Psychische Belastungen am Arbeitsplatz Neue Aufgaben für die staatlichen Arbeitsschutzbehörden



Ähnliche Dokumente
Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen

Erfahrungen mit Hartz IV- Empfängern

Lineargleichungssysteme: Additions-/ Subtraktionsverfahren

Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung nach 5 Arbeitsschutzgesetz

tipps für schülerinnen und schüler Fragen und Antworten Interview mit Unternehmen Fragebogen Interview mit Unternehmen Antwortbogen

infach Geld FBV Ihr Weg zum finanzellen Erfolg Florian Mock

Meet the Germans. Lerntipp zur Schulung der Fertigkeit des Sprechens. Lerntipp und Redemittel zur Präsentation oder einen Vortrag halten

Schnelle Antwort, gute klare Beratung. Ich bin wirklich sehr zufrieden. Auswertung der Mandantenbefragung 2007

Persönliche Zukunftsplanung mit Menschen, denen nicht zugetraut wird, dass sie für sich selbst sprechen können Von Susanne Göbel und Josef Ströbl

Meine Entscheidung zur Wiederaufnahme der Arbeit

Glaube an die Existenz von Regeln für Vergleiche und Kenntnis der Regeln

Das große ElterngeldPlus 1x1. Alles über das ElterngeldPlus. Wer kann ElterngeldPlus beantragen? ElterngeldPlus verstehen ein paar einleitende Fakten

Mitarbeiterbefragung als PE- und OE-Instrument

Das Persönliche Budget in verständlicher Sprache

Wichtig ist die Originalsatzung. Nur was in der Originalsatzung steht, gilt. Denn nur die Originalsatzung wurde vom Gericht geprüft.

Was meinen die Leute eigentlich mit: Grexit?

Das Leitbild vom Verein WIR

Schnellstart - Checkliste

40-Tage-Wunder- Kurs. Umarme, was Du nicht ändern kannst.

Europäischer Fonds für Regionale Entwicklung: EFRE im Bundes-Land Brandenburg vom Jahr 2014 bis für das Jahr 2020 in Leichter Sprache

Lernerfolge sichern - Ein wichtiger Beitrag zu mehr Motivation

Fragebogen der IG Metall-Jugend zur Qualität der Berufsausbildung

Professionelle Seminare im Bereich MS-Office

Psychische Belastung aktuelle Entwicklungen

Keine Angst vor der Akquise!

Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt

Warum tun manche Menschen nicht das, was Sie als Führungskraft von ihnen erwarten?

Auszug aus der Auswertung der Befragung zur Ermittlung der IT-Basiskompetenz

Robert Günther Versicherungsmakler

Aussage: Das Seminar ist hilfreich für meine berufliche Entwicklung

Gutes Leben was ist das?

Ohne den gewerkschaftlichen Rechtsschutz hätte ich meine Rechte nicht durchsetzen können.

Definierte Arbeitsabläufe Prozesse Vorsorgeuntersuchungen Unterbrechung der Tätigkeit am Bildschirm/Arbeitsplatz

Urlaubsregel in David

Grußwort Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Produktpiraterie

Personalentwicklung im Berliner Mittelstand. Darstellung der Studienergebnisse Berlin,

Sehr geehrter Herr Pfarrer, sehr geehrte pastorale Mitarbeiterin, sehr geehrter pastoraler Mitarbeiter!

Es gilt das gesprochene Wort. Anrede

vor 2 Tagen erhielt ich einen Anruf eines Ihrer Kundenberater (Herr Kirsch) mit dem Angebot der Vertragsverlängerung für meinen Mobilfunkvertrag.

Kundenbefragung als Vehikel zur Optimierung des Customer Service Feedback des Kunden nutzen zur Verbesserung der eigenen Prozesse

Leit-Bild. Elbe-Werkstätten GmbH und. PIER Service & Consulting GmbH. Mit Menschen erfolgreich

Bedarfsgerechte Angebote in der Kindertagesbetreuung

Die Bedeutung der Kinder für ihre alkoholabhängigen Mütter

1: 9. Hamburger Gründerpreis - Kategorie Existenzgründer :00 Uhr

Eine der Aktien hat immer einen höheren Gewinn als die andere Aktie. Ihre Aufgabe ist es diese auszuwählen.

Basis (=100%) zusätzlichen Schulabschluss an. Befragungszeitraum:

Eva Douma: Die Vorteile und Nachteile der Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit

1.1 Allgemeines. innerhalb der Nachtzeit (19:00 24:00) Gesamte Normalarbeitszeit (16:00 19:00)

ES GEHT NICHTS ÜBER EX-AZUBIS, Leiter der Fertigung, Produktbereich Blech, bei

Elternumfrage Kita und Reception. Campus Hamburg

Erhalt und Weiterentwicklung beruflicher Kompetenzen der Lehrerinnen und Lehrer

Mobile Intranet in Unternehmen

Rohstoffanalyse - COT Daten - Gold, Fleischmärkte, Orangensaft, Crude Oil, US Zinsen, S&P500 - KW 07/2009

BERECHNUNG DER FRIST ZUR STELLUNGNAHME DES BETRIEBSRATES BEI KÜNDIGUNG

Anleitung Scharbefragung

Erfolgreiche Webseiten: Zur Notwendigkeit die eigene(n) Zielgruppe(n) zu kennen und zu verstehen!

INFORMATION FÜR FÜHRUNGSKRÄFTE

Mitarbeiterbefragung zur Führungsqualität und Mitarbeitermotivation in Ihrem Betrieb


Der Wunschkunden- Test

Wechselbereitschaft von. Bevölkerungsrepräsentative Umfrage vom 09. Januar PUTZ & PARTNER Unternehmensberatung AG

Ergebnisse der Befragung zum Ganztagesbereich in der Schrotenschule, durchgeführt im Juli 2007

Alle gehören dazu. Vorwort

Ausbildung. Erfahrungsbericht einer Praktikantin

Was ist clevere Altersvorsorge?

Mehr Geld verdienen! Lesen Sie... Peter von Karst. Ihre Leseprobe. der schlüssel zum leben. So gehen Sie konkret vor!

ratgeber Immer mehr Druck im Arbeitsleben? Ein Ratgeber für Beschäftigte

Zwischen den Stühlen? Psychische Belastungen von Führungskräften der mittleren Ebene aus arbeitsweltlicher Sicht

Verband der TÜV e. V. STUDIE ZUM IMAGE DER MPU

Deutschland-Check Nr. 35

BPI-Pressekonferenz. Statement. Dr. Martin Zentgraf. Geschäftsführer der Desitin Arzneimittel GmbH und Mitglied des BPI-Vorstandes Berlin

geben. Die Wahrscheinlichkeit von 100% ist hier demnach nur der Gehen wir einmal davon aus, dass die von uns angenommenen

Vorgestellt von Hans-Dieter Stubben

Ergebnis und Auswertung der BSV-Online-Umfrage zur dienstlichen Beurteilung

Was ist das Budget für Arbeit?

Fragebogen zur Evaluation von NLP im Coaching

Und der Schluß vom Beschluß: Beschlossen und verkündet hört sich an wie aus einer Gerichtsserie. Was soll das alles?

Belastungen am Arbeitsplatz

50 Fragen, um Dir das Rauchen abzugewöhnen 1/6

Psychologie im Arbeitsschutz

ONLINE-AKADEMIE. "Diplomierter NLP Anwender für Schule und Unterricht" Ziele

K u n d e n. F r a g e b o g e n. für die Gütesiegel- verleihung. - ambulante Dienste -


Test: Sind Sie ein Unternehmertyp?

Verbundprojekt SCHICHT

Die Post hat eine Umfrage gemacht

Anleitung zur Daten zur Datensicherung und Datenrücksicherung. Datensicherung

Studieren- Erklärungen und Tipps

Ich habe von dem bevorstehenden Börsengang der Stuttgarter Maschinenbau AG gelesen. Für diesen Börsengang interessiere ich mich sehr.

Durch Wissen Millionär WerDen... Wer hat zuerst die Million erreicht? spielanleitung Zahl der spieler: alter: redaktion / autor: inhalt:

Projektmanagement. Einleitung. Beginn. Was ist Projektmanagement? In dieser Dokumentation erfahren Sie Folgendes:

Die große Wertestudie 2011

career:forum. Traumberuf JournalistIn: Das kleine 1x1 der Freiberuflichkeit SSC-screenBOOK Texte und Bilder zum lesen am Bildschirm

Hilfe, mein SCRUM-Team ist nicht agil!

L10N-Manager 3. Netzwerktreffen der Hochschulübersetzer/i nnen Mannheim 10. Mai 2016

Welche Gedanken wir uns für die Erstellung einer Präsentation machen, sollen Ihnen die folgende Folien zeigen.

Das NEUE Leistungspaket der Sozialversicherung. Mehr Zahngesundheit für Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr. Fragen und Antworten

Andreas Rühl. Investmentfonds. verstehen und richtig nutzen. Strategien für die optimale Vermögensstruktur. FinanzBuch Verlag

Flexibilität und Erreichbarkeit

Transkript:

Psychische Belastungen am Arbeitsplatz Neue Aufgaben für die staatlichen Arbeitsschutzbehörden Guten Tag, meine Damen und Herren, ich bin heute hier, um über meine Erfahrungen auf dem mittlerweile viel diskutierten Gebiet der psychischen Belastungen zu berichten. Seit 2002 hat die Psyche die Niedersächsische Gewerbeaufsichtsverwaltung erreicht, die als Arbeitsschutzbehörde vor psychischen Belastungen in der Arbeitswelt nicht halt gemacht hat. Während das Risiko, einen Arbeitsunfall zu erleiden, seit vielen Jahren kontinuierlich gesunken ist, verursachen neue Technologien, Rationalisierung und massiver Zeitdruck zunehmend arbeitsbedingte Erkrankungen, insbesondere psychische Beeinträchtigungen. Untersuchungen nach werden 31 % aller Arbeitsunfähigkeitstage durch psychische Belastungen hervorgerufen. Psychische Belastungen verursachen jährlich direkte Kosten (Kosten der Krankheitsbehandlung von 11,1 Millionen Euro) und indirekte Kosten (Produktionsausfälle) von 13,4 Millionen Euro. Seit August 1996 gibt es ein Arbeitsschutzgesetz, das die 120 a ff der Gewerbeordnung ersetzt. Es beinhaltet die Verpflichtung des Gewerbeunternehmers, Arbeitsräume, Betriebsvorrichtungen, Maschinen und 1

Gerätschaften so einzurichten und den Betrieb so zu regeln, dass die Arbeitnehmer gegen Gefahren für Leib und Gesundheit soweit geschützt sind, wie es die Natur des Betriebes gestattet. Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet den Arbeitgeber bei den zu treffenden Arbeitsschutzmaßnahmen nun Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Bedingungen und soziale Beziehungen sachgerecht miteinander zu verknüpfen (vgl. 4 Nr. 4 Arbeitsschutzgesetz). Das bedeutet, dass der Arbeitgeber grundsätzlich auch verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutze der Beschäftigten vor psychischen Belastungen am Arbeitsplatz zu treffen und zu dokumentieren, nachdem er sie vorher mit Hilfe von zuverlässigen, fachkundigen Personen ermittelte. Denn Leben, körperliche Unversehrtheit und freie Entfaltung der Persönlichkeit stehen unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes. Durch die gesetzlichen Schutzbestimmungen soll erreicht werden, dass die Arbeitswelt menschengerechter gestaltet wird. Die Gewerbeaufsichtsverwaltung als Arbeitsschutzbehörde hat vom Ursprung her (Tätigkeit als Fabrikinspektoren seit 1869) eine Aufsichts- und Kontrollfunktion, was die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen angeht. In neuerer Zeit wurde sie beauftragt und angewiesen (Umwelt-, Sozialministerium). sachkundig, insbesondere präventiv, Betriebe zu beraten. Zugleich soll sie dabei aufgeschlossener sein und nicht den Fehler machen, den Wandel von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft zu verschlafen. Sich eben auf neue Formen in der Arbeitswelt einstellen. 2

Betriebe müssen sich heute den geänderten Wettbewerbsbedingungen anpassen, um überlebensfähig zu bleiben. Die Beschäftigten müssen sich ebenfalls den veränderten Bedingungen innerhalb der Unternehmen anpassen, um beschäftigungsfähig zu bleiben. Und mit dabei ist die Staatliche Gewerbeaufsicht. Diese Veränderungen in der Arbeitswelt sind für die Beschäftigten vielfach mit Belastungen, insbesondere mit psychischen Belastungen verbunden, also mit allen erfassbaren Einflüssen, die von außen auf sie zukommen und einwirken. Die einst erworbenen fachlichen Qualifikationen und Fertigkeiten reichen auf einmal nicht mehr aus oder haben nicht mehr die Bedeutung, die sie hatten. Nach Erkenntnis der Europäischen Union ist Stress am Arbeitsplatz ein Problem, das mehr als 40 Millionen Menschen in der Union betrifft (28 % der Beschäftigten). Zusätzlich zu den per Gesetz festgelegten Aufgaben im Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzbereich führt die Gewerbeaufsicht seit 2002/2003 Schwerpunktaktionen zur Erkennung psychischer Fehlbelastungen in Betrieben durch. Die erste Schwerpunktaktion erfolgte branchenspezifisch in einer besonderen Betriebsgruppe. Es handelte sich dabei um Call-Center. Sie schienen als Modell geeignet zu sein. Seit Milleniumbeginn schossen sie doch wie Pilze aus dem Boden. Zugleich wurde relativ schnell erkennbar, dass in Call-Center Probleme auftraten. Sie erinnern sich sicher daran, dass die 3

Telekom derzeit viele Mitarbeiter ausmusterte, sie für dienstunfähig erklärte, und in den vorgezogenen Ruhestand schickte. Wohl auch aus Kostengründen. Sicherlich gab es dabei einen weiteren Grund, nämlich den, dass die Arbeitsbedingungen psychisch belastend waren. In Niedersachsen wurden von den 10 Ämtern 47 Call- Center (sowohl Inbound als auch Outbound) jeweils von zwei Aufsichtspersonen überprüft. Dabei verwendet wurde ein Abfragebogen zur Selbsteinschätzung von Gruber-Mierdel. Mitarbeiter konnten insgesamt 13 Fragen (Items) selbst beantworten, die sich auf 3 Bereiche nämlich Tätigkeitsinhalt, Organisation, besondere Bedingungen bezogen. Die Fragen waren ohne Bezug zur Arbeitsumgebung, -gestaltung, wie Lärm-, Licht-, Luftverhältnisse. 4 Möglichkeiten der Klassifizierung (ja, eher ja, eher nein, nein) waren vorgegeben. Anschließend wurde von uns gezählt und damit eine Grobanalyse vollzogen. Als kritisch wurden die langen Öffnungszeiten bewertet. Festgestellt wurde eine hohe Fluktuation, Anonymität untereinander, mangelhafte Ausrüstungen (Headset) und regionale Unterschiede. Die in Göttingen von mir besuchten Call-Center bevölkerten junge Menschen, überwiegend Studenten. Unverbraucht und 2002 gänzlich unbetroffen vom Leistungsdruck. Selbst nicht bekannt gegebene Kontrollabhörungen der Teamleitung beeinflusste ihre Psyche bei der erfolgten persönlichen Befragung nur wenig. Bei den Überprüfungen wurden andere Mängel festgestellt, wie mangelhafte 4

Klimaanlagen, Nichtberücksichtigung der Forderungen der Bildschirmarbeitsverordnung. Nach Beendigung dieser Aktion erhielten die Betriebe/Beschäftigten keine Rückmeldung über die Ergebnisse. Nachfragen gab es zumindest im Bereich Göttingen kaum. Nachdem nun die ersten Erfahrungen mit den neuen Aufgaben durch die Basis der Gewerbeaufsicht gemacht wurden, die beiden Fachreferenten pro Amt dem Ministerium benannt worden waren und eine eintägige Fortbildungsveranstaltung für das restliche Kollegium beendet war, beschloss das Ministerium, eine weitere Schwerpunktaktion durchführen zu lassen, die sich für die zwei Fachreferenten bereits im Vorfeld der Vorbereitung weitaus umfangreicher erwies als die vorherige. Es sollten psychische Belastungen an Büroarbeitsplätzen in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten ermittelt werden. Schulungen unter Beteiligung des gewerbeärztlichen Dienstes in Hannover erfolgten. Ein vom Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik) entwickeltes Konzept zur Ermittlung psychischer Fehlbelastungen und zu Möglichkeiten der Prävention (LV 28) wurde vorgestellt. Ebenso eine Handlungsanleitung dazu. Viel Papier war nun vorhanden. Zur praktischen Durchführung erhielten wir einen Untersuchungsbogen, entwickelt von der UNI Potsdam, einem Erhebungsinstrument zur Erkennung psychischer Fehlbelastungen. Dieses SPA S Verfahren hatte in Brandenburg Erfolge erzielt, da es eine genauere Erkennung versprach. Die Idee, diese 5

Schwerpunktaktion in Großbetrieben durchzuführen, hing auch mit der Einschätzung zusammen, dass größere Betriebe wohl eher als kleinere, genauere Kenntnisse über das Arbeitsschutzgesetz mit seinen Regelungen hatten und darüber hinaus auch über das entsprechende Personal verfügten, um die Untersuchungen zu begleiten. Diese Einschätzung traf nur bedingt zu. Zwar verfügten die Großbetriebe zum Beispiel über Gefährdungsbeurteilungen, doch nicht unbedingt für den Bereich Büro/Verwaltung. Und das psychische Belastungen Bestandteil der Arbeitsschutzgefährdung sind, war ebenfalls nicht so geläufig. Es war nicht einfach für die Gewerbeaufsicht Betriebe zu finden, die bereit waren, mitzumachen. Die Gewerbeaufsicht musste einen neuen Arbeitsstil entwickeln, der nicht mehr dem ursprünglichen Aufsichts- und Überwachungsmodell entsprach. Zwar konnte man Einlass in die Betriebe kraft Gesetz bekommen, doch die Betriebe mussten gewillt sein, an diesem sensiblen Thema mitzuwirken. Es gab auch Absagen. So lehnte ein großes Handelsunternehmen nach erstem Interesse doch ab, da sich die Marktposition dramatisch verschlechtert hatte und sogar Teilauflösungen diskutiert wurden. Mein Problem war, dass ich keine Branche ausschließlich allein betreute, zwar viele Firmen kannte, aber nicht unmittelbare Firmenansprechpartnerin war. Ich bin Ansprechpartnerin für den Bereich Sozialer Arbeitsschutz für alle Arbeitgeber in allen Landkreisen. Allerdings kenne ich Vertreter von Instutionen, wie IHK, Kreishandwerkerschaft und Arbeitgeberverbänden. So 6

habe ich mich an den AGV Südniedersachsen gewandt, das Projekt dem Geschäftsführer erläutert und dort große Unterstützung erhalten. Es fanden sich dann 3 Großbetriebe, die neugierig waren und sich überzeugen ließen, Vorteile für ihr Haus zu erkennen, wie eine Reduzierung des Krankheitsstandes, Erhöhung der Produktivität, Zufriedenheit der Mitarbeiter, Förderung der Gesundheit usw. Nach den Vorgaben des Leitfadens begann mein Projekt in einem Betrieb der Aluminiumverarbeitung mit folgendem Ablauf: - Aktenstudium - Kontaktaufnahme mit der Geschäftsleitung - Vorstellung des Projektes - Beteiligung von Betriebsrat, Sifa, Betriebsarzt - Arbeitsplatzbeobachtung nach SPAS S Verfahren - Interviews mit Beschäftigten - Auswertung - Feed-back-Gespräche - Umsetzung von Maßnahmen - Wirksamkeitsüberprüfung. Die Interviews und Gespräche mit den Mitarbeitern waren für mich ein wesentliches Mittel, um betriebliche Zusammenhänge zu begreifen und Stimmungen aufzunehmen, auch um eine Vertrauensbasis zu schaffen. Ich habe über die Gespräche Protokolle angefertigt, die Wochen später sehr hilfreich waren, um 7

eine Arbeitsplatz/eine Situation wieder zu erkennen. Auch habe ich (entgegen dem Leitfaden) Persönliches notiert. Bei diesem 2. Block der Psychischen-Belastungs- Ermittlung durch die Gewerbeaufsicht wurden auch Umgebungsfaktoren wie Lärm, Licht, Ausstattung und Hilfsmittel berücksichtigt. Der SPA S Bogen von Metz & Rothe, Potsdam enthält 37 Items. Dabei muss sich jeweils für eine Aussage entschieden werden. Der Untersucher entscheidet. Bei der Auswertung werden nur die negativen Aussagen (b-antworten) ermittelt, addiert und mit kritischen Werten der Tabellen verglichen. Wenn der ermittelte Wert größer oder gleich dem jeweiligen kritischen Wert ist, wird das Komplexmerkmal des Analysebereichs negativ bewertet. Im Anschluss daran wurden der Geschäftsführung und den Betroffenen die Ergebnisse präsentiert. Der Betrieb wurde gebeten, sich zu äußern und mitzuteilen, welche Maßnahmen sich daraus ableiten. Meine Feststellungen bezogen sich auf Folgendes: - Fehlende Gefährdungsbeurteilungen, - schlechte Lüftungsverhältnisse (Lüftung über Treppenhaus), - schlechte Koordinierung/Organisation von Abteilungsvertretungen, - personelle Engpässe (Unzufriedenheit der Mitarbeiter) durch gleichzeitige Entsendung zu Fortbildungen und anderen Veranstaltungen. 8

Landesweit wurden 27 Betriebe bewertet, Es wurde festgestellt, dass in Gefährdungsbeurteilungen die psychischen Belastungen wenig Berücksichtigung finden und der Widerstand zum Thema sowohl in den Ämtern als auch in den Betrieben hoch ist (Erlass vom 15.03.2005). Als Kernaussage bleibt: Die Gewerbeaufsicht darf sich weiterhin dem Thema nicht verschließen und muss im Rahmen von Systemüberprüfungen in Betrieben auf eine Berücksichtigung psychischer Fehlbelastungen drängen. Fakt ist aber auch, dass die Analyse und Bewertung der tatsächlichen psychischen Beanspruchung Arbeitspsychologen oder speziell geschulten arbeitswissenschaftlichen Experten vorbehalten bleiben muss. 2005 war das 3. Jahr in Folge mit dem Schwerpunkt im Jahresarbeitsprogramm der Gewerbeaufsicht Überprüfung psychischer Belastungen. Nachdem 2002/2003 die Call-Center und 2004 Büroarbeitsplätze in Großbetrieben im Fokus standen, wurde 2005 der Bereich Produktionsabteilung ohne weitere Betriebsgrößenbestimmung vorgegeben. Ich habe mit einem mittelständischen Unternehmen aus dem Messtechnikbereich Kontakt aufgenommen und nach betriebsinterner Auswahl die Abteilung Weichbearbeitung mit 29 Männern, Früh-/Spätschicht, Lohnfertigung ohne Akkord in Augenschein genommen und nach dem SPA-S-Verfahren untersucht. Hier 9

ergaben sich Beanstandungen hinsichtlich von Arbeitslärm Es traten bei den Mitarbeitern verschiedentlich Konzentrationsprobleme in ihrer Tätigkeit an hoch entwickelten Arbeitsmaschinen auf. Beobachtet wurden weiter: fehlender Info-Fluss (bei Schichtübergabe), Ausgrenzung von Arbeitskollegen und fehlende Gefährdungsbeurteilungen. Besonders belastend empfanden es die Mitarbeiter, dass ständig Personal abgebaut wurde, verbunden mit der betrieblichen Planung, auf Gruppenarbeit umzustellen (unter dem Aspekt der Förderung von Teamfähigkeit). Soweit, meine Damen und Herren, meine Erfahrungen als Mitarbeiterin des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes Göttingen zu diesem Thema. Zurzeit läuft ein sehr viel versprechendes Projekt mit einer Sparkasse im Aufsichtsbereich, das vom Personalrat initiiert wurde. Gemeinsam mit Mitarbeitern der Sparkasse sind wir seit Mai 2008 dabei, Untersuchungen in mehreren verschiedenen Abteilungen durchzuführen. Somit komme ich zum Ende meiner Ausführungen. Noch eine abschließende Anmerkung: Die moderne Arbeitswelt hält extrem belastende Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten weiter bereit. Neue Spielregeln sind aufgestellt. Nicht mehr 10

produktionstechnische Exzellenz, hochwertige Produkte und nachhaltige Wettbewerbserfolge gelten, sondern der kurzfristig maximierte Unternehmenswert, abgelesen am Aktienkurs. Der Leistungsdruck steigt, die Arbeitszeiten werden länger, die Schichtarbeit nimmt zu. Zu den wissenschaftlichen Expertisen gehört der DGB- Index Gute Arbeit. Sein Befund für 2008: nur 13 % der Befragten bewerten ihre Arbeit als gute Arbeit, 32 % jedoch als schlecht und damit ergibt sich eine negative Bewertung der Arbeitssituation (Handelsblatt, September 2008). Die Jahresarbeitsprogramme der Gewerbeaufsicht psychische Belastungen am Arbeitsplatz sind zwar beendet, das Thema bleibt weiterhin höchst brisant und lässt sich nicht in der Schublade ablegen. Zumindest wird es mich, als Mitarbeiterin der Gewerbeaufsicht in Göttingen, weiterhin beschäftigen. Damit Betriebe weiter erfolgreich bestehen können, sind zufriedene und gesunde Mitarbeiter mit Betriebsbindung und Leistungsbereitschaft Voraussetzung. Man könnte dieses Zusammenwirken als Humanisierung in der Arbeitswelt bezeichnen. Packen wir s gemeinsam an! Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Staatl. Gewerbeaufsichtsamt Göttingen 11

Elisabeth Fuhlrott -Gewerbeamtsrätin- 12