Wolfgang Huber. Predigt am Pfingstsonntag, 15. Mai 2016, in der Klosterkirche Maulbronn

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Transkript:

Wolfgang Huber Predigt am Pfingstsonntag, 15. Mai 2016, in der Klosterkirche Maulbronn Im Gottesdienst erklingt Johann Sebastian Bachs Bach-Kantate Erschallet, ihr Lieder BWV 172. Predigttext ist die Pfingsterzählung Apostelgeschichte 2, 1-18 1. An Pfingsten ist frei. Jeder kann machen, was er will. Viele wissen nicht, woher das Fest kommt, aber das lange Wochenende ist eine gute Idee: An Pfingsten ist frei. Die Blumen stehen in Blüte, das lichte Grün lockt in den Wald. Schon als Pfadfinder waren wir an Pfingsten immer unterwegs: die erste Gelegenheit im Jahr, mit dem Zelt auf Fahrt zu gehen. Manchmal war es noch ganz schön kühl. Noch heute zieht es mich zusammen mit meiner Frau an Pfingsten in die Weite. Dieses Mal nach Maulbronn: Zisterzienserkloster, Weltkulturerbe, herrliche Musik. Und von Hermann Hesse so verlockend beschrieben: Weitläufig, fest und wohl erhalten stehen die schönen alten Bauten und wären ein verlockender Wohnsitz, denn sie sind prächtig, von innen und außen, und sind in den Jahrhunderten mit ihrer ruhig schönen, grünen Umgebung edel und innig zusammengewachsen. An Pfingsten ist frei: Für das Weltkulturerbe wie für das Weltnaturerbe. Ein hinreißendes Fest. An Pfingsten ist frei. Denn Gott ist frei. Das feiern wir an Pfingsten. Denn wir feiern Gottes Geist. Er wirkt, wo und wann er will. Von Raum und Zeit lässt er sich nicht einengen. Er sucht das Weite, verbindet Zeiten und Orte. Wir entgehen diesem Geist nicht. Nähme ich Flügel der Morgenröte. und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten, sagt der biblische Psalmbeter.

Vom Geist verstehen wir alle etwas. Er lässt sich nicht bändigen. Das gilt sogar vom menschlichen Geist. Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, sie fliehen vorbei wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen, es bleibet dabei: die Gedanken sind frei. Wir wissen, warum wir die Freiheit des Glaubens und der Meinung, der Kunst und der Wissenschaft so hoch schätzen. Den Geist soll man nicht dämpfen. An seiner Kühnheit kann man sich freuen; manchen Blödsinn nimmt man dafür gleichmütig in Kauf. Lieber hört man einmal zu viel einen schlechten Witz oder ein missglücktes satirisches Gedicht, als dass man den Geist einsperrt. Das gelingt sowieso nicht. Manches Theaterstück galt zunächst als Skandal und hat es dann doch in die Schulbücher geschafft die Räuber des Schwaben Schiller zum Beispiel. Manche hielten Konrad Zuse für etwas sonderbar, bevor er vor 75 Jahren den ersten funktionierenden Computer zu Stande brachte; heute will jeder ein Smartphone in der Tasche haben. Manches Bauwerk wurde errichtet, dessen Schönheit man erst nach Jahrhunderten erkannte; so berühmt wie heute war Maulbronn nicht schon immer. Deshalb gilt für den menschlichen Geist die biblische Doppelmahnung: Den Geist dämpfet nicht.... Prüfet alles und das Gute behaltet. 2 2. An Pfingsten ist frei. Doch an diesem Festtag geht es nicht nur um die Freiheit des menschlichen Geistes. Es geht um Gottes Geist. Es geht um das Wissen, dass Gottes Geist an keine Grenzen des Raumes oder der Zeit gebunden ist. Wer Gott als Geist versteht, ehrt die Freiheit Gottes. Der Geist Gottes ist nicht nur darin ein Geist der Freiheit, dass er uns Menschen in die Freiheit ruft. Ein Geist der Freiheit ist er vor allem darin, dass er Gottes Freiheit bezeugt. Mit dieser Freiheit Gottes haben die Menschen sich lange Zeit schwer getan. Frühe Formen der Religion verließen sich darauf, dass Gott sich an bestimmten Stellen aufhalte, an Quellen beispielsweise oder auf

heiligen Bergen, in Tempeln oder so der Glaube der frühen Israeliten in einer Bundeslade, die man mit sich führen konnte. Die Absonderung heiliger Orte vom Rest der Welt hat in solchen Vorstellungen ihren Grund; wenn das Heilige vom Weltlichen, das Sakrale vom Profanen abgegrenzt wird, liegt dem oft die Vorstellung zu Grunde, dass Gott an besondere, heilige Orte gebunden ist. Der Durchbruch zur Freiheit Gottes fängt mit der Einsicht an, dass Gott Geist ist. Er weht, wo und wann er will. Gottes Geist ist ein Geist der Weite. Er umspannt die Welt und durchdringt den Kosmos. Auch Johann Sebastian Bachs Pfingstkantate, deren Erklingen diesen Gottesdienst bestimmt, besingt diese Weite: O Seelenparadies, das Gottes Geist durchwehet, der bei der Schöpfung blies, der Geist, der nie vergehet; auf, auf, bereite dich, der Tröster nahet sich. Aber Gottes Freiheit zieht es nicht nur in die Weite, sondern auch in die Nähe. Gott liebt die Nähe, die Stätte seines Hauses, da seine Ehre wohnt, das Wort, das Glauben weckt, den Menschen, in dem er sich offenbart. So sehr ist Gottes Geist in die Nähe verliebt, dass er an einem entlegenen Ort Mensch unter Menschen wird. Zu Gottes Freiheit gehört, dass er sich selbst beschränken oder sollte ich besser sagen: konzentrieren kann. Er begegnet uns in einem Menschenantlitz, in dem sich seine Güte spiegelt. Gottes Geist, der in Jesus eine irdische Gestalt annahm, kehrt auch in unseren Herzen ein. In den Worten der Kantate: Sei im Glauben mir willkommen, höchste Liebe, komm herein! Du hast mir das Herz genommen. Ich bin dein, und du bist mein! 3 3. Umfassende Weite und unüberbietbare Nähe bestimmen zusammen die Freiheit Gottes, der Geist ist. Es gibt keinen Winkel der Erde, an dem wir Gott fern sein müssten. Und zugleich kommt er uns so nah, dass wir uns eigentlich an ihm verbrennen müssten. Die Pfingsterzählung der Apostelgeschichte, die zusammen mit Bachs Kantate den heutigen Gottesdienst bestimmt, verwendet dafür ein schier unglaubliches Bild: Und

es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. An Pfingsten ist frei. Deshalb ist alles anders als sonst. Sogar Wunder sind erlaubt. Der Bericht der Apostelgeschichte ist nicht gerade zurückhaltend darin, sie auszumalen: Über den Köpfen der Jünger Jesu, die durch dieses Ereignis zu Aposteln werden, erscheinen Feuerzungen; das Feuer züngelt direkt über ihnen. Es ist schon wunderbar, dass ihnen die Haare nicht verbrennen; aber noch erstaunlicher ist, wie sie lernen, mit Verschiedenheiten umzugehen. Die Verschiedenheit der Herkunft und der Sprache verliert durch den göttlichen Geist ihre trennende Kraft. Lang, ja beinahe ermüdend ist die Liste der zum Pfingstfest in Jerusalem versammelten Nationalitäten: Parther und Meder und Elamiter, Leute aus Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen, Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber. Heutzutage können wir mit einer solchen Liste umgehen; sie klingt irgendwie vertraut. Denn sie sind doch alle um uns, wir brauchen nur die Augen aufzumachen: Syrer und Afghanen, Leute aus dem Iran und dem Irak, Juden und Palästinenser, Türken und Jordanier, Menschen aus dem Tschad und aus Eritrea, aus Tunesien und Marokko, aus Ägypten und Libyen, auch Einwanderer aus Moskau oder Rom, Kreter und Araber. Für uns ist das Alltag, nicht auf Pfingsten beschränkt. Nicht immer ist es lustig oder leicht, manchmal ist es eher anstrengend und belastend. Nicht immer fühlen wir uns frei. Silvesterereignisse in Köln, Stuttgart und anderswo sitzen uns im Nacken. Aber wir wissen, dass es anders sein kann. Das Sprachengewirr braucht nicht bedrohlich zu sein. Vielfalt braucht nicht zu schrecken. Wir 4

kennen nicht nur den Turmbau von Babel, mit dem Menschen versuchen, den Himmel zu stürmen. Wir kennen auch die umgekehrte Richtung. Gottes Geist kommt zu uns, öffnet uns für die Sprechweise der anderen, macht uns neugierig für ihre Geschichte und sucht nach Wegen der Integration. Hunderttausende beweisen das in diesen Monaten, die sich ehrenamtlich und beruflich für die Integration von Flüchtlingen einsetzen. Sie zeigen Tag für Tag, dass Verschiedenheit nicht trennen muss. Feuerzungen über ihren Köpfen Geistesgegenwart! Diese Geistesgegenwart macht nicht naiv. Prüfet alles und das Gute behaltet. Integration ist nicht gratis zu haben. Aber Gottes Geist nimmt uns die Angst vor der Verschiedenheit. Er macht neugierig. An Pfingsten ist frei. Wir Christen können bei uns selber anfangen. Wir haben ein eigenes Spielfeld der Freiheit: die Ökumene. Wir können der ganzen Welt zeigen, wie weit wir kommen. Das Reformationsjubiläum wurde inzwischen zum ökumenischen Ereignis erklärt. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm wünscht sich für das Reformationsjubiläum im Jahr 2017 ein weltweit wahrgenommenes kraftvolles Zeichen ökumenischer Gemeinsamkeit. In der Wochenzeitung DIE ZEIT hat die Journalistin Evelyn Finger sich ausgemalt, wie das aussehen könnte. Sie hat römisch-katholische und evangelische Kirche aufgefordert: Raus aus der Schmollecke! Beide Kirchen könnten mit einem historischen Handschlag den freien, pluralen Gesellschaften noch etwas vormachen: dass wir mit anderen Kulturen und Religionen nur dann Frieden halten können, wenn wir ihren Anspruch auf Wahrheit respektieren und zugleich unseren eigenen Wahrheitsanspruch verteidigen. Es genügt nicht, andere nur zu dulden. Aber es geht zu weit, anderen einen Respekt zu gewähren, den diese uns verweigern. Ich füge hinzu: Beides voneinander zu unterscheiden auch das gehört zur Geistesgegenwart. Ja, ein sichtbares, kraftvolles Zeichen versöhnter Verschiedenheit ist im Jahr 2017 an der Zeit. Viele Christen warten darauf, ja sie ersehnen es. 5

6 Keine 95 Thesen, fünf würden reichen. Und eine große Geste dazu: wir Christen gehören zusammen. Pfingsten ist der Geburtstag der Christenheit im Ganzen und damit aller Kirchen. Welch eine Schubkraft gäbe ein solches Zeichen unserem Glauben! Er kann wieder aufregend sein, wie damals in Jerusalem. Wo wird dieses neue, aufregende Zeichen sich dieses Mal ereignen? In Wittenberg? In Rom? An beiden Orten? Wir dürfen gespannt sein. Wir dürfen laut sagen, dass wir auf ein solches Zeichen warten. An Pfingsten ist frei! Amen.