Beziehung Bindung Regulation

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Transkript:

Bonner Fortbildungsreihe Sozialpädiatrie Interdisziplinäres Symposium Was ist wirklich früh? Beziehung Bindung Regulation Workshop 25. März 2017 Dr. med. Ursula Scharnagl Kinderärztin Oberärztin im KiNZ Nicola Tebernum Diplom-Psychologin Psychologische Psychotherapeutin

Struktur 14.00 14.45 Uhr Einführung 14.45 15.00 Uhr Fallvignetten in Kleingruppen 15.00 15.15 Uhr Besprechung der Fallvignetten 15.15 15.30 Uhr Offene Fragen und Diskussion 2

Beziehung Bindung Regulation 3

Übersicht Frühe Entwicklung im Kontext der Eltern-Kind-Beziehung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung (in der Schreibabyambulanz) 4

Frühe Entwicklung im Kontext der Eltern-Kind-Beziehung There is no such thing as a baby. Donald W. Winnicott (1896-1971) Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 5

Frühe Entwicklung im Kontext der Eltern-Kind-Beziehung Beziehung Kind Der kompetente Säugling Eltern Intuitive Elternschaft Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 6

Der kompetente Säugling biologische Verankerung motivationaler Systeme (u.a. Bindungsbedürfnis) Kommunikationsbereitschaft des Säuglings angeborene Vorliebe für das menschliche Gesicht, die Stimme der Mutter, die Muttersprache Nachahmung von Mimik, Sprechbewegungen, Lauten und Gesten des Gegenübers (eingeschränkte) Fähigkeit zur Selbstberuhigung/Selbstregulation Auslöse- und Rückkopplungssignale zur Regulation des elterlichen Fürsorgeverhaltens Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 7

Ko-Regulation: Intuitive elterliche Kompetenzen Mechthild Papoušek (2004): Intuitive elterliche Kompetenzen angeborene Verhaltensbereitschaften, die Eltern und andere Betreuer intuitiv in der Kommunikation mit dem Baby ausüben universelle biologische Ausstattung, die individuell gehemmt, überlagert, verschüttet, blockiert sein kann verwundbar aber unbesiegbar z.b. Grußreaktion, Ammensprache dienen der regulatorischen Unterstützung des Kindes bei der gemeinsamen Bewältigung der alterstypischen Anpassungs- und Entwicklungsaufgaben Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 8

Zentrale Entwicklungsaufgabe: Selbstregulation 0 bis 3 Monate: physiologische Regulation Regulation von Verhaltenszuständen (aufmerksamer Wachzustand, ruhiges Schlafen, Übergänge zwischen beiden) 3 bis 7 Monate: Regulation von Aufmerksamkeit, Selbstwirksamkeit, Affekt, Erfahrungsintegration ab 7 bis 9 Monate: Beginn der eigenständigen Fortbewegung und der personenspezifischen Bindung Autonomie (Nähe-Distanz-Regulation, Balance von Explorations- und Bindungsbedürfnis) ab 15 bis 18 Monate: emotionale Regulation (Frustrationstoleranz, Belohnungsaufschub, Impulskontrolle ) Umgang mit sozialen Regeln und Grenzen Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 9

Zentrale Entwicklungsaufgabe: Selbstregulation Durch sensitive Reaktionen der Bezugspersonen auf die kindlichen Bedürfnisäußerungen (sensitivity), das Anbieten von altersadäquaten Problemlösungsvorschlägen in Stresssituationen (scaffolding) und den verbalen Austausch über mentale Zustände zwischen Bezugsperson und Kleinkind (mind-mindedness) wird der Säugling intuitiv dazu angeleitet, nach und nach selbstregulatorische Kompetenzen zu entwickeln und damit unabhängiger von den Bezugspersonen zu werden. (Pauen et al., 2012) Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 10

Ko-Regulation: Intuitive elterliche Kompetenzen Mechthild Papoušek (2004): Engelskreise positiver Gegenseitigkeit das Baby wird belohnt durch die Responsivität der Eltern (Erfahrung der Selbstwirksamkeit) lernt, seine eigene affektive Befindlichkeit über die Spiegelung der Eltern wahrzunehmen und zu regulieren baut Erwartungen auf aufgrund wiederholter Erfahrungen seiner Selbstwirksamkeit und der kontingenten Responsivität seiner Eltern die Eltern werden belohnt durch die positiven Feedbacksignale des Babys fühlen sich intuitiv empathisch in die affektive Erfahrungswelt des Babys ein bieten einen intersubjektiven Rahmen für die Entwicklung von kindlicher Emotionalität, geteilter Intentionalität, prosozialer Fähigkeiten und Empathie Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 11

Ko-Regulation: Bindungsforschung Mary Ainsworth (1978): Feinfühligkeit Wahrnehmung der kindlichen Signale richtige Interpretation der kindlichen Signale situations- und entwicklungsangemessene Reaktion prompte Reaktion ein hohes Maß an Feinfühligkeit vonseiten der Bezugsperson führt zu emotionaler Sicherheit des Kindes und damit zu sicherer Bindung Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 12

Ko-Regulation: Bindungsforschung Bindungsqualität bei Kindern und Erwachsenen Ainsworth (1978): George et al. (1984): Fremde Situation Adult Attachment Interview (AAI) sicher gebunden (B) unsicher-vermeidend (A) unsicher-ambivalent (C) desorganisiert (D) sicher-autonom bindungsabweisend in Bindung verstrickt unbewältigtes Trauma, Trauerarbeit Cave: Ein unsicherer oder desorganisierter Bindungsstil ist nicht gleichzusetzen mit einer Bindungsstörung! Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 13

Elterliche Entwicklungsaufgaben Daniel Stern (1998): Mutterschaftskonstellation Thema des Lebens und Wachstums Thema der primären Bezogenheit Thema der unterstützenden Matrix Thema der Reorganisation der Identität Wiederbelebung eigener Beziehungs- und Bindungserfahrungen (implizites Beziehungswissen, Repräsentanzen) Mutterschaftstrilogie Erweiterung zur Vaterschafts- bzw. Elternschaftskonstellation Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 14

Frühkindliche Regulationsstörungen Entwicklungsphasentypische Störungsbilder exzessives Schreien im ersten Lebenshalbjahr Schlafstörungen Fütterstörung mit/ohne Gedeihstörung Spielunlust, chronische Unruhe exzessives Klammern, exzessives Fremdeln, Ängstlichkeit, sozialer Rückzug exzessives Trotzverhalten aggressiv-oppositionelles Verhalten Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 15

Frühkindliche Regulationsstörungen können als extreme Varianten in der Bewältigung alterstypischer Entwicklungskrisen verstanden werden (von Hofacker et al., 2007) tendieren zur zeitlichen Koinzidenz und zu sequentiellem Auftreten (biopsychosoziale Entwicklungsschübe, Touchpoints ) (Papoušek et al., 2004) der Schweregrad einer Regulationsstörung bemisst sich nach ihrer Dauer (Persistenz), der Anzahl dysregulierter Interaktionsbereiche (Pervasivität), der Beeinträchtigung von Kind und Eltern in der Bewältigung der kindlichen Entwicklungsaufgaben und nach dem Ausmaß der Belastung der Eltern-Kind- Beziehung (von Hofacker et al., 2007) Prävalenzraten zwischen 5 und 20 % (Cierpka, 2012) Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 16

Frühkindliche Regulationsstörungen Symptomtrias (Benz & Scholtes, 2015) Schwierigkeiten des Kindes in einem oder mehreren Bereichen der frühkindlichen Anpassungs- und Entwicklungsaufgaben Überforderungssyndrom der Mutter, des Vaters oder beider Eltern im Sinne einer Anpassungsstörung im Übergang zur Elternschaft oder im Umgang mit einem schwierigen Säugling dysfunktionale Interaktionsmuster im direkten Umgang mit den Verhaltensauffälligkeiten des Kindes, die zu deren Aufrechterhaltung oder Verstärkung beitragen und zu einer Eskalation führen können aber auch: Diagnostik des Subjektiven (Cierpka, 2015) Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 17

Diagnostik & Behandlung Der neue, bislang unbekannte Patient ist keine Person, sondern eine allerdings asymmetrische Beziehung. (Stern, 1998) Beziehung Kind Der kompetente Säugling Eltern Intuitive Elternschaft Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 18

Diagnostik & Behandlung Diagnostischer Zugang Anamnese & Exploration kinderärztliche Untersuchung & evtl. weiterführende somatische Diagnostik Verhaltensprotokolle (Füttern, Schlafen, Schreien ) Verhaltens- und Interaktionsbeobachtung (in vivo und evtl. videogestützt) (Fremd- und Selbsteinschätzung mittels Fragebogen und Interviews) Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 19

Diagnostik & Behandlung Erfassung der Problematik des Kindes, der Eltern und der Beziehung das Zusammenwirken mehrerer psychosozialer und organischer Risikofaktoren aufseiten des Kindes und/oder der Eltern ist typisch für die Genese frühkindlicher Regulationsstörungen (Benz & Scholtes, 2015) Kind Erregbarkeit Selbstberuhigungsverhalten Kommunikationsverhalten Reaktion auf Neues Explorationsverhalten Ablenkbarkeit emotionale Befindlichkeit erschwerte Selbstregulation bei schwierigem Temperament Reizoffenheit & Irritabilität Krankheit, Behinderung Frühgeburtlichkeit Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 20

Diagnostik & Behandlung Erfassung der Problematik des Kindes, der Eltern und der Beziehung Eltern intuitive kommunikative Kompetenzen emotionale Bezogenheit verzerrte Wahrnehmungen im Umgang mit dem Kind erschwerte Ko-Regulation bei Fehlen der frühen Abstimmung in Folge von Trennungen ( maternal bonding disorder ) psychodynamischen Belastungsfaktoren ( Gespenster im Kinderzimmer, dominantes Thema, eigene unverarbeitete Traumatisierungen, unbewältigte Trauer ) psychischen Erkrankungen ((postpartale) Depression oder Psychose, PTBS ) psychosozialen Belastungsfaktoren schlecht lesbarem Baby Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 21

Diagnostik & Behandlung Behandlungsziele Entlastung der Eltern und des Babys Förderung von intuitiven elterlichen Kompetenzen bzw. Feinfühligkeit und damit von Engelskreisen positiver Gegenseitigkeit und sicherer Bindung Stärkung der elterlichen Selbstwirksamkeit & Sicherheit durch Herausarbeiten der Ressourcen & Stärken good enough parenting Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 22

Diagnostik & Behandlung Interventionen entwicklungspsychologische Diagnostik und Beratung entlastende beratende und/oder psychotherapeutische Gespräche Interaktionsdiagnostik und -anleitung (in vivo und videogestützt) Cohen et. al. (1999): Watch, Wait and Wonder Barth (2000): Baby-Lese-Stunden McDonough (1993): Interaction Guidance Therapy Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 23

Diagnostik & Behandlung Behandlungsgrundsätze wertschätzende Haltung: Eltern wollen gute Eltern sein! unterstützende Matrix: Gute Großmutter Übertragung (Stern, 2006) so viel wie nötig, so wenig wie möglich Wiedervorstellungen im Rahmen einer intermittierenden Behandlung Frühe Entwicklung Frühkindliche Regulationsstörungen Diagnostik & Behandlung 24

Fallvignetten: mögliche Fragen Mit welchem Anliegen stellt sich die Familie vor? Wie hoch ist der Grad der Belastung der einzelnen Familienmitglieder? Ressourcen & Belastungsfaktoren auf Seiten des Kindes und der Eltern? Insbesondere auch: kompetente Eltern mit schwierigem Säugling, passager erschwerte Anpassung an die Elternschaft oder psychische Erkrankung? Themen der Mutterschaftskonstellation? Dominantes Thema? diagnostische Einschätzung: Störungsbild? prognostische Einschätzung: Kindeswohlgefährdung? Hinzuziehen anderer Fachleute? Ansätze zur Intervention? 25

Literaturempfehlungen Regulationsstörungen praktisch Cierpka M (Hrsg.) (2012) Frühe Kindheit 0-3 Jahre. Beratung und Psychotherapie für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern. Springer, Heidelberg. Cierpka M (Hrsg.) (2015) Regulationsstörungen. Beratung und Psychotherapie für Eltern mit kleinen Kindern. Springer, Heidelberg. Papoušek M, Schieche M, Wurmser H (2010) Regulationsstörungen der frühen Kindheit. Frühe Risiken und Hilfen im Entwicklungskontext der Eltern-Kind-Beziehungen. Huber, Bern. 26

Literaturempfehlungen Grundlagenliteratur Dornes M (1993) Der kompetente Säugling. Die präverbale Entwicklung des Menschen. Fischer, Frankfurt am Main. Dornes M (1997) Die frühe Kindheit: Entwicklungspsychologie der ersten Lebensjahre. Fischer, Frankfurt am Main. Dornes M (2000) Die emotionale Welt des Kindes. Fischer, Frankfurt am Main. Dornes M (2006) Die Seele des Kindes. Entstehung und Entwicklung. Fischer, Frankfurt am Main. Fonagy F, Gergely G, Jurist EL, Target M (2002) Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Klett-Cotta, Stuttgart. Stern, DN (1998) Die Mutterschaftskonstellation: Eine vergleichende Darstellung verschiedener Formen der Mutter-Kind-Psychotherapie. Klett-Cotta, Stuttgart. 27