Das GKV-WSG und europa(kartell)rechtliche Überlegungen u. a. zur Zukunft von gesetzlichen Krankenkassen als Körperschaften des ö. R.



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Transkript:

Das GKV-WSG und europa(kartell)rechtliche Überlegungen u. a. zur Zukunft von gesetzlichen Krankenkassen als Körperschaften des ö. R. oder Unternehmen Vortrag im Rahmen der Veranstaltung der AG Gesundheit und des Bundesverbandes der Freien Berufe am 5. September 2007 in Berlin von Universitätsprofessor Dr. Helge Sodan, Berlin, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht (DIGR) Immer noch zögerlich und vielfach widerstrebend werden in Deutschland die Auswirkungen des europäischen Gemeinschaftsrechts auf das nationale Sozialversicherungsrecht, insbesondere das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), zur Kenntnis genommen. So ist der Umfang der Anwendung europäischen Gemeinschaftsrechts im Bereich der deutschen GKV weiterhin umstritten. Dies gilt besonders für die Frage, ob die gesetzlichen Krankenkassen, die aufgrund gesetzlicher Regelung Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, als Unternehmen im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts anzusehen sind. Der Begriff des Unternehmens ist ein allgemeiner Begriff des europäischen Wettbewerbsrechts. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wird der Unternehmensbegriff weit und umfassend verstanden. Diese Judikatur wählt einen funktionalen Ansatz: Dieser stellt auf die Art der ausgeübten Tätigkeit und nicht auf die institutionellen Eigenschaften derjenigen, welche sie ausüben, die damit verbundenen sozialen Zwecke oder die rechtlichen oder finanziellen Regelungen ab, denen sie in einem bestimmten Mitgliedstaat unterliegen. Ist eine Tätigkeit wirtschaftlicher Natur, so unterfallen danach diejenigen, die ihr nachgehen, dem Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft. Unter wirtschaftlicher Tätigkeit versteht der EuGH jede Tätigkeit, die zum Gegenstand hat, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten. Der Generalanwalt Francis G. Jacobs folgerte daraus in seinen Schlussanträgen vom 22. Mai 2003 in einem Verfahren, das sich auf die europarechtliche Überprüfung der Regelungen der Festbeträge für Arzneimittel nach 35 SGB

2 V bezog: Für die Beurteilung der Unternehmenseigenschaft sei der Status nach nationalem Recht irrelevant. Folglich könne dem Umstand, dass Krankenkassen nach deutschem Recht Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, kein Gewicht beigemessen werden. Entscheidend sei vielmehr, ob die jeweilige Tätigkeit zumindest grundsätzlich von einem privaten Unternehmen in der Absicht der Gewinnerzielung ausgeübt werden könnte. Nach der Rechtsprechung des EuGH gibt es nämlich kein Bedürfnis nach Anwendung der Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft, wenn die Möglichkeit, dass ein privates Unternehmen eine bestimmte Tätigkeit ausübt, insoweit auszuschließen ist. Jacobs vertrat mit einer sehr ausführlichen Begründung die Auffassung, dass die deutschen Kassenverbände bei der Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel als Unternehmensvereinigung im Sinne des Art. 81 des EG-Vertrages anzusehen seien. In seinem Urteil vom 16. März 2004 folgte der EuGH jedoch seinem Generalanwalt nicht und wies darauf hin, dass die deutschen gesetzlichen Krankenkassen an der Verwaltung des Systems der sozialen Sicherheit mitwirkten; sie nähmen insoweit eine rein soziale Aufgabe wahr, die auf dem Grundsatz der Solidarität beruhe und ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt werde. Besonders hervorzuheben sei die gesetzliche Verpflichtung der Krankenkassen, ihren Mitgliedern im Wesentlichen gleiche Pflichtleistungen anzubieten, die unabhängig von der Beitragshöhe seien; die Krankenkassen hätten somit keine Möglichkeit zur Einflussnahme auf diese Leistungen. Sie konkurrierten daher weder miteinander noch mit den privaten Einrichtungen hinsichtlich der Erbringung der im Bereich der Behandlung oder der Arzneimittel gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen, die ihre Hauptaufgabe darstelle. Speziell in Bezug auf die Festbeträge für Arzneimittel meinte der EuGH, mit der Festsetzung der Festbeträge erfüllten die Kassenverbände nur eine ihnen gesetzlich auferlegte Pflicht im Rahmen der Verwaltung des deutschen Systems der sozialen Sicherheit; sie handelten nicht als Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübten. Der EuGH antwortete somit auf die Vorlagefragen des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichtes Düsseldorf, die deutschen Kassenverbände seien keine Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen im Sinne des Art. 81 des EG-Vertrages, wenn sie Festbeträge festsetzen, bis zu deren Erreichen die Krankenkassen die Kosten für Arzneimittel übernehmen. Der EuGH sprach in dieser Entscheidung allerdings auch von einem Spielraum, über den die Krankenkassen verfügen, um ihre Beitragssätze festzulegen und einander einen gewissen Wettbewerb um Mitglieder zu liefern.

3 Nimmt dieser Spielraum durch Änderungen des Rechts der GKV zu, könnte der EuGH künftig zu anderen Ergebnissen gelangen als in seinem Urteil zu den Festbeträgen für Arzneimittel. So ist etwa darauf hinzuweisen, dass den gesetzlichen Krankenkassen in jüngerer Zeit schon vor dem GKV-WSG verstärkte Freiräume zur individuellen Gestaltung ihrer Leistungen eröffnet wurden, wie sich am Beispiel des Angebots integrierter Versorgungssysteme kombiniert mit Bonusmodellen zeigen lässt. Diese und die Tendenz zur Relativierung des sog. Solidarpinzips in der GKV hat das GKV-WSG nun in mehrfacher Hinsicht deutlich verstärkt. Dies möchte ich an drei Punkten verdeutlichen. 1. Zunächst ist auf die Einführung sog. Wahltarife hinzuweisen. Die einzelne Krankenkasse kann nunmehr in ihrer Satzung regeln, dass Mitglieder für jeweils ein Kalenderjahr einen Teil der von der Krankenkasse zu tragenden Kosten übernehmen können (Selbstbehalt). Für diese Mitglieder hat die Krankenkasse Prämienzahlungen vorzusehen, die der Höhe nach gesetzlich beschränkt sind. Selbstbehalte modifizieren die Verteilung der Risiken zwischen dem einzelnen Versicherten und der Solidargemeinschaft in der Krankenkasse. Indem ein bestimmter Schadensanteil nicht mehr von der Krankenkasse übernommen wird, kommt es zu einer Übertragung des finanziellen Risikos von der Versichertengemeinschaft auf den erkrankten Versicherten. Damit wird eine für die Sozialversicherung gerade nicht typische Individualäquivalenz eingeführt: Aufgrund der Prämienzahlungen profitieren vom Selbstbehalt diejenigen, die keine oder nur wenige Leistungen in Anspruch nehmen; nachteilig wirken sich Selbstbehalte hingegen zu Lasten derjenigen aus, die viele Leistungen in Anspruch nehmen (müssen). Es liegt auf der Hand, dass Selbstbehalte infolgedessen tendenziell attraktiver für gesunde als für kranke Versicherte sind. Regelmäßig dürften sich dafür auch eher junge als alte Versicherte entscheiden, deren Krankheitsrisiko innerhalb der gesetzlich festgelegten Mindestbindungsfrist von drei Jahren statistisch wesentlich höher ist. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden junge und/oder gesunde Versicherte daher eher geneigt sein, Selbstbehalte zu wählen. Ihnen ermöglicht es der Gesetzgeber, sich später also mit zunehmendem Alter wieder für den umfassenden Versicherungsschutz zu entscheiden. Auf diese Weise wird die Solidargemeinschaft belastet, zu der diese Versicherten in jungem Alter aufgrund ihrer Prämienansprüche weniger beigetragen haben. Selbstbehalte führen also zu einer Risikoselektion. Es kommt zu einer Schwächung des horizontalen Solidarprinzips zugunsten horizontaler Äquivalenz. Die finanzielle Belastung des einzelnen Versicherten

4 hängt nicht mehr nur von der Leistungsfähigkeit, sondern auch von der Wahrscheinlichkeit ab, innerhalb des vereinbarten Zeitraums zu erkranken. Die gesetzlich vorgesehenen Beitragsrückerstattungen haben prinzipiell eine Funktion und Wirkung, die sich mit Selbstbehalten vergleichen lässt. Sie sollen den Versicherten motivieren, nach Möglichkeit von einer Inanspruchnahme von Leistungen zu Lasten seiner Krankenkasse abzusehen. Wer aufgrund einer Erkrankung diese Inanspruchnahme nicht vermeiden kann, muss auch auf die Beitragsrückerstattung verzichten. In der Rechtswissenschaft wird bereits von einer schleichenden Verdünnung des Solidarprinzips gesprochen, die nicht erst mit dem GKV-WSG begonnen habe, sondern durch dieses nur weitergeführt und vertieft werde. 2. Zu einer Relativierung des Solidarprinzips führt auch die Steuerfinanzierung der GKV. In dem neu gefassten 221 Abs. 1 Satz 1 SGB V heißt es nunmehr, dass der Bund zur pauschalen Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen für das Jahr 2007 und das Jahr 2008 jeweils 2,5 Milliarden Euro in halbjährlich zum 1. Mai und zum 1. November zu überweisenden Teilbeträgen über das Bundesversicherungsamt an die Krankenkassen leistet. Diese Leistungen erhöhen sich in den Folgejahren um jährlich 1,5 Milliarden Euro bis zu einer jährlichen Gesamtsumme von 14 Milliarden Euro. Dabei geht es zumindest insbesondere um die Finanzierung der beitragsfreien Mitversicherung der Kinder in der GKV. Damit wird der solidarische Charakter der GKV deutlich verändert. Wenn nämlich ein sozialer Ausgleich im Sozialversicherungssystem nur noch bedingt angestrebt wird, entfällt dessen Gefährdung durch die Konkurrenz mit privaten Versicherungsunternehmen ebenso wie der Grund, den Wettbewerb durch das Sozialversicherungsmonopol zu unterbinden. Insoweit nicht mehr bestimmte Versichertengruppen, sondern die Gesamtheit der Steuerzahler den solidarischen Ausgleich finanzieren, büßt die GKV ihren besonderen Charakter als binnensolidarische Einrichtung ein. Aus kartellrechtlicher Sicht bedeutet dies: Eine solidarische Versicherung, in der die Umverteilung nicht mehr nur durch Beiträge insbesondere der Besserverdienenden bzw. der Träger der sog. besseren Risiken, sondern wesentlich auch aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert wird, kann ein privatwirtschaftlich handelndes Versicherungsunternehmen ebenso anbieten wie eine gesetzliche Krankenkasse. Daher wäre es konsequent, eine solche Versicherung als wirtschaftliche Betätigung im Sinne von Art. 81 des EG-Vertrages zu qualifizieren. Ein steuerfi-

5 nanzierter Solidarausgleich könnte schließlich auch privaten Versicherungsunternehmen zugute kommen, die sich gewissermaßen als Gegenleistung zur beitragsfreien Mitversicherung der Kinder verpflichten. 3. Von den vielfältigen Regelungen des GKV-WSG sind im vorliegenden Zusammenhang auch die Vorschriften zum Basistarif bedeutsam. Das GKV- WSG sieht für die private Krankenversicherung (PKV) die Einführung eines Basistarifs im Leistungsumfang der GKV mit Kontrahierungszwang ohne vorangegangene Risikoprüfung vor. Leistungsausschlüsse und Risikozuschläge sind dementsprechend nicht zulässig. Zugangsberechtigt sollen unter Berücksichtigung gesetzlich bestimmter Fristen grundsätzlich die Nicht-(mehr)- Versicherten, die freiwillig in der GKV Versicherten, die Beihilfeberechtigten sowie alle PKV-Versicherten sein. Zwar wird der Solidarausgleich in der GKV durch den Basistarif nicht berührt. Der Basistarif enthält jedoch Teilelemente des Solidarprinzips und nähert auf diese Weise die PKV der GKV an. Der Sonderstatus der GKV wird damit gewissermaßen von der anderen Seite in Frage gestellt. Bieten GKV und PKV ein vergleichbares Produkt an, so müssen sie insoweit kartellrechtlich gleich behandelt werden. Daraus folgt: Entweder sind sowohl gesetzliche Krankenkassen als auch private Krankenversicherer Unternehmen, oder aber es sind beide nicht. Die drei genannten Regelungskomplexe sprechen jedenfalls unter Zugrundelegung der Maßstäbe aus dem sog. Festbetrags-Urteil des EuGH von 2004 dafür, dass die gesetzlichen Krankenkassen nach dem GKV-WSG doch als Unternehmen im Sinne des europäischen Kartellrechts anzusehen sind. Es geht also um auf den Wortlaut des Themas meines Vortrags zurückzukommen nicht um die Zukunft von gesetzlichen Krankenkassen als Körperschaften des ö. R. oder Unternehmen, sondern insoweit um ein sowohl als auch. Ganz auf dieser Linie hatte der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Entwurf des GKV-WSG vorgeschlagen, für die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Leistungserbringern das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen für entsprechend anwendbar zu erklären. Zur Begründung heißt es: Die Möglichkeiten der Kassen, Rabattverträge sowie Einzelverträge abzuschließen, werden erheblich erweitert. Die liberalisierten Fusionsmöglichkeiten für die Kassen werden in kürzester Zeit flächendeckende Monopole und

6 Oligopole entstehen lassen. Vom Gesetzgeber gewünschte Elemente wie Ausschreibungen, insbesondere im großteils handwerklich strukturierten Hilfsmittelbereich, werden den Selektionsprozess auf der Leistungserbringerseite drastisch erhöhen. Dies gilt insbesondere deshalb, da bei kleineren regionalen Teilmärkten der Zuschlag zu Gunsten eines Leistungserbringers existenzvernichtend für die übrigen wirken kann. Deshalb ist angesichts der Marktmacht der Kassen zum Schutz der Leistungserbringer erforderlich, die allgemein geltenden Vorschriften des Wettbewerbsrechts für anwendbar zu erklären, soweit nicht spezielle Erfordernisse des Krankenversicherungsrechts entgegenstehen (BT-Drucks. 16/3950, S. 15). Mit diesem Vorschlag hat sich der Bundesrat zwar nicht vollständig durchsetzen können; er hat aber erreicht, dass 69 Satz 2 SGB V nunmehr vorsieht, dass bestimmte Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die sich gegen Marktbeherrschung und wettbewerbsbeschränkendes Verhalten richten, hinsichtlich der Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Leistungserbringern und ihren Verbänden einschließlich der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses und der Landesausschüsse entsprechend gelten. Davon ausgenommen sind allerdings die Verträge zwischen Krankenkassen oder deren Verbänden mit Leistungserbringern, zu deren Abschluss die Krankenkassen oder deren Verbände gesetzlich verpflichtet sind und bei deren Nichzustandekommen eine Schiedsamtsregelung gilt. Angesichts der aufgezeigten Konsequenzen, die sich in europarechtlicher Hinsicht aus dem GKV-WSG ergeben, reicht die Regelung in 69 Satz 2 SGB V nicht weit genug. Wer ständig von Wettbewerb redet, muss auch die Rahmenbedingungen akzeptieren, die hier gerade das europäische Gemeinschaftsrecht aufstellt. Oder anders formuliert: Wer A sagt, muss auch B sagen.