Selbsterweiterung und Abhängigkeit

Ähnliche Dokumente
Media&sierung als neue Herausforderung der Kinder- und Jugendhilfe Die Bedeutung der neuen Medien im Kontext der Hilfen zur Erziehung

Mediengebrauch von Kindern und Jugendlichen - Risiken und Chancen -

Ziele und Methoden in der Therapie von Pathologischem PC/- Internetgebrauch

Wir arbeiten mit der ersten Generation, die mit dem Internet schon seit dem Kindesalter groß geworden ist. Kommunikation via Internet.

GUT DRAUF- Jahrestagung,

Pathologischer PC- und Internetgebrauch

Koordinationsstelle Suchtprävention. Internetsucht

Lehren und Lernen 1. Informationsabend. Jugendliche und Computerspiele Risiken und Chancen

13:30-14:00 Uhr: Mediennutzung von Jugendlichen: Potentiale / Gefahren?! 14:15-14:30 Uhr:!Verschiedene Online Communities und Nutzungsmöglichkeiten!

Gruppenarbeit:! Eine Frage der Haltung? Medienkompetenz in Bezug auf Computerspiele? "

JIM-STUDIE Zusammenfassung

Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen

NLS, Medienabhängigkeit. - Einführung - Bert te Wildt & Andrija Vukicevic

In den folgenden Fragen wirst du über verschiedene Aspekte digitaler Medien und digitaler Geräte befragt. Dazu gehören PCs, Notebooks, Smartphones,

Chancen und Risiken im Internet. lic. phil. Martin Hermida

BEOBACHTUNG VOLL DABEI. EinTrainingsprogramm für übergewichtige Kinder und Jugendliche

Onlinesucht-Projekt der GESOP

WEB Potentiale und Gefahren von social media! Was steckt hinter den Begriffen Web 2.0, social media, soziale Netzwerke?

2,6 Mio. ca In Halberstadt leben. Kinder & Jugendliche in solchen Familien

Computerspiele und virtuelle Welten

Internetsucht in Deutschland: Ergebnisse der Studie PINTA-DIARI Hans-Jürgen Rumpf

Agenda. Unterscheidung von virtuellen Spielewelten. Typisierung von Computer- und Konsolenspiele. Vom Computerspiel zum Lernspiel

Workshop Rechtliche Aspekte der Nutzung Sozialer Medien Maria-Ward-Realschule

Einstieg. Ablauf des Morgens. Computerspiele und Jugend ein praxisrelevantes Thema der Sozialen Arbeit!

Elternabend in der Volksbank Dreiländereck.

COMPUTER INTERNET FERNSEHEN. Wie wichtig sind diese Bereiche in deinem Leben?

Alles Smartphone oder was?

Workshop I: Was leisten Präventionsangebote? klicksafe Die EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz

Komorbide Störungen bei exzessivem Mediengebrauch

Und die Kinder? Was bedeutet der tägliche Medienumgang für die Entwicklung Ihrer Kinder und Enkel?

Niederlande. Computerspielabhängigkeit - Annette Teske & Dorothee Mücken

FHNW Praxistagung 2014

Kinder unter Strom. Im Bann von Fernsehwelt, Games und Internet

Herausforderung Alltag

Gruppenarbeit: Eine Frage der Haltung? Medienkompetenz in Bezug auf Computerspiele?

Was erwartet Sie? Aktion Jugendschutz Aktion Jugendschutz. Die vernetzte Familie: Bereicherung oder Überforderung?

Matthias Kießling. Universität Leipzig Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft Professur für Medienpädagogik und Weiterbildung

Kleine Kinder in der digitalen (Musik) Welt

Was du über die digitalen Medien wissen solltest. #MEDIENBOOK 1

Kinder im Netz Verantwortungsvoller Umgang mit Neuen Medien

Neue Medien und elterliche Kontrolle

Die folgenden Fragen sind über verschiedene Aspekte hinsichtlich digitaler Medien und digitaler Geräte, einschließlich Computer, Laptops, Notebooks,

Kinder und Jugend in der digitalen Welt. Achim Berg Bitkom-Vizepräsident Berlin, 16. Mai 2017

Expertise Neue Medien und Gewalt

Das Medienhandeln von Jugendlichen online

Swisscom (Schweiz) AG

Gefahren und Sicherheit im Internet Handlungsempfehlungen für Lehrer und Eltern

Prävalenz der Internetabhängigkeit (PINTA)

Medienverhalten der Jugendlichen Computerspiele/Spielkonsole/Lernprogramme

Inhaltsverzeichnis U M G A N G M I T N E U E N M E D I E N

Kernstudie zf: Media Usage (Welle: be, offline)

Zielgruppenorientierte Prävention Ins Netz gehen - Online sein mit Maß und Spaß -

- 5 Reize pro Kategorie - in randomisierter Reihenfolge - 3sec Darbietungsdauer pro Reiz, ISI 5sec

minikim 2012 Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz (LMK)

DEUTSCHER PRÄVENTIONSTAG

Chancen, Tipps und Gefahren im Umgang mit Neuen Medien Broschüre für Eltern und Interessierte

Internetnutzung in Altersgruppen. Präsentation ACTA 2007 / Gerhard Faehling ACTA 2007 ACTA Anteil Onliner 72 % Gesamt Jahre 83 %

Gründe für Online-Spielsucht Symptome der Internetsucht nach Hahn & Jerusalem Realitäts- und Kontaktverlust Beispiel von Realitätsverlust Das

Das ist kein Test. Es gibt keine richtigen oder falschen Antworten. Wichtig ist nur, dass du alle Fragen ehrlich beantwortest.

Kinder suchtkranker und psychisch kranker Eltern eine besondere Herausforderung für die Hilfesysteme Rede nicht! Traue nicht! Fühle nicht!

JIM-Studie 2011 Jugend, Information, (Multi-) Media

Aufwachsen in Deutschland 1. World Vision Kinderstudie 2007 (8-11 Jahre) 15. Shell Jugendstudie 2006 (12-25 Jahre)

Veränderungen in der Mediennutzung: In den letzten 10 Jahren hat sich die Internetnutzung bei den über 55- Jährigen verdreifacht.

Medienkonvergenz und junge NutzerInnen

Computer und Internet erobern die Kindheit

IPAD & CO. Wie gehen Kinder heute mit neuen Endgeräten um? Köln, IP Deutschland

Gestörtes Freizeitverhalten oder Sucht?

Thema / Inhalt allgemeine Leistungsziele spezifische Leistungsziele Lehrmittel: Kapitel Semester

DSBU Umfrage zur Mediennutzung

Wege zu einem entwicklungs- fördernden Miteinander von Erwachsenen und Kindern

Zappen Surfen Chatten Chancen und Risiken von Bildschirmmedien

Kindgerechter umgang mit Games

Pressekonferenz Studie»Kinder und Jugend 3.0«

Wege durch den Mediendschungel

Cybermobbing. unter Jugendlichen. Sigrid Ehrmann Sozialpädagogin/ EDV-Dozentin und Beraterin

Internet- und Computerspielabhängigkeit

Elternabend der Schulen Geissenstein & Steinhof, Luzern 26. Mai 2011

DEUTSCHER PRÄVENTIONSTAG

Fragebogen. Umgang mit neuen Medien. Alter: Gemeinde: Klasse: Geschlecht: o Männlich o Weiblich

Mobbing und Cybermobbing in der Schule S c h u l s o z i a l a r b e i t

Schulische Entwicklungspsychologie / Jugendsoziologie. AS 2012 (H. Ensch)

Psychopharmaka im Alter

Gemeinsam auf medialer Entdeckungsreise: ein Vorwort 11 Eltern und Experten: eine kurze Vorstellungsrunde 12

Konsumentenakzeptanz hybrider Unterhaltungselektronik unterwegs und zu Hause 20. Symposium der Deutschen TV-Plattform. Berlin, Oktober 2011.

Helfen macht müde - was macht wieder munter?

Cowalski, Görzel, Haupt, Höfer, Wolff. Projektstudium FHöV NRW Hagen KVD

Wie Jugendliche heute Medien nutzen Ergebnisse der JIM-Studie 2015

Transkript:

Selbsterweiterung und Abhängigkeit Aspekte der Bedeutung von Medien für die Identität und Entwicklung von Jugendlichen Institut für Verhaltenstherapie, Verhaltensmedizin und Sexuologie Nürnberg, 19.11.11 Prof. Dr. Roland Bader, HAWK

Medien sind für Kinder und Jugendliche ein wesentlicher Teil ihres Alltags Besitz, Image, Anerkennung Orientierung und Information Unterhaltung und Entspannung Spielen, Humor, Langeweile vertreiben Mobilität und Erreichbarkeit Zugehörigkeit und Gestaltung sozialer Beziehungen

Vollversorgung: an die 100% Vollausstattung mit Handys schon mit 12 Jahren Besitz/Zugang: Handy, Computer, Fernseher, Internet, Digitalkamera, MP3- Player Nutzung täglich oder mehrmals pro Woche Subjektive Wichtigkeit 1. Musik 2. Internet 3. Handy JIM-Studie 2010

Alter entscheidendend für Veränderungen der Medienvorlieben Kinder: Hörspiele, Fernsehen, Spiele (z. B. Nintendo DS) 12-14 J. Playstation und Sport (Kreativität und Engagement) 15-17 J. Internet und Musik 18-21 J. Discos und Leute treffen (Geselligkeit, ausdifferenzierende Interessen) Soziale Herkunft bedingt sehr stark Unterschiede im Freizeitverhalten: Jugendliche aus der Unterschicht sind fast zur Hälfte Medienfixierte Shell-Studie 2010

Drei Themenblöcke Selbsterweiterung: Das Handy als Identitätsmaschine Soziale Beziehungen: Soziale Netzwerke Problematischer Mediengebrauch: Abhängigkeit

Erweiterung des Selbst Das Handy als Identitätsmaschine

Ein Tag ohne Handy ist wie ungesalzene Pommes 34% der Jungen und 65% der Mädchen finden Handy unverzichtbar JIM-plus Nahaufnahme 2009

Notrufsäule Taktile Erfahrung (Touchscreen) Ständiger Begleiter: etwas zum Kümmern aktiv: immer was los Gert Selle: Vom Thonetstuhl zum Mikrochip: Design im Alltag

Soziale Beziehungen Agieren in sozialen Netzwerken

Internetnutzung der 12-19jährigen: Fakten Internet 138 Minuten täglich Kommunikation 46 % - Unterhaltung 25 % - Spiele 17 % sehr wenig Suche nach Informationen großenteils Soziale Netzwerke Zwei Drittel haben Fotos oder Filme von sich ins Netz gestellt Mädchen mehr Kommunikation, Jungs mehr Spiele Rückgang des Spielens mit zunehmendem Alter JIM-Studie 2010

Wie bewegen sich Jugendliche im virtuellen Raum? Tätigkeit Andere Profile ansehen Anderen Leuten Nachrichten schreiben Bilder anschauen oft manchmal 74 21 69 25 67 26 flanieren / shoppen Schorb et al. Medienkonvergenz Monitoring Sachsen 2010

Bedürfnisse, die Jugendliche im Netz befriedigen Zugehörigkeit: symbolische Ausdrucksformen (Stil, Kleidung, Musik, ) Anerkennung: gesehen werden - Publikum (Selbstdarstellung, expressive Formen) Status: innerhalb der Peergruppe, Rolle, Expertise Information und Orientierung: Wissen, was los ist sozialer Vergleich (Wissen, wie die anderen denken, sich besser fühlen, Meinung teilen, ) Beziehungspflege: in Kontakt bleiben, verbunden sein Mitmachen und Dabeisein Agieren in Sozialen Netzwerken ist für Jugendliche Beziehungsmanagement

Bedürfnisse, die Jugendliche im Netz befriedigen Zugehörigkeit: symbolische Ausdrucksformen ausgeschlossen (Stil, Kleidung, werdenmusik, ) Anerkennung: gesehen werden - Publikum (Selbstdarstellung, gedisst werden expressive Formen) Status: innerhalb der Peergruppe, lächerlich Rolle, Expertise gemacht werden Information und Orientierung: Wissen, was los ist sozialer Vergleich (Wissen, wie die anderen denken, sich besser fühlen, Meinung Loser sein teilen, ) Beziehungspflege: in Kontakt bleiben, verbunden sein Mitmachen und Dabeisein nicht eingeweiht werden Beziehungsmanagement hat auch Schattenseiten

Problematischer Mediengebrauch und Medienabhängigkeit

Begriff der Medienabhängigkeit zunächst Spiele, dann Porno, Internet, Chat, Soziale Netzwerke, -> heute: Medienabhängigkeit

Identitätsangebote von Onlinerollenspielen. Computerspiele bieten die Chance, eine Geschichte zu erleben und in dieser mitzuwirken, Besitztümer anzuhäufen, zu tauschen, zu handeln, zu wirtschaften Abenteuer zu erleben, fremde Welten zu erkunden sich mit anderen zu messen und immer neue Aufgaben zu lösen seine Identität/Rollen zu wechseln Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu empfinden Verpflichtungen einzugehen und Verantwortung zu übernehmen, Organisation, Leitung oder soziale Macht auszuüben, Aufgaben in der Gilde zu übernehmen, Teamgeist zu entwickeln zahlreiche soziale Kontakte zu knüpfen Teske, A. (2010) Behandlung bei Medienabhängigkeit. In: Mücken, D., Teske, A., Rehbein, F., te Wildt, B. (Hrsg.). Computerspieabhängigkeit (S. 154 180). Lengerich, Pabst.

BenX Für einen Jungen mit Asperger-Syndrom stellt die virtuelle Welt eine Möglichkeit dar, um Selbstwirksamkeit zu erleben, weil sie hochgradig strukturiert ist.

Suchtpotenzial von Onlinespielen Anreiz- und Belohnungsstrukturen des Spiels (Aufbau, Spielhandlungen sammeln, bewältigen, Steigerung der Schwierigkeit) Ranglistenplatzierung Verpflichtung gegenüber der Gruppe Grenzenlosigkeit des Spielgeschehens Unfinishes business: immer gibt es neue Herausforderungen Das nächste Spiel ist immer das schwerste

Merkmale von Abhängigkeit (CIU, Meerkerk u.a.) 1. Kontrollverlust 2. Einengung des Verhaltensraumes 3. Entzugserscheinungen 4. Coping/Gefühlsregulation 5. Konflikte 6. Verleugnung der Internetnutzung Forschungsgruppe des IVO in Rotterdam (Meerkerk, Laluan & Eijnden, 2003)

Doch nicht nur Spiele haben Suchtgefahr: Unterschätztes Suchtpotenzial Soziale Netzwerke

PINTA-Studie Prävalenz der Internetabhängigkeit Rumpf u. a., September 2011) Prävalenz 1,5% (Frauen 1,3%, Männer 1,7%) 14-24-Jährige 3,8% (Frauen 4,5%, Männer 3,0%) 14-16-Jährige 6,3% (8,6% Mädchen, 4,1% Jungen) Rumpf u.a. (2011) Prävalenz der Internetabhängigkeit

Suchtpotenziale Sozialer Netzwerke Es ist immer was los Klatsch und Tratsch : Es gibt immer etwas mitzuteilen Unerledigte Geschäfte: es gibt immer etwas zu tun Prinzip der Salienz! (es drängt sich immer das Neueste in den Vordergrund) Onlinesimulationen (Farmville, Cityville)

Facebooks neueste Idee: Timeline Erzähle deine gesamte Lebensgeschichte

Risikofaktoren für Abhängigkeit Ungleichgewicht im Leben oder der Persönlichkeit Misserfolgserleben Gefühl mangelnder Kontrolle im realen Leben Überforderung im Lebensalltag Unzufriedenheit in vielen Lebensbereichen geringere Selbstwirksamkeitserwartung Rehbein et al. (2009); Jäger und Moormann (2008)

Hohe Komorbidität Depression Persönlichkeitsstörungen (52%) stoffgebundene Abhängigkeitserkrankungen (38%) Angststörungen (18%)

Behandlungsangebote: Vorgehen (Auswahl) Kognitive VT: Analyse der auslösenden Situationen und des Verhaltens Kontrollierter Medienkonsum (keine Abstinzenz) Veränderungsmotivation stärken Soziale Kompetenz-Tranining Stressbewältigung Trauerarbeit (!) Angebot virtueller Beratungsstellen

Behandlungsangebote (Auswahl) Medienpädagogik o Sensibilisierung für die Gefahren ( Stoffkunde ) o Elternarbeit (Eltern-LAN) o Aufklärung über Wirkung und Funktionsweise der Medien o Stärkung der Reflexion des eigenen Verhaltens o geschlechtsspezifische Angebote o kreative Medienarbeit Aufzeigen von alternativen Freizeitgestaltungsmöglichkeiten Erlebnispädagogik, Sensibilisierung sinnliche Erfahrungen, Sport und vieles mehr

Danke für Ihre Aufmerksamkeit Präsentation online unter http://tinyurl.com/bnogo8m Dort auch Quellensammlung http://www.delicious.com/medien.prof/ Erweiterung_Abh%C3%A4ngigkeit