Phrasenstruktur. Gereon Müller. 9. November 2005 Universität Leipzig muellerg

Ähnliche Dokumente
5. Phrasenstruktur. Gereon Müller. Institut für Linguistik Universität Leipzig. muellerg

Syntax Phrasenstruktur

3. Phrasenstruktur und Merkmale 2

4. Konstituenz und Theta-Rollen

Die DP-Hypothese: Abney (1987), Kap. 1 Ein Rätsel und seine Lösung

Syntax Verb-Zweit. Modul Syntax und Semantik. Universität Leipzig heck. Institut für Linguistik

Syntax und Phonologie: Prosodische Phrasen

Syntax und Morphologie: Transformationsgrammatik II

Syntax und Phonologie: Prosodische Phrasen

Generative Syntax. PD Dr. Ralf Vogel. 19. Mai 2008

Bindungstheorie: die syntaktischen Eigenschaften von Pronominalsystemen

Hintergrund und Einführung

Linguistische Grundlagen 6. Semantik

Morphologie und Syntax (BA)

DGA 33 Themen der Deutschen Syntax Universität Athen, WiSe Winfried Lechner Skriptum, Teil 3 K-KOMMANDO

Syntax Phrasenstruktur und Satzglieder

Lange Abhängigkeiten in Brosziewski-Derivationen

Syntaktische Bäume. Syntaktische Bäume: Prinzipien. Köpfe in Syntax vs. Morphologie CP! C S VP! V CP PP! P NP. S! NP VP VP! V (NP) PP* NP!

5. Phrasenstruktur 2

Syntax II. Gereon Müller Institut für Linguistik 4. November Typeset by FoilTEX

Linearisierung und Hierarchie - Zeitlichkeit in der Syntax Mitsunobu Yoshida (Universität Hiroshima)

Teil II: Phrasen und Phrasenstruktur

Syntax: Grammatik des deutschen Verbs

Zur Struktur der Verbalphrase

Einführung in die Linguistik, Teil 4

Aus: Hubert Truckenbrodt und Kathrin Eichler: Einführung in die moderne Sprachwissenschaft. Ms., ZAS Berlin und DFKI Saarbrücken, 2010.

Syntax III. Joost Kremers WS

Zwischensprachliche Variation bei Quantorenanhebung

Syntax 6: Rektion und Bindung Zwischen dem Kopf und seinen Argumenten besteht ein Abhängigkeitsverhältnis:

Bindungs-Theorie. Bindungs-Theorie. R-Ausdrücke. Anapher. Pronomen. Antezedens

Generative Syntax. PD Dr. Ralf Vogel. Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft Universität Bielefeld, SoSe 2007

DIE STRUKTUR VON SÄTZEN

Optimalitätstheoretische Syntax

Konstituenten sind hierarchisch organisiert. Phrasenstruktur. Phrasenstruktur-Regeln. Phrasenstruktur-Regeln. Phrasenstruktur-Regeln

Einführung in die Linguistik, Teil 4

Scrambling. 1. Das Problem Satzstruktur nach Adger 2003: (1) daß [ vp die Maria [ v [ VP dem Karl [ V das Buch t i ]][ gibt i v ]]]

Handout 1 UE Einführung in die Grammatiktheorie 1

a) Erklären Sie, was eine SOV Sprache ist und was eine V2 Sprache ist. b) Welche Wortstellungsmuster sind eher selten in Sprachen der Welt?

Syntax der Substantivgruppe

Morphologie und Syntax

Transformationsgrammatik der 60er/70er. Kl. HS, CLI, Liebigstr. Sommmersemester 2006

Grammatik verbaler Argumente Doppel-Objekt-Konstruktionen: Probleme

VP vs.?p. N V P N? N P N V Peter kommt nach Hause...dass Peter nach Hause kommt. Syntax V 2

Subjekt und Subjektpositionen

Karl Heinz Wagner

Einführung in die Syntax: W-Bewegung

Hubert Haider Die Struktur der deutschen Nominalphrase

Syntaktische Kategorien: Phrasenkategorien

Hausaufgaben X-bar Schema Nebensatztypen Wortabfolgetendenzen. Syntax IV. Gerrit Kentner

1. Stellen Sie die Konstituentenstruktur der folgenden Sätze als Baumdiagramme dar:

Dativobjekt! Akkusativobjekt! Genitivobjekt! Präpositionalobjekt! = Ziel der Handlung, Patiens!

Einführung in unifikationsbasierte Grammatikformalismen

Fersentalerisch: SVO SOV?

Verbalkongruenz im Lavukaleve

Grundkurs Linguistik Wintersemester 2014/15. Syntax. Anja Latrouite

Sie gab das Buch ihrer Schwester.

Einführung in die Grundlagen der Generativen Grammatik

Baumadjunktionsgrammatiken

Formale Grammatiken und Syntaxanalyse

Morphologie und Syntax (BA)

Subjekt und Subjektposition

Syntax und Morphologie: Einführung in die Transformationsgrammatik I

Formale Methoden 1. Gerhard Jäger 12. Dezember Uni Bielefeld, WS 2007/2008 1/22

LOKALE UND DIREKTIONALE PPS

EINFÜHRUNG IN DIE GERMANISTISCHE LINGUISTIK KAPITEL 4: SYNTAX LÖSUNGEN

Einführung in die Sprachwissenschaft Jan Eden

Vorlesung Morphologie und Syntax Sommersemester 2009 PD Dr. Ralf Vogel

8. BEGLEITBLATT. 6.5 Trees revisited. 6.6 CFG as a Theory of Natural Language Grammar. 6.7 Problems with CFG

Teil III: Phrasenstruktur

Slot Grammar Eine Einführung

Einführung in die Computerlinguistik

Grammatikanalyse. Prof. Dr. John Peterson. Sprechstunde: Montags, 14:30-15:30h Raum LS10/Raum 425. Sommersemester 2015 Donnerstags, 14:15h-15:45h

Die DP-Hypothese: Abney (1987), Kap. 4, Die Position von pränominalen Adjektiven

Skript zum Seminar Syntax II

Syntax Konstituenz und Theta-Rollen

Einführung in die Computerlinguistik

Syntax - Das Berechnen syntaktischer Strukturen beim menschlichen Sprachverstehen (Fortsetzung)

Partizip Perfekt per Zirkumfix im Deutschen?

Grundlagen der LFG. 2. Analysieren Sie jeweils einen der Sätze in (1) und (2), d.h., zeigen Sie, wie die C- und die F-Strukturen aussehen sollten.

Syntax: Satzstruktur und Repräsentation. PD Dr. Ralf Vogel

Larsons Theorie der VP-Schalen

Weder Komplement noch Specifier - Kopfloser Nexus bei Adjunkten?

Vorlesung 7: LFG I. Einführung, c- und f-strukturen

BEZIEHUNGEN ZWISCHEN MENGEN

Teil 111. Chart-Parsing

Logik und modelltheoretische Semantik. Montague-Grammatik

Einführung in die Semantik, 8. Sitzung Typentheorie, F deutsch

Formale Methoden 1. Gerhard Jäger 7. November Uni Bielefeld, WS 2007/2008 1/18

2.2.2 Semantik von TL. Menge der Domänen. Zu jedem Typ gibt es eine Menge von möglichen Denotationen der Ausdrücke dieses Typs.

Die DP-Hypothese: Abney (1987), Kap. 2 Substantivgruppe und Satz

Syntaktische Typologie

Einführung in die Syntax: Funktionale Kategorien II: DP

Syntax Subjekte und Objekte

Syntax Konstituenz und Theta-Rollen

Syntax Konstituenz und Theta-Rollen

6. Die CP. Wiederholung/Hausaufgabe. Zusammengesetzte Zeitformen Finites T und Nominativ EPP

Einführung in die Computerlinguistik

Transkript:

Phrasenstruktur Gereon Müller 9. November 2005 Universität Leipzig www.uni-leipzig.de/ muellerg Struktur von Phrasen Erste Verkettung: Komplemente (1) Maximale und minimale Projektionen: a. Projektionen, die keine C-Selektionsmerkmale (Subkategorisierungsmerkmale) haben, die überprüft werden müssen, sind maximal. Maximale Projektionen heißen auch Phrasen; das wird oft abgekürzt als XP oder X max (also: NP, VP, PP, AP, etc.). b. Projektionen, die nur aus einem lexikalischen Element (Wort) bestehen, sind minimal; das wird oft auch geschrieben als X min (also N min, V min, etc.), oder als X 0. Beispiele (2) Beispiele: a. Peter minimal, maximal b. to minimal, nicht maximal c. to Peter nicht minimal, maximal d. letters minimal, (nicht maximal) e. letters to Peter nicht minimal, maximal? V (3) burn [V,uN,...] letters [N,uP] NP PP to [P,uN] Peter [N] 1

Komplement Bemerkung: Dies ist eine Kopf-Komplement-Struktur (head-complement structure). Hier ist letters to Peter das Komplement des Kopfes burn. (4) Komplement: Eine Phrase (maximale Projektion), die als erstes mit einem Kopf verkettet wird und also Schwester einer X min -Kategorie ist, heißt Komplement. Linearisierung (5) Linearisierung: VO vs. OV a. Im Englischen (Französischen, Arabischen, Gälischen) steht ein Komplement rechts vom Kopf, der es selegiert. b. Im Japanischen (Koreanischen, Türkischen) steht ein Komplement links vom Kopf, der es selegiert. c. Im Deutschen ist wie gesehen die Situation etwas komplizierter, und erfordert einen Bezug auf natürliche Klassen von Kategorien: Das Komplement einer [ V]-Kategorie (Nomen, Präposition) steht rechts vom Kopf, das Komplement einer [+V]-Kategorie (Verb, Adjektiv) steht links vom Kopf. (6) Japanische Verben und Nomina: a. Hanako ga Taro o tataku Hanako SUBJ Taro OBJ schlagen Hanako schlägt Taro. b. buturigaku no gakusei physics GEN student the student of physics Terminologie: (i) Ein Komplement von Verben heißt auch Objekt. (ii) Sprachen, in denen ein Objekt rechts vom Verb steht, heißen auch VO-Sprachen. (iii) Sprachen, in denen ein Objekt links vom Verb steht, heißen auch OV-Sprachen. Spezifikator Zweite Verkettung: Spezifikatoren (7) Paul burns letters to Peter. 2

VP Paul [N] V [un] (8) burn [V,uN,uN] NP letters [N,uP] PP to [P,uN] Peter [N] Beispiel: Spezifikator und Komplement Beobachtung: burn ist ein transitives Verb, das zwei Theta-Rollen Θ 1, Θ 2 in seinem Theta- Raster hat. Dem entsprechen zwei Subkategorisierungsmerkmale [un], [un]. Nach Verkettung mit dem Komplement (letters to Peter) bleibt noch ein Subkategorisierungsmerkmal übrig. Dies wird vom Kopf burn an den Mutterknoten projiziert. Unter Schwesternschaft mit Paul wird dieses zweite Subkategorisierungsmerkmal dann überprüft und getilgt. Zwischenprojektionen Bemerkung: Es gibt also noch Konstituenten, die bzgl. Größe zwischen maximalen Projektionen (Phrasen, XPs) und minimalen Projektion (lexikalischen Einheiten) liegen. Diese heißen intermediäre Projektionen (intermediate projections; auch: Zwischenprojektionen; bar-level projection). Abgekürzt wird das oft als X oder als X (deshalb: bar). Definition des Spezifikators (9) Spezifikator: Eine Phrase (maximale Projektion), die als zweites mit einem Kopf verkettet wird und also Schwester einer X -Kategorie ist, heißt Spezifikator. (10) Linearisierung: 3

a. Im Englischen (Deutschen,...) steht ein Spezifikator links vom Kopf, der ihn selegiert. b. Im Madagassischen (Malagasy) steht ein Spezifikator (möglicherweise) rechts vom Kopf, der ihn selegiert. (11) Spezifikator im Madagassischen: Manasa lamba ho an ny ankizy ny lehilahy PRÄS.waschen Kleider für AKK die Kinder der Mann Der Mann wäscht Kleider für die Kinder. Adjunktion Adjunkte (12) Ein Adjunkt: Anson demonized David every day. (13) Weitere Adjunkte: a. Anson demonized David at the club. b. Anson demonized David almost constantly. c. Anson very happily demonized David. (14) Adjunkt: Ein Adjunkt ist eine Konstituente, die nicht über eine durch Subkategorisierungsmerkmale getriebene Verkettungsoperation in den Satz gelangt. Adjunktion als syntaktische Operation Bemerkung: (i) Adjunkt beschreibt wie Komplement, Spezifikator strukturelle Gegebenheiten im Satz. (ii) Adjunkt bezieht sich nicht auf spezielle Kategorien; Adjunkte sind in vielen Kategorien möglich (NP, PP, und nicht zuletzt: Adv(erb)-P. Adverbien werden üblicherweise aus Adjektiven gebildet (im Englischen durch Anhängen von ly). Annahme: Adjunkte kommen nicht durch Verkettung (Merge), sondern durch eine zweite Struktur-aufbauende Operation in den Satz: Adjunktion (Adjoin). Adjunktion muss nicht durch C-Selektions- (oder sonstige) Merkmale ausgelöst werden; diese Operation adjungiert eine Phrase an eine andere Phrase. Adjunktion in der Phrasenstruktur 4

XP (15) XP ZP X WP X YP Bemerkung: In (15) gilt: WP = Adjunkt ZP = Spezifikator YP = Komplement Adjunktion und Linearisierung 1 Annahme: Adjunktion muss nicht mit fester Linearisierung einhergehen (anders als Verkettung). (16) Kiss Anson quickly! VP (17) VP e V quickly kiss Anson Adjunktion und Linearisierung 2 (18) Quickly kiss Anson! VP (19) quickly VP e V kiss Anson Probleme 1 (20) Ein Problem: Adjunkte innerhalb von Phrasen? Julie quickly answered the question. 5

Bemerkung: Dieses Problem wird im nächsten Kapitel gelöst werden; hier spielt ein dritter Typ von Strukturaufbau eine Rolle, nämlich Bewegung (Move). Probleme 2 (21) Noch ein Problem: Reihenfolge der Merkmalsüberprüfung? John likes Mary. Bemerkung: 1. Klar ist, dass (21) nur so verstanden werden kann, dass John die Theta-Rolle Agens hat, Mary die Theta-Rolle Patiens; und nicht umgekehrt. 2. Wenn aber die auf der Basis der Theta-Rollen notwendigen beiden Subkategorisierungsmerkmale in beliebiger Reihenfolge überprüfbar sind, dann sollte (21) auch so verstanden werden können, dass Mary Agens ist und John Patiens. X-bar-Theorie X-bar-Theorie (Vgl. Chomsky (1970), Stowell (1981)). (22) XP ZP X (22) X X WP Zwei zentrale Unterschiede: 1. Lexikalische Elemente werden in der X-bar-Theorie von X min -Projektionen dominiert (enthalten); sie sind aber selbst nicth diese unterste Projektionsstufe. 2. Projektion muss stattfinden, auch wenn sie leerläuft. Phrasenstruktur in der X-bar-Theorie 6

VP NP V N V NP N burn N (23) Paul N PP letters P P NP to N N Peter Ein zentrales Konzept der Syntax C-Kommando (24) C-Kommando (constituent-command): Ein Knoten α c-kommandiert einen Knoten β genau dann, wenn (a) oder (b) gilt: a. β ist die Schwester von α. b. β ist in der Schwester von α enthalten. Beispiel: C-Kommando-Beziehungen A (25) Abstraktes Beispiel:[3ex] B C D E F G H I C-Kommando: Reflexivierung 1 Reflexivierung (26) a. I shaved myself. b. *Myself shaved me. 7

(27) Reflexiv-Generalisierung: Ein Reflexivpronomen muss mit einem anderen Ausdruck (seinem Antezedens) koreferent sein (dies impliziert: dieselben Φ-Merkmale haben). (28) Reflexiv-Generalisierung (revidiert, mit C-Kommando): Ein Reflexivpronomen muss mit einem c-kommandierenden Ausdruck koreferent sein. C-Kommando: Reflexivierung 2 Beobachtung: Diese Reformulierung löst das Problem mit (26). Die Revision in (29) tut dies zwar, aber sie scheitert dann immer noch bei (30). (29) Reflexiv-Generalisierung (revidiert, mit Präzedenz): Ein Reflexivpronomen muss mit einem vorausgehenden Ausdruck koreferent sein. (30) a. The man I saw left. b. *The man I saw shaved myself. C-Kommando: Negative Polarität 1 Negative Polaritätselemente (NPIs) (31) a. *I wanted any cake. b. I didn t want any cake. (32) a. *I saw him ever. b. I didn t see him ever. (33) a. Keiner hat auch nur eine Träne vergossen. b. *Jeder hat auch nur eine Träne vergossen. (* in der intendierten Lesart) (34) a. Niemand hat das jemals gesehen. b. *Fritz hat das jemals gesehen. C-Kommando: Negative Polarität 2 (35) Generalisierung über negative Polaritätselemente (vorläufig): NPIs müssen in einem negierten Satz auftreten. (36) Problem: a. No-one wanted any cake. b. *Any boy saw no-one. (37) Generalisierung über negative Polaritätselemente (revidiert, mit C-Kommando): NPIs müssen von einem negativen Element c-kommandiert werden. (38) a. *The picture of no-one hung upon any wall. 8

Literatur b. It hung on the wall. Literatur Chomsky, Noam (1970): Remarks on Nominalization. In: R. Jacobs & P. Rosenbaum, eds., Readings in English Transformational Grammar. Ginn and Company, Waltham, Mass., pp. 184 221. Stowell, Tim (1981): Origins of Phrase Structure. PhD thesis, MIT, Cambridge, Mass. 9