Musterlösung zur Prüfung Rechtstheorie I vom 11. Januar 2013

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Transkript:

Musterlösung zur Prüfung Rechtstheorie I vom 11. Januar 2013 Bitte beachten Sie: - Die nachfolgende Lösungsskizze stellt ein Muster für die Bearbeitung der Prüfung dar, selbstverständlich konnten die Fragen aber auch in abweichender Weise richtig beantwortet werden. Die folgenden Beispiele für richtige Antworten sind zudem aus didaktischen Gründen relativ ausführlich gehalten, ein derartiger inhaltlicher Umfang wurde in der Prüfung auch zur Erreichung der vollen Punktzahl nicht erwartet. Neben dem Inhalt wurden auch Form und Ausdruck bei der Bewertung Ihrer Antworten berücksichtigt. Positiv bewertet wurden also auch: ausformulierte Gedankengänge anstelle etwa stichwortartiger Aufzählungen, eine zusammenhängende Darstellung und die Richtigkeit des sprachlichen Ausdrucks. Eigene selbständige Stellungnahmen wurden besonders positiv bewertet. - Aufgrund von anscheinend aufgetretenen Missverständnissen in Bezug auf den Prüfungsumfang wurde zugunsten der Studierenden die Frage 3 nicht als Grundlage für das Bestehen der Prüfung gewertet. Wurde die Frage 3 jedoch beantwortet, konnten Zusatzpunkte erreicht werden. Keine Klausur wurde wegen solcher Missverständnisse als ungenügend bewertet. 1. Eine bedeutende Variante rechtsphilosophischer Theorien fundiert Ihre Überlegungen mit einer Vertragskonstruktion. Nennen und beschreiben Sie die wichtigsten klassischen und jüngeren Vertreter dieser Tradition und nehmen Sie kritisch Stellung! (35%) 35 Pte 1. Thomas Hobbes (1588 1679) Hobbes' vor dem historischen Hintergrund einer in ganz Europa von Bürgerkriegen und allgemeiner politischer Instabilität geprägten Epoche verfasste Theorie ist generell durch einen anti-idealistischen Grundton gekennzeichnet: Hobbes war Nominalist und Empirist und versuchte, sich beim Entwurf seiner Theorie mittels einer analytischen Methode an den Naturwissenschaften zu orientieren. Gemäss dem von ihm vertretenen mechanistischen Materialismus wird der Geist als Teil der physischen Existenz des Menschen aufgefasst, Bewusstseinserscheinungen als durch mechanische Vorgänge determiniert betrachtet, menschliche Willensfreiheit folglich abgelehnt. Angesichts dieser grundlegenden Weichenstellungen sind in Hobbes' Konzeption ethische oder politische Ideen eines allgemeingültigen Guten oder Gerechten, wie sie im platonischen Idealismus oder der aristotelischen Teleologie und den durch diese beeinflussten Theorien vertreten wurden, bereits ausgeschlossen. Folgerichtig sind Werte nach Hobbes Auffassung subjektiv und kontingent, eine natürliche Moral oder Gerechtigkeit ausgeschlossen. Ausgangspunkt von Hobbes' Staats- und Rechtsphilosophie bildet, wie dies für Theorien vom Gesellschaftsvertrag grundsätzlich charakteristisch ist, die Annahme eines Naturzustands, der bei Hobbes allerdings keine historische Hypothese, sondern eine analytisch-theoretische Kategorie darstellt. Der Naturzustand als Fiktion oder Gedankenexperiment soll demnach lediglich illustrieren, welche politische Anthropologie der Theoriebildung zugrunde liegt. Der Entwurf dieses Naturzustandes ist geprägt von Hobbes' pessimistischer Anthropologie: Einziger allgemeinmenschlicher Wert sei die Selbsterhaltung; statt allgemeingültiger moralischer Werte, die menschliches Verhalten unabhängig von autoritativer Setzung normativ beeinflussen würden, werde dieses lediglich von Kalkülen zur individuellen Nutzenmaximierung bestimmt. Die Menschen 1

seien egoistisch und mit einem von Altruismus oder Moral unbeschränkten Machtstreben ausgestattet, das einzige natürliche Recht in diesem Zustand ist, alles zu tun, was der Selbsterhaltung nütze. Die Klugheitsregeln, nach denen sich Individuen laut Hobbes darüber hinaus richten, etwa die Bindung an Verträge, die goldene Regel oder «Entgegenkommen», verpflichteten dagegen nur innerlich, durch Folgenabwägung und Nutzenkalkül; äussere Verbindlichkeit, also Rechtssicherheit, kann es im Naturzustand daher nicht geben. Hobbes' Naturzustand ist somit beherrscht von Ruhmsucht, Misstrauen und Furcht, dem Krieg aller gegen alle. Zu überwinden sei dieser durch die Gründung des Staats mittels der Übertragung der Macht auf einen Souverän, den Leviathan. Dies erfolge durch den Abschluss eines Gesellschaftsvertrages zwischen den zuvor ungebundenen Individuen, durch den diese ihr natürliches Recht auf Selbstverteidigung und Selbstbestimmung unwiderruflich auf den Souverän übertrügen, der seine so begründete Macht zum Schutz der Bürger nutzt. Dadurch, dass dieser Vertrag nach Hobbes' Auffassung zwischen den Bürgern zugunsten des Souveräns geschlossen wird, ergeben sich einige Besonderheiten: Da der Souverän nicht Vertragspartei, sondern lediglich Begünstigter des Vertrages sei, könne der Gesellschaftsvertrag ihm gegenüber nicht gekündigt werden, ein Widerstandsrecht der Bürger sei somit folgerichtig ausgeschlossen. Die Macht des Souveräns sei auch ansonsten unbeschränkt, umfasse etwa auch die Herrschaft über Glaubensfragen (wenn auch die innere Glaubensfreiheit nicht beschnitten werden dürfe), das Recht zur Kriegsführung, zur Zensur, zur Gestaltung der Eigentumsordnung und zur Verhängung der Todesstrafe. Der Souverän bestimme seine Nachfolge zudem selbst. Wie die Herrschaft faktisch begründet werde, ob durch Gewalt oder die Einsetzung durch die Gemeinschaft, habe auf diese durch die Fiktion des Gesellschaftsvertrages legitimierte Machtfülle des Souveräns dagegen keinen Einfluss. 2. John Locke (1632 1704) John Lockes', etwas später entstandene, liberale Vertragstheorie hatte neben einigem theoretischen Einfluss auf spätere Denker im Gegensatz zu Hobbes Konzeption auch eine sehr konkrete Wirkung auf die Entwicklung politisch einflussreicher Ideen der folgenden Jahrzehnte, die sich etwa im Kontext der amerikanischen und französischen Revolutionen niederschlugen und einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des demokratischen, grundrechtsgebundenen Verfassungsstaates leisteten. Eine grundsätzliche Parallele zu Hobbes' Theorie liegt in einigen der erkenntnistheoretischen Grundannahmen Lockes: Auch dieser war Empirist und Nominalist, betonte also, dass menschliche Erkenntnis nicht auf eingeborenen Ideen, sondern auf Sinneserfahrungen und deren geistiger Verarbeitung etwa durch Verallgemeinerung und Abstraktion sinnlicher Erkenntnis der faktisch nur partikulär existierenden Einzeldinge beruhe. Dementsprechend existiert aus Lockes' Perspektive keine angeborene Moral, etwa in Form von angeborenen Ideen, diese werde wie jegliche menschliche Erkenntnis erst durch individuelle Erfahrung und Erziehung gewonnen. Zuvor seien Menschen ein «white paper void of all characters». Allerdings bejaht Locke im Gegensatz zu Hobbes die Existenz eines Naturrechts, das allerdings nicht durch eingeborene, sondern durch die mittels der allgemeinen Vernunft erkennbaren Maximen gebildet werde. Auch in Lockes' Variante einer Gesellschaftsvertragstheorie bildet ein Naturzustand den Ausgangspunkt der Überlegungen. Dieser ist aber keine, wie bei Hobbes, reine Fiktion, sondern sei vielmehr, etwa im Verhältnis von Herrschern untereinander, durchaus noch real anzutref- 2

fen. Einen weiteren wichtigen Unterschied zu Hobbes' Konzept des Naturzustandes besteht in Lockes' Annahme eines vorstaatlichen natürlichen (Vernunft-)Gesetzes: Im Naturzustand herrsche nicht nur grundsätzliche Freiheit und Gleichheit, sondern auch das Verbot, Leben, Gesundheit, Freiheit oder Eigentum eines anderen zu verletzen. Da sich jedoch Einzelne über dieses Verbot hinweg zu setzen drohten, tendiert auch Lockes' Naturzustand dazu, sich in einen Kriegszustand zu entwickeln. Der Abschluss des Gesellschaftsvertrags diene daher letztlich der Rechtssicherheit, da die bereits vorstaatlich bestehenden Rechte nur durch einen solchen Übertritt in die politische Gesellschaft und ihre Institutionen geschützt werden könnten. Auch nach Lockes' Vorstellung delegieren die Einzelnen mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags ihre «natürlichen» Rechte auf Selbsterhaltung und die Strafgewalt an den Staat, der im Gegensatz zu Hobbes' Leviathan aber nicht über absolute Verfügungsgewalt über seine Untertanen verfügt: Vielmehr herrsche in der so begründeten Gesellschaft das Mehrheitsprinzip, die Konstituierung der Regierung erfolge erst nach Abschluss des Gesellschaftsvertrages und nur das (zumindest konkludente) Einverständnis des Bürgers mache diesen zum Mitglied des Staates. Der Vertragsschluss stellt auch keinen einseitigen Unterwerfungsvertrag dar, vielmehr wird durch ihn auch die Regierung gebunden. Folgerichtig bejaht Locke ein Widerstandsrecht der Bürger, sobald der Staat seine Aufgabe, den Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum, nicht mehr erfülle. In der Ausübung seiner Staatsgewalt ist der legitime Staat an das Naturgesetz gebunden. 3. Jean-Jacques Rousseau (1712 1778) Rousseau entwickelt seine Theorie vom Gesellschaftsvertrag eingebettet in eine Geschichtsphilosophie ohne Teleologie mit negativem Grundton. Ausgangspunkt ist eine Auseinandersetzung mit der Kultur und Gesellschaft seiner Zeit und eine frühe Aufklärung und Wissenschaftskritik. Während Hobbes und Locke den Naturzustand als zumindest potentiellen Krieg aller gegen aller konzipieren und zumindest Hobbes' negative Anthropologie den Menschen im Naturzustand als nach Macht strebendes, misstrauisches und furchtsames Wesen charakterisiert, zeichnet Rousseau ein grundsätzlich positives Bild vom «urwüchsigen» Individuum. Im (auch hier hypothetischen) Naturzustand sei der Mensch das am besten ausgestattete Tier, autark, ohne Sprache, Vernunft, Moral oder Liebe, bedürfnislos und selbstbezogen, aber von Natur aus gut. Das Naturrecht im Naturzustand ergebe sich, den «natürlichen» Neigungen der ursprünglichen Menschen gemäss, aus Selbstliebe und Mitleid. Der Zivilisationsprozess ist für Rousseau eine negative Entwicklung: Um sich gegen widrige Umstände zu wappnen vereinigten sich die Menschen zu Horden oder Familien, die Sprache und das Eigentum entstünden und durch die Interaktion und den Vergleich mit anderen schliesslich Konkurrenz und Neid. Aus der urwüchsigen, selbstgenügsamen Selbstliebe (amour de soi) des Naturmenschen werde die naturwidrige Eigenliebe oder Selbstsucht (amour propre) des zivilisierten, nunmehr «depravierten» Individuums; Herrschaft und gesellschaftliche Ungleichheit entstünden. Vor diesem Hintergrund entwickelt Rousseau seine Theorie vom Gesellschaftsvertrag, durch den, wie er hofft, die «amour propre» in Staatsbürgertugend gewandelt werden könne. Im Naturzustand bestehe, wie bei Hobbes, die natürliche Freiheit und ein Recht eines jeden auf alles. Die natürliche Freiheit fordere, dass alles Recht nur Folge von Vereinbarungen sein könne, das oberste (Natur-)Gesetz der Menschen, die Selbsterhaltung, bedeute das Recht, über die für diese erforderlichen Mittel selbst zu bestimmen. Das Recht des Stärkeren habe dagegen, da es nur auf 3

faktischem Zwang beruhe, keine normative Qualität. Den Austritt aus dem Naturzustand betrachtet Rousseau als sinnvoll, weil der Aufwand, sich im Naturzustand zu halten, ab einem bestimmten Punkt grösser werde, als eine Gesellschaft zu begründen. Aus solchen Nützlichkeitserwägungen beschlössen die Individuen den Gesellschaftsvertrag, dem einstimmig zuzustimmen sei. Folge des Vertrags sei die moralische rechtliche Ordnung, die bürgerliche Freiheit. Anders als bei Locke und ähnlich wie bei Hobbes entäussert sich Rousseaus' Individuum durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrags vollständig an die Gemeinschaft. Im Unterschied zu Hobbes geschieht dies aber nicht allein aufgrund der notwendig absoluten Macht des Souveräns, sondern weil eine Begrenzung der souveränen Macht im Sinne des Schutzes der Untertanen nicht notwendig sei, da der Wille des Souveräns notwendig gut sei. Rousseaus' Gemeinwille (volonté générale), der das Gemeininteresse der Gesellschaft repräsentiert und sich in demokratischen Abstimmungen äussere, steht für diesen notwendig richtigen Willen des Souveräns. Das durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrags begründete Gemeinwesen entwirft Rousseau als radikal-demokratische Republik: Die Republik sei eine durch allgemeine Gesetze regierte Ordnung, die Bürger der Souverän erliessen die Gesetze und wählten die Regierung, welche die Gesetze dann umsetze. Ziel des Gemeinwesens sei die Freiheit und Gleichheit der Bürger. 4. John Rawls (1921 2002) John Rawls knüpft bei seiner Gerechtigkeitstheorie bewusst an die Tradition der Gesellschaftsvertragstheorien an. Die Übereinkunft von Menschen ist bei ihm die Grundlage für moralische Prinzipien. Gerecht sind diejenigen Vereinbarungen, welche die Menschen in einer original position (Ausgangsposition), unter bestimmten Bedingungen treffen würden. Zu diesen Bedingungen zählt der veil of ignorance (Schleier des Nichtwissens). Er verhindert, dass die Menschen Kenntnis von ihren tatsächlichen Eigenschaften erlangen. Dazu zählen Klassenzugehörigkeit, soziale Stellung, aber auch natürliche Anlagen und Fähigkeiten. Grund für diese Voraussetzung ist die natural lottery. Menschliche Eigenschaften werden zufällig verteilt. Es handelt sich um ein Glücksspiel der Natur, welche Talente welchen Men-schen zukommen. Unter diesen Bedingungen gelangen die Menschen zu einem gedachten Konsens. Dieser be-inhaltet nach Rawls zwei Prinzipien der Gerechtigkeit: Erstens: Jede Person soll ein gleiches Recht auf weitestgehende grundlegende Freiheit haben, die mit der Freiheit anderer vereinbar ist. Zweitens: Soziale und ökonomische Ungleichheiten sollen so eingerichtet werden, dass so-wohl (a) von ihnen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie zum Vorteil von allen sind und (b) sie verbunden sind mit Positionen und Ämtern, die allen offen stehen. Dabei hat das erste Vorrang vor dem zweiten Prinzip. Von einem System gleicher Freiheiten darf also nicht zugunsten grösserer sozialer oder ökonomischer Vorteilen abgewichen werden. 4

Im zweiten Prinzip ist das Differenzprinzip enthalten. Es besagt, dass ökonomische Ungleichheiten von den Menschen nur dann akzeptiert werden würden, wenn die am schlechtesten Gestellten absolut dabei gewännen. Als Beispiel nennt Rawls die Verteilung von Gütern. Gegenüber einer absolut gleichen Verteilung von 50 Einheiten pro Empfänger würden die Menschen eine ungleiche Verteilung von 100 Einheiten für die besser Gestellten und 60 Einheiten für die schlechter Gestellten bevorzugen, da es auch für letztere besser sei 60 anstelle von 50 Einheiten zu geniessen. Zentral ist deshalb die Risikoscheu der Beteiligten in der Ausgangsposition. Die Menschen würden nicht auf die Möglichkeit grosser Freiheiten von wenigen Privilegierten spekulieren, da daneben das Risiko bestünde, bei der Verteilung zu den schlechter Gestellten zu zählen. Nach dem Maximin-Prinzip wollen sie genau das maximieren, was sie jedenfalls als Minimum bei der Verteilung erreichen können. Auf Grundlage dieses kontraktualistischen Modells definiert Rawls auch die Grundprinzipien des Völkerrechts und der internationalen Ordnung. Die Entscheidungsträger sind nicht Staaten sondern Völker (peoples) in einem spezifischen Sinn: Nach Rawls sind Völker Gemeinschaften von Bürgerinnen und Bürger, die durch gemeinsame Institutionen und moralische Prinzipien verbunden sind. Diese Völker befinden sich in der Ausgangsposition eben-falls hinter einem Schleier des Nichtwissens und legen acht Fundamentalprinzipien des Völkerverkehrs fest. Es würden keine utilitaristischen Prinzipien gewählt werden, da die Völker nicht bereit wären, eigene Nachteile zugunsten der Vorteile anderer in Kauf zu nehmen. Als internationale Ordnung befürwortet Rawls eine Föderation von unabhängigen Staaten. Als Vertreter einer Vertragstheorie konnte alternativ Kant (1724 1804) genannt werden. 5. Mögliche Kritik/Stellungnahme Die Unterschiedlichkeit der Konzeptionen Hobbes, Lockes und Rousseaus weisen auf ein grundsätzliches Problem der vertragstheoretischen Begründungsversuche einer legitimen gesellschaftlichen Ordnung hin: Je nachdem welche anthropologischen Grundannahmen, erkenntnistheoretischen und normativen Prämissen solchen Versuchen der «Letztbegründung» zugrunde gelegt werden, können ganz unterschiedliche und gar einander widersprechende Staats- und Gesellschaftsentwürfe legitimiert werden. Die Idee eines Naturzustandes wirft so die Frage auf, ob dessen Eigenschaften nicht strategisch in Bezug auf die Legitimation einer bestimmten, aus ganz anderen Gründen präferierten Staatsform gewählt werden. Die insbesondere in der Annahme eines hypothetischen Naturzustands zum Ausdruck kommenden normativen und anthropologischen Prämissen dieser Entwürfe können zudem, dies ist einer der wichtigsten Einwände gegen die Vertragstheorien, selbst nicht vertragstheoretisch begründet werden: Vertragstheorien können nicht begründen, warum Menschen diejenige Freiheit und Gleichheit zukommen soll, die dem freiwilligen, von individuellen Nutzenkalkülen bestimmten Abschluss des Vertrages erst seine normative, legitime Autorität begründende Wirkung vermittelt. Die Theorie von John Rawls teilt eine grundsätzliche Problematik mit den klassischen Gesellschaftsvertragstheorien: Es handelt sich um eine hilfreiche Veranschaulichung von 5

moralischen Prinzipien, deren Ursprung jedoch nicht geklärt wird. Es werden normative Prämissen durch die Konzeption der Ausgangsposition gesetzt, die selbst nicht gerechtfertigt werden. So werden Freiheit und Gleichheit der Menschen in der Ausgangsposition vorausgesetzt, um die Anwendung des Schleiers des Nichtwissens überhaupt zu legitimieren. I. Gibt es eine Erkenntnis des Richtigen im Recht? Welche klassischen Positionen, die diese Auffassung vertreten, kennen Sie? Beschreiben Sie jüngere, paradigmatische Herausforderungen dieser Vorstellung und nehmen Sie, möglichst ebenfalls mit Bezug auf aktuelle Positionen, Stellung! (35%) 35 Pte Gemäss Sokrates (469 399 v. Chr.) ist das Gute Gegenstand des Wissens. Der Weise ist deshalb auch gut. Niemand tue wissend etwas Schlechtes. Das erforderliche Wissen ist Produkt der Erkenntnisgewinnung im Dialog (Maieutik). Die moralische Orientierung entspringt dabei einer inneren Stimme (daimonion), die als Vorform der Idee des Gewissens verstanden werden kann. Sokrates' Schüler Platon (427 347 v. Chr.) entwickelt eine idealistische Metaphysik. Die partikularen, wechselhaften Dinge werden durch Ideen charakterisiert, die jenseits physischer und psychischer Welt bestehen. Nach Platons Ideenlehre steht hinter den realen Dingen eine spezifische Idee, welche das Wesen dieser Dinge kennzeichnet. Unter diesen Vorzeichen sind genau diejenigen Gegenstände oder Handlungen gut, die der Idee des Guten oder des Gerechten entsprechen. Die Erkenntnis dieser Ideen erfolgt durch Wiedererinnerung (anamnesis), indem die Seele, die bereits vor Geburt Kenntnis über die Ideen erlangte, sich erneut daran erinnere. Seine Theorie ist wertobjektivistisch, weil die Dinge an sich gut sind und nicht weil sie die Menschen für gut hielten. Gegen Sokrates' Ausführungen kann eingewandt werden, dass die Frage nach dem Guten und Gerechten nicht durch das Wissen beantwortet wird, sondern dass die Zuschreibung eines moralischen Prädikats eine Wertung bildet, die nicht objektiv gegeben ist, sondern subjektiv dem Einzelnen entspringt. Die Zuteilung von Prädikate wie «gut» oder «gerecht» sind das Produkt von Neigungen, Gefühlen oder individueller Willkür, die keiner Objektivierung zugänglich sind. Dem gleichen Einwand ist auch Platons Ideenlehre ausgesetzt. Hinzu kommt, dass seine metaphysische Annahme von einem Ideenreich als Teil der Wirklichkeit unplausibel ist. Für das Bestehen von Ideen jenseits physischer und psychischer Welt gibt es keine überzeugenden Gründe. Die relativistischen Theorien werfen aber ihrerseits folgendes Problem auf: Folgt man ihnen, sind alle Wertungen im Ergebnis persönlich und subjektiv. Ein demokratischer, menschenrechtsgebundener Verfassungsstaat impliziert aber Wertungen mit stärkerem Geltungsanspruch. So kommt etwa das Festlegen und Abwägen von Grundrechten nicht ohne moralische Wertung aus. Es muss also die Frage geklärt werden, ob dieser Geltungsanspruch auch eingelöst werden kann. Weitverbreitet ist die Korrespondenztheorie der Wahrheit, welche die Übereinstimmung einer Aussage mit Sachverhalten in der Welt als Wahrheitskriterium auffasst. Für 6

moralische Wertungen ist eine solche Korrespondenzbeziehung jedoch kein mögliches Wahrheitskriterium: Es gibt keine objektiven äusseren normativen Sachverhalte in der Welt. Die Aussage, dass eine bestimmte Handlung «gut» sei, ist keine Formulierung einer objektiv existierenden Gegebenheit, anders als etwa die Aussage, dass die Höhe eines bestimmten Raumes 2.5 m betrage. Moralische Urteile sind aber nicht nur Ausdruck von subjektiven Empfindungen. Sie besitzen vielmehr einen kognitiven Gehalt, etwa Gleichheitsbeziehungen in Gerechtigkeitsurteilen. Dass es keine letztbegründete Erkenntnis von normativen Positionen geben kann, heisst nicht, dass es keine Massstäbe menschlicher Erkenntnis und moralischer Einsicht gäbe. Theorien und moralische Urteile können nämlich mehr oder weniger überzeugend sein, unabhängig von der Existenz objektiver normativer Sachverhalte, je nachdem, ob sie internen Massstäben praktischer Vernunft genügen oder nicht. 2. Beschreiben Sie die wesentlichen Züge der Diskurstheorie von Jürgen Habermas und nehmen Sie Stellung! (30%) 30 Pte Die Frage nach den Grundlagen legitimer Herrschaft beantwortet Habermas im Kontext seiner Diskurstheorie. Ausgehend von der Beobachtung, dass sich ein intersubjektiv gültiger Massstab für die vernünftige und gerechte Ordnung in der Geistesgeschichte weder aus der subjektiven Vernunft, noch aus der Tradition, der Beobachtung einer Teleologie der Geschichte oder einer wie auch immer gearteten Natur des Menschen habe begründen lassen, geht diese einen anderen Weg: Habermas konzipiert einen Begriff der Vernunft, der sich in der zwischenmenschlichen Kommunikation entfaltet. Erkenntnistheoretisch, also in Bezug auf Wahrheitsfragen, wendet sich die Diskurstheorie (zumindest in ihren frühen Entwürfen, später ändert Habermas seine epistemologische Position) von der sog. Korrespondenztheorie der Wahrheit ab, für die das Wahrheitskriterium die Übereinstimmung von Erkenntnis und objektivem Sachverhalt war, und begründet ein prozeduralisiertes Wahrheitskriterium: Wahr sei, was sich in einem bestimmten Verfahren, dem Diskurs, als wahr ergebe. Der Diskurs sei diejenige Verständigungsform, in welche die Akteure einer Verständigungssituation einträten, sobald die Verständigung problematisch werde, also gegebenenfalls differierende Geltungsansprüche auf die Wahrheit oder normative Richtigkeit des Gesagten oder die Wahrhaftigkeit des Sprechenden erhoben würden. Ob diese Geltungsansprüche gerechtfertigt sind, werde im Diskurs entweder durch den begründeten Konsens der Sprechenden eingelöst, oder aber, falls ein solcher nicht erreicht wird, fallen gelassen. Mit dem Eintritt in den Diskurs durch das Erheben von Geltungsansprüchen müssen die Sprechenden nun laut Habermas die Möglichkeit eines solchen begründeten Konsenses voraussetzen und damit bestimmte, kontrafaktische Bedingungen der Chancengleichheit im Diskurs akzeptieren, die er unter den Begriff der «idealen Sprechsituation» fasst: Diese sei gekennzeichnet durch die Öffentlichkeit und vollständige Inklusion aller Betroffenen, die Gleichverteilung der Kommunikationsrechte, die Gewaltlosigkeit der Situation, die nur den zwanglosen Zwang des besseren Arguments zur Geltung kommen lasse und die Aufrichtigkeit der Äusserungen aller Beteiligten. Auch in der Moralphilosophie wird auf das Konstrukt des herrschaftsfreien Diskurses zurückgegriffen. Sobald man sich auf einen Verständigungsprozess einlasse, habe man die Argumentationsregel (oder den Universalisierungsgrundsatz) U bereits akzeptiert: «Jede gültige Norm muss 7

der Bedingung genügen, dass die voraussichtlichen Folgen und Nebenwirkungen, die sich aus ihrer allgemeinen Befolgung für die Befriedigung der Interessen eines jeden voraussichtlich ergeben, von allen Betroffenen zwanglos akzeptiert werden können.» Aus dieser Argumentationsregel folge das zentrale Prinzip der Diskursethik, dass für alle Handlungsnormen, also für Moral und Recht, gelte: «Gültig sind genau die Handlungsnormen, denen alle möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer an rationalen Diskursen zustimmen können.» Recht und Moral stehen für Habermas autonom neben einander, sie ergänzen sich gegenseitig und erfüllen unterschiedliche Funktionen. Das Recht lege normative Inhalte im Gegensatz zur Moral autoritativ fest und sanktioniere den Normverstoss. Habermas betont aber, dass auch das Recht legitim sein muss: Das Recht müsse sowohl Legalität durch Sanktionen herstellen, als auch Legitimität verkörpern. Die Legitimität erweise sich durch die Übereinstimmung mit dem Diskursprinzip. Durch diese Rückbindung des Legitimitätsbegriffs an den Diskurs zeigt sich nach Habermas' Auffassung, dass im modernen Begriff des Rechts die Idee der Demokratie bereits angelegt sei, da sich in dieser die diskursive Rationalität gerade entfalte. Die Diskursethik zeige die innere Verbindung von Demokratie und Vernunft. Parallelen und Unterschiede gegenüber vertragstheoretischen Konzepten Habermas Rechtstheorie steht in der Tradition der theoretischen Vordenker eines liberalen und demokratischen Rechtsstaats, zu denen auch Vertreter einer Vertragstheorie wie Locke, Rousseau oder Kant gehören. Wie diese meint er, dass das Recht seine Legitimität durch die «sozialintegrative Kraft des übereinstimmenden und vereinigten Willens aller freien und gleichen Staatsbürger» gewinnt. Die Legitimation von Recht und Staat wird wie schon bei den Vertragstheoretikern nicht metaphysisch oder religiös begründet, sondern durch den zumindest hypothetischen Rückgriff auf die autonome Entscheidung des letztlich eigenen Nutzenkalkülen folgenden Individuums. Wie die Vertragstheoretiker geht Habermas zudem von bestimmten «kontrafaktischen» Annahmen aus: während diese ihrer rationalen Rekonstruktion legitimer Ordnung das «Gedankenexperiment» eines Naturzustandes zugrunde legen, unterstellt jener bestimmte kontrafaktische Bedingungen der Chancengleichheit, die notwendig mit dem Eintritt in den Diskurs akzeptiert würden und verbindet seine Rechtsphilosophie mit einer Diskursethik mit universellem Anspruch. Eine grundsätzliche Abgrenzung gegenüber klassischen Philosophien sieht Habermas in seiner Fokussierung einer Vernunft die sich in der Kommunikation entfaltet: Die «monologische», von einem Einzelnen in seiner eigenen Reflexion entwickelte Ethik der Vergangenheit werde abgelöst durch den realen Einbezug der Angehörigen einer Gesellschaft in die moralische Entscheidungsfindung. Ein wichtiger Unterschied zu den Vertragstheoretikern liegt zudem in der Tatsache, dass Habermas' seine Theorie weitgehend prozeduralistisch anlegt: Anstelle einer, etwa auf einem Gedankenexperiment beruhenden, Auszeichnung konkreter (rechtlicher oder moralischer) normativer Gehalte, die nach seiner Auffassung zu einem philosophischen Paternalismus führen könnte, soll sich die Philosophie auf die Analyse der Bedingungen für rationale Diskurse und Verhandlungen beschränken. Habermas meint, formale aber universelle Bedingungen für die diskursive Erzeugung von vernünftigen Handlungsnormen im Prozess einer vernünftigen Meinungs- und Willensbildung definiert zu haben. 8