aktuell Nummer 2 August 2014

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Transkript:

aktuell 1 Nummer 2 August 2014

Inhalt 2 Inhalt aktuell Dieter Lachenmayer U-ausschuss bleibt notwendig: Erst die Aufklärung, dann die Konsequenzen S. 3 Janka Kluge Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen: Zehn Morde und viele offene Fragen S. 5 Anne Hilger / Dieter Lachenmayer Ostermärsche: Nein zum Krieg in der Ukraine, Syrien und überall! S. 8 Erklärung der FIR: Stoppt den Krieg in der Ukraine Keine Toleranz für neofaschistische Kräfte! S. 8 Geschichte Jörg Rebhan Jugendwiderstand gegen den Faschismus: Hans Gasparitsch und die Gruppe G S. 10 Volger Kucher Vor 80 Jahren in Dachau ermordet: Der Revolutionär, Kommunist und Antifaschist Walter Häbich S. 12 Aus den Kreisen Karlsruher Befreiungsfeier Deckname Betti Gerber Ukrainer demonstrieren am 30. Mai in der Stuttgarter Innenstadt Foto: Denzinger / www.beobachternews.de Trotz alle dem: Ein schöner Sommer Eigentlich sollte zu Beginn der Ferien an dieser Stelle der Wunsch für einen schönen Sommer stehen. Aber den scheint es nicht zu geben Als Reaktion auf die Ermordung dreier israelischer Jugendlicher führt Israel Krieg gegen Gaza, dem nach palästinensischen Angaben bisher über 600 Menschen zum Opfer gefallen sind. Auch in der Ukraine herrscht Krieg; neben dessen direkten Opfern sind nun auch fast 300 unbeteiligte Flugpassagiere getötet worden. Beide Verbrechen, Entführung und Ermordung der Jugendlichen und der Abschuss eines Passagierflugzeuges, sind entsetzlich. Es sind Verbrechen, die aufgeklärt werden müssen und dessen Verantwortliche vor Gericht gehören. Für Aufklärung und Sühne dieser Verbrechen ist aber nicht die Politik, Impressum S. 13 KZ Friedhof Birnau / Bodensee Gedenken am 8. Mai S. 14 Stuttgart Nie wieder Krieg und Faschismus S. 15 Jochen Fuchs 40 Jahre Solidaritätsfonds Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft S. 16 Abschied von Maria Reif S. 17 Literatur / wir gratulieren S. 18 sondern ist die Justiz zuständig. Unsere Politiker und Medien übertreffen sich darin, der anderen Seite zynisches Verhalten und zynischen Umgang mit den Opfern vorzuwerfen. Wirklich zynisch ist es aber, die tragischen Opfer dieser bis heute ungeklärten Verbrechen, dafür zu missbrauchen, die politisch längst eingeplanten neuen Opfer des Krieges in Gaza, in der Ukraine und der Konfrontation mit Russland zu rechtfertigen. Kein Beweis ist erbracht, da wird schon Krieg geführt, da treffen sich die EU Außenminister um Sanktionen zu beraten. Es ist einfach widerlich, was uns da von Politik und Medien zugemutet wird. Wir werden wohl auch in diesem Sommer sehr auf Klarheit und Wahrheit achten müssen und aktiv sein für den Frieden. DL Die AntiFa-Nachrichten werden herausgegeben von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) Bund der Antifaschisten, Landesvereinigung Baden-Württemberg e.v. Anschrift: Böblinger Str. 195 70199 Stuttgart Telefon: 0711-60 32 37 Telefax: 0711-60 07 18 Email: baden-wuerttemberg@vvn-bda.de Internet: http://bawue.vvn-bda.de/ Redaktion: Janka Kluge, Dieter Lachenmayer (V.i.S.d.P) Die AntiFa-Nachrichten erscheinen 4 mal jährlich. Für Mitglieder der VVN Bund der Antifaschisten ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für Nichtmitglieder kostet das Abonnement EUR 10, der Einzelpreis beträgt EUR 1,50. Titelbild: Ostermarsch in Stuttgart Foto: Denzinger / www.beobachternews.de Konten: BW Bank Stgt., Nr. 2 119 748, (BLZ 600501 01) Postbank Stuttgart, Nr. 524 27-707, (BLZ 600 100 70) Redaktionsschluss der nächsten Ausgabe: 22.9.2014 Druck: Grafische Werkstatt, E. Knödler, Benningen auf 100 % RecyclingPapier.

aktuell 3 NSU-Untersuchungsausschuss bleibt weiter notwendig: Erst die Aufklärung, dann die Konsequenzen Die von der VVN-BdA Baden-Württemberg initiierte Kampagne zur Einrichtung eines Untersuchungsauschusses zum NSU-Komplex und den Verflechtungen des Naziterrorismus in Baden Württemberg hat Wirkung gezeigt. Leider nicht die Erwünschte. Am 30. April beschloss der Landtag schließlich die Einrichtung einer Enquetekommission. Konsequenzen aus der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)/Entwicklung des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg Handlungsempfehlungen für den Landtag und die Zivilgesellschaft Sowohl der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma als auch die VVN-BdA haben den damit verbundenen Verzicht auf einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss heftig kritisiert. Für die dringend gebotene Erarbeitung von Konsequenzen aus der Mordserie der NSU, wie es im Titel des Landtagsbeschlusses heißt, fehlt es weiterhin an grundlegenden Voraussetzungen, nämlich der umfassenden Aufklärung dieser Verbrechen, der Verwicklungen von Geheimdiensten und der unübersehbaren Ermittlungspannen der Strafverfolgungsbehörden. Bis heute sind entscheidende Fragen vor allem rund um den Polizistinnen Mord von Heilbronn vollkommen unaufgeklärt. Diese Aufklärung kann nur ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit den ihm eigenen Befugnissen wie Akteneinsicht und Zeugenvorladung leisten, nicht aber die jetzt beschlossene Enquetekommission. Warum mauerte der Innenminister? Neben der VVN-BdA hatten in den letzten Wochen zahlreiche Organisationen und Persönlichkeiten angesichts der vielen Ungereimtheiten bei der Aufklärung der Naziverbrechen die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses gefordert, darunter der DGB, der Zentralrat deutscher Sinti und Roma, die Linke u.v. andere. Auch große Teile der Grünen Partei und der Landtagsfraktion sprachen sich für die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses aus. Ihr Koalitionspartner, die SPD und ihr Innenminister Gall allerdings mauerten. Bereits auf dem Landesparteitag im Herbst 2013 hatten die Jungsozialisten einen Antrag zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses gestellt. Der wurde unter Verweis auf die laufende Arbeit der vom Innenminister eingerichteten Ermittlungsgruppe Umfeld zurückgestellt, die Antragssteller auf einen außerordentlichen Parteitag im März 2014 vertröstet, der unter Berücksichtigung der Ergebnisse über einen Untersuchungsausschuss entscheiden solle. Das tat er denn auch: Nachdem es Sondierungen mit dem Koalitionspartner über die Frage eines Sonderausschusses oder einer Enquetekommission gegeben hatte, verzichteten wohl auch die Jusos auf ihre ursprüngliche Forderung. Ohne die eigentlich zu erwartende kontroverse Debatte sprach sich der SPD Parteitag für die Einrichtung einer Enquetekommission im Landtag von Baden-Württemberg aus. Anzumerken wäre dazu vielleicht noch, dass vor und während der Parteitag über diesen Beschluss verhandelte, zahlreiche Delegierte und Gäste der SPD am Infostand der VVN- BdA, den uns die SPD ermöglicht hatte, unsere Forderung nach Einrichtung eines Untersuchungsausschusses unterschrieben. Tatsächlich ist es schwer nachvollziehbar, warum die SPD und ihr Innenminister, sich entgegen zahlreicher Stimmen innerhalb der eigenen Partei beharrlich einem Untersuchungsausschuss verweigerten. Die Gründe bleiben unerfindlich. Politischen Schaden für sich kann die SPD bei der Untersuchung und Aufklärung der NSU-Verbrechen und möglicher Verflechtungen des baden-württembergischen Geheimdienstes darin schließlich nicht befürchten. Die politische Verantwortung dafür trügen die Vorgängerregierungen unter CDU und FDP. Spärliche Argumente und offene Fragen Auch die Argumente, die aus den Reihen der SPD für ihre konsequente Weigerung zur Einrichtung eines Untersuchungsausschusses vorgetragen wurden sind spärlich: Der Bericht Umfeld habe bereits alle Fragen umfassend beantwortet. Auch sei In Anbetracht des laufenden NSU Prozesses in München und der Ermittlungen des Generalstaatsanwalts das aktuelle Handlungsfeld eines solchen Untersuchungsausschusses zum jetzigen Zeitpunkt begrenzt. Jetzt komme es darauf an, den Blick auf die zukünftige Verbesserung von Strukturen und Instrumenten zur Bekämpfung des Rechtsextremismus zu richten. Vor allem die Berufung auf den Bericht Umfeld des Innenministers nährt die Zweifel an der Weisheit einer Entscheidung für eine Enquetekommission. Die Ergebnisse der Ermittlungsgruppe Umfeld bleiben haarsträubend unzureichend. Ihre Erklärung, es handele sich bei der in Heilbronn ermordeten Polizistin und ihres schwer verletzten Kollegen um reine Zufallsopfer des Staatshasses der beiden Naziterrorristen Böhnhard und Mundlos, ist ein durchsichtig hilfloser Versuch, am vorgegeben Ermittlungsergebnis, beide seien die feststehenden Alleintäter, festzuhalten. Dies klammert alle Verflechtungen von Behörden, Geheimdiensten und ihren V-Leuten in die Verbrechen und Strukturen des Rechtsterrorismus einfach aus. - Warum waren mindestens fünf Mitarbeiter von Geheimdiensten am Mordtag in der Nähe des Tatortes? - Warum ähneln die Phantombilder der Zeugen in keiner Weise den mut masslichen Tätern?

4 aktuell ( )Die Enquetekommission erhält den Auftrag, eine Bestandsaufnahme zu den Strukturen des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg ab dem Jahr 1991 vorzunehmen, sich mit den Konsequenzen aus der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der Entwicklung des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg und seiner verstärkten Bekämpfung als gesamtgesellschaftlichem Auftrag zu befassen. Ziel der Kommission ist es, über alle Politikbereiche hinweg Empfehlungen an den Landtag zu erarbeiten, welche Konsequenzen aus der Mordserie des NSU in Baden-Württemberg zu ziehen sind, insbesondere die Entstehung alter und neuer Strukturen des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg ab dem Jahr 1991 zu beleuchten und Handlungsempfehlungen für die Zukunft zu formulieren. I. Das Gremium führt eine Bestandsaufnahme durch zu Strukturen des Rechtsextremismus in Baden- Württemberg und den Auswirkungen auf die Sicherheitsbehörden und die Zivilgesellschaft a) zur Entstehung ehemaliger und aktueller Strukturen sowie örtlicher Schwerpunkte der rechtsextremistischen Szene in Baden-Württemberg ab dem Jahr 1991; b) zu Verbindungen des Ku-Klux-Klan (EWK-KKK u. a.) zum NSU und zur rechtsextremistischen Szene insgesamt; c) zu allen Straftaten mit Waffenbezug aus diesen Strukturen heraus seit 1991; d) zur Vernetzung und Zusammenarbeit innerhalb dieser Strukturen sowie zur rechtsextremen Szene in Baden- Württemberg im rechten deutschlandweiten Spektrum; e) zum Stellenwert und zur Bedeutung der Musikszene für die rechte Szene insgesamt; f) zu den beim Bund und in den anderen Bundesländern vorhandenen Strukturen der Aufklärung, Beratung und Unterstützung (z. B. Opferberatung für Betroffene rechter Gewalt); g) zu den Auswirkungen der Mordserie - Warum beobachteten Zeugen mehr als zwei Täter? - Warum gingen die Behörden den schon unmittelbar nach der Tat bekannten Hinweisen auf einen rechtsterroristischen Hintergrund jahrelang in keiner Weise nach? - Wie kam es zu den unerwarteten Aus dem Einsetzungsbeschluss der Enquetekommission: des NSU auf die Sicherheitsbehörden und die Zivilgesellschaft. II. Handlungsstrategien Auf dieser Grundlage sind Handlungsstrategien zu erarbeiten, die geeignet sind, a) die Prävention gegen Rechtsextremismus auf verschiedenen Ebenen (Schule, Kinder- und Jugendarbeit, Erwachsenenbildung, Betriebe und Unternehmen, Gedenkstättenarbeit) zu stärken, auch indem die Qualifizierung und Vernetzung bereits vorhandener Aktivitäten im Kampf gegen Rechtsextremismus erfolgt; b) bestehende rechtsextreme Strukturen (Musikszene, Vereine) aufzulösen oder zu schwächen; c) Aufklärung und Prävention durch die Sicherheitsbehörden (Verfassungsschutz, Justiz und Polizei) sowie deren Strukturen bestmöglich auf die Bekämpfung des Rechtsextremismus auszurichten; d) eine umfassende Strategie in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und unter Einbeziehung einer abgestimmten Einbindung von Kommunen, Vereinen, Initiativen und des Landes zur Bekämpfung der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, speziell des Rechtsextremismus, zu erarbeiten; e) einer rechtsextremistischen Unterwanderung und Vereinnahmung von Sozialstrukturen, lokalen Akteuren und zivilgesellschaftlichen Institutionen vor Ort wirksam entgegenzuarbeiten. III. Handlungsempfehlungen Die Handlungsempfehlungen sollen auf den Ergebnissen und Empfehlungen bereits tätig gewordener Gremien (PUA NSU Berlin und verschiedener Bundesländer, Bund-Länder- Kommission Rechtsterrorismus, Innenministerkonferenz, etc.) sowie auf den zusätzlichen Erkenntnissen der EG Umfeld und allen weiteren behördlicherseits vorliegenden Erkenntnissen basieren. Des Weiteren sollen die Empfehlungen den Umsetzungsbedarf für die Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg und bereits in diesem Kontext veranlasste Maßnahmen gegen Rechtsextremismus untersuchen. Todesfällen von zweien dieser Hinweisgeber in den letzten Monaten? - Warum wurden Unterlagen vernichtet und andere nicht rechtzeitig weitergereicht? Das sind nur einige Beispiele für Fragen, deren Antwort erst die Hintergründe der Verbrechen klären und Konsequenzen aus ihnen ermöglichen könnte. Untersuchungsausschuss bleibt aktuell Solange ein Versagen oder gar eine Verwicklung von Landesbehörden in neofaschistische Strukturen und deren Verbrechen ungeklärt im Raum stehen, kann auch eine Enquetekommisssion nicht die richtigen Konsequenzen ziehen. Dennoch ist eine solche Enquetekommission besser als gar nichts. Die Fragen und Aufgaben die der Landtag dieser Kommission auf den Weg gegeben hat (siehe Kasten) sind dringend zu beantworten und zu lösen. Ihre Arbeit ist also unterstützenswert. Gleichzeitig sollten wir einen kritischen Blick auf sie haben. Vor allem der Punkt II c der Aufgabenbeschreibung, in dem die Gestaltung von Aufklärung und Prävention durch die Sicherheitsbehörden (Verfassungsschutz, Justiz und Polizei) sowie deren Strukturen erörtert werden soll, darf nicht zu einer Reinwaschung des Inlandsgeheimdienstes von seinen Verstrickungen in die rechtsterroristische Szene führen. Auf keinen Fall darf am Ende der Bock zum Gärtner gemacht werden. Auch unsere Forderung nach einem Untersuchungsausschuss ist noch nicht vom Tisch. Selbst der SPD-Parteitag hatte nicht ausgeschlossen dass durch die Arbeit dieser Enquetekommission sowie im Rahmen der Ermittlungen des Generalstaatsanwalts und des laufenden Verfahrens vor dem Oberlandesgericht München im weiteren Verlauf die Einsetzung eines NSU-Untersuchungsausschusses im Landtag von Baden-Württemberg notwendig sein könnte. Dieser Überzeugung sind wir weiterhin. Wir werden deshalb die Unterschriftensammlung für einen Untersuchungsausschuss fortsetzen. Dieter Lachenmayer

aktuell 5 Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen: Zehn Morde und viele offene Fragen Die Ausstellung "Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen" des Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Bildung und Beratung (ISFBB) e.v. tourt derzeit als Wanderausstellung durch viele Städte. In Baden Württemberg war sie bereits in Karlsruhe, Stuttgart, Heidelberg, Heilbronn zu sehen und macht derzeit Station in Schwäbisch Hall. Zur dortigen Ausstellungseröffnung sprach Landessprecherin Janka Kluge über die Schicksale der Opfer und die Lücken bei der Aufklärung der Verbrechen. www.opfer-des-nsu.de) Die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds lösten in Deutschland Entsetzen aus. Wahrscheinlich über 6 Jahre lang zogen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mordend durch die Bundesrepublik. Enver Simsek wurde am 9. September 2000 in Nürnberger Osten erschossen. Er wurde mit acht Schüssen aus zwei Pistolen niedergestreckt. Zwei Tage nach der Tat erlag er seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus. Enver Simsek betrieb in Nürnberg einen Blumengroßhandel mit Läden und Ständen. An dem Tag ist er nur eingesprungen, weil der ursprüngliche Verkäufer Urlaub hatte. Der stand befand sich am Rande des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg. Für den Tag war außerdem eine Neonazidemo in Nürnberg geplant. Symbolträchtiger konnte der Auftakt der Mordserie nicht durchgeführt werden. Abdurrahim Özüdogru wurde am 13. Juni 2001 ebenfalls in Nürnberg ermordet. Der 49jährige arbeite hauptberuflich bei Siemens und half nebenher in der Änderungsschneiderei aus, in der er ermordet wurde. Ihn trafen zwei Schüsse in den Kopf. Süleyman Tasköprü wurde am 27. Juni 2001 in Hamburg erschossen. Den 31jährigen trafen 3 Schüsse in den Kopf, diesmal haben die Täter wieder aus zwei Waffen geschossen. Er arbeite im Obst- und Gemüseladen seines Vaters. Habil Kilic wurde am 29. August 2001 in München erschossen. Er wurde in seinem Obst- und Gemüseladen ermordet. Ab diesem Mord wurden an den Tatorten keine Patronenhülsen mehr gefunden, was daraufhin deutet, dass die Täter die Pistolen in einer Tüte hielten und so die Patronen aufgefangen wurden. Mehmet Turgut wurde am 25 Februar 2004 in Rostock ermordet. Der 25jährige Turgut hielt sich illegal in Deutschland auf und hat kurzfristig für einen Freund an diesem Morgen den Döner-Imbiss aufgemacht, in dem er dann erschossen wurde. Er wurde mit drei Kopfschüssen ermordet. Sieben Jahre lang wurde aufgrund einer Verwechslung sein Name mit Yunus Turgut veröffentlicht, dem Namen seines Bruders. Ismail Yasar wurde am 9. Juni 2005 in Nürnberg ermordet. Er wurde mit fünf Schüssen in Kopf und Oberkörper getötet. Zeugen beschrieben zum erstenmal zwei Männer mit Fahrrä-

6 aktuell dern, die sich auffällig verhalten haben. Theodorus Boulgarides wurde am 15. Juni 2005 in München ermordet. Der 41-jährige Grieche war Mitinhaber eines Schlüsseldienstes. Das Geschäft war nur 14 Tage zuvor eröffnet worden. Mehmet Kubasik wurde am 4. April 2006 in Dortmund ermordet. Er war Besitzer eines Kiosks, in dem er auch erschossen wurde. Sein Laden in Dortmunds Norden war ganz in der Nähe eines bekannten Treffpunkts von Neonazis. Am 11. Juni organsierten türkische Kulturvereine einen Trauer- und Schweigemarsch. Sie riefen dabei die Behörden auf, ein zehntes Opfer zu verhindern. Halit Yozgat wurde am 6. April 2006 durch zwei Kopfschüsse in Kassel ermordet. Der 21-Jährige hatte erst kurz davor das Internetcafé eröffnet, in dem er starb. Er war noch in dem Cafe, weil sein Vater, der ihn ablösen sollte, sich verspätet hatte. Am 25. April 2007 wurde die Polizeibeamtin Michele Kiesewetter auf der Heilbronner Theresienwiese erschossen und ihr Kollege Martin Arnold lebensgefährlich verletzt. Außerdem werden dem NSU zwei Bombenanschläge, 2001 und 2004, in Köln zur Last gelegt. Mehrere Bankund Raubüberfälle werden ihnen ebenfalls zugeschrieben. Erniedrigende Erfahrungen Nach den Morden an den acht türkisch- und einem griechisch stämmigen Männern gingen die Polizei und die Staatsanwaltschaften sofort von kriminellen Ausländern aus, die Opfer aus Rache oder als Strafmaßnahme erschossen haben. Dass die Taten zusammenhingen, war schnell deutlich, weil immer die selbe Waffe benutzt worden war. Eine Ceska, die nur in geringer Stückzahl hergestellt worden war. Im Rahmen der Ermittlungen wurde in erster Linie im Umfeld der Mordopfer ermittelt. Angehörige haben immer wieder berichtet, wie belastend es für sie war, erleben zu müssen, wie ihre toten Männer und Väter im Nachhinein von der deutschen Polizei mit Dreck beworfen wurden. Die Ermittler schreckten weder vor konstruierten Ehebrüchen mit angeblichen Geliebten, noch vor dem Herbeiphantasieren von Kontakten zur Drogenmafia und dem organisierten Verbrechen zurück. Auch die Verwendung des Begriffs Döner- Morde entspricht dieser rassistischen Logik. Die Zeit hat bereits im Dezember 2012 über die erniedrigenden Erfahrungen von Yvonne Boulgarides berichtet: Immer wieder wird Yvonne Boulgarides im ersten Jahr nach dem Mord vernommen. Die Beamten vermuten Finsteres in Theodoros Boulgarides Vergangenheit Drogen, Prostituierte, Glücksspiel. Bei den Töchtern wird nachgehorcht, ob ihr Vater sie sexuell missbraucht habe. Oder ob ein Freund ihn getötet haben könnte. Schließlich wird Yvonne Boulgarides gefragt, ob sie ihren Mann umgebracht oder jemanden dafür engagiert habe. Sie entgegnet:»und damit es nicht auffällt, habe ich vorher sechs Türken ermordet? (Zeit online) Immerhin hat sich Bundesjustizminister Heiko Maas im Namen der Bundesregierung für die rassistische Vorverurteilung entschuldigt. Bei der Gedenkfeier vor wenigen Wochen zum zehnten Jahrestag des Bombenanschlags in Köln sagte er: "Ich schäme mich dafür, dass der deutsche Staat es über so viele Jahre nicht geschafft hat, dafür zu sorgen, dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger besser geschützt wurden" (Zitiert nach Zeit online vom 9. Juni 2014) Solche rassistischen Einstellungen sind aber weit verbreitet in Deutschland. Umfragen zeigen immer wieder, dass ein großer Teil der Bevölkerung der Meinung ist, der Islam gehöre nicht nach Deutschland. Missachtete Hinweise Es gab allerdings auch andere Ermittlungsansätze. Bei einer Tagung des LKA Bayerns, im Jahr 2007, sprach ein Profiler aus den USA, dem die Unterlagen der Morde vorgelegt wurden, davon, dass es sich eindeutig um Hate-Crime handelt. Hass-Verbrechen ist der englische Begriff für Verbrechen wie sie Nazis verüben. Obwohl der Profiler vor dem Auffliegen des NSU die Morde eindeutig zuordnete, weiteten weder die Landeskriminalämter noch die Staatsanwaltschaften die Ermittlungen aus. Dabei hat schon sehr früh einiges für Neonazis als Täter gesprochen. Die Opfer waren zufällig ausgewählt. Einige waren nur zufällig am Tatort und wurden dadurch Opfer ihrer Mörder. Die Täter suchten nur Männer im zeugungsfähigen Alter aus. Es gab in Neonazikreisen immer wieder Huldigungen an die Mörder. Ein Beispiel ist der Sänger und Musiker Daniel Giese. Eines seiner Projekte ist die Band Gigi und die braunen Stadtmusikanten. Auf der CD Hitler lebt veröffentlichte er ein Lied mit dem Titel Döner- Morde und besingt darin die Morde. Bereits kurz nach dem Abtauchen von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe wusste das LKA Thüringen, dass sich die drei Waffen besorgt hatten. Auch die Idee des Führerlosen Widerstands, der Anschläge und Morde verüben sollte, war nicht nur Antifaschisten bekannt. Diese Theorie unabhängiger Kleinstgruppen wurde gleichzeitig in der englischen Blood & Honour Struktur und bei amerikanischen Skinheads und Ku-Klux- Klan Anhängern entwickelt. Diese Theorien wurden auch bei Nazis in Deutschland diskutiert. Hier waren es insbesondere die Ableger von Blood & Honour, die die Diskussion aufgriffen. Die Organisation wurde im Jahr 2000 zusammen mit ihrer Jugendorganisation White Youth verboten. Trotzdem bestanden die Strukturen weiter. Die drei Rechtsterroristen vom NSU waren fester Bestandteil der Blood & Honour Struktur. Von hier und vom Thüringer Heimatschutz kamen die meisten Unterstützer des Trios. Der THS war ein Zusammenschluss verschiedener Nazigruppen und Kameradschaften aus Thüringen. Ihr Gründer, Tino Brandt, war ein führender Kopf der ostdeutschen Neonaziszene. Er war nicht nur Organisator vieler Aufmärsche und Konzerte, sondern auch Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. Ein Kriminalbeamter aus Thüringen sprach als Zeuge vor dem Münchner Gericht davon, dass der THS so etwas wie der Lebensinhalt der drei gewesen sei. Als Tino Brandt eine Zeitlang im Fränkischen lebte, gründete er nach dem Vorbild des Thüringer Vorbilds einen Fränkischen Heimatschutz. Der hatte bis zu seiner Auflösung am 1. März 2013 dieselben Aufgaben inne wie der thüringische. Von hier aus gab und gibt es enge Kontakte zum Freien Netz Süd. Michael Wiese, der Kopf des Freien Netzes Süd wurde zu mehreren Jahren Haft verurteilt,

aktuell 7 weil er einen Anschlag auf den Neubau der Synagoge in München verüben wollte. In allen Städten, in denen Morde der NSU verübt wurden, gibt es große vernetze Neonazigruppen. Agenten, Spitzel und Geheimdienste Immer wieder wird gesagt, es gab doch Informanten des Verfassungsschutzes im Umfeld des Trios, warum haben sie nichts verraten. Zum einen verkennt so eine Frage das Verhältnis von Spitzeln aus dem Neonazispektrum und dem Verfassungsschutz. Für die meisten von ihnen bedeuten die Honorare des Verfassungsschutzes Geld, das sie wieder in die rechte Arbeit stecken. Außerdem schützt das Amt seine Informanten. Am Beispiel von Achim Schmidt aus Schwäbisch Hall lässt sich das verdeutlichen. Es ist nicht ganz klar, ab wann er Informationen an den Verfassungsschutz weitergab. Nach einem Artikel der Taz muss es aber bereits in den neunziger Jahren gewesen sein. Achim Schmidt gründete im Jahr 2000 den European White Klan, einen Ableger des Ku- Klux-Klan. Ebenfalls Mitglied in dem Klan-Ableger war Thomas Richter. Thomas Richter informierte unter dem Decknamen Corelli zuerst den baden-württembergischen Verfassungsschutz und später das Bundesamt für Verfassungsschutz. In dem Klan waren auch zwei Polizisten Mitglied, die Kollegen von Michele Kiesewetter waren. Einer von ihnen war sogar an dem Tag ihres Mordes ihr Einsatzleiter. Sowohl Thomas Richter als auch Achim Schmidt gelten als enge Kontaktleute zu den untergetauchten NSU-Mitgliedern. Gab es wirklich keine Hinweise auf die Morde des NSU? Ein Mitarbeiter des baden-württembergischen Verfassungsschutzes meldete sich nach der Veröffentlich der Phantombilder bei seinem ehemaligen Arbeitgeber und berichtete, das ein Informant aus der Naziszene mit dem Decknamen Erbse, ihm bei einem Treffen von einer Gruppe namens NSU berichtet habe und auch der Name Mundlos gefallen sei. Eine V-Frau mit dem Decknamen Krokus, die auf die Nazis im Raum Heilbronn, Schwäbisch Hall angesetzt war berichtete, dass Nazis aus der Region versucht haben Informationen über den Gesundheitszustand von Martin Arnold zu bekommen. Nachdem eine Krankenschwester aus dem Klinikum Ludwigsburg berichtet hat, dass er sich an nichts erinnert, fiel, so Krokus der Satz Dann können wir ihn in Ruhe lassen. Trotzdem wurde Martin Arnold kurz nach der Information in ein anderes Krankenhaus verlegt und wurde Tag und Nacht von mehreren Beamten bewacht. unerwarteter Todesfall Ein anderer, der etwas hätte sagen können, war Florian Heilig. Er war Mitglied der rechten Szene in Heilbronn. Nach seinem Ausstieg war er sogar einige Zeit im Zeugenschutzprogramm. Florian Heilig sagte gegenüber seiner Berufsschullehrerin, dass er wisse, dass der Mord an Michele Kiesewetter von Rechten verübt worden sei. Die Lehrerin informierte das LKA, das daraufhin Florian Heilig vernahm. Gegenüber dem LKA bestritt er diese Aussage allerdings, gab aber an, dass Nazis aus dem Kreis Heilbronn und Schwäbisch Hall damit prahlten, schon Menschen ermordet zu haben. An dem Tag als die Ermittlungsgruppe Umfeld, die von Innenminister Gall ins Leben gerufen wurde, Florian Heilig noch einmal vernehmen wollte, verstarb Florian Heilig. Er verbrannte Stunden vor der Vernehmung in seinem Auto am Rande des Canstatter Wasens. Die Polizei ging ungewöhnlich schnell von einem Selbstmord aus. Nach Aussage der Familie von Florian Heilig hat er am Abend davor einen Anruf bekommen, der ihn sehr verstört hat. Er sagte zu seinen Eltern, die bekommen mich. Auffällig ist, dass keines der Phantombilder, die nach Zeugenaussagen unmittelbar nach der Tat angefertigt wurden Ähnlichkeiten mit Mundlos oder Böhnhardt haben, oder dass alle Zeugen angeben, fünf oder sechs Tatbeteiligte am Tatort gesehen zu haben. Als die Staatsanwaltschaft noch von Organisierter Kriminalität ausgegangen war, hatte sie diese Zeugenaussagen auch für zuverlässig gehalten. Erst nachdem die Tatwaffe, die erbeuteten Waffen und andere Gegenstände der Polizisten im abgebrannten Haus in Zwickau gefunden wurden, verwirft die Staatsanwaltschaft die Annahme, dass es mehrere Täter waren. Jetzt vertritt sie auf einmal die Alleintäterschaft von Mundlos und Böhnhardt. Es gäbe noch viel zu dem ganzen Komplex zu sagen. Ich hoffe aber, dass deutlich wurde, das es mehr ungeklärte Fragen gibt als Antworten. Die Morde des NSU sind ein Teil der deutschen Geschichte der wir uns stellen müssen. Dazu gehört auch, dass alle Morde und alle sonstigen Verbrechen lückenlos aufgeklärt werden müssen. In vielen Ländern gab es parlamentarische Untersuchungsausschüsse, die sich dieser Aufgabe gestellt haben. In Baden-Württemberg ist nach langem politischen Tauziehen nun eine Enquetekommission gegründet worden. Der Arbeit einer Untersuchungskommission kann sie aber nicht ersetzen. Deswegen fordern wir, die VVN-BdA, weiter die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Janka Kluge

8 aktuell Erklärung der FIR: Stoppt den Krieg in der Ukraine sofort! Keine Toleranz für neofaschistische Kräfte! Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) Bund der Antifaschisten fordert von den gegenwärtig in der Ukraine Regierenden, den Bürgerkrieg gegen die eigene Bevölkerung in der Ostukraine sofort einzustellen. Die Berichte über die militärischen Aktionen auch gegen Zivilisten und die Ankündigung von Präsident Poroschenko, Rache gegenüber den Separatisten zu nehmen, machen deutlich, dass jeglicher Protest gegen die aktuelle Regierung mit großer Gewalt bekämpft werden soll. Dieses Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung ist möglich, da sich die Regierungen der USA und der EU, die noch im Mai Sanktionen im Minutentakt gegen Russland verkündet haben, weil dieses Land angeblich die Separatisten gefördert habe, nun in Tatenlosigkeit verharren und damit die Massaker faktisch tolerieren. Sollte die OSZE eine politische Bedeutung in Europa haben, dann muss sie diese jetzt in der Ukraine unter Beweis stellen und zu einem Ende des Krieges beitragen. Frieden in der Ukraine ist nur möglich, wenn der politische und militärische Einfluss der offen faschistischen und extrem nationalistischen Kräfte des Rechten Sektors und der Partei Svoboda begrenzt wird. Diese Gruppen widersprechen in ihren Aussagen und ihren Taten allen Grundlagen eines demokratischen Europas. Es kann und darf nicht toleriert werden, dass solche Gruppen in verantwortlichen Positionen der neuen ukrainischen Regierung eingebunden sind. Solange Faschisten in Kiew an Schaltstellen der Macht sitzen, darf es seitens der europäischen Regierungen keine Unterstützung der gegenwärtigen Regierung in der Ukraine geben. Wir rufen die Abgeordneten des neu gewählten Europäischen Parlaments auf, in dieser Frage einen klaren Trennungsstrich zu ziehen. Anderenfalls könnte die Toleranz gegenüber Faschisten zum Vorbild für andere europäische Staaten werden. Auch (14. Juli die 2014) anderen wichtigen Themen Ostermärsche: Nein zum Krieg in der Ukraine, Syrien und überall! Die Entwicklung in der Ukraine und die von Stuttgart aus gesteuerten Drohnen-Angriffe in Afrika standen im Mittelpunkt des Ostermarschs durch Stuttgart am Samstagnachmittag. Rund 1500 Demonstrantinnen und Demonstranten beteiligten sich. der Friedensbewegung wurden nicht ausgespart. So wurde der Beginn des Stuttgarter Ostermarsches zur bisher größten Protestaktion gegen die Ende 2008 eingerichtete US Kommandozentrale für die Kriegsführung in Afrika, AFRICOM. Hier wurde der Krieg gegen Libyen 2011 geführt und von hier aus werden Drohnenangriffe in Afrika befehligt. Während in der Vergangenheit nur wenige RüstungsgegnerInnen den Weg zu Aktionen der Friedensbewegung in dieser abgelegenen Ecke Stuttgarts gefunden hatten, zogen am Karsamstag 800 OstermarschiererInnen zu dieser Kriegszentrale vor die Tore Stuttgarts. Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) berichtete von den Kriegen die hinter der weitgefassten Absperrung dieses Militärareal organisiert und vorbereitet werden. In Stuttgart beginnt Krieg Er wies auf die Verbrechen der extralegalen Tötungen durch Drohnen hin, die von hier ausgehen. Damit mache sich auch die Bundesregierung der Mithilfe beim Morden schuldig. Unter großem Beifall forderten die DemonstrantInnen die sofortige Schließung der Tötungszentralen AFRICOM und EU- COM in Stuttgart. Anschließend zog der Ostermarsch unter den Trommelklängen von Lokomotive Stuttgart nach Stuttgart Möhringen um von dort mit Stadtbahn zum Bahnhof zu gelangen. Der zweite Teil wurde in der Lautenschlagerstrasse mit Liedern von Ernesto Schwarz und der friedenspolitischen Begrüßung des Offenen Treffens gegen Militarismus und Krieg Stuttgart zum Krieg in Syrien eröffnet. Schliesslich zogen rund 1500 Friedensdemonstranten zur Abschlusskundgebung am Schlossplatz. Bei der Abschlusskundgebung machte die Band Einheizfront Musik, und das Offene Treffen gegen Krieg und Militarisierung in Stuttgart (OTKM) spielte Theater. Die Bundestagsabgeordnete der Linken und langjährige Aktivistin im Friedensnetz Baden-Württemberg Heike Hänsel griff bei der Abschlusskundgebung noch einmal das Thema Afri-

aktuell com auf. Erst am Morgen hatte es Berichte über 18 Todesopfer eines Drohnen-Angriffs im Jemen gegeben. Das ist ein Verbrechen. Die Kommandozentrale Africom müsse aufgelöst werden. Sowohl der Stuttgarter Gemeinderat als auch der Landtag von Baden-Württemberg und Ministerpräsident Winfried Kretschmann sollten das fordern. dien, vornehmlich der öffentlichrechtlichen. Sie sprach von Propaganda und Desinformation. Nach wie vor gelte für sie auch die Forderung, die Nato aufzulösen, sagte die Abgeordnete: Wir brauchen keine Militärbündnisse mehr. In Stuttgart beginnt auch der Frieden Zuvor hatte Ilse Kestin von der IG Metall Stuttgart gesprochen. Das geplante Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine sei zumindest fahrlässig, andererseits jedoch die Annexion der Krim völkerrechtswidrig. Gerade aus diesem Grund dürften Politiker jetzt nicht hetzen und den Konflikt nicht weiter anheizen. Es gibt keine gerechten Kriege, stellte Kestin klar. Scharf kritisierte sie die Äußerungen Joachim Gaucks bei der Sicherheitskonferenz in München. Ein deutscher Bundespräsident erdreistet sich dort, eine neue deutsche Rolle in der Außenpolitik einzufordern, empörte sie sich. Die Zuhörerinnen und Zuhörer schlossen sich ihrer Kritik mit Buhrufen an. Gauck habe seine Worte damit begründet, dass Deutschland überdurchschnittlich von einer offenen internationalen Ordnung profitiere. Da stecken Interessen der Wirtschaft und des Kapitals dahinter erklärte sie. Kestin wandte sich auch gegen Rüstungsexporte und warnte vor einem wachsenden Einfluss des rechten Spektrums von der italienischen Lega Nord bis zur deutschen AfD in Europa. Am Ostermarsch in Stuttgart hätten sich schon Zehntausende, aber auch nur einige hundert beteiligt, sagte Hänsel. 100 Jahre nach Beginn des 1. Weltkriegs, 75 Jahre nach Beginn des 2. Weltkriegs und 15 Jahre nach dem Angriff auf Jugoslawien alles brutale Kriege, die von Deutschland ausgingen laute auch 2014 die zentrale Botschaft des Ostermarschs Nie wieder Krieg von deutschem Boden aus. Die Friedensbewegung lebe von ihrem langen Atem, betonte Hänsel: Hier beginnt nicht nur der Krieg, hier beginnt auch der Frieden. Im Ukraine-Konflikt kritisierte die Abgeordnete eine Politik der Eskalation, der Militarisierung, des Wahnsinns. Wir wollen nicht zurück zum Kalten Krieg und zur Konfrontation, wir wollen Deeskalation. Die Gesellschaft Kultur des Friedens fordere eine verantwortliche und friedliche Außenpolitik, die Konflikte diplomatisch entschärfe. Sie rufe zu einem Dialog der Bevölkerungen auf. Scharf kritisierte Hänsel die Berichterstattung der Me- Empörung über Joachim Gauck 9 Die Einheizfront spielte Lieder wie Keine Macht für niemand der legendären Band Ton, Steine, Scherben. Im Theaterstück von OTKM ging es um den Afghanistankrieg und das Leid, das er über die Bevölkerung brachte. Bundeswehr-Oberst Klein wurde für sein umstrittenes Vorgehen sogar zum General befördert auf der Schlossplatz-Bühne jedoch von Friedensaktivisten entmachtet, die das Kommando übernahmen, um Gemeinsam gegen den Krieg zu kämpfen. Schließlich waren 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland gegen den Afghanistan-Einsatz, hatte ein Redner aus dem Publikum gesagt. Zum zentralen Ostermarsch in Stuttgart hatte das Friedensnetz BadenWürttemberg aufgerufen. Es beteiligte sich auch eine bislang unbekannte Gruppe mit einem Transparent Friedensbewegung Stuttgart. Sie hatte sich im Zug eines umstrittenen bundesweiten Aufrufs gebildet, dessen Urheber dem rechten Spektrum zugeordnet werden. Die Stuttgarter Gruppe betont, sich von den Initiatoren getrennt zu haben. Sie wende sich gegen Kriegstreiberei in der Ukraine, gegen die US-Kommandozentralen Eucom und Africom und gegen das geplante Freihandelsabkommen TTIP. Ansonsten sei sie unpolitisch, komplett überparteilich und wolle nichts Extremistisches in keiner Richtung. Anne Hilger (beobachternews.de) / Dieter Lachenmayer Fotos: Denzinger www.beobachter news.de

Geschichte 10 Jugendwiderstand gegen den Faschismus: Hans Gasparitsch und die Gruppe G. Vor 80 Jahren, im Juli 1934 erschien die erste Nummer der illegalen Zeitschrift Die Junge Garde, geschrieben, gedruckt und phantasievoll unter steter Verhaftungsgefahr verteilt von einer Gruppe Stuttgarter Jugendlicher, die Widerstand gegen den Faschismus leisteten. Jugendliche im Widerstand Für Jugendliche in der späten Weimarer Republik bot sich ein breites Spektrum an Jugendorganisationen dar, in der sie Gleichaltrige und Gleichgesinnte treffen konnten und ihre Freizeit gemeinsam gestalten konnten. Auf Seiten der Arbeiterbewegung gab es v.a. den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD), die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) und die Naturfreundejugend, daneben noch konfessionelle, also katholische, evangelische oder jüdische Jugendvereinigungen und schließlich die Bündische Jugend, die konservativ bis deutschnational geprägt war und in der Tradition des Wandervogels der Jahrhundertwende stand. 1926 gründete sich bereits die Hitler-Jugend, die jedoch im Wandergruppe G 1933 Reichsausschuß deutscher Jugendverbände, der Dachorganisation der damaligen Jugendverbände, nicht vertreten war. Mit der Machtübertragung an die Nazis Ende Januar 1933 begann auch die Gleichschaltung der Jugendarbeit, die mit dem Verbot aller anderen Jugendverbände einherging. Davon ausgenommen waren lediglich katholische Jugendverbände, bis diese 1938 ebenfalls verboten wurden. Ein Jahr später wurde schließlich die sog. Jugenddienstpflicht eingeführt, die Hitlerjugend wurde somit zur Staatsjugend, alle deutschen Jungen zwischen 14 und 18 Jahren wurden somit automatisch Mitglied der eigentlichen HJ und alle deutschen Mädchen zwischen 14 und 21 Jahren Mitglied des Bundes Deutscher Mädel (BDM). Die Nazis konnten aber das Monopol über die Jugend nie so vollständig durchsetzen, wie sie es gerne gehabt hätten, da sich Jugendliche im ganzen Reich widerständig oder unangepasst verhielten: Sozialistische und kommunistische Jugendliche gründeten beispielsweise illegale Jugendgruppen, die Flugblätter gegen den drohenden Krieg herausgaben, evangelische Jugendliche gründeten die Junge Gemeinde und hielten Kontakt zur Pastoren der Bekennenden Kirche, katholische Jugendgruppen führten in der Illegalität ihre Arbeit fort, während bündische Gruppen illegale Wanderfahrten veranstalteten. In den Kriegsjahren entstanden sogar neue Foto aus dem Buch Hanna,Kolka Ast und andere

Geschichte 11 Vereinigungen von Jugendlichen, die nicht in der Weimarer Republik ihre Ursprünge hatten, nämlich die sog. wilden Jugendgruppen. Besonders bekannt wurden die Edelweißpiraten und die Swing-Jugend, die vor allem in Großstädten zu finden war. Letztgenannter ging es nicht einmal darum aktiv Widerstand gegen das Naziregime zu leisten - alleine die Tatsache, dass sie eine Subkultur jenseits des stumpfen militärischen HJ-Drills pflegte, machte sie zur Zielscheibe faschistischer Repression. Diese nahm oft brutale Formen an und beinhaltete langjährige Gefängnisstrafen, Einweisung in (Jugend)KZs, Zuteilung zu Strafbataillonen der Wehrmacht oder sogar die unmittelbare Hinrichtung. Die Gruppe G in Stuttgart Ein besonders bemerkenswertes Beispiel von Jugendwiderstand nicht nur in Südwestdeutschland, sondern im ganzen Reich lieferte die sog. Gruppe G in Stuttgart. G stand für Gemeinschaft, eine Gemeinschaft, die schon vor 1933 bestanden hatte, als eine Gruppe von Jugendlichen in einem Arbeiterschwimmverein. Als dieser verboten wurde, organisierten sie eigenständig konspirative Wanderausflüge oder Skifreizeiten. Aber nicht nur in ihrer Freizeitgestaltung wollten sie frei von der Naziideologie sein, auch in ihrem Denken und Handeln gingen sie eigene Wege. Sie diskutierten sozialistische Schriften, führten Schulungen durch und gaben schließlich eine eigene Zeitschrift heraus, die Junge Garde. In der ersten Ausgabe dieser illegalen Zeitschrift, die im Juli 1934 erschien hieß es z.b.: Jungarbeiter! Der Feind steht im eigenen Land! Wenn ihr und die gesamte werktätige Bevölkerung es wollt, könnt ihr im kommenden imperialistischen Krieg die Waffen, die man euch gibt, umdrehen gegen die eigenen Feinde im Land selbst, gegen eure Ausbeuter. Im Laufe der Zeit gewannen sie neue Mitglieder dazu, die vor 1933 bei den Naturfreunden, des Kommunistischen Jugendverbands oder des Katholischen Jungmännervereins waren. Sie praktizierten somit das, was in der Endphase der Weimarer Republik dringend nötig gewesen wäre, nämlich die antifaschistische Einheitsfront. Doch als ein Mitglied der Gruppe, der 16-jährige Hans Gasparitsch am 14. März 1935 an der Rossebändigerplastik im Stuttgarter Schlossgarten die Parolen Rotfront! und Hitler=Krieg pinselte, war das Schicksal der jugendlichen Widerstandsgruppe besiegelt. Im Rahmen einer Großfahndung wurde er verhaftet und der Gestapo übergeben, auch seine Genossen und Genossinnen wurden Opfer einer großangelegten Verhaftungsaktion. Erst ein Jahr später, im März 1936, begann der Prozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, bei denen den jungen Männern und Frauen u.a. Vorbereitung zum Hochverrat vorgeworfen wurde. Insgesamt wurden achtzehn Jugendliche und sieben Erwachsene zu Haftstrafen bis zu fünfeinhalb Jahren verurteilt. Es war der größte Prozess gegen eine jugendliche Widerstandsgruppe während des deutschen Faschismus. Für Hans Gasparitsch begann nun ein langer Leidensweg: zweieinhalb Jahre Haft auf dem Oberen Kuhberg bei Ulm, nach dem Ende der Haftzeit Überstellung an die Gestapo, die ihn ins KZ Welzheim verschleppte, danach Überstellung ins KZ Dachau, kurzzeitig Häftling in Flossenbürg, dann wieder in Dachau, schließlich kam er ins KZ Buchenwald, wo er am 11.April 1945 die Selbstbefreiung des Lagers erlebte.viele seiner jugendlichen Mitstreiter sah er nach Kriegsende nicht wieder, da sie die Haftzeit oder den Krieg nicht überlebt hatten. Fotos: Archiv der VVN-BdA BW Hans Gasparitsch und das Vermächtnis des Jugendwiderstands Zusammen mit den wenigen Überlebenden der Gruppe G, die sich das Pseudonym Fritz Kaspar gaben, schrieb er kurz nach 1945 einen autobiographischen Bericht über ihre Erlebnisse, der erst 1960 unter dem Titel Die Schicksale der Gruppe G in der DDR erschien. Eine Neuausgabe dieses lesenswerten Buches erschien erst 1994 unter dem Titel Hanna, Kolka, Ast und andere Stuttgarter Jugend gegen Hitler. Mehr noch als Buchautor war Hans Gasparitsch als unermüdlicher Zeitzeuge bekannt: er war bei den Ostermärschen dabei, nahm an Kundgebungen gegen rassistische Gewalt teil und gab lange Jahre bei den den antifaschistischen Stadtrundfahrten in Stuttgart sein Wissen an Jüngere weiter. Darüber hinaus war er Mitbegründer der VVN in Südwestdeutschland und des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg e.v. Für sein antifaschistisches Engagement wurde ihm schließlich im Jahr 2000 in Stuttgart vom damaligen Bundespräsidenten Rau das Bundesverdienstkreuz verliehen. Hans Gasparitsch starb am 13. April 2002. Wie er in seinem Nachwort zu Hanna, Kolka, Ast und andere.. schrieb sind auch heute Solidarität, gegenseitige Hilfe und Menschlichkeit Mittel um den opferreichen Weg der deutschen antifaschistischen Jugend lebendig [zu halten] und ihre Ideale weisen den Weg in eine Zukunft des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit. Jörg Rebhan

12 Geschichte Vor 80 Jahren in Dachau ermordet: Der Revolutionär, Kommunist und Antifaschist Walter Häbich Geboren wurde Walter Emil Häbich am 15. Oktober 1904 in dem reichlich von Wald und Wasser umgebenen Wäscher- und Bleicherdorf Botnang des Königreichs Württemberg. Er wuchs auf als das fünfte Kind und war der jüngste Sohn einer klassenbewussten und politisch engagierten Arbeiterfamilie. Sein Großvater, der schon Teilnehmer am Gründungsparteitag der Sozialdemokratischen Partei gewesen war, hatte ebenso wie Walters Vater nach ihm, im Gemeinderat des damals noch selbstständigen, erst 1922 zu Stuttgart eingemeindeten Botnang gesessen. Der Vater, ein gelernter Mechaniker, starb früh, bereits 1913, nachdem ein Jahr zuvor schon Walters älteste Schwester gestorben war, und Mutter Häbich, Emma, musste von nun an die Kinder alleine durchbringen. Die materielle Not der Familie vergrößerte sich während der Zeit des I. Weltkriegs und Mutter Häbich musste schließlich die seit 1906 betriebene Gastwirtschaft aufgeben. Doch anstatt zu resignieren fand sie andere Mittel und Wege, auch weiterhin für das tägliche Brot zu sorgen. So verdingte sie sich, indem sie die Wäsche feiner Leute frühmorgens aus Stuttgarts wohlhabendem Westen über den Berg nach Botnang holte, um sie gewaschen, gebleicht und gebügelt abends wieder zu Fuß zurück in den Westen zu tragen. Wie schon seinem vier Jahre älteren Bruder Kuno vor ihm, wurde es auch Walter ermöglicht, einen Ausbildungsberuf zu erlernen. Kuno wurde Kartolithograph, Walter lernte Bandagist, seit Juli 2013 der so genannte Orthopädietechnik-Mechaniker, und nicht der Berufswunsch seiner Wahl. Die Lehrzeit war von 1918 bis 1921. Begeistert von den Zielen und Idealen der Oktoberrevolution trat Walter 1920 währenddessen der im September gerade neu zusammengeschlossenen Kommunistischen Jugend Deutschlands (KJD) bei, wurde 1921 Ortsgruppenvorsitzender und übernahm bereits 1922 die Leitung für Groß-Stuttgart. 1923 erfolgte seine Aufnahme in die Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Wegen seiner aktiven Beteiligung an den Aufstandsvorbereitungen der KPD wurde Walter im Herbst 1923 zum ersten Mal in Schutzhaft genommen. 1924 in diesem Zusammenhang zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, verbüßte er einen Teil dieser Strafe von Januar bis August 1925 auf dem Hohen Asperg, der württembergischen Festung und Traditionsanlage für politische Gefangene. Der Rest der Strafe wurde ausgesetzt. Im Juni war die Umbenennung der KJD in KJVD (Kommunistischer Jugendverband Deutschlands) erfolgt, und noch im selben Jahr wurde Walter Leiter des KJVD Württemberg und hauptamtlicher Funktionär. 1926 wurde Walter Leiter des KJVD Bezirks Wasserkante; gemeint ist damit Hamburg. Zudem wurde er Mitglied der Bezirksleitung Wasserkante der KPD; eine Funktion, die er bis 1928 bekleiden sollte. Als Hoffnungsträger der Partei besuchte er 1928 auch als so genannter Kursant eine Parteischule in Moskau; Auf der Reichskonferenz des KJVD vom 10. und 11. November 1928 wurde er - der bisherige Orgleiter, offiziell zum Vorsitzenden des Kommunistischen Jugendverbands Deutschlands ernannt. Als solcher wurde er im Juni 1929, auf dem XII. Parteitag der KPD im Berliner Wedding in das Zentralkomitee der Partei gewählt, um nur wenige Zeit später beider Ämter wieder enthoben zu werden. Im November 1929 kam er dann nach Halle an der Saale, und wurde Redakteur des Klassenkampf. Kommunistisches Organ für den Bezirk Halle-Merseburg. 1930 folgte der Umzug nach München, um zukünftig für die "Neue Zeitung", seit 1920 die Parteizeitung der KPD in Bayern, zu schreiben. Als ihr verantwortlicher Redakteur wurde er im Januar 1932 zu anderthalb Jahren Festungshaft verurteilt, die er - wiederum auf dem Hohen Asperg, bis zur Amnestie Weihnachten 1932 auch absaß. Nach seiner Freilassung kehrte er nach München zurück, um auch weiterhin für die "Neue Zeitung" zu arbeiten. Nach der faschistischen Machtübernahme war es an der Zeit unterzutauchen. Walter nahm vorläufiges Quartier in einer abgelegenen Bogenhausener Villa bei den frisch vermählten und neu der KPD beigetretenen Eheleuten Bauer. Hans Bauer half ihm mit einem entwendeten Arbeitsausweis, seine Bewegungsfreiheit in München zu erleichtern, und Anna Bauer stellte sich ihm als Schreibkraft zur Verfügung. Mit ihrer Schreibmaschine tippte sie seine Zeitungsartikel ebenso wie seine für Flugblätter bestimmten Texte. Die meisten Artikel der Neuen Zeitung, wie auch der anderen in München produzierten Schriften der KPD, wurden zu jener Zeit von ihm verfasst, bearbeitet und zusammengestellt. Den Kontakt zu den Parteileitungen in München und in Berlin hielt er auch von seinen Verstecken aus aufrecht. So konnte das Erscheinen der Neuen Zeitung auch nach dem Verbot fortgesetzt werden. Im September 1933 wurde Walter in München verhaftet und noch am 23. des Monats in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert. Er hatte dort schon Monate im Bunker zugebracht, ehe er, quasi im Nachgang dessen, was als Röhm-Putsch in die Geschichte eingehen sollte, am 1. [vielleicht auch erst am 2.] Juli 1934 zusammen mit mindestens fünf weiteren Häftlingen, die mit der SA absolut nichts zu tun hatten, im Alter von gerade mal 29 Jahren erschossen wurde. Das Münchener Krematorium vermerkte deutliche Spuren von Folter. Volger Kucher

aus den Kreisen 13 Karlsruher Befreiungsfeier mit Christa und Peter Willmitzer: Deckname Betti Gerber Am 8. Mai fand im ver.di-haus Karlsruhe die traditionelle Veranstaltung zum Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg statt. Der Einladung der VVN-BdA, des DGB und seiner Gewerkschaften ver.di, GEW und NGG sowie der Gewerkschaftlichen Studierendengruppe Karlsruhe (GSKa) folgten über 50 Besucher. Damit wurden die Erwartungen, trotz einiger Parallelveranstaltungen, sogar noch übertroffen. Christa und Peter Willmitzer, Tochter und Schwiegersohn des Münchner Widerstandkämpfers Otto Kohlhofer, lasen aus ihrem Buch Deckname»Betti Gerber«- Vom Widerstand in Neuhausen zur KZ-Gedenkstätte Dachau. Für die angemessene musikalische Umrahmung sorgte die Singegruppe Heidelberg mit Michael Csaszkóczy. In seiner Begrüßung machte Thorsten Dossow, stellvertretender Geschäftsführer des ver.di-bezirks Mittelbaden- Nordschwarzwald, auf die Notwendigkeit aufmerksam, weiterhin Aufklärung zu leisten. Die Wahlwerbung, die zurzeit zu sehen ist, zeigt, dass aus der Geschichte nichts gelernt wurde. Daher werde ver.di auch weiterhin Fahrten in das Konzentrationslager Auschwitz organisieren und bietet das ver.di-haus gerne für die Veranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung an. Jens Kany, Kreissprecher der VVN- BdA Karlsruhe, machte in seinen Begrüßungsworten auf die Aktualität des Gedenkens des 8. Mai 1945 aufmerksam. Neben der Erinnerung an das historische Ereignis sei es wichtig, die heutige Entwicklung kritisch zu beobachten. Denn die Vernichtung des Faschismus sei nach 1945 keineswegs mit seinen Wurzeln vollzogen worden, wie es im Schwur von Buchenwald gefordert wird. Dies zeige nicht zuletzt die Kumpanei staatlicher Behörden mit rechtsextremen Vereinigungen, wie sie etwa im Zuge der Aufarbeitung der NSU-Morde ans Licht kam. Die VVN-BdA Landesvereinigung Baden-Württemberg fordere diesbezüglich die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses beim Landtag. Weiter zeige die Entwicklung in der Ukraine, dass der Faschismus für die herrschende politische Klasse der BRD weiterhin eine reale Option darstelle. So habe die Bundesregierung den von Faschisten mitgetragenen Staatsstreich in der Ukraine unterstützt und arbeite mit der dortigen Putschregierung zusammen, an der auch organisierte Faschisten beteiligt seien. Otto Kohlhofer Erinnerung an den Widerstand In ihrer Lesung berichteten Christa und Peter Willmitzer in drei thematischen Blöcken über Leben und Widerstand von Otto Kohlhofer. Schon in seiner frühen Jugend zeigte sich Otto als Mensch, der es wagte, für seine Überzeugung zu kämpfen. So zettelte er bereits als Lehrling einen Streik an; denn die Lehrlinge wurden in Zeiten der Wirtschaftskrise zu Akkordarbeit gezwungen, während die gelernten Arbeiter in Kurzzeit nur einen Tag in der Woche Arbeit erhielten. Der Streik blieb jedoch, aufgrund fehlender Unterstützung, erfolglos. Otto aber verlor seinen Mut nicht! Als der Nationalsozialistische Fliegerkorps an seiner Berufsschule einen Vortrag halten wollte, mobilisierte Otto zum Boykott. Gemeinsam mit einigen Mitschülern machte er Lärm und verhinderte so den Vortrag. Zur Strafe wurde er ohne Abschluss von der Berufsschule geworfen. Als 17-jähriger trat Otto schließlich in den kommunistischen Jugendverband ein. In der Neuhausener Stadtteilgruppe der KPD wurde er aktiv beim Verteilen von Flugblättern gegen das Naziregime. Im Widerstand gab er sich den Decknamen Betti Gerber. Trotz dieser und verschiedener anderer Vorsichtsmaßnahmen gelang es einem Spitzel der Gestapo sich einzuschleichen und ihn zu verraten. Die gegen ihn verhängte Jugendstrafe von 2,5 Jahren verbrachte er in Einzelhaft im Zuchthaus. Anschließend, 1938, wurde er als politischer Häftling direkt ins KZ Dachau eingeliefert. Dort traf er nach der langen Einzelhaft Freunde aus dem Widerstand wieder, sodass er Dachau als Lichtblick empfinden konnte, aber auch als Zeit der politischen Entwicklung und des Lernens von älteren Kameraden. Er lernte dabei, wie er selbst sagte, die Ereignisse zu verstehen und die Lage einzuschätzen und wurde zum Internationalisten und zum Graduierter des KZs. In Dachau erfuhr Otto auch, was Solidarität und Freundschaft bedeutet. Mit Hilfe seiner Freunde, die in der sog. Häftlingsselbstverwaltung als Funktionshäftlinge eingesetzt waren, erhielt er einen Arbeitsplatz als Feinmechaniker, der ihm das Überleben erleichterte. 1942 wurde er als Zwangsarbeiter im Außenlager Kempten für Sachs/BMW in der Rüstungsproduktion eingesetzt.

14 aus den Kreisen Gegen Ende des Krieges wurde Otto ungefragt einem Bewährungsbataillon der Wehrmacht zugeteilt und an die Front geschickt. Er desertierte und floh über Wien nach Kempten um dort seine große Liebe Resi zu heiraten. Nach Kriegsende machte sich Otto für die Gedenkstätte Dachau stark in einer Zeit, in der niemand davon hören wollte. Doch er baute auf den Geist der Lagerstraße. Dort, auf der Lagerstraße, haben sich die Häftlinge in ihrer spärlichen Freizeit getroffen und über die Welt nach der NS- Herrschaft debattiert. Dabei galt: Egal aus welcher politischen Richtung sie kamen, in der Häftlingsuniform im KZ waren alle gleich. Diesen antifaschistischen Grundkonsens galt es für die Nachkriegszeit zu bewahren. Ab 1955 organisierte sich Otto im CID (Comité International de Dachau), um das ehemalige KZ als Gedenkstätte zu bewahren. 1965 wird die Gedenkstätte eröffnet. Sekt zum Tag der Befreiung Um den Sieg über Faschismus und Krieg, das Ende des Weltkrieges gebührend zu feiern, wurde zum Schluss der Veranstaltung mit Rotkäppchen-Sekt angestoßen. In seinem Trinkspruch las Dietrich Schulze einen in der Zeitschrift Ossietzky veröffentlichten Artikel von Felicia Langer vor. In diesem drückt die in der Ukraine aufgewachsene Trägerin des Alternativen Nobelpreises in einer bewegenden Botschaft ihre Empörung über die von Faschisten gestützte Übergangsregierung der Ukraine und die antirussische Hetze der Medien aus. Ebenso betont sie ihren Dank an die Sowjetarmee für die Rettung ihres Mannes am Rande des Todes aus dem KZ Theresienstadt. Die Befreiung der Welt vom Hitlerfaschismus ist hauptsächlich dem aufopferungsvollen Kampf der Roten Armee zu verdanken. Text und Foto: VVN-BdA Karlsruhe Das Buch: Christa und Peter Willmitzer: Deckname Betti Gerber. Vom Widerstand in Neuhausen zur KZ-Gedenkstätte Dachau. Otto Kohlhofer 1915 1988. Mit einem Geleitwort von Barbara Distel. Erschienen 2006 im Allitera Verlag. KZ Friedhof Birnau / Bodensee Gedenken am Tag der Befreiung Wie in jedem Jahr seit 1947, so auch am 10. Mai in diesem Jahr veranstalteten die VVN BdA Gruppen Oberschwaben-Bodensee und Kreis Konstanz / Singen unter Beteiligung des DGB Oberschwaben, der IGM Friedrichshafen und Singen sowie der Stolpersteininitiativen Konstanz und Radolfzell eine Gedenkfeier auf dem KZ Friedhof Birnau. Die historischen Wurzeln des Friedhofs gehen zurück auf die Bombardierungen der Stadt Friedrichhafen, die im Frühjahr 1944 wegen ihrer dominanten Rüstungsindustrie (Zahnradfabrik, Zeppelin Luftschiffbau, Maybach Motorenbau, Flugzeugbau Dornier) erfolgten. Friedrichshafen wurde zu 70 % zerstört. Um diese Rüstungsproduktion aufrechterhalten zu können, wurde in der 2. Hälfte 1944 mit dem Bau einer Stollenanlage in Überlingen, Ortsteil Goldbach begonnen. Ca. 800 KZ Häftlinge aus Dachau, vorwiegend Italiener und Slowenen, die im KZ-Außenlager Aufkirch (Überlingen) eingepfercht wurden, trieben die Stollen unter Lebensgefahr in den Molassefels. Bei Sprengungen durften sie den Stollen nicht verlassen, Wachmannschaften trieben sie unbarmherzig während der 12 Stunden Schicht an, die hygienischen Bedingungen und die unzureichende Ernährung alle diese unmenschlichen Situationen verursachten Unfälle und Krankheiten bis hin zum Tod. Ungefähr 180 Häftlinge verloren ihr Leben und wurden größtenteils in einem Massengrab im Wald verscharrt. Nach Kriegsende bekam die französische Militärkommandatur von Antifaschisten den Hinweis auf das Massengrab. Daraufhin mußten belastet Nazis die Leichenüberreste der Ermordeten ausgraben und in Särge legen. Die Särge wurden dann einen Tag und eine Nacht lang in Überlingen öffentlich aufgebahrt. Die sterblichen Überreste überführte man am 9. April 1946 unter Beteiligung der Überlinger Bevölkerung, der Stadtverwaltung und des französischen Militärkommandos auf den extra hierfür geschaffenen Friedhof, nicht weit von der Barockbasilika Birnau entfernt. Wie in vielen Jahren davor nahmen auch diesmal zahlreiche Teilnehmer der Gedenkveranstaltung an einer von Oswald Burger durchgeführten Besichtigung des Stollens am frühen Samstagnachmittag teil. Etwa 80 100 Antifaschisten, Friedenfreunde und andere Bürger versammelten sich dann um 17 Uhr zur 67. Gedenkveranstaltung der VVN - BdA auf dem KZ Friedhof. Unter ihnen war der fast 89- jährige Anton Jez aus Slowenien, einer der letzten Überlebenden der KZ- Häftlinge aus dem KZ-Stollenkommando. Gottfried Christmann vom DGB Oberschwaben eröffnete die Veranstaltung mit einer Grußadresse. Die 15-jährige Roma Alicia Jusufovic spielte auf der Geige zwei Stücke. Ihr Großvater war im KZ umgekommen. Heute ist ihre Familie ganz aktuell von Abschiebung bedroht. Ein Vertreter der Initiative Stolpersteine für Radolfzell sprach in seinem Beitrag die in Radolfzell ansässig gewesene Kaserne der SS Schule Germania an, deren SS Angehörige 1938 Sprengungen von Synagogen in Konstanz und auf der Höri vorgenommen hatten und deren Schießanlage von KZ-Häftlingen aus Dachau gebaut wurden war. Nach dem gemeinsam gesungenem italienischen Partisanenlied Bella Ciao erinnerte die italienische Vorsitzende des Comitato Resistenza Colle del Lys aus der Nähe von Turin, Elena Cattaneo, an die Vergeltungsaktionen der deutschen Wehrmacht gegen italienische Partisanen. Die Hauptrede hielt Janka Kluge, Landessprecherin der VVN BdA Baden-Württemberg. Sie beleuchtete den historischen Hintergrund des Stollenbaus und des KZ Lagers Aufkirch. Besonders aufmerksam verfolgten die Teilnehmer ihre Ausführungen zu den Kontakten und Helfershelfern der neofaschistischen Mördergruppe NSU in Baden- Württemberg. Ihren Aufruf zur Abschaffung des Verfassungsschutzes und zur Bildung eines NSU Landtagsuntersuchungs-ausschuss in Baden Baden-Württemberg quittierten die Zuhörer mit anhaltendem Beifall. Mit dem Lied Die Moorsoldaten wurde die Gedenkveranstaltung beendet. Allen Interessierten an Hintergrundinformation zum Stollenbau und zum KZ Friedhof Birnau sei das Buch von Oswald Burger, Der Stollen, empfohlen. Hendrik Riemer

aus den Kreisen 15 det wurden, mit einem Aufruf zu Aktionen am 8. Mai reagiert. So stand auch die Stuttgarter Kundgebung im Zeichen sowohl der Erinnerung an die Opfer des Faschismus von damals als auch der Forderung, den Faschisten heute in der Ukraine und anderswo in den Arm zu fallen. Neben dem DGB Regionalvorsitzenden Bernhard Löffler erinnerte auch die VVN-BdA Landesprecherin Janka Kluge, an die vielen Opfer, die für die Befreiung von Faschismus und Krieg erbracht werden musste. Vor diesem Hintergrund sei es unverantwortlich, wie die Bundesregierung dazu beigetragen habe, den Einfluss faschistischer Kräfte in der Ukraine zu stärken. Jede Zusammenarbeit mit ihnen müsse eingestellt werden. Stuttgart: Nie wieder Krieg und Faschismus Aktion gegen den Krieg in der Ukraine am 21.6. in Stuttgart Foto: Denzinger / www.beobachternews.de / Foto oben: DL Am 8. Mai, dem Jahrestag der Befreiung hatten die Gesellschaft Kultur des Friedens die VVN-BdA Stuttgart und andere zur zu einer Kundgebung am Mahnmal für die Opfer des Faschismus aufgerufen. Gleichzeitig hatte die Friedensbewegung auf das Massaker vom 2. Mai in Odessa, wo mehr als 40 Menschen im Gewerkschaftshaus von einem faschistischen Mob ermor- Aufruf aus der Friedensbewegung zum 8. Mai 2014: Gemeinsame Sicherheit statt Konfrontation Die rechtsradikalen Banden in der Ukraine machen vor nichts halt: Am Freitag wurde in Odessa ein Gewerkschaftshaus abgefackelt, in das sich Menschen vor marodierenden Milizen des Rechten Sektors flüchteten. Mehr als 40 Menschen kamen in den Flammen ums Leben. Die ukrainische Polizei machte nicht einmal den Versuch, die Rechtsradikalen aufzuhalten und den Massenmord zu verhindern. Der Bundesregierung sind die Toten keiner Erwähnung wert. Der 8. Mai wird traditionell als Tag der Befreiung vom Faschismus begangen. Dieses Datum ist auch untrennbar verbunden mit einer Würdigung der Rolle, welche die Sowjetunion als Teil der Anti- Hitler-Koalition bei der Niederringung der deutschen Aggression spielte. Kein anderes Land der Welt hatte mehr Kriegstote und Zerstörungen zu erleiden. Vorausgegangen war diesem Krieg die Propagierung eines Feindbildes, das den Russen dämonisiert hatte. Mit Erschrecken müssen wir heute feststellen, dass dieses alte Feindbild neu aufgelegt wird, auch mit Vergleichen zwischen Putin und Hitler. Der Respekt gegenüber den Opfern des zweiten Weltkrieges und des danach geltenden Grundsatzes Nie wieder Faschismus nie wieder Krieg erfordert die Zurückweisung einer Propaganda, die an alte Vorbilder anknüpft. Der 8. Mai 1945 ermahnt uns, nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus zuzulassen. Es ist wieder an der Zeit, an das Prinzip der gemeinsamen Sicherheit im gemeinsamen Haus Europa zu erinnern. Keine Toleranz gegenüber und keine Zusammenarbeit mit faschistischen Kräften in der Ukraine!

16 Solifonds 40 Jahre Solidaritätsfonds Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft Am 11. September 1973 putschte in Chile das Militär. Faschistische Generäle beendeten damit nicht zuletzt im Interesse von US-Konzernen die sozialistische Umgestaltung des Landes. Als ökonomische Dilettanten schenkten sie dann den so genannten Chicagoboys ein ganzes Land, in dem jene ihre neoliberalen Wirtschaftskonzepte vorexistieren konnten. Salvador Allende überlebte den 11. September nicht, doch er blieb nicht der Einzige, der den Terroristen in ein kurzer (Lehr-)Gang durch den Antragsdschungel Antragstellung Einzelpersonen können ebenso wie Gruppen einen Förderantrag stellen. Im Antrag sollte der Projektträger bzw. der Antragssteller sich kurz vorstellen und das Vorhaben mit klarer Zielsetzung und Begründung detailliert beschrieben werden. Ferner wird erwartet, dass der Antrag eine Terminplanung sowie eine ausführliche Kostenaufstellung ebenso enthält wie Informationen über bereits genehmigte bzw. noch beantragte Drittmittel. Wann kann ein Antrag gestellt werden? Über die Anträge wird drei Mal in Jahr entschieden. Sie sollten jeweils vor dem 20. Januar, 20. Mai bzw. 20. September bei der Hans-Böckler-Stiftung, Referat E (Kollege Jens Becker), Hans-Böckler-Straße 39, 40476 Düsseldorf eintreffen. Empfehlenswert ist es, neben der Adresse des Absenders auch noch seine Telefonnummer und E-Mailadresse mitzuteilen, so dass man im Bedarfsfall schnell rückfragen kann. Was ist sonst noch zu beachten? Es gibt kein offizielles Antragsformular und auch keine Seitenzahlbegrenzung für Anträge, gleichwohl sind die Mitglieder der Vergabekommission dankbar, wenn ein Antrag nicht mehr als fünf Seiten umfasst. Aufgrund seines kleinen Budgets kann der Solifonds primär nur Anschub und Teilfinanzierungen leisten. Eine Dauerförderung einzelner Projekte ist nicht möglich. Gefördert werden Sach- aber keine Personalkosten. Stipendien oder stipendienartige Leistungen sind ebenso wenig finanzierbar wie Reisekosten. Wer den Solifonds im Internet besuchen will, sei auf die Seite http.//www.boeckler.de/ verwiesen. Dort muss in der Suchzeile das Stichwort Solidaritätsfonds eingegeben werden. Welche Projekte wurden bspw. in letzter Zeit gefördert? Als im Januar in Magdeburg die Faschisten marschieren wollten, hielt u.a. das Bündnis Magdeburg Nazifrei dagegen. Der Solifonds steuerte einen vierstelligen Betrag u.a. für Plakate und Flugblätter bei. Der Druck einer Broschüre der Antifa Friedrichshain, die sich gegen die Hetze in Hellersdorf gegen eine Flüchtlingsunterkunft und deren Bewohner wendet, wurde zusammen mit dem AStA der FU, der VVN-BdA Berlin und dem Die Linke -Landesvorstand durch den Solifonds finanziert. Auch das Buch Mythos Partisan, in welchem es um die Erinnerung an die Kämpfe der Partisanen auf dem Gebiet der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien gegen die Hitlerfaschisten geht, erhielt vom Solifonds einen Druckkostenzuschuss. Im Rahmen der internationalistischen Hilfe wurde ferner der Aufbau des linken Zentrums Oktobar (Oktober) durch das Centar za Politike Emancipacije (Zentrum für politische Emanzipation) unterstützt. Uniform zum Opfer fiel. Zu jener Zeit wurde aus den Reihen der Stiftung Mitbestimmung des DGB, der Vorläuferorganisation der Hans-Böckler-Stiftung, heraus die Solidaritätsarbeit mit dem demokratischen Chile organisiert. Dem damals in einer spontanen Aktion gegründeten Chilefonds kam die Aufgabe zu, die hierfür benötigten Finanzen einzusammeln. Solidarität für Chile Die Stipendiaten der gewerkschaftlichen Stiftung spendeten dem Fonds jeweils ein Prozent ihres Stipendiums. Die dabei zusammengekommene Summe wurde dann durch eine institutionelle Komponente verdoppelt und auch die Vertrauensdozenten der Stiftung trugen zum Anwachsen des Fördertopfes ihr Scherflein bei. Der IG Metall-Vorstand tat es ihnen gleich und durch auf Gewerkschaftslehrgängen durchgeführte Sammlungen kam zusätzlich noch ein fünfstelliger Betrag zusammen. Als 1992 Chile wenigstens zu formaldemokratischen, um die sozialistische Komponente bereinigten Verhältnisse zurück kehren durfte, hatte man eine erste Runde im antifaschistischen Kampf gewonnen. Solidarität gegen Faschismus Nicht zuletzt angesichts der Welle faschistischer und rassistischer Gewalt in der BRD in der Zeit nach dem Beitritt der DDR beschloss man, den Chilefonds nicht aufzulösen, sondern umzuwidmen und ihn in Solidaritätsfonds umzubenennen. Seither werden mit den Spendengelder nicht mehr nur Projekte auf internationalen Ebene unterstützt, sondern auch Aktivitäten im Inland. Besonders antifaschistische Gruppen und Initiativen gehören seither zu den Nutznießern dieser Neuorientierung. Das Finanzierungsmodell des Chilefonds blieb dabei erhalten. Der Vergabekommission des Solifonds,

Nachruf 17 in welcher Vertreter der Stipendiaten, der Vertrauensdozenten, des DGB und der Hans-Böckler-Stiftung sitzen, obliegt die Entscheidung über die nationalen wie die internationalen Anträge. im Wandel der Zeiten Die Erweiterung des Einsatzgebietes stellt nicht die einzige Veränderung dar, die in der nun 40-jährigen Geschichte des Chile- respektive Solidaritätsfonds zu konstatieren ist. Zum einen ist ein Abnehmen der Solidarität oder doch zumindest der Spendenfreudigkeit bei des heutigen Stipendiaten der Stiftung festzustellen. Zum anderen ist, lässt man die an den Solifonds gestellten Anträge der letzten Jahre Revue passieren, eine Tendenz zur Entpolitisierung nicht zu verkennen. und dies gilt nicht nur für die Anträge, die nicht aus den Reihen der Stipendiaten gestellt werden. Zunehmend werden Mittel aus dem BRD-Topf nicht mehr nur für die Unterstützung des harten politischen Kampfes beantragt, sondern für Projekte, die entweder in der Grauzone zwischen Politik und Alternativkultur angesiedelt sind oder aber gar reine sozialpädagogische Fördermaßnahmen für Mühselige und Beladene darstellen. Was die Inanspruchnahme des internationalistischen Fördertopfanteils anbelangt, so geht zum einen die Zahl der internationalen Anträge zurück, zum anderen kommt ein nicht geringer Teil derselben entweder ebenfalls aus sozialpädagogischen Zusammenhängen oder aber hat ein Vorhaben zum Gegenstand, das nicht als politisch im engeren Sinne bezeichnet werden kann, sondern von der Intention her problemlos auch in das Entwicklungshilfeprogramm der Bundesregierung passen würde. Insbesondere außerhalb der Hans- Böckler-Stiftung muss es darum gehen, dass der Solifonds als ein p o l i t i s c h e r Fonds wahrgenommen und genutzt wird, politisch in dem Sinne, dass über ihn Projekte gefördert werden, die im Kampf um eine bessere Welt und um ein besseres Leben in dieser stehen und Projekte, die sich bloß um das Lecken der von der real existierenden Welt und ihrer Ordnung geschlagenen Wunden sorgen, in aller Regel beim Solifonds nicht an der richtigen Adresse sind. Jochen Fuchs Abschied von Maria Reif Maria Reif wurde am 1. September 1921 in Abtsgmünd auf der Ostalb geboren. Als junges Mädchen kam sie nach Stuttgart, wo sie in den frühen 40er-Jahren eine Stelle als Bürokraft beim Jugendwohlfahrtsamt antrat. So hatte sie auch die Akten und Karteikarten von Sintikindern zu führen, für die damals aus rassistischen Gründen und weil ihre Eltern bereits deportiert und ermordet worden waren, Heimerziehung angeordnet war. Diese Kinder wurden in Württemberg in der katholischen St.-Josefs-pflege in Mulfingen bei Künzelsau erzogen. Sie überlebten bis zum Frühjahr 1944, weil sie einer Doktorantin als Studienobjekte für ihre sogenannte Rassenforschung dienten. Im Mai 44 hatte Maria die Verlegung der Kinder an einen anderen Ort in die Akten einzutragen: Birkenau. Sie dachte sich zunächst nichts dabei, bis sie dann nach und nach immer neue Einträge vornehmen musste: Sie lauteten alle gleich: Die Fürsorgeerziehung endet mit dem Tod. Von einem Freund erfuhr sie unter der Hand: Das vermeintliche Erziehungsheim Birkenau war das sogenannte Zigeunerlager in Auschwitz Birkenau. Dieses Erlebnis, erschütterte die junge Maria und es ließ sie auch später nicht los. Es trug dazu bei dass sie Antifaschistin wurde und Kommunistin. Sie arbeitete als Stenotypistin beim Betriebsrat von IBM und dann hauptamtlich bei der Das Mahnmal für die Kinder von Mulfingen im Stuttgarter Jugendamt von Wolfram Isele Foto: die arge lola 1.9.1921 1.7.2014 KPD. Dort lernte sie Hans Reif kennen, der in der Zeit des Faschismus wegen Widerstands in Zuchthäusern, Moorlagern und schließlich im KZ Sachsenhausen gefangen war. Maria engagierte sich auch nach und während des KPD-Verbotes in ihrer Partei, in ihrer Gewerkschaft, bei den Naturfreunden, in der Friedensbewegung und vor allem in der VVN. Mitglied werden konnte sie allerdings erst in den 70iger Jahren als sich die VVN zum Bund der Antifaschisten auch für Nichtverfolgte öffnete. Sie war, bis ihre Krankheit dies verhinderte aktiv im Stuttgarter Kreisvorstand. Viele, viele Jahre führte sie dazu noch sorgfältig und auch energisch die Kasse, klapperte auch von Tür zu Tür, um die Beiträge zu kassieren. Wohl bis in die 90iger Jahre lagerten die Akten der Kinder von Mulfingen unberührt im selben Keller, in den Maria sie getragen hatte. Ihre Berichte trugen dazu bei, dass auf Initiative von Mitarbeitern dann ein Denkmal im Foyer des Jugendamtes errichtet wurde: Ein Regal mit 39 Aktenordnern von Kindern deren Ermordung nur ein Aktenvorgang war. Maria war Antifaschistin mit Herz und Seele. Ihre Herzlichkeit, ihre Impulsivität, Leidenschaftlichkeit und Offenheit war mit prägend für die VVN in Stuttgart. Danke Maria. Du wirst uns fehlen. DL

18 Literatur und Medien Heimatschutz Der NSU und das V- Mann-System Im fast 900-seitigen Buch Heimatschutz Der Staat und die Mordserie des NSU" zeigen Stefan Aust und Dirk Laabs auf, wie in den 90er Jahren Neonazis Vorteile des sog. V- Mann-Systems des Verfassungs- und Staatsschutzes sowie die gezielte Infiltrierung der Polizei mit Gesinnungsgenossen offen diskutierten. Anhand einer Vielzahl von Fällen wird dargestellt, dass V-Mann zu sein in der Naziszene seither nicht mehr generell verpönt ist, da wichtige Vorteile wie finanzielle Unterstützung und Schutz vor Strafverfolgung im Interesse des Aufbaus und der Stärkung von Neonazistrukturen genützt werden können. Vier Beispiele hierfür möchte ich hier nennen: - So plädierte 1996 Roland Paschel, der im Raum Stuttgart einen Antifa- Jugendclub überfallen hatte und in der JVA Rottenburg inhaftiert war, in Briefen an Uwe Mundlos dafür, V- Mann zu werden. Erst eine Organisation, die nicht unterwandert sei, sei in den Augen der Nachrichtendienste und Staatsschutzstellen verdächtig. - Ein weiter Beleg hierfür ist das vom Neonazi Thorsten Heise aufgezeichnete Gespräch, das dieser mit dem V- Mann und NPD-Mitglied Thilo Brandt 1996 geführt hat, der den Thüringer Heimatschutz aufgebaut hat, aus dem das sog. NSU-Trio hervorgegangen ist. Demnach sei die Kohle vom Verfassungsschutz der rechten Bewegung zu Gute gekommen, ohne dass der Verfassungsschutz jemals relevante Informationen erhalten habe. - 1996 wird im nationalsozialistischen Szenenblatt Sonnenbanner von V- Mann Michael See Gesinnungsgenossen empfohlen, Posten in öffentlichen Ämtern zu übernehmen (Polizei, Bundeswehr...), hierbei Führungspositionen anzustreben, um damit Einfluss zugunsten der revolutionären Kameraden auszuüben. - In Baden-Württemberg rekrutierten zwei Neonazis beispielsweise erfolgreich Polizisten für den rassistischen Ku-Klux-Klan in Schwäbisch Hall. Achim Schmid und Thomas Richter fanden sich nicht nur auf einer Telefonliste der wichtigsten Kontaktpartner des sog. NSU-Trios. Beide nutzten ebenso die Vorteile des V- Männer-Systems von Landes- und Bundesverfassungsschutz. Das NPD-Mitglied Schmid wurde zudem von einem Beamten des Landesverfassungsschutzes vor Überwachungsmaßnahmen gewarnt. 2011 wird bekannt, dass laut Aussage eines Polizisten viele der ostdeutschen Kollegen der ermordeten Polizistin Michéle Kiesewetter Nazi-Rock wie u. a von Noie Werte und Landser gehört hätten. Unter den Polizisten, die für den Ku-Klux-Klan gewonnen werden konnten, war Timo Heß, der Vorgesetzte von Kiesewetter. Mit ihm machte sie in einem 14-tägigen Kurs in Ludwigsburg das Fachabitur nach und unternahm sie u. a. gemeinsam Discobesuche. Gerade auch für Baden-Württemberg liefert das Buch wichtige Informationen über die Verbindungen zwischen Neonazis in unserer Region und zu Thüringen und Sachsen. Beunruhigend ist, was Mundlos in Briefen über seine und Zschäpes Besuche bei Freunden in Ludwigsburg in 2000/2001 geschrieben hat: Wir waren vor allem über die Waffen, die sie alle haben, beeindruckt. So hieß der Gastgeber in der Szene Waffen- Schmidt, welcher dem BKA gegenüber angab, u. a. über vier Maschinenpistolen, ein MG 42, mehrere Handfeuerwaffen, mehrere verschiedene Handgranaten, große Flaghülsen und MG-Partonengurte zu verfügen. Darüber hinaus soll er in Kontakt stehen mit zwei Neonazis, die als Kroatiensöldner für ihre Ideologie gekämpft haben: dem NPD-Mitglied Alexander Neidlein und dem damaligen Blood and Honour-Anführer in Baden- Württemberg Markus Frntic. Letzterer sei wiederum gut bekannt mit wichtigen Unterstützer des sog. NSU-Trios: mit den V-Männer Jan Werner und Thomas Starke. Die Autoren beschreiben in chronologischer Reihenfolge und in Erzählform detailliert, wie Polizeibeamte mehrfach daran gehindert wurden, das sog. NSU-Trio festzunehmen. Ebenso faktenreich wird dargestellt, wie Akten über zahlreiche neonazistische V- Männer geschreddert wurden, kaum dass die Existenz des NSU in der Öffentlichkeit nicht mehr zu vertuschen war. Der Leiter des Referats Beschaffung in der Abteilung für Rechtsextremismus beim Bundesamt für Verfassungsschutz, Lothar Lingen, verweigert die Aussage darüber, warum er, zwei Stunden nachdem sich Zschäpe gestellt hatte, sich an einen Computer im Bundesamt setzte, nach Akten zum sog. Trio und von V- Personen, die mit diesen Kontakt hatten, recherchierte und diese vernichten ließ. Der an manchen Stellen etwas pathetische Stil der Autoren vermag die Bedeutung Ihres Buches in keiner Weise zu schmälern, da die verhängnisvolle Rolle staatlicher Behörden durch die Deckung und Förderung von Neonazi-V-Männer im NSU- Umfeld nicht mehr negiert werden kann. Die Autoren enthalten sich weitgehend politischer Wertungen und lassen die Fakten sprechen. Sie überlassen es dem Leser, Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Ralf Bogen Stefan Aust, Dirk Laabs: Heimatschutz Der Staat und die Mordserie des NSU, Pantheon-Verlag, 22,99 Euro Heimatführer: Stuttgart und Umgebung 1933-1945 Der Journalist und Lehrbeauftragte an der Uni Stuttgart Peter Poguntke hat in der Reihe Der historische Reiseführer des Ch. Links-Verlags eine reich bebilderte Broschüre über Stuttgart in der Zeit des Faschismus herausgebracht. Die Idee, das Thema in Form eines Reiseführers (mit kleinem Stadtplan) zu bearbeiten, ist originell und animiert durchaus, sich die historischen Orte selbst anzusehen und sich ggf. weitergehende Informationen darüber zu beschaffen. Auch die Aufmachung mit vielfältigem historischem und aktuellem Bildmaterial spricht an. Leider sind jedoch einige

Literatur und Medien 19 Themen nur unvollständig beschrieben, was daran liegen könnte, dass dem Autor vielleicht doch ein umfassenderes Hintergrundwissen fehlt. So ist beispielsweise im Abschnitt Sondergericht Stuttgart/Hermann Cuhorst zwar ein Foto von der Verfassungssäule vor dem Landgericht abgebildet, ein Hinweis auf die Gedenktafel jedoch fehlt. Im Abschnitt über die Judenverfolgung und Zerstörung der Synagogen fehlt wiederum ein Hinweis auf die Gedenkstätte für die ehemalige Synagoge in Bad Cannstatt. Auch die Gedenkstätte für die Widerstandsgruppe Schlotterbeck auf dem Friedhof Untertürkheim bleibt unerwähnt, genauso der Gedenkstein für Lilo Hermann auf dem Campus der Uni Stuttgart, obwohl über die Personen kurz berichtet wird. Nichtsdestotrotz ist der Reiseführer nützlich, zumal neben der geographischen Führung durch Stuttgart und Umgebung in kurzen Kapiteln über die Arbeitsbeschaffungsprogramme, den Bund Deutscher Mädel, Entartete Kunst, Fremd- und Zwangsarbeiter oder Parteiapparat der NSDAP auch allgemeine Informationen über den verbrecherischen Charakter des deutschen Faschismus gegeben werden. In der Reihe Der historische Stadtführer sind bisher von verschiedenen Autoren noch erschienen: Ruhrgebiet 1933-1945, München 1933-1945, Berlin 1933-1945, Brandenburg 1933-1945, NRW 1933-1945, Sachsen 1933-1945, Köln 1933-1945, Nordseeküste 1933-1945, Ostseeküste 1933-1945, Thüringen 1933-1945. Einzelne Broschüren sind auch in englischer, spanischer oder französischer Sprache erhältlich. Ha Peter Poguntke, Stuttgart und Umgebung 1933-1945, 132 Abbildungen, 112 Seiten, Ch Links-Verlag 2013, 14.90 Euro Wir gratulieren zum Geburtstag Im August 2. Ruth Weiler, Singen 86. 3. Richard Reschl, Stuttgart 65. 3. Johann Holzheu, Heidenheim 70. 4. Leopold Polzer, Stuttgart 92. 5. Maja Scherf, Neu-Ulm 94. 6. Hendrik Riemer, Allensbach 65. 8. Cato-Irmela Diez, Karlsruhe 70. 11. Werner Hoffmann, Ludwigsburg 85. 12. Ulrich Hahn, Villingen-Schwenningen 65. 19. Irmgard Koll, Müllheim 81. 20. Karl-Heinz Paulsen, Fellbach 65. 22. Sonja Großmann, Esslingen 87. 23. Arthur Wörner, Hausham 92. 26. Johanna Steiger, Oftersheim 87. 28. Maria Honer, Schwenningen 90. 28. Emmy Winteroll, Bautzen 82. 29. Anne Mutschelknaus, Reutlingen 84. 31. Gustav Weber, Rastatt 80. Im September 2. Frank Braun, Alfdorf 70. 3. Franz Haibt, Böblingen 65. 7. Karl-Heinz Kaplan, Osterburken 91. 12. Marie Götschl, Konstanz 94. 13. Anneliese Mutschler, Stuttgart 88. 14. Annj Seehof, Karben 85. 15. Helmut Carduck, Neuhausen 83. 15. Karl Kehrmann, Ravensburg 92. 18. Hans Schmauder, Reutlingen 65. 18. Anita Fritsche, Uhldingen 82. 26. Ottmar Rapp, Bruchsal 75. 28. Renate Weindorf, Mannheim 65. 29. Donata Höffer, Hamburg 65. Im Oktober 3. Ilona Abel-Utz, Göppingen 65. 3. Bertilo Brauner, Leinfelden-Echterdin 70. 6. Hans Wunderlich, Ehningen 88. 7. Irmgard Bader, Baden-Baden 87. 8. Helga Winter, Stuttgart 82. 8. Hans Rettich, Schorndorf 75. 10. Albert Trettin, Kirchheim 84. 12. Siegfried Pommerenke, Heidenheim 81. 13. Harald Käflein, Mannheim 65. 14. Jörg Pauly, Berlin 75. 16. Sonja Munz, Heilbronn 81. 19. Ursula Fohmann, Schramberg 75. 22. Sabine Hoffmann, Stuttgart 88. 23. Ellen Maurer, Metzingen 70. 24. Menne Maier, Winnenden 80. 26. Hagen Battran, Heuweiler 70. 30. Manfred Hanloser, Umkirch 84. Wir nehmen Abschied Karl Holzmann, Stuttgart 7.5.1923-11.3.2014 Peter Hunnekuhl, Reutlingen 16.9.1959 - April 2014 Günter Volz, Schw. Hall 31.10.1938 27.5.2014 Maria Reif, Stuttgart 1. 9. 1921 1.7.2914