Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Inge Kämmerer Literarische Orte Das Kleist Grab am Berliner Wannsee (4) von Susanne von Schenck Sendung: 03.09.2015, hr2-kultur Sprecherin: O-Töne von: Paul Plamper hr2-kultur / Bildung Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.
Anmoderationsvorschlag Am 21. November 1811 nahm sich Heinrich von Kleist, gemeinsam mit Henriette Vogel, das Leben am Berliner Wannsee. Wohl kein Tag im kurzen Leben des Dichters ist besser dokumentiert als sein letzter. Abschiedsbriefe, Vernehmungsprotokolle, Obduktionsberichte all das fließt in eine Audioführung ein, die den Besucher zu den Schauplätzen der letzten Stunden Heinrich von Kleists und Henriette Vogels geleitet. Sie ist als Hörspiel inszeniert - mit einer fachkundigen Begleitung und einer interessierten Gruppe, die im Verlauf des Spaziergangs ihre eigene Dynamik entfaltet. Susanne von Schenck hat Das akustische Kleist Denkmal in Berlin besucht. Beitrag 1 O-Ton Warten an Treppe 0.21 mit Atmo Warten Sie auch hier? also ich warte auf den Spaziergang, auf den literarischen Spaziergang zu Kleist, zu der Führung. Sie auch? Ja, auch ich warte am Treffpunkt: oben an der Treppe, die vom Kronprinzessinnenweg hinunter zum Dampferanleger am großen Berliner Wannsee führt. 2 O-Ton Begrüßung 0.15 Es tut mir wahnsinnig leid. Ich bin Ihre Führerin heute, ich hoffe, es war nicht zu unangenehm. Wir sind ja noch da ich freu mich auf jeden Fall, dass Sie da sind. Mein Name ist Susanne Martens. Susanne Martens möchte die kleine Gruppe, zwei Männer, zwei Frauen, zu der Stelle führen, an der der Dichter Heinrich von Kleist erst seine unheilbar kranke Freundin Henriette Vogel und dann sich selbst erschoss am 21. November 1811. 3 O-Ton Wie es läuft 0.22 Gut. Wir machen jetzt einen Gang durchs Gelände, rüber zu dem Ort, an dem Stimmings Krug stand, auf die andere Wannseeseite und dann zum Grab. Das wird also ne Annäherung an Kleist mit einem Akzent auf dem Doppelsuizid mit Henriette Vogel und zwar anhand der Original Polizeiakten und das größtenteils vor Ort, also da, wo die Ereignisse um Kleists Tod auch tatsächlich stattgefunden haben. Und los geht es, die Treppe hinunter zum Wasser, vorbei an dem Souvenirshop, an dem ich mir zuvor einen kleinen MP3 Player ausgeliehen habe mit Rundumsound. 2
4 O-Ton ff Plamper Kunstkopf 0.31 Ja, wir haben diese Technik aus den 70er Jahren, die jetzt so ein bisschen in der Versenkung verschwunden ist, benutzt, den Kunstkopf. Erklärt Regisseur Paul Plamper 4 O-Ton ff Plamper Kunstkopf 0.31 Der ermöglicht einem auf Kopfhörer ein unheimlich räumliches Klangerlebnis. Und es ging mir um diese Räumlichkeit. Unser Hörspiel hat einen Raum, darin bewegen sich die Figuren und man denkt wirklich, diese Stimmen und Figuren sind um einen herum, gehen durch einen hindurch, und unser Raum wird praktisch in Reibung geführt zum Stadtraum, den man durchschreitet. Paul Plamper hat das Hörspiel Das akustische Kleistdenkmal, mit Schauspielern inszeniert, darunter Sandra Hüller als Susanne Martens. Es ist eine vielschichtige und feinfühlige Annäherung an den Dichter. 7 O-Ton Plamper 0.28 Im Kleistdenkmal fällt dann auch der Satz, dass wir Kleist nicht zum Gegenstand unserer faden Einfühlung machen sollten, das ist eigentlich der zentrale Satz. Das ist die Haltung des gesamten Denkmals, also Kleist nicht wie nen TV Movie auszuschlachten und das ganze dramatische Skandalöse, was da drin steckt, simpel abzufeiern, sondern versuchen, da ne Differenziertheit und Genauigkeit und auch einen gewissen Abstand hineinzubekommen. Warum nahm Heinrich von Kleist sich das Leben? Waren es mangelnde Anerkennung, finanzielle Not, traumatische Kriegserlebnisse? Und wie waren seine und Henriette Vogels letzte Stunden? 5 O-Ton wer weiß was 0.29 Ich frag immer gern vorher: Wer weiß denn etwas über Kleist, über sein Leben oder kennt die Werke oder beides? Wie sieht das aus? Den Krug hab ich mal im Theater gesehen und wie heißt das? Ach die Räuber. Ah, das ist Schiller, aber das macht ja nichts. Bemühe dich recht aufmerksam zu sein auf alle Erscheinungen klingt es kurz darauf in meinem Ohr. Heinrich von Kleist schrieb diese Zeilen an seine einstige Verlobte Wilhelmine von Zenge. 3
Ungefähr zwei Stunden dauert die Tour. An vierzehn Stationen, gekennzeichnet durch kleine rote Schilder, bleibt man stehen, hört Führerin Susanne Martens zu, lässt sich von den Teilnehmern Briefe, Augenzeugenaussagen und Obduktionsberichte vorlesen und verfolgt die zum Teil amüsanten gruppendynamischen Prozesse. Die Teilnehmer schlüpfen in Rollen aus Kleists Werken, trinken Wein, eine springt ins Wasser, eine andere ärgert sich, einer weiß alles besser. All das wirkt natürlich und ist zudem ein faszinierendes Klangerlebnis. 8 O-Ton trinken Hier Rum, Wein, das leeren wir jetzt Kleist und Vogel zu Ehren so Prost, denn mal Prost Prost Am Nachmittag des 20. November 1811 nehmen Heinrich von Kleist und Henriette Vogel ein Zimmer im in der Nähe gelegenen Gasthof Stimmings Krug. Führerin Susanne Martens versucht, trotz des starken Autoverkehrs beim Überqueren der Wannseebrücke, die Beschaulichkeit der damaligen Zeit zu verdeutlichen. Vorab unterlegen: Atmo beschaulich Damals bestellten der Dichter und seine Freundin Kaffee und Schreibzeug, schrieben letzte Briefe. Am nächsten Tag, am 21. November, spazieren sie auf die andere Seeseite, lassen sich vom Tagelöhner-Ehepaar Riebisch aus dem Gasthaus Tisch und Stuhl sowie Getränke bringen. Johann Friedrich Riebisch gibt später zu Protokoll: 9 O-Ton er Riebisch Zeck 0.18 Und indem wir uns entfernten und nach Hause gingen, sahen wir beide die Fremden Hand in Hand hinunter nach dem See zu springen, schäkernd und sich jagend als wenn sie Zeck spielten. Überhaupt habe ich selten zwei Leute gesehen, die so freundlich zusammen gewesen wären wie diese auf den Bergen. Kurz darauf ein Schuss. 4
10 O-Ton Schuss Also Frau Behr, das war ungefähr in diesem Bereich, dass sie den Schuss gehört hat. Dann ist sie zurückgegangen in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Wir kommen zu der Stelle, an der der erste Schuss fiel. 11 O-Ton Kleist allein 0.42 fünfzig Schritte, das ist ja doch ne Zeit, ne. Was hat da Kleist noch gemacht? Hat er überlegt, ob er sich vielleicht nicht umbringt? Es ist ja so, der Kleist hat die Henriette in die Brust geschossen, ins Herz, also sehr zielgenau und danach, also nach den fünfzig Schritten, sich selber in den Kopf. Also war er fünfzig Schritte lang ein Mörder. Atmo Schritte Nach knapp zwei Stunden nähert sich die Führung ihrem Ende. Ein schmaler Weg führt zur Bismarckstraße und von dort zum Grab. Das liegt unter hohen Bäumen, auf einem naturnahen Gelände und gibt den Blick aufs Wasser frei. Nun, oh Unsterblichkeit, bist du ganz mein steht auf dem Grabstein. Nicht nur die imaginäre Gruppe, auch ich bin bewegt und bleibe eine ganze Weile dort versunken stehen. 5