfeststellung aus, oder muss Bundesrecht geändert werden, damit Inobhutnahmen volljähriger Ausländer künftig unterbleiben? Es gibt für die Landesregierung keine Anhaltspunkte dafür, dass die Jugendämter den Verfahrensvorschriften des 42 f SGB VIII nicht Rechnung tragen würden. 4

13. Wie wird in Niedersachsen mit unbegleiteten minderjährigen Ausländern verfahren, die über ein anderes EU-Land eingereist sind? Wird festgestellt, dass unbegleitete Minderjährige bereits in einem anderen Mitgliedstaat der EU registriert wurden und dort einen Asylantrag gestellt haben, ist der Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO), eröffnet. Entscheidungen auf Grundlage der Dublin-III-VO werden vom allein zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) getroffen. Die niedersächsischen Ausländerbehörden setzen diese Entscheidungen lediglich im Rahmen der Vollzugshilfe um. Für unbegleitete Minderjährige sieht Artikel 8 Dublin-III-VO ein vom Regelfall abweichendes Verfahren vor. Unter der Maßgabe, dass es dem Wohl der oder des Minderjährigen dient, prüft das BAMF, ob eine Familienzusammenführung in einem EU-Staat, in dem sich deren oder dessen Angehörige rechtmäßig aufhalten, möglich ist. In diesen Fällen ist der EU-Staat, in dem sich die Angehörigen aufhalten, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig und der Minderjährige zu überstellen. 14. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Behandlung unbegleiteter minderjährige Ausländer in anderen Staaten der Europäischen Union? Gibt es einheitliche Standards bei der Altersfeststellung, oder geht Deutschland mit seinem Jugendhilferecht einen Sonderweg? In den EU-Mitgliedstaaten finden unterschiedliche Methoden bzw. Techniken zur Alterseinschätzung Anwendung (vgl. Parusel, APuZ 25/2015, 31, 36). Von einem deutschen Sonderweg, der von einer einheitlichen Praxis der anderen EU-Mitgliedstaaten abweicht, kann keine Rede sein. Auf EU- Ebene werden derzeit mehrere Rechtsakte verhandelt, die zur Schaffung, Verbesserung und auch Vereinheitlichung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems führen sollen. In der Diskussion ist in diesem Rahmen auch eine Regelung zur Alterseinschätzung bei unbegleiteten - gegebenenfalls - minderjährigen Ausländern. (Ausgegeben am 07.02.2017) 5