Das Alt- und Totholzkonzept des Landes Baden-Württemberg

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Hintergrundpapier NABU Baden-Württemberg 22. Oktober 2009 Das Alt- und Totholzkonzept des Landes Baden-Württemberg 1. Kontext und Einführung ins Thema Tot- und Altholz ist voller Leben. Unzählige Pilze und Insekten, Vögel und Fledermäuse sind auf alte Bäume und alte Wälder angewiesen: Schwarzspechte beispielsweise zimmern ihre Höhlen in alte Bäume, vor allem in Buchen. Nach dem Auszug der Spechte können baumbewohnende Fledermausarten, wie der Große Abendsegler, in die Baumhöhlen einziehen. Die Larven des europaweit streng geschützten, Heldbocks leben ausschließlich in alten Eichen. Doch unter den auf Alt- und Totholz angewiesenen Tierarten herrscht akute Wohnungsnot: Viele unserer Wirtschaftswälder in Baden-Württemberg sehen aufgeräumt aus und haben einen geringen Anteil von Alt- und Totholz. Pilze, Flechten, Moose, Schnecken, Käfer, Vögel und Säuger sind mit rund 11.000 Arten in deutschen Wäldern vertreten (MÜLLER, et al. 2005). Von diesen sind 20 bis 50 Prozent, bzw. 2.200 bis 5.500 Arten (SAUBERER, N. et al. 2007) auf Totholz angewiesen. 60 Prozent der heute noch vorhandenen Holzkäferarten sind selten und gefährdet und werden daher in der Roten Liste geführt. Vor rund 20 Jahren galten 5 bis 10 Kubikmeter Totholz pro Hektar (m 3 / ha) als ausreichend und 10 bis 20 m 3 / ha als gut (AMMER, U. 1991). Aktuelle Studien und Untersuchungen zur Fauna der heimischen Wälder zeigen generell, dass vom dreifachen Wert ausgangen werden muss: Bezogen auf die Artenvielfalt benötigen Wälder mindestens 30 bis 60 m 3 / ha stehendes und liegendes Totholz. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen fordert, 10 Prozent der Wälder als Naturentwicklungsgebiete ohne unser Wirken zu belassen. Nationale Biodiversitätsstrategie Das Bundeskabinett hat 2007 einstimmig die Nationale Biodiversitätsstrategie verabschiedet. In der Strategie werden messbare Zielgrößen für die Erhaltung der biologischen Vielfalt in unserem Land vorgegeben. Bis zum Jahr 2020 sollen mindestens 5 Prozent der Waldfläche in Deutschland sich selbst überlassen werden: die Urwälder von morgen. Dabei kommt den Staatswäldern eine besondere Rolle zu. Die Bundesländer haben Seite 1 von 7

hier eine Vorbildfunktion und sollen gegebenenfalls geringere Wildnisanteile in Privatwäldern kompensieren. Aktionsplan Biologische Vielfalt Baden-Württemberg Auch der insgesamt sehr schwache Aktionsplan des Landes zur Sicherung der biologischen Vielfalt enthält ein sinnvolles und lobenswertes Modul zu dieser Thematik: das Alt- und Totholzkonzept, das im Folgenden aus NABU-Sicht beleuchtet werden soll. 2. Vorstellung des Alt- und Totholzkonzeptes des MLR 2.1 Begriffserklärung Habitatbaum Ein Habitatbaum bietet aufgrund seines Alters besondere Strukturen wie abgestorbene Äste, Höhlen, Faulstellen etc. Hierauf spezialisierten Arten bieten diese Strukturen einen Lebensraum. Habitatbaumgruppe Eine Habitatbaumgruppe besteht aus 15 Habitatbäumen auf einer Fläche von rund drei Hektar. Umgerechnet sind somit mindestens 5 Habitatbäume pro Hektar vorgeschrieben. Von diesen Bäumen muss mindestens einer bereits jetzt besondere Habitatstrukturen aufweisen. Er dient als Kristallisationspunkt der Gruppe. Die übrigen Habitatbäume können dagegen auch zukünftige Habitatbäume sein. Sie erhalten die Chance, sich in den kommenden Jahrzehnten zu echten Habitatbäumen zu entwickeln. Kristallisationspunkte für Habitatbaumgruppen können nach dem Konzept der Forstlichen Versuchsanstalt (FVA) Baden-Württemberg sein: (Groß-) Höhlenbäume, Faulstellen- oder Pilzkonsolenbäume, (Groß-) Horstbäume, Reservoirbäume (z.b. Heldbock und Juchtenkäfer), Uraltbäume, stehendes Totholz. Die Gruppe verbleibt bis zum natürlichen Absterben, Zusammenbruch und Zerfall auf der Fläche. Die Habitatbäume sind dauerhaft geschützt, können aber zum Zweck der Arbeitssicherheit und des Waldschutzes bearbeitet werden. Insgesamt sollen rund fünf Prozent der Hauptnutzungs- und Dauerwald-Flächen Habitatbaumgruppen sein. Waldrefugium Waldrefugien sind auf Dauer eingerichtete Bestände ab einem Hektar Größe, die ihrer natürlichen Entwicklung und dem Zerfall überlassen werden. Sie sind damit winzigen Bannwäldern vergleichbar. Die Waldrefugien werden im Zuge der Forsteinrichtung bestandesscharf abgegrenzt und erfasst. Bei der Auswahl werden die örtlichen Besonderheiten berücksichtigt, auch die Erfordernisse der Verkehrssicherung und des Waldschutzes. Unter anderem fließen folgende Kriterien in die Auswahl ein: Seite 2 von 7

Alter: Je älter die Bäume in einem Wald sind, umso wertvoller ist in der Regel dieser Wald für den Naturschutz. Bewirtschaftungsintensität: Extensiv bewirtschaftete Wälder beherbergen in der Regel mehr Tier- und Pflanzenarten als intensiv genutzte Wirtschaftswälder. Wälder mit ununterbrochener Waldtradition: Historisch alte Wälder existieren als Wald seit vielen hundert Jahren und wurden in dieser Zeit nicht als Ackerflächen, Wiesen oder Weiden genutzt. In alten Wäldern kommen typische Tier- und Pflanzenarten sowie andere Organismen vor, wie z.b. die Lungenflechte oder Urwaldrelikte unter den Insekten (MÜLLER et al., 2005). Waldrefugien sollen auf rund 5 Prozent der Waldfläche ausgewiesen werden. 2.3 Ziele des Alt- und Totholzkonzepts Umsetzung der Ziele der Nationalen Biodiversitätsstrategie in Baden-Württemberg. Schutz der biologischen Vielfalt in Baden-Württemberg Förderung natürlicher Prozesse in Wäldern Rechtssicherheit der Forstverwaltung gegenüber den Anforderungen des speziellen Artenschutzrechts. Die Anreicherung der Wälder mit Alt- und Totholz soll Förster gegen Ansprüche des Naturschutzes absichern, falls bei Forstmaßnahmen Lebensräume und Habitate streng geschützter Tier- und Pflanzenarten geschädigt werden: Wenn der Wald insgesamt durch Alt- und Totholzinseln ökologisch aufgewertet wird, lassen sich einzelne naturschädliche Maßnahmen trotzdem durchführen. Besserer Schutz des europäische Naturerbes Natura 2000. Bestehende und entstehende naturnahe Waldökosysteme sollen über die Instrumente des Alt- und Totholzkonzepts gesichert werden. Die Einrichtung von Habitatbaumgruppen und Waldrefugien kann dokumentiert werden auch hinsichtlich der Kosten und Ertragsausfälle gegenüber dem Finanzministerium. Naturschutzmaßnahmen werden so für Ökonomen berechenbar. Ein Naturschutzkonzept, das artunspezifisch wirkt. Es können nicht für alle der rund 40.000 Arten Baden-Württembergs eigene Konzepte entwickelt werden. 3. Bewertung des NABU 3.1 Viele positive Elemente Das Alt- und Totholzkonzept ist aus Sicht des NABU ein großer Schritt in die richtige Richtung. Die seit vielen Jahrzehnten leergefegten und ausgeräumten Wirtschaftswälder werden zumindest teilweise wieder eingeräumt. In Wäldern mit Waldrefugien und Habitatbaumgruppen werden die Funktionen für die biologische Vielfalt und für den Klimaschutz deutlich gestärkt. Das abgestufte Konzept mit den Habitatbaumgruppen auf der untersten Stufe und den Waldrefugien darüber ist geeignet, Wildniselemente in Wirtschaftswäldern zu sichern ohne, dass Naturschutzgebiete ausgewiesen werden müssen oder die generelle Nutzung der Wälder unterbleiben muss. Ökologie und Ökonomie kommen so in Einklang, sprich: Es wird nachhaltig gewirtschaftet. Seite 3 von 7

Die Sicherung der Waldrefugien über die Forsteinrichtungspläne ist für die tagtägliche Umsetzung im Forstbetrieb geeignet. In die ersten Forsteinrichtungspläne wurden bereits vor der offiziellen Vorstellung des Alt- und Totholzkonzepts Waldrefugien integriert. Der generelle Schutz von Eichen und Weißtannen, die älter als 300 Jahre sind, ist gut auch wenn der NABU die Altersgrenze für zu hoch hält (s.u.). Diese alten Bäume sind in unseren Wäldern selten, bzw. fehlen streckenweise völlig. Sie sind markante Baumindividuen und prägen das Gesicht eines Waldes. Außerdem können sie von sehr hohem Naturschutzwert sein, da sie als Habitate von Arten dienen können, die als Urwaldrelikte gelten. 3.2 Verbesserungsbedarf Trotz aller guter Ansätze: Das Konzept muss weiterentwickelt und ergänzt werden, damit die Ziele erreicht werden. So wichtig der Schutz einzelner Habitatbäume, Habitatbaumgruppen, Waldrefugien auch ist: Wünschenswerte Entwicklungsprozesse naturnaher Wälder finden erst ab einer größeren Fläche statt, die auch Urwaldreliktarten als Lebensstätte dienen. NABU: Schutz einzelner Habitatbäume! Zwar können einzelne Habitatbäume, die aus Sicht des Naturschutzes besonders schützenswert sind, in Habitatbaumgruppen integriert und so geschützt werden. Wenn dies nicht möglich ist, müssen sie aus Sicht des NABU jedoch auch Baum für Baum geschützt werden. Der (weiterhin) bestehende Schutz etwa für Bäume mit großen Höhlen darf aus Sicht des NABU auf keinen Fall gelockert werden. Denn streng geschützte Käferarten wie Heldbock oder Alpenbock, Vogelarten wie der Dreizehenspecht oder der Raufußkauz halten sich nicht an die Vorgaben der Forsteinrichtungswerke und können auch neben, statt in einem Waldrefugium oder einer Habitatbaumgruppe Bäume besiedeln. Deshalb fordert der NABU: Falls streng oder besonders geschützte Tier- und (epiphytische) Pflanzenarten außerhalb der Waldrefugien und Habitatbaumgruppen auftreten, sind diese Habitatbäume unbedingt zu schützen. Förster dürfen nicht generell aus der Verantwortung genommen werden, einzelne Bäume vor Hiebmaßnahmen auf die Präsenz bestimmter Arten zu kontrollieren. Wertvolle Hilfestellung hierfür erhält die Forstverwaltung in FFH-Gebieten durch die Abgrenzung der Erfassungseinheiten im Rahmen der Managementpläne in FFH- Gebieten. Aus Sicht des NABU sollten nur lebende Bäume Habitatbäume werden. Stehendes Totholz dagegen müsse grundsätzlich geschützt werden. Dass das möglich ist, zeigt ein Blick nach Bayern: Nur ein lebender Baum darf zu einem bayerischen Biotopbaum werden. Stehendes Totholz muss im bayerischen Forst sowieso erhalten werden. NABU: Altersgrenze senken! Altbäume sind selten geworden, können das Bild von Wäldern prägen und sind von sehr hoher naturschutzfachlicher Bedeutung. Die Altersgrenze für generell geschützte Eichen und Tannen ist mit 300 Jahren zu hoch. Der Schutz sollte bereits ab einem Alter von rund 200 Jahren gelten. Buchen ab einem Brusthöhendurchmesser (BHD) von mehr als 90 Zentimeter sollten nicht mehr eingeschlagen werden. NABU: Keine Einschränkung von Standorten! Viele aus Artenschutzsicht wertvolle Bäume stehen nicht im geschlossenen Wald, sondern im Waldsaum, in Alleen oder als Altbäume entlang von Wegen - wo sie oft aus waldästhetischen Gründen erhalten geblieben sind. Doch genau dort möchte das MLR aus Seite 4 von 7

Furcht vor Konflikten durch die Verkehrssicherungspflicht generell keine Habitatbaumgruppen haben. Der NABU lehnt diese Einschränkung ab. Es sind klare gesetzliche Regelung zur Verkehrssicherung notwendig. NABU: Mehr Habitatbäume pro Habitatbaumgruppe! Mit 5 Habitatbäumen pro Hektar hat Baden-Württemberg eine sehr geringe Habitatbaumdichte gewählt. In Bayern werden 10 bis 15 Habitatbäume pro Hektar ausgewiesen. Das anzustrebende Totholzvolumen soll für Laubwälder (Buche, Eiche, Bergmischwälder) nach MÜLLER 38 bis 60 m 3 / ha bzw. nach SAUBERER et al. 5 10 Prozent des lebenden Vorrats betragen (Empfehlung für Biosphärenpark Wienerwald). Der NABU fordert mindestens 10 bis 15 Habitatbäume pro Hektar, damit ökologische Funktionen erfüllt werden können. NABU: Auch größere Waldrefugien zulassen! Die Ausweisung von Waldrefugien ist sinnvoll, um einen integrativen Ansatz im Wirtschaftswald zu ermöglichen. Mit einer Fläche von 1 bis 5 Hektar sind die Waldrefugien jedoch sehr klein bemessen. Nötig wäre aus Sicht des NABU, die Größenvorgabe nach oben zu öffnen, so dass auch Waldrefugien mit acht, zehn oder mehr Hektar Fläche eingerichtet werden. Denn Wälder brauchen auch größere Wildnisflächen, damit sich besonders vielfältige Lebensräume entwickeln können. Die bestehenden Schutzgebietskategorien wie Bannwälder etc. sind erst rund 100 Hektar Größe sinnvoll für alle kleineren Flächen sollte deshalb zukünftig die Kategorie Waldrefugium zur Verfügung stehen. NABU: Mehr Bann- und Schonwälder! Wie bereits oben erwähnt, benötigen Urwaldreliktarten Totholzmengen, die nur in Urwäldern zu finden sind. Für diese Arten führt kein Weg an der Ausweisung vonbannwäldern/totalreservaten vorbei. Außerdem sollte ein Netz repräsentativer und hochwertiger Bannwälder in Baden-Württemberg geknüpft werden. Das ursprüngliche Bannwaldkonzept, das einen Schwerpunkt auf das (kostenintensive) Monitoring gelegt hat, ist auf den Prüfstand zu stellen. Neben der biologischen Vielfalt müssen Bannwälder sowohl der waldbaulichen Forschung als auch dem Naturerleben dienen. Das Alt- und Totholzkonzept mit seinen Waldrefugien darf nicht dazu führen, dass keine Bannwälder mehr ausgewiesen werden. Die derzeitige Gesamtbannwaldfläche ist wie dies vom Land Baden-Württemberg bereits vor Jahren beschlossen worden ist bis 2015 endlich auf 1 Prozent zu erhöhen, langfristig auf 2 Prozent. Folgende Kriterien sollten bei der Bannwaldauswahl im Vordergrund stehen: Repräsentativität: die wichtigsten Waldgesellschaften der so genannten phytosoziologischen Klimax also Wälder im Endstadium ihrer natürlichen Entwicklung sind mit ihren am besten ausgeprägten Beständen als großflächige Bannwälder auszuweisen. Waldgesellschaften in unserer besonderen Verantwortung: Für die Erhaltung mancher Waldgesellschaften trägt Deutschland und damit auch Baden- Württemberg eine große Verantwortung. Beispielsweise gehören dazu Buchen- oder Tannenwälder, die ihren natürlichen Verbreitungsschwerpunkt in Mitteleuropa haben. Es sollten beispielsweise alte Buchenbestände ab einem Alter von 180 bis 200 Jahren durch ein Einschlagmoratorium gesichert werden. Naturschutzfachlich wertvolle, urwaldartige Waldbestände: Waldbereiche, die aktuell urwaldartig sind und/oder sehr viele so genannte Urwaldrelikte Seite 5 von 7

beherbergen, sollten als Bannwälder ausgewiesen werden. Hierfür bieten sich auch Naturschutzgebiete mit dem Schutzziel Urwald an. Die Ausweisung großflächiger Bannwälder gekoppelt mit einem Naturerlebniskonzept bietet sich vor allem auch im Staatswald des Nordschwarzwaldes an. Der Schutz von Alt- und Totholz kann großflächig auch in Schonwäldern erfolgen. Der NABU fordert, dass Natura 2000-Gebiete im Wald bis 2015 grundsätzlich als Schonwälder ausgewiesen werden. Beispielsweise wäre es sinnvoll, die meisten Eichenwälder der Hardtplatten des Oberrheingrabens als Schonwälder auszuweisen, mit dem Ziel, den Lebensraum von fast 1.000 Käferarten, darunter Heldbock, und Mittelspecht nachhaltig zu sichern. NABU: Qualität des Forstpersonals sichern! Damit Förster diese Leistung erbringen können, ist es notwendig, die Kompetenzen vor Ort zu stärken. Zu große Reviere, ein zu häufiger Wechsel der Zuständigkeiten durch eine Forstreform nach der anderen und der Einsatz von Fremdarbeitern sind nicht geeignet, eine individuelle Betreuung von Wäldern (und einzelnen Bäumen) zu gewährleisten. Gerade unter Zeitdruck können entscheidende Fehler auftreten. Um das Alt- und Totholzkonzept umzusetzen und eine nachhaltige Entwicklung der Wälder zu ermöglichen, ist eine Überalterung bei Bäumen sinnvoll, jedoch beim Forstpersonal schädlich. NABU: Das Forstpersonal sollte verjüngt und in der Fläche erhalten werden. NABU: Qualitätskontrolle einrichten! Es ist eine Qualitätskontrolle zur Umsetzung des Alt- und Totoholzkonzeptes einzurichten. Die Umweltverbände sollen eingebunden werden, können jedoch nur selten eine qualitativ hochwertige behördliche und gutachterliche Unterstützung ersetzen. Beispielsweise auf Kreisebene sind Alt- und Totholz-Fachbeiräte einzurichten. Diese Fachbeiräte, in dem insbesondere Artenschutzexperten aus ehren- und hauptamtlichem Naturschutz vertreten sein sollen, können die Aufgabe der Beratung, des Controllings und der gegenseitigen Information erfüllen. NABU: Finanziellen Druck senken und Nutzungsverzicht einplanen! Das Alt- und Totholzkonzept soll zu einem Nutzungsverzicht von ca. 8 Prozent des Vorrats führen. Das heißt, dass 8 Prozent des Holzes, das man eigentlich schlagen könnte, zukünftig im Wald verbleiben muss. Wenn das Finanzministerium seine Gewinnvorgabe nicht um 8 Prozent senkt, bedeutet das 8 Prozent mehr Einschlag auf den Restflächen. Zentrale NABU-Forderung ist daher, dass sich die Gewinnvereinbarungen an dem forst- und naturschutzfachlich Machbaren orientieren und keinesfalls an den Ansprüchen des Finanzministeriums. Seite 6 von 7

Die 5 Kernforderungen des NABU 1. Mindestens 5 Prozent der Wälder Baden-Württembergs sind kurzfristig als Bannwälder, Kernzonen von Großschutzgebieten, Waldrefugien etc. aus der Nutzung zu nehmen ( Prozessschutzflächen ). Langfristig sollten 10 Prozent der Wälder zu Urwäldern von morgen entwickelt werden. 2. Das Bannwaldkonzept des Landes Baden-Württemberg ist zu überarbeiten. Die Fläche der Bannwälder ist bis zum Jahr 2015 endlich auf 1 Prozent und bis zum Jahr 2020 auf 2 Prozent zu erhöhen die Bannwälder würden so einen angemessenen Anteil zu den 5 bzw. 10 Prozent Prozessschutzfläche aus Forderung 1 beitragen. 3. Die Dichte von Habitatbäumen in Habitatbaumgruppen muss erhöht werden. Eine Orientierung am bayerischen Konzept wäre sinnvoll: 10 bis 15 Habitatbäume pro Hektar. 4. Waldrefugien sollten nicht nur Kleinstflächen umfassen, sondern auch größere Flächen. In der Regel sollten sie mindestens 5 bis 10 Hektar groß sein. 5. Die Ausweisung von Schonwäldern zum Schutz von alt- und totholzreichen Wäldern ist konsequent zu betreiben grundsätzlich sollten alle Natura 2000-Gebiete im Wald als Schonwald ausgewiesen werden. Impressum NABU Baden-Württemberg Tübinger Straße 15 70178 Stuttgart www.nabu-bw.de Autoren: Dr. Andre Baumann, Martin Klatt, Claus Wurst, Dr. Volker Späth, Redaktion: Hannes Huber Literatur: AMMER, U. (1991): Konsequenzen aus den Ergebnissen der Totholzforschung für die forstliche Praxis. Forstw. Cbl. 110: 149-157. MÜLLER, J. (Hrsg.) (2005): Urwald relict species Saproxylic beetles indicating structural qualities and habitat tradition. AFSV waldökologie-online 2: 106-113. SAUBERER, N. et al. (2007): Nachhaltiges Waldbiomassemanagement im Biosphärenpark Wienerwald. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien. 150 S. Seite 7 von 7