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Transkript:

Vom Nutzen der Tiere Ob im Labor oder in der Mast der Mensch macht sich Tiere in vielerlei Hinsicht zunutze. Mit gutem Recht? Eine ethische Betrachtung. Frank Höhne Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation könne man an ihrem Umgang mit Tieren messen, befand einst Mahatma Gandhi. Gemessen an der Welt nimmt Deutschland in puncto Moral demnach einen der vorderen Plätze ein. Der Tierschutz hat hierzulande eine fast 200-jährige Tradition von der aktiven Ablehnung der Tierquälerei bis hin zu den jüngsten Bemühungen, Wildtiere in Zirkussen zu verbieten oder das Töten männlicher Küken abzuwenden. Unser Tierschutzgesetz besagt: Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Was aber ist vernünftig? In Deutschland leben schätzungsweise 200.000 Tiere auf Pelztierfarmen, etwa 2,8 Millionen in Laboratorien und über 80 Millionen als Nutztiere in der Landwirtschaft.* Ist das moralischer Fortschritt? Darf sich der Mensch Tiere grundsätzlich zunutze machen? Fünf Überlegungen biologisch, ethisch und rechtlich. Am sechsten Tag schuf Gott den Menschen, als sein Ebenbild und den Herrscher über alles Getier auf Erden. So steht es im Alten Testament. Ist die biblische Auslegung auch anthropologisch tragbar? Ist der Mensch die Krone der Schöpfung? Barbara J. King ist emeritierte Professorin für Anthropologie am College of William and Mary in Virginia/USA. Im März 2017 erscheint ihr neues Buch Personalities on the Plate: The Lives and Minds of Animals We Eat. Ein evolutionärer Blick auf die Menschheit lässt uns eine Tatsache erkennen: Keine Spezies ist die Krone der Schöpfung nicht einmal unsere eigene. Wir leben in einem Kosmos hoch entwickelter Tiere, von denen einige in der Lage sind, ihr Wissen kognitiv zu erfassen oder Emotionen wie Freude und Trauer auszudrücken.

Unsere engsten Verwandten, die Schimpansen, verwenden beispielsweise Steine als Hammer, um Nüsse zu knacken. Das ist bekannt. Aber auch Oktopusse nutzen Kokosnussschalen als Behausung und Schutz auf dem Meeresboden. Delfine und Wale kommunizieren auf komplexe Art und Weise. Und auch Barsche verständigen sich während der gemeinschaftlichen Jagd über Signale, um die anderen über die Position der Beute zu informieren. Elefanten trompeten vor Freude, wenn sie Familienmitglieder oder Freunde wiedersehen, und sie trauern im Todesfall. Sogar Nutztiere wie Schweine, Hühner und Kühe oder auch unsere geliebten Hunde und Katzen zeigen ähnliche Emotionen. Innerhalb einer Spezies offenbaren Tiere eindeutige Persönlichkeitszüge wie Optimismus, Mut oder Empathie in ganz unterschiedlicher Ausprägung. Zu erkennen, dass andere Lebewesen nahezu identisch denken und fühlen wie wir, ist wichtig. Die Kernaussage jedoch steht, unabhängig davon, für sich: Das Leben der Tiere zählt auch für sie. Wir forschen an Tieren. Wir lassen zu, in Zoos oder Freizeitparks von Tieren unterhalten zu werden. Wir konsumieren Fleisch für unser eigenes Leibeswohl. All das zeigt, dass wir als Menschen unsere Überlegenheit als gegeben ansehen. Eine Überlegenheit, die in Wirklichkeit nicht existiert. Mastschweine fressen sich in sieben Monaten bis zu 125 Kilogramm an. Selbst einem Bio-Mastschwein von 100 Kilogramm stehen in dieser Zeit nur 1,3 Quadratmeter zu eine Fläche kleiner als ein Einzelbett. Kann es glückliches Fleisch überhaupt geben? Christian Schmidt hat seit 2014 das Amt des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft inne. Noch im selben Jahr rief er die Initiative Eine Frage der Haltung Neue Wege für mehr Tierwohl ins Leben. Wie viel Platz braucht eine Henne, welchen Stallboden ein Schwein? Fragen der Tierhaltung beschäftigen längst nicht mehr nur Landwirte und Tierärzte. Verbraucher wollen heute wissen, woher das Fleisch auf ihren Tellern stammt und wie die Tiere leben, die ihnen Milch, Käse oder das Frühstücksei liefern. Leider ist ihre Vorstellung der Landwirtschaft dabei häufig verzerrt in die eine wie in die andere Richtung. Fakt ist: Die Haltungsbedingungen in Deutschland haben sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Es bleibt jedoch einiges zu tun: Noch immer werden vielen Schweinen vorsorglich die Schwänze kupiert. Und noch immer sterben jedes Jahr Millionen Küken, weil sie das falsche Geschlecht haben. Deshalb zu denken, Tierwohl und Nutztierhaltung schließen sich grundsätzlich aus, halte ich für falsch. Mit der Tierwohl-Initiative suchen wir Lösungsansätze gemeinsam mit der Landwirtschaft, nicht gegen sie. Wirkliche Verbesserungen können wir nur erreichen, wenn Tierwohl zu einem Verkaufsargument wird und die Nutztiere weiterhin in Deutschland gehalten werden. Verbraucher wünschen sich heute Klarheit und Transparenz beim Einkauf. Diesem Wunsch kommen wir mit einem staatlichen Tierwohl-Label nach. Bei der Produktion tierischer Produkte gelten gesetzliche Mindeststandards. Das Label soll jedoch nur erhalten, wer darüber hinausgeht. Gefragt sind am Ende auch die Verbraucher. Gemeinsam können wir das Tierwohl in den Ställen steigern und gleichzeitig Landwirten helfen, ihre Einnahmen zu stabilisieren. Aus meiner Sicht lautet die Frage heute nicht mehr: Lassen sich Tierwohl und Nutztierhaltung miteinander in Einklang bringen? Sondern: Können wir uns überhaupt eine Nutztierhaltung ohne Tierwohl erlauben?

Vor etwa 10.000 Jahren fing der Mensch an, Schwein, Rind, Schaf und Ziege als Vieh zu halten. Trotz Trend zum Vegetarismus konsumieren 90 Prozent der Deutschen mindestens einmal pro Woche Fleischprodukte. Darf der Mensch Tiere nutzen? Hilal Sezgin schreibt unter anderem über Tierethik. Neben ihrer Arbeit als Journalistin betreibt die Veganerin einen Hof für gerettete Nutztiere. 2014 erschien ihr Buch Artgerecht ist nur die Freiheit. Die Geschichte der europäischen Neuzeit ist eine Geschichte des fortschreitenden Gewaltverzichts, zumindest der Idee nach. Schwächere zu unterwerfen und physische Gewalt anzuwenden, wird als illegitim angesehen. Versklavung und Folter gehören bei uns seit langer Zeit der Vergangenheit an. Gilt dies auch für Tiere? Alle sind sich darüber einig, dass es einen Unterschied macht, ob wir einen Stuhl treten oder einen Hund. Nichtsdestotrotz schlachten wir in Deutschland jedes Jahr 800 Millionen Tiere, sperren sie ein und beeinträchtigen ihr Leben schon vor dem physischen Tod. Und das, obwohl niemand leugnet, dass Puten, Schweine oder Rinder Schmerz, Angst, aber auch Freude empfinden können. Wir geben viel Geld dafür aus, dass diesen Tieren Dinge angetan werden, die wir unserem Hund nie zumuten würden. Viele Fleischesser sehen sich gar als Tierfreunde. Diese kognitive Dissonanz wird durch Tradition, Gewohnheit und Verdrängung, aber auch durch begriffliche Konzepte wie Nutztier ermöglicht. Doch wer hat Pute, Schwein und Rind zum Nutztier gemacht? Wir. Weil wir sie nutzen möchten. Wir, als Bewohner der entwickelten Länder, brauchen kein Fleisch, keine Milch und keine Eier mehr, um unseren Nährstoffbedarf zu decken. Nicht einmal, um angenehm zu leben. Zwar verbraucht menschliches Leben immer natürliche Ressourcen, auch lässt sich unbeabsichtigter Schaden nicht immer vermeiden. Aber dort, wo wir es in der Hand haben, müssen wir der Idee fortschreitenden Gewaltverzichts folgen und aufhören, Tiere für unseren Selbstzweck einzusperren und zu töten. An Kaninchen, Mäusen und Ratten testet der Mensch Arzneimittel, an Affen Impfstoffe, an Hunden erforscht er chirurgische Verfahren. Knapp 800.000 Tiere gaben in Deutschland 2014 für die Wissenschaft ihr Leben. Heiligt der Zweck die Mittel? Johann Stefan Ach ist wissenschaftlicher Leiter des Centrums für Bioethik in Münster. Der Philosoph befasst sich unter anderem mit Moral in der Tierforschung, derzeit erarbeitet er ein Handbuch über Tierethik. Was wäre, wenn man mit einem einzigen Tierversuch ein Medikament gegen HIV entwickeln könnte? Wenn es um die Rechtfertigung von Tierversuchen geht, werden Fragen wie diese aufgeworfen. Sie sind jedoch rein hypothetisch und spiegeln die Forschungsrealität in keiner Weise wider. Im Kern geht es um eine Güterabwägung. In der Forschung konkurriert das menschliche Interesse an Wissenszuwachs und gesundheitlichem Nutzen mit dem tierlichen Interesse an Schmerzfreiheit. Die Frage, die sich bei jedem Versuch neu stellt, ist: Was wiegt mehr? Das Tierschutzgesetz folgt hier einem hierarchischen Ansatz, der den Menschen grundsätzlich gegenüber dem Tier privilegiert. Ich dagegen vertrete einen moralischen Egalitarismus: Jedes Interesse muss in gleicher Weise berücksichtigt werden egal ob von Mensch oder Tier. Generell gibt es zwei entscheidende Trennlinien: Die erste ist die Empfindungsfähigkeit. Sobald ein Lebewesen empfinden kann, stellt sich die Frage: Mit welchem Recht dürfen wir

diesen Tieren Schmerz zufügen? Die zweite Grenze ist das Selbstbewusstsein. Lebewesen wie manche Affenarten reagieren nicht nur mit Angst und Stress, sondern leiden auch unter dem Entzug sozialer Kontakte oder ihrer Unfreiheit. Das erfordert besondere Rücksichtnahme. Ich möchte nicht bestreiten, dass Tierversuche für die Humanmedizin relevant sein können oder gar unerlässlich. Manchmal kann das Versuchsziel jedoch nicht auf akzeptable Weise erreicht werden. In diesem Fall müssen wir gegebenenfalls den Preis der Moral bezahlen. Wir sind aber nicht ohne Alternativen, es gibt durchaus andere Erkenntnisquellen etwa Versuche am Menschen, sofern diese moralisch vertretbar sind. Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass der medizinische Fortschritt zum Stillstand käme, würden wir auf Tierversuche verzichten. Dieses Argument ist eine Schutzbehauptung und zeugt von einem Mangel an Fantasie. Der Mensch hat Würde. Er hat ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Tiere haben das nicht zumindest nicht laut deutschem Gesetz. Aus vernünftigem Grund darf ihnen Leid oder Schaden zugefügt werden. Ist das rechtens? Gieri Bolliger befasst sich als Rechtsanwalt mit internationalen Tierrechtsfragen. Seit 20 Jahren lebt der Schweizer vegetarisch, seit 16 Jahren leitet er die Stiftung für das Tier im Recht (TIR) mit Sitz in Zürich. In der Schweiz ist der Schutz der Tierwürde in der Verfassung verankert das ist weltweit einzigartig. Es bedeutet jedoch nicht, dass ein Zuwiderhandeln in jedem Fall strafrechtliche Konsequenzen hätte. Nach wie vor werden Tiere auch hierzulande für die Ernährung, für Versuche oder für Unterhaltungszwecke genutzt. Das ist eine übermäßige Instrumentalisierung und hat mit Würde oftmals nichts zu tun. Wir dürfen nicht vergessen, dass Tiere nicht selbst für ihre Anliegen einstehen können. Deshalb müssen wir es stellvertretend für sie tun. Noch können wir beispielsweise die Massentierhaltung oder schwerstbelastende Tierversuche nicht verbieten, aber wir arbeiten daran. Wir müssen die bestehenden Bestimmungen in die Praxis umwandeln und Präzedenzfälle schaffen, die diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten, zur Rechenschaft ziehen. Parallel dazu braucht es einen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung. Letztendlich ist sie es, die definiert, was zulässig ist und was nicht. Das Gesetz unterscheidet nach Heim-, Nutz-, Labor- und Wildtieren. Warum aber sollten Schweine oder Hühner weniger schützenswert sein als Hunde? Kein Tier ist für die Interessen des Menschen auf der Welt. Jedes Tier hat einen Eigenwert. Wir sollten uns an denjenigen orientieren, die wir am meisten schützen wollen, und alle anderen Spezies auf dieselbe Stufe heben. Bei den Menschen machen wir innerhalb der Art ja auch keine Unterschiede. Dennoch sehe ich die Entwicklung positiv. Es gibt heute viel mehr Stimmen, die sich kritisch in Hinblick auf die gesellschaftliche Realität äußern. Die perfekte Lebensart wird es nie geben. Es ist unmöglich, unseren ethischen Grundsätzen in Gänze gerecht zu werden oder sie im Gesetz abzubilden, aber wir können versuchen, unser Bestes zu tun. Diese Möglichkeit haben wir. Jessika Knauer Arte Thema

Affen als dressierte Filmdarsteller, Küken als Abfallprodukte und Kaninchen als medizinische Versuchsobjekte? Dürfen wir das? ARTE widmet unseren tierischen Artgenossen, ihrem Schutz und ihren Rechten einen Abend. Im Namen der Tiere Brauchen Tiere Rechte? Dokumentarfilm Dienstag, 13.12. 20.15 Raus aus dem Käfig Dokumentarfilm Dienstag, 13.12. 21.55 arte.tv/tierrechte Kategorien: Dezember 2016