Spezifika der EU-Texte: Eine Analyse am Beispiel von Rechtsakten des Sekundärrechts

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Transkript:

Masaryk-Universität Philosophische Fakultät Institut für Germanistik, Nordistik und Nederlandistik Bc. Dominika Halová Spezifika der EU-Texte: Eine Analyse am Beispiel von Rechtsakten des Sekundärrechts Magisterarbeit Betreuerin: Priv.-Doz. PhDr. Ivana Kratochvílová, Ph.D. 2011

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorgelegte Diplomarbeit selbstständig geschrieben habe, und dass ich nur die im Literaturverzeichnis angeführten Quellen verwendet habe. Bc. Dominika Halová 2

An dieser Stelle möchte ich mich bei Priv. - Doz. PhDr. Iva Kratochvílová, Ph.D. für ihre wertvollen Ratschläge und Empfehlungen sowie für unendliche Geduld, die sie mir bei der Ausarbeitung meiner Diplomarbeit gewidmet hat, herzlich bedanken. 3

Inhaltsverzeichnis I. THEORETISCHER TEIL 1. Einleitung... 6 2. Fachsprache (Definition, Ausgrenzung gegen Gemeinsprache)... 8 2.1 Gliederung der Fachsprachen... 10 2.1.1 Die Horizontale Gliederung... 10 2.1.2 Die Vertikale Gliederung... 13 2.2 Die Fachkommunikation... 15 2.2.1 Fachlichkeitsgrad... 16 2.2.2 Fachtextsorte... 17 2.2.3 Fachwort, Fachwortschatz... 19 3. Sprachliche Merkmale der Fachsprachen... 20 3.1 Eigenschaften im Bereich der Grammatik... 20 3.1.1 Morphologische Eigenschaften... 21 3.1.1.1 Wortarten... 22 3.1.1.2 Flexionsmorphologie...... 22 3.1.1.3 Person und Numerus... 23 3.1.1.4 Die Konjugation... 23 3.1.1.5 Die Deklination... 23 3.1.2 Syntaktische Eigenschaften... 24 3.1.2.1 Der Satz... 25 3.1.2.2 Die Satzkonstituenten... 26 3.1.3 Syntaktisch bedingte Prozesse der Fachsprachen... 30 3.1.3.1 Satz- und Satzgliedkomplexität... 30 3.1.3.2 Syntaktische Komprimierung... 30 3.1.3.3 Anonymisierung... 31 3.2 Stilistische Merkmale... 32 3.2.1 Fachstil... 32 3.2.2 Fachtext... 34 3.2.3 Makrostrukturelle Kategorien... 35 3.2.4 Mikrostilistische Sprachmittel... 35 3.3 Die lexikalischen Eigenschaften... 37 3.3.1 Fachwortschatz... 37 3.3.2 Fachwort und Termin... 37 3.3.3 Paradigmatische Bedeutungsbeziehungen unter Lexemen... 38 3.3.4 Quellen für Fachwortschätze... 41 3.3.5 Die Wortbildung... 42 3.3.5.1 Die Komposition... 42 3.3.5.2 Die Derivation... 43 3.3.5.3 Die Konversion... 44 3.3.5.4 Die Wortkürzungen... 45 3.3.6 Terminologien... 47 3.3.6.1 Die Terminologisierung... 48 3.3.6.2 Die Determinologisierung... 48 4. Rechtssprache... 48 4.1 Die Charakteristik der Rechtssprache... 49 4.2 Die Entwicklung der Rechtssprache... 51 5. Sprache der Europäischen Union... 53 5.1 Die Europäische Union, ihre Organe und Sprache... 53 5.2 Kommunikation im Rahmen der EU... 54 5.2.1 Online Datenbank der EU-Dokumente - Eur-Lex... 57 5.2.2 Traditionelle Form der Bekanntmachungen - das Amtsblatt... 57 5.2.3 Regeln der Gestaltung von EU-Dokumenten... 58 5.2.3.1 Das Handbuch Klar und Deutlich schreiben... 59 5.2.3.2 Die in der EU allgemein verbindliche Regeln für Veröffentlichungen... 60 6. Zusammenfassung zum theoretischen Teil... 61 4

II. PRAKTISCHER TEIL 7. Einleitung Auswahlkriterien für die Analyse... 63 7.1 Materialbeschreibung... 64 8. Makrostruktur... 66 8.1 Die gemeinsamen Züge aller Dokumente... 66 8.2 Die Makrostruktur von Schlussfolgerungen... 69 8.3 Die Makrostruktur von Beschlüssen... 73 8.4 Die Makrostruktur von Stellungnahmen... 74 8.5 Die Makrostruktur von Empfehlungen... 79 8.6 Die Makrostruktur von Mitteilungen... 81 8.7 Resümee zur makrostrukturellen Analyse... 83 9. Feinanalyse... 84 9.1 Feinanalyse 1: Schlussfolgerungen... 85 9.1.1 Morphologische Eigenschaften... 85 9.1.1.1Wortarten... 86 9.1.1.2Die Flexionsmorphologie... 90 9.1.2 Syntaktische Merkmale... 91 9.2 Feinanalyse 2: Beschlüsse... 95 9.2.1 Morphologische Eigenschaften... 95 9.2.1.1Wortarten... 95 9.2.1.2Die Flexionsmorphologie... 96 9.2.2 Syntaktische Merkmale... 98 9.3 Feinanalyse 3: Stellungnahmen... 99 9.3.1 Morphologische Eigenschaften... 100 9.3.1.1Wortarten... 100 9.3.1.2Die Flexionsmorphologie... 101 9.3.2 Syntaktische Merkmale... 104 9.4 Feinanalyse 4: Empfehlungen... 104 9.4.1 Morphologische Eigenschaften... 104 9.4.1.1Wortarten... 105 9.4.1.2Flexionsmorphologie... 105 9.4.2 Syntaktische Merkmale... 106 9.5 Feinanalyse 5: Mitteilungen... 107 9.5.1 Morphologische Eigenschaften... 108 9.5.1.1Wortarten... 108 9.5.1.2Die Flexionsmorphologie... 109 9.5.2 Syntaktische Merkmale... 109 10. Zusammenfassung... 111 11. Literaturverzeichnis... 113 12. Anhang... 118 5

I. THEORETISCHER TEIL 1. Einleitung Die vorliegende Diplomarbeit beschäftigt sich mit dem Thema Sprache bzw. Texte der Europäischen Union. Anhand einer Analyse von 5 Paaren von Rechtsakten des sekundären Rechts der EU wird auf die charakteristischen Merkmale dieser Fachsprache hingewiesen. Da es sich um eine ziemlich junge, zeitgenössische und institutionelle Fachsprache handelt, deren Eigenschaften noch nicht untersucht wurden, stellte dieser unbeschriebene Bereich der Fachsprachen eine interessante Herausforderung dar. Die Sprache der Europäischen Union verdient größere Aufmerksamkeit aus verschiedenen Gründen. Erstens ist diese Sprache eines der Hauptmerkmale der Europäischen Union und der Zusammenarbeit aller ihren Mitgliedstaaten. Sie betrifft Rechts- und Verwaltungssysteme aller Mitgliedstaaten an und kann also als Bestandteil der Rechtssprache aller deutschsprachigen Länder betrachtet werden. Zweitens sind die in dieser Sprache geschriebenen Gesetze und Richtlinien für jeden deutschsprachigen EU-Bürger verbindlich. Das bedeutet, dass die EU-Sprache zu den wenigen Fachsprachen gehört, die sich unmittelbar auch auf die Laien, die EU-Bürger beziehen. Daraus ergibt sich, dass die Sprache der EU auch die Entwicklung der Gemeinsprache beeinflusst. Drittens ist zu erwähnen, dass Deutsch zu den Amtssprachen der EU gehört. Die deutsch geschriebenen Texte werden täglich in anderen Sprachen der Mitgliedstaaten übersetzt. Für Übersetzung einer Fachsprache ist wichtig ihre sprachlichen Eigenschaften und verbindliche Regeln im Bereich der Makrostruktur zu kennen. Die Untersuchungen der EU-Sprache können viele neue Erkenntnisse beibringen, die zugleich bei der Forschung der Tendenzen in Gemeinsprache und in anderen Fachsprachen sehr behilflich sein können. Die Arbeit besteht aus zwei Hauptteilen. Der erste Teil stellt eine Einführung in die Problematik der Fachsprachen und ihrer spezifischen Merkmale, sowie in die Problematik der Rechtssprache und Kommunikation im Rahmen der EU dar. Sie soll eine Grundlage von Informationen für den zweiten Teil der Diplomarbeit bilden, welcher eine ausführliche Analyse der gewählten Dokumente darstellt. Es wird die Makrostruktur der Texte und ihre grammatikalischen Eigenschaften untersucht 6

(Feinanalyse). Dabei werden auch mögliche Differenzen unter den Textpaaren (als Texttypen) gesucht. Das Ziel dieser Arbeit ist die bisher unerforschte Sprache der Europäischen Union anhand der Rechtsakte des Sekundärrechts vorzustellen und auf ihre wichtigen Merkmale und Eigenschaften, die sie als eine Subsprache der Rechts- bzw. Verwaltungssprache bestimmen, hinzuweisen. Große Aufmerksamkeit wird der makrostrukturellen Gestaltung und grammatikalischen Eigenschaften gewidmet. 7

2. Die Fachsprache Die Sprache der Europäischen Union bzw. Rechtssprache stellt eine der zahlreichen Fachsprachen dar. Ihre Eigenschaften definiert man vor allem anhand der Unterschiede zu Gemeinsprache. Unter dem Begriff Gemeinsprache versteht man... jenes Instrumentarium an sprachlichen Mitteln über das alle Angehörigen einer Sprachgemeinschaft verfügen und das deshalb die sprachliche Verständigung zwischen ihnen möglich macht. 1 Anders gesagt bildet die Gemeinsprache eine Gesamtheit von sprachlichen Mitteln und dem Wortschatz der jeweiligen Sprache, die allen Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft verständlich ist im Unterschied zu den sprachlichen Mitteln und dem Wortschatz verschiedener Mundarten, Jargons und Fachsprachen. Anhand dieser Definition sind für die Gemeinsprache auch Bezeichnungen wie Standartsprache oder Alltagssprache zulässig. Die Fachsprachen bilden relativ selbständige Kommunikationsmittel, die in einem bestimmten Fachgebiet gelten. Ihre Differenzen zur Gemeinsprache kann man anhand des Verhältnisses vom Besonderen zum Allgemeinen definieren. Ihre Besonderheit liegt aber nur in der Auswahl und Zusammenstellung der sprachlichen Mittel zu einem speziellen Zweck, nicht in den sprachlichen Mitteln selbst. 2 Die von fast allen Sprachwissenschaftlern anerkannte Definition der Fachsprache von HOFFMANN, 1987 lautet: Fachsprache das ist die Gesamtheit aller sprachlichen Mittel, die in einem fachlich begrenzbaren Kommunikationsbereich verwendet werden, um die Verständigung zwischen den in diesem Bereich tätigen Menschen zu gewährleisten. 3 Ihre Entstehung ist nicht datiert, es wird aber vermutet, dass sie unmittelbar nach der Sprachentwicklung entstanden. Die ersten Jäger und Handwerker bedurften bald eine spezielle Terminologie, die den Arbeitsverlauf umfassen würde und allen Beteiligten 1 HOFFMANN, 1987, S. 48. 2 vgl. HOFFMANN, 1987, S. 50. 3 HOFFMANN, 1987, S. 53. 8

verständlich wäre. Die Fachsprachen sind so Produkte der natürlichen Sprachdifferenzierung. Diskutabler ist die Beziehung von Fachsprache zur Gemein- bzw. Gesamtsprache (die Fachsprachenforscher wurden über diese Benennung einig 4 ). Allgemein wird die Fachsprache als eine Subsprache der Gesamtsprache verstanden, die die Gesamtsprache ständig um neue Termini bereichert. 5 Fachsprachen erfassen sachlich Neues. Sie erschließen bestimmte Sachgebiete, neue Weltausschnitte.... In ihnen vor allem vollzieht sich der sprachliche Fortschritt. Von hier gehen die großen Umwälzungen aus, die aufs Sprachganze zurückwirken. 6 Die Grenzen zwischen Gemeinsprache und Fachsprache sind immer mehr verflochten, die fachsprachlichen Elemente, vor allem aus dem Bereich des Wortschatzes, drängen sich alltäglich ins Unterbewusstsein normaler Menschen und dadurch auch in ihre Gemeinsprache ein ständiger Kreislauf. Solcherweise entstehen auch bestimmte Grenzgebiete und Grenzfachsprachen mit einem niedrigen Fachlichkeitsgrad. Meistens handelt es sich um schriftliche und mündliche Kommunikation im Bereich der Wissenschaftspopularisierung oder im offiziellen Verkehr. Die Benutzer einer Fachsprache werden als Vertreter eines bestimmten Faches und gleichzeitig als Mitglieder einer bestimmten sozialen Gruppe angesehen. Fachsprachen sind also teils auch Gruppensprachen. Die gemeinsame Sprache bindet die Mitglieder solcher Gruppen enger aneinander und bildet so eine Grenze mit anderen Gruppen bzw. mit Laien. So eine Abgrenzung führt zu Sprachbarrieren, die von den Laien auch als Demonstrierung der Autorität oder sozialer Dominanz verstanden werden können. Heutzutage gibt es in Deutschland gegen diese Art von Abgrenzung Proteste, vor allem in Bereichen Medizin und Verwaltung. Das Problem der unverständlichen Rechts- und Verwaltungssprache wird in der ganzen EU gelöst. 4 HOFFMANN, Lothar: Fachsprache und Gemeinsprache, in HSK 14.1; S. 161 5 vgl. HOFFMANN ebd. 6 STROH, Friedrich in Hoffmann, Lothar: Fachsprache und Gemeinsprache, in HSK 14.1; S. 159 9

Zu den allgemeinen Merkmalen von Fachsprachen gehören: Präzision Eindeutigkeit Sachlichkeit Fachbezogenheit Objektivität Begrifflichkeit Logik Knappheit Exaktheit stilistische Neutralität Informationsdichte 2.1 Die Gliederung der Fachsprachen Die genaue Anzahl von den einzelnen Fachsprachen ist schwer zu bestimmen, diese Frage gehört zu den größten Themen der Sprachlinguistik. Diese Unschärfe und manchmal sogar Absenz von Grenzen unter einzelnen Fachsprachen verursacht nicht nur eine ständige Bewegung von Fachsprachen 7, sondern auch die umgebenden Faktoren, die die Gestaltung von der Fachsprache in einem bestimmten Zeitraum und Region beeinflussen können. 8 Eine horizontale und vertikale Gliederung von Fachsprachen, die im Verlauf der Fach- und Sprachforschungen gleich mehrere Formen gewonnen hat, wurde allgemein angenommen. In den folgenden Unterkapiteln stelle ich die wichtigsten Gliederungsmodelle vor, um ein Umfeld für weitere Analyse im Praktischen Teil der Diplomarbeit vorzubereiten. 2.1.1 Die horizontale Gliederung Unter einer horizontalen Gliederung versteht man eine Schichtung der Fachsprachen nach einzelnen Fächern und Fachbereichen. Eine exakte Anzahl von diesen Sprachen gibt es nicht (siehe oben genannte Gründe). Die Gliederung verläuft auf der horizontalen Ebene und beschäftigt sich mit horizontalen Beziehungen unter einzelnen Fachsprachen. Es ist eine Reihe von Fachsprachen, die nach fachsprachenlinguistischen Kriterien angeordnet sind. Bei dieser Anordnung widmet man die Aufmerksamkeit nicht nur den innersprachlichen Merkmalen (Wortschatz, Syntax, Text), sondern auch den außersprachlichen (menschlicher Tätigkeitsbereich, Zeitraum usw.). Auch das beste Gliederungsmodell 7 Zunahme von neuen Fachgebieten, Verschwinden von bestimmten Fachgebieten oder Verschmeltzung von Fachgebieten 8 fächergeschichtliche, fächerpolitische, soziologische und historische Aspekte 10

muss aber bei der Fachspracheneinreihung anhand der vorhandenen Materialien und Erfahrungen aus der Fachsprachenumgebung geprüft werden. Einfach: es existiert kein genaues und unerschütterliches Gliederungsschema. Bei Gliederung unterscheidet man Termini Fach und Fachbereich. Während Fach in meisten Fällen große Komplexe wie z.b. Biologie oder Chemie bezeichnet, stellt Fachbereich eine der Teildisziplinen dar: Umweltschutz, Botanik, Mikrobiologie usw. Um ein Beispiel anzuführen, stelle ich 2 wichtige Modelle der horizontalen Gliederung vor. Das Erste nach HOFFMANN, 1987, einem der eingeweihtesten Spezialisten in dieser Problematik. Das andere Modell gilt nach ROELCKE, 1999 9 als ein in fachsprachenlinguistischen Kreisen allgemein anerkanntes Gliederungsschema. HOFFMANN, 1987 befasste sich mit dem Verwandschaftsgrad von einzelnen Sprachen. Am Ende seiner Forschung hat er eine lineare mit künstlerischer Prosa anfangende Reihe von Fachsprachen vorgeschlagen. Der Abstand zwischen einigen Fachsprachen stellt dann den Grad der sprachlichen Gemeinsamkeiten 10 dar. Künstl. Prosa Literaturwissenschaft Pädagogik Philosophie... Ökonomie der Land- u. Nahrungsgüterwirtschaft... Landwirtschaftswissenschaft Tierproduktion und Veterinärmedizin... Bauwesen... Maschinenbau... Elektrotechnik... Medizin... Chemie Physik Mathematik... Quelle: HOFFMANN, L. Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. Akademie-Verlag. Berlin 1987. S. 58 ROELCKE, 1999 opponiert, dass dieser Abstand unter verschiedenen sprachlichen Standpunkten auch unterschiedlich sein kann, und dass die Vielfalt von Fachsprachen linear nur unzureichend dargestellt werden kann. Die Leitidee hält er aber für tragend: Zwischen den einzelnen Fächern und ihren Sprachen bestehen zahlreiche 9 beide in ROELCKE, 1999; S. 34 10 Im Bereich der Lexik, der Syntax und des Stils. 11

Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die varietätenlinguistisch greifbar sind und somit auch einen Vergleich unter systematischen Gesichtspunkten gestattet. 11 Abbildung 2 demonstriert die allgemein anerkannte Dreiteilung von STEGER, 1988, die ROELCKE, 1999 folgend weiter gegliedert hat. Am Anfang steht Stegers Gliederung in 3 fachlich wie sprachlich unterscheidende Bereiche: Fachsprache der Wissenschaft, Fachsprache der Technik und Fachsprache der Institutionen. Die Wissenschaftssprache abzugrenzen, ist im Vergleich mit den anderen ziemlich einfach. Sie wird auch Theoriesprache bezeichnet eine entscheidende Rolle spielt bei der Bestimmung von solch einer Sprache spielt die Bildung von Theorien und ihre sprachliche Erfassung und Vermittlung. Auch Techniksprache kann teilweise eine Theoriesprache sein. Die anerkannte Auffassung von Technik ist: derjenige Fachbereich (...), bei dem vom Menschen geschaffene Gerätschaften zweckgerichtet eingesetzt werden; die Fachsprache der Technik ist danach diejenige, mit der über diese Gerätschaften und deren Einsatz kommuniziert wird. 12 Unter Institutionssprachen versteht man solche Fachsprachen, die innerhalb von so etwas wie (öffentlichen oder nichtöffentlichen) Organisationen, die eine festgelegte Struktur zeigen und einen bestimmten Zweck verfolgen, verwendet werden. 13 FACHSPRACHEN THEORIESPRACHE PRAXISSPRACHE WISSENSCHAFTS- SPRACHE TECHNIKSPRACHE INSTITUTIONEN- SPRACHE WIRTSCHAFTS- SPRACHE KONSUMTIONS- SPRACHE Spr. d. Spr. d. Spr. d. Spr. d. Naturwiss. Geisteswiss. Produktion Fertigung SPRACHE DES DIENSTLEISTUNGSSEKTORS (...) Quelle: ROELCKE, T. Fachsprachen. Erich Schmidt Verlag. Berlin 1999. S. 35 11 ROELCKE, 1999, S. 38 12 ROELCKE, 1999, S. 35 13 ROELCKE, 1999, S. 35 12

Dieses Modell kann dann mit anderen Gliederungskriterien ergänzt werden, und zwar mit Paaren wie Theorie- x Praxissprache, Natur- x Geisteswissenschaftensprache oder mit wirtschaftswissenschaftlicher Teilung in Sprache der Produktions-, Fertigungs- und Dienstleistungssektors. 2.1.2 Die vertikale Gliederung Die andere Schichtung der Fachsprachen folgt Abstraktionsebenen innerhalb eines einzelnen Faches. Die Schichtung erfolgt nach verschiedenen Kriterien, zu denen Abstraktionsstufe, externe Sprachform, Milieu, Kommunikationsträger und Kommunikationsteilnehmer gehören. 14 Nach ROELCKE, 1999 15 richtet sie sich nach dem Bevorzugen vom Allgemeinen und Besonderen der Gegenstände und der Sachverhalte des betreffenden Fachbereichs: Steht das Besondere im Vordergrund der Fachkommunikation, handelt es sich um eine niedrigere Abstraktionsebene. Ist das Allgemeine deutlicher, handelt es sich um eine höhere fachliche und sprachliche Abstraktionsebene. Als Beispiel führe ich 2 Theorien ein: die erste von ISCHREYT, 1965 16, der 3 fachliche und sprachliche Abstraktionsebenen benutzt: Wissenschafts- (Theorie-)sprache- wird in Forschung und Entwicklung unter Fachleuten und Spezialisten verwendet. Meistens kommt sie in Schriftform vor. fachliche Umgangssprache- ist eine unmittelbare, meistens mündliche Kommunikation unter Fachleuten oder zwischen technischen Leitern und Facharbeitern. als Werkstattsprache- wird die schriftlich und mündlich verwendete Sprache in Produktion, Verwaltung oder Verkauf bezeichnet. 14 HOFFMANN, L. Kommunikationsmittel Fachsprache. Eine Einführung. Akademie-Verlag. Berlin 1987; S. 65-66 15 ROELCKE, 1999, S.38 16 ISCHREYT, Heinz, zitiert nach ROELCKE, 1999, S. 34 13

HOFFMANN, 1987 erweitert noch die Gliederung von ISCHREYT, 1965 und teilt die ersten zwei Bereiche in zwei weitere Gruppen. Es sind also 5 Abstraktionsebenen entstanden: semiotische und sprachliche Bezeichnung Merkmale Sprache der theoretischen künstliche Symbolen für Grundlagenwissenschaften Elemente und Relationen Sprache der experimentellen Künstliche Symbole für Elemente; Wissenschaften natürliche Sprache für Relationen Sprache der angewandten Natürliche Sprache mit starker Wissenschaften und der Technik Terminologisierung, verbindliche Syntax Sprache der materiellen Produktion Sprache der Konsumtion Natürliche Sprache mit starker Terminologisierung, unverbindlich Syntax Natürliche Sprache mit wenigen Termini, unverbindliche Syntax kommunikative Merkmale unter Wissenschaftler (W) unter W, W wissenschaftlich-technische Hilfskräfte W wissenschaftliche und technische Leiter der materiellen Produktion Produktionsleitern, Meistern und Facharbeiter Mitglieder der Produktion, Vertreter des Handels und Konsumenten HOFFMANN, 1987 teilte die Fachsprachen vertikal in 5 Sprachebenen ein: - Sprache der theoretischen Grundlagenwissenschaften - Sprache der experimentellen Wissenschaften - Sprache der angewandten Wissenschaften und der Technik - Sprache der materiellen Produktion - Sprache der Konsumtion Außer ISCHREYT und HOFFMANN haben sich der vertikalen Gliederung viele andere Sprachwissenschaftler gewidmet: HAVRÁNEK, 1932, BENEŠ, 1960, FLUCK, 1980 u.a. In Verbindung mit der horizontalen Gliederung kann so ein Koordinatennetz entstehen, mit dessen Hilfe man den Typ von Fachsprache am besten feststellen könnte. Es ist aber umstritten, ob diese beiden Gliederungen zusammen funktionieren können. In sprachwissenschaftlichen Kreisen wird häufig die Frage gestellt, ob die vertikale Gliederung in allen horizontalen Bereichen gleich verläuft, oder ob jeder horizontale Bereich eine eigene vertikale Schichtung hat? 14

Koordinatennetz der Fachsprachengliederung. Quelle: http://nats-www.informatik.unihamburg.de/~vhahn/german/fachsprache/buch/kap3/ 2.2 Die Fachkommunikation Unter dem Begriff Fachkommunikation versteht man den Austausch oder die Übergabe von Informationen im Rahmen eines fachlichen Kommunikationsbereichs. Mit dem Kommunikationsbereich ist der Ausschnitt aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit gemeint, in dem die jeweilige Fachsprache verwendet wird. 17 Die Fachkommunikation verläuft zwischen einem oder mehreren Produzenten und einem oder mehreren Rezipienten und erfordert entsprechende Fachsprachenkompetenzen. Verfügt über diese Kompetenzen nur ein Teilnehmer der Kommunikation, wird ihr Fachlichkeitsgrad meistens herabgesetzt werden. J.MALÁ, 2009 die von den Forschungen der Funktionalstilistik und Textlinguistik ausgeht und auf die Tradition der Prager Schule (HAVRÁNEK, BENEŠ) anknüpft, unterscheidet in der heutigen deutschen Sprache 5 Kommunikationsbereiche: Kommunikationsbereich Alltagsverkehr Kommunikationsbereich offizieller Verkehr 17 HOFFMANN, 1987, S. 53. 15

Kommunikationsbereich Fachkommunikation (Wissenschaft) Kommunikationsbereich Massenmedien Kommunikationsbereich künstlerische Literatur 18 Die Fachkommunikation wurde früher als Kommunikationsbereich der Wissenschaft benannt, was aber nicht exakt der Abgrenzung von allen Fachtexten und Fachtextsorten entsprach. MALÁ, 2003 fügt zu dieser Problematik hinzu: Die wissenschaftlichen Textsorten bilden jedoch nur einen Teil der Fachkommunikation, denn die Fachkommunikation betrifft auch andere gesellschaftliche Bereiche wie Technik, Bankwesen, Justiz und viele andere,... 19 Genau wie bei der Gliederung von Fachsprachen ist auch in der Fachkommunikation die Grenze mit Gemeinsprache bzw. mit dem Kommunikationsbereich Alltagsverkehr verschmolzen und schwer zu bestimmen. 2.2.1 Fachlichkeitsgrad Die Fachkommunikation wird nach der Einstellung des Produzenten zum Rezipienten in verschiedene Textsorten geteilt (sowohl mündliche als auch schriftliche). Diese Teilung verläuft nach dem Fachlichkeitsgrad des Textes. Prager Sprachwissenschaftler BENEŠ, 1960 widmete dem Fachlichkeitsgrad bei der Charakterisierung von Fachtexten hohe Aufmerksamkeit. Der Fachlichkeitsgrad wird nach der Einstellung des Produzenten zum Rezipienten unterschieden: Forscherstil (Monographien,, Zeitschriftenaufsätze) Belehrender Stil (Einführungen, Zusammenfassungen der Ergebnisse) Stil der Lehrbücher (Kompendien, Grundrisse) Lexikonstil Populärwissenschaftlicher Stil (Essay, Publizistik) 20 18 MALÁ, 2003, S. 103. 19 MALÁ, 2007, S. 117 20 HOFFMANN, 1987, S. 33 16

Die Grenzgebiete mit der Gemeinsprache bilden vor allem die Popularisierung des Faches oder Kommunikation mit den Laien. Spricht man mit einem laienhaften Rezipient im Forscherstil, würde er nichts verstehen. Nach MALÁ, 2003 gehören zu den Hauptmerkmalen der Fachkommunikation, je nach dem Fachlichkeitsgrad: Begrifflichkeit Genauigkeit Klarheit Fachlichkeit öffentlicher Charakter 2.2.3 Fachtextsorte Der Kommunikationsbereich Fachkommunikation bietet unter Einwirkung der Fachlichkeitsgrade und anderen Faktoren eine breite Skala von Textsorten und Texttypen. Die Texte der Fachkommunikation gehören meistens dem informativen Texttyp an, oft weisen sie aber eine argumentative, instruktive, explikative sowie eine direktive Funktion auf. Jeder geschriebene oder gesprochene Text sollte einer Textsorte angeordnet werden. Die Textsorte ist ein Text oder eine Gruppe von Texten, die in gleichen Situationen vorkommen, identische Funktionen haben und gemeinsame Merkmale aufweisen. Die Gleichheit dieser Merkmale ermöglicht dann die Klassifikation der Texte zu den Textsorten. Die Definition von HOFFMANN, 1998 ist umfassender: Textsorten sind konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen und lassen sich als jeweils typische Verbindungen von kontextuellen (situativen), kommunikativ-funktionalen und strukturellen (grammatischen und thematischen) Merkmalen beschrieben. 21 Fachtextsorten sind Textsorten, die im fachlichen Kommunikationsbereich entstanden sind, und auch als spezifische Textformen im Rahmen einzelne Fachsprachen bezeichnet werden. HOFFMANN, 1998 bezeichnet die Fachtextsorten als 21 HOFFMANN, Lothar: Fachtextsorten der Institutionensprachen III: Verträge; in HSK 14.1, S. 535 17

eine spezielle Klasse von Textsorten, bei deren Produktion und Rezeption zusätzlich zum Alltagswissen noch Fachwissen nötig ist. 22 Die Fachtextsorten werden durch thematische, funktionale und situative Merkmale definiert. Bei der Gliederung der Textsorten spielt die wichtigste Rolle die Funktion des Textes. Die Funktion der Fachtextsorte beeinflusst nämlich die Wahl der Sprachmittel. Das Thema bestimmt die Bedeutung des Textes und die Situation stellt den Kontext dar, in dem die Kommunikation realisiert wird. Die Gliederung verläuft genau wie bei Fachsprachen sowohl horizontal als auch vertikal (unterschiedliche Abstraktionsebenen). Während der wissenschaftlichen Forschung von Textsorten bzw. Fachtextsorten sind mehrere Theorien der Gliederung entstanden, die nebeneinander verwendet werden. Es gibt keine festen und genau abgegrenzten Klassen von Texten, die Grenzen sind unter diesen Gruppen sehr verflochten. Es kann passieren, dass ein Text in zwei oder drei Textsorten eingereiht werden kann. MALÁ, 2007 führt als eine der möglichen Klassifizierungen der Fachtextsorten die Gliederung nach der Art der wissenschaftlichen Tätigkeit an 23 : Forschung: Forschungstexte: Studie, Fachaufsatz, Monographie, Dissertation, Thesen u.a. Lehrtätigkeit: Lehrbuch, Lehrmaterial, Übungstexte Informationstätigkeit: Rezension, Annotation, Forschungsbericht, Gutachten Praktische Texte: Anweisungen, Studieneinleitungen, Einladungen zu Konferenzen, technische Dokumentation usw. Wissenschaftspopularisierung: populärwissenschaftlicher Aufsatz als Zeitungs/Zeitschriftenartikel STEGER, 1984 gliedert die Fachtextsorten horizontal in 24 : wissenschaftliche Textsorten: Aufsatz, Rezension, Abstract und Protokoll technische Textsorten: Patentschrift institutionssprachliche Textsorten: Gesetz, Erlass, Vertrag und Geburtskunde 22 HOFFMANN, Lothar: Fachtextsorten der Institutionensprachen III: Verträge; in HSK 14.1, S. 535 23 MALÁ, 2007, S. 119 24 Zitiert nach ROELCKE, 1999, S. 49 18

2.2.3 Fachwort, Fachwortschatz Lange Zeit wurde unter dem Begriff Fachsprache der Fachwortschatz oder die Terminologie verstanden. In den letzten Jahrzehnten wird aber die Aufmerksamkeit auch den grammatikalischen und textuellen Eigenschaften der Fachsprachen gewidmet. Anhand dieser Forschungen wurde festgestellt, dass die grammatikalischen Eigenschaften eher quantitative Unterschiedlichkeiten zur Gemeinsprache aufweisen, und dass vor allem der Wortschatz für eine Fachsprache spezifisch ist. Bevor die lexikalischen Eigenschaften beschrieben werden (siehe Kap. 3.3), halte ich für wichtig, die Begriffe Fachwort und Fachwortschatz zu erklären. Die Definition von diesen zwei Begriffen ist ziemlich kompliziert. In den vorigen Jahrzehnten sind zahlreiche Konzeptionen entstanden. Eine von ihnen stellt ROELCKE, 1999 vor. Eine vereinfachte Definition des Fachwortes lautet: Ein Fachwort ist die kleinste bedeutungstragende und zugleich frei verwendbare sprachliche Einheit eines fachlichen Sprachsystems, die innerhalb der Kommunikation eines bestimmten menschlichen Tätigkeitsbereichs im Rahmen eines geäußerten Textes gebraucht wird. 25 Zu den Eigenschaften von Fachwörtern gehört Exaktheit und Eindeutigkeit, sowie auch Ökonomie (Wortbildung). Ein Fachwortschatz ist nach ROELCKE, 1999. die Menge solcher kleinster bedeutungstragender und zugleich frei verwendbarer sprachlicher Einheiten eines fachlichen Sprachsystems, die innerhalb der Kommunikation eines bestimmten menschlichen Tätigkeitsbereich im Rahmen geäußerter Texte gebraucht werden. 26 ROELCKE, 1999 schlägt die Teilung des Wortschatzes in 4 Gruppen vor: Als erster und am meisten fachgebundener kommt der intrafachliche Fachwortschatz vor, der die einem bestimmten Fach ausschließlich angehörende Lexik umfasst. Bestimmte Ausdrücke geben Sinn nur in Rahmen ihrer Fachsprache. Der interfachliche Wortschatz 25 ROELCKE, 1999, S. 50-51 26 ROELCKE, 1999, S. 50-51 19

bildet eine Gruppe von Fachwörtern, die sowohl in dem betreffenden als auch in anderen fachsprachlichen Systemen erscheinen. 27 Die Bedeutung dieser Begriffe ist je nach Fach unterschiedlich. Die dritte Gruppe bildet der extrafachliche Wortschatz - Lexeme die in anderen Fachsprachen vorkommen, aber trotzdem auch in Fachtexten des betreffenden Faches benutzt werden. Die letzte Gruppe der Fachwörter stellt den nichtfachlichen Fachwortschatz dar, d.h. die allgemeinen und fachlich nicht weiter geprägten Wörter. 28 3. Sprachliche Merkmale der Fachsprachen Das umfangreichste Kapitel dieser Diplomarbeit stellt die Aufführung von sprachlichen Merkmalen der Fachsprachen dar, die eine Grundlage für weitere Forschung im praktischen Teil der Diplomarbeit bildet. Da das Objekt meiner Forschungen juristische Texte sind, würde man erwarten, dass an dieser Stelle die Merkmale der Rechtssprache besprochen werden. Die linguistischen Forschungen auf dem Gebiet der einzelnen Fachsprachen bzw. der Rechtssprache sind aber bis heute nicht mit genügenden Informationen gestützt, deswegen habe ich für meine Diplomarbeit eine allgemeine Zusammenfassung der sprachlichen Eigenschaften von Fachsprachen gewählt. Wie schon in den oberen Kapiteln betont wurde, unterscheiden sich einzelne Fachsprachen eher auf quantitativer als auf qualitativer Ebene, was heißt, dass die folgende Zusammenfassung ebenfalls eine gute Basis für eine sprachliche Analyse im praktischen Teil der Diplomarbeit bieten kann. 3.1 Eigenschaften im Bereich der Grammatik Die Spezifika von FS haben die Forscher und Fachsprachenbenutzer lange Zeit im Bereich des Wortschatzes gesehen. Da die grammatikalischen Eigenschaften der Fachsprachen von der Grammatik der Gemeinsprache ausgehen und sich von ihr überwiegend nur quantitativ unterscheiden, sind die Ebene der Grammatik und ihre fachliche Besonderheiten nicht so deutlich merkbar und entgingen deswegen lange Zeit der Aufmerksamkeit von Sprachlinguisten. Die Forschung im Bereich der 27 ROELCKE, 1999, S. 52 28 Vgl. ROELCKE, 1999, S. 52 20

grammatikalischen Eigenschaften von Fachsprachen wurde noch nicht erschöpft und hat noch viel zu anbieten. Schon in den ersten Untersuchungen hat man festgestellt, dass die Grammatik von Fachsprachen gegenüber der allgemeinsprachlichen Grammatik kaum qualitative, sondern nahezu ausschließlich quantitative Unterschiede aufweist. 29 Das bedeutet, dass bestimmte Konstruktionen und Formen in den Fachsprachen genau wie in der Gemeinsprache vorkommen, nur ihre Zahl ist in einigen Fällen auffällig höher und in anderen dann niedriger. Die quantitativen und qualitativen Eigenschaften der Fachsprachen hängen aber eng zusammen. Die Übernahme einer fachlich determinierten Funktion ist mit der Häufigkeit (quantitativ) bestimmter sprachlichen Kategorien, Konstruktionen und Mitteln (qualitativ) verbunden, z.b. eine häufigere Benutzung von unpersönlichen oder passivischen Verbformen oder attributive Ergänzungen bei der Anonymisierung des Fachtextes. Bei der Interpretation der grammatikalischen Besonderheiten der Fachsprachen stützt man sich auf Morphologie und Syntax. Diese weiteren Forschungen können uns auch sagen, welche Funktionen die Wörter, Wortverbindungen und Sätze innerhalb der fachlichen Kommunikation erfüllen. Am meistens handelt es sich um Sprachökonomie, Transparenz und Präzision. Man sollte aber nie vergessen, den Texten objektiv und individuell heranzugehen. HOFFMANN, 1998 sagt, dass man sich in allen Gebieten der Fachsprachenforschung vor voreiligen Verallgemeinerungen hüten sollte. Zwischen den einzelnen Fachsprachen und Fachtextsorten gibt es große Unterschiede. 30 3.1.1 Morphologische Eigenschaften In weiterem Abschnitt werden die Eigenschaften auf dem Gebiet der Morphologie beschrieben. Erstens beschäftigt man sich mit dem Art und Quantität von Verwendung einzelner Wortarten, zweitens werden die Merkmale im Bereich der Flexion besprochen. 29 ROELCKE, 1999, S.71 30 HOFFMANN, Lothar: Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen, in HSK, S.426 21

3.1.1.1 Wortarten Die Verwendung von Wortarten in der Gemeinsprache und Fachsprache kann man als unterschiedlich bezeichnen. In fachlichen Texten ist eine starke Tendenz zur Nominalisierung zu spüren, es werden am meisten Substantive und Adjektive benutzt 50-60% - zusammen mit Partizipien sogar mehr als 60% 31, sehr oft findet man auch Internationalismen mit griechischen und lateinischen Wurzeln 32. Substantive kommen als Kern der Subjektgruppen und Objektergänzungen, sowie als Attribut oder der Bestandteil adverbieller Bestimmungen vor. Zur Dominanz von nominalen Elementen tragen in Fachtexten mit starker syntaktischer Komprimierung Aufzählungen bei. Die Bedeutung von Verben für die Fachkommunikation wird zusätzlich geschwächt durch: die Verwendung von Partizipien als Prädikat in verkürzten Relativ- bzw. Attributivsätzen (das Verb wird zum Partizip), durch Gerundial- bzw. Adverbialpartizipialkonstruktionen, durch die Substantivierung in FVG durch Prädikativa. Bei Vollverben beobachtet man eine starke Tendenz zur Nominalisierung, auch die Funktionalverbgefüge werden oft zurückgedrängt. Typisch für Fachsprachen ist auch die Seltenheit von Pronomen. Ganz niedrig werden Personal- und Possessivpronomen benutzt. Ziemlich oft erscheinen Pronomina in anaphorischen Verbindungen. Modalpartikeln werden auch oft weggelassen, weil in den Texten eher als Präzision die Deutlichkeit verlangt wird. 3.1.1.2 Flexionsmorphologie Der Gebrauch von Flexionsmorphologie tritt in allen Fachsprachen stark zurück. In der Fülle von verschiedensten Fachtexten werden nur wenige Teile des deutschen 31 HOFFMANN, Lothar: Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen, in HSK, S.424 32 Sowie französischen (Aufklärung) und im letzten Jahrhundert auch englischen. 22

Konjugations- und Deklinationssystems angesetzt, was zur verlangten Deutlichkeit fachsprachlicher Äußerungen, Anonymisierung und Objektivierung führt. Die fachsprachliche Morphologie ist in der Syntax eingewurzelt (syntaktisch determiniert). Das heißt: die in Fachtexten bevorzugt verwendeten Kategorien und Formen tragen dazu bei, fachlich determinierte syntaktische Funktionen zu realisieren. 33 3.1.1.3 Person und Numerus In modernen Fachtexten findet man in den meisten Fällen keine Anwendung von erster Person Singular. Diese stilistische Verpflichtung soll die Objektivität unterstützen und eine allgemeine Gültigkeit der fachlichen Äußerungen betonen. Die erste Person Singular vertreten: unbestimmte Pronomina Pronomina und Verbformen im Plural lexikalische Stellvertreter man, es wir Autor, höhere Instanz Solch eine Ersetzung hat keine funktionale Begründung, es handelt sich um eine stilistische Tradition, die eine beobachtende, beschreibende und sachlich-informierende Haltung des Fachmannes verkörpert. Verletzt wird sie nur in einigen Fachbereichen wie Philosophie und Fachtextsorten wie Vortrag oder Rezension. 3.1.1.4 Die Konjugation Bei Verben konzentriert sich die Fachsprachenforschung auf Modus, Tempus und Genus. Die Verbformen werden durch Satzart und Satztyp, durch die grammatikalische Kongruenz mit dem Subjekt des Satzes sowie durch die Relationen zwischen Subjekt und Objekt u.a. bestimmt. In Modi herrscht Indikativ vor, er bezieht sich auf Realität. Die weiteren zwei Formen erscheinen nur selten: Imperativ in Gebrauchs- oder 33 HOFFMANN, Lothar: Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen, in HSK 14.1; S.424 23

Konstruktionsanweisungen, Konjunktiv bei indirekter Rede oder bei Äußerung der Möglichkeit bzw. (im Verbindung mit dem Modalverb) eines dringenden Rates. Im Bereich Tempora gehört zu den am meisten benutzten Präsens, das einen zeitunabhängigen Allgemeingültigkeitsanspruch ausdrückt. Futur und Präteritum erscheinen in geringen Maßen. Von Geni wird genau wie in Gemeinsprache viel häufiger Aktiv benutzt, trotzdem ist die Anzahl von den der Anonymisierung dienenden Passivkonstruktionen in Fachsprachen deutlich höher. In ähnlicher Weise nimmt in Fachsprachen auch die Menge von Reflexivkonstruktionen und infiniter Verbformen zu. Alle diese Erscheinungen der Konjugation tragen zu einer stilistisch geforderten, nicht aber funktional begründeten Anonymisierung fachsprachlicher Äußerungen bei. 34 3.1.1.5 Die Deklination Einige Kasusformen werden in Fachtexten im Gegensatz zu allgemeiner Sprache mehr verwendet andere weniger. Sehr deutlich ist das Vorkommen vom attributiven Genitiv sowie Genitivreihungen. Attributiven Genitiv kann man als eine Umformung von Relativsätzen betrachten, was wieder an eines der deutlichsten funktionalen Merkmale der Fachsprachen erinnert - die Sprachökonomie. Genitivreihungen kann man funktional als Deutlichkeitsbestreben (Bedarf an Spezifizierung sprachlicher Ausdrücke) kennzeichnen. Nominativ spielt in Fachsprachen die einfache Rolle des Subjekts. Dativ und Akkusativ erscheinen seltener als in der Gemeinsprache. 35 Pluralformen haben in Fachsprachen ihre Spezifika - es gibt Pluralformen, die in der Gemeinsprache nicht üblich sind. 3.1.2 Syntaktische Eigenschaften Eine gleich hohe Wichtigkeit wie die morphologischen weisen auch die syntaktischen Erscheinungen auf. Die Unterschiede von Allgemeinsprache tragen 34 ROELCKE, 1999, S. 77 35 Kasus bei Substantiven- Genitiv 40-45%, Nominativ 20-22%, Akkusativ 10-15%, Dativ 3-6%. (vgl. HOFFMANN; HSK 14.1, S. 425) 24

wieder einen quantitativen Charakter. Zu den wichtigsten Eigenschaften und Merkmalen der fachsprachlichen Syntax gehören verschiedenste Satzarten in zahlreichen Satzverbindungen, Satzkomplexität, sowie Attributreihungen, Nominalisierungen und Funktionalverbgefüge. All diese syntaktischen Erscheinungen erfüllen in den meisten Fällen Funktionen wie Verständlichkeit, Komplexität, Satz- und Ausdrucksökonomie, sowie Anonymisierung. 3.1.2.1 Der Satz Von Satztypen üben die bedeutendste Rolle die Aussagesätze aus, die dem Rezipienten eine objektive Darstellung des Sachverhaltes beibringen. Die Aussagesätze stärken die Satzgliedstellung Subjekt-Verb-Objekt. Weitere Typen wie Aufforderungs-, Ausrufe- und Fragesätze kommen im Gegensatz zur Gemeinsprache sehr selten vor. Aufforderungssätze findet man meistens nur in Betriebsanweisungen, in den Institutionssprachen wird z.b. die Imperativform mit Hilfe von anderen grammatikalischen Erscheinungen gemildert. Fragesätze treten meistens in Form einer Redefrage auf. Sätze sowie Satzgefüge und Satzverbindungen sind vielmals länger als in der Gemeinsprache. Diese Tendenz des 18. und 19. Jahrhunderts nimmt aber zu Zeit stark ab, die Gliedsatz-, sowie die Satzgliedkomplexität wird reduziert. Die Fachsprachen werden vor allem durch die erhöhte Anzahl von unterschiedlichen Arten der Nebensätze gekennzeichnet. Am häufigsten erscheinen: Konditionalsätze mit (wenn dann) oder ohne Konjunktion die den Zweck, die Absicht oder das Ziel des im übergeordneten Hauptsatz genannten Sachverhalts angebenden Finalsätze (um zu; damit) Kontrastsätze mit während Diese Art von Nebensatzkonstruktionen tragen in Fachtexten zu mindestens 3 wichtigen Funktionen bei: Erhöhung von Explizitheit logische Folgerechtigkeit Optimierung von Darstellung und Verständlichkeit 25

Nicht zuletzt sind die Relativsätze zu erwähnen, die die Satzgliedstellung Subjekt- Objekt-Verb gegen die Position in der Gemeinsprache unterstützen. Im Rahmen der Sprachökonomie werden solche Nebensätze, wo es nur möglich ist, mit Partizipien verkürzt. 3.1.2.2 Die Satzkonstituenten In folgenden Abschnitten wird die Aufmerksamkeit einzelnen Satzkonstituenten gewidmet. Konstruktionen mit einer größeren Anzahl von Konstituenten sind in Fachtexten häufiger als in der allgemeinen Sprache zu sehen und stellen eines der wichtigen Merkmale von Fachsprachen dar. I. Subjektgruppen Diese mehrgliedrigen Gruppen bestehen meistens aus nominalen Syntagmen, die sehr enge Beziehungen aufweisen. II. Prädikatgruppen Den Kern der Prädikatgruppe bildet das Verb, trotzdem ist mehr als ein Drittel der Prädikate nominal. Sätze mit einem einzelnen Verb als Prädikat kommen selten vor. Prädikate oder Prädikatgruppen werden mit zahlreichen Adverbialbestimmungen und Objekten ergänzt. In den Prädikatgruppen erscheint häufig das Verb sein als Kopula, das Prädikativum kommt meistens in Form von Substantiven und Adjektiven vor. HOFFMANN, 1998 bezeichnet diese Erscheinung als letzten Schritt auf dem Wege zur Deverbalisierung. In bestimmten Fachtextsorten kann die Kopula wegfallen. Vor allem bei Definitionen oder in Enzyklopädien. Strafgesetzbuch: grundlegende Materie des Strafrechts Eine sehr große Beliebtheit genießen auch die Attributreihungen, die von verschiedenen Typen der attributiven Konstruktionen gebildet werden. 26

1) Adjektivattribute das neue Gesetz 2) Partizipialattribute das neu genehmigte Gesetz 3) Präpositionalattribute das Gesetz aus dem BGB 4) attributive Genitive die Novellierung des Gesetzes Nr. XX Ihre Funktion in Fachtexten ist die Darstellungsspezifizierung und Betonung der fachsprachlichen Deutlichkeit. Die fachsprachliche Attributreihung kann dann folgend aussehen: Der Eintrag eines neuen, novellierten Gesetzes III. Nominalisierung und Funktionalverbgefüge Als ein weiteres Mittel der Anonymisierung werden die Nominalisierungen und Funktionalverbgefüge betrachtet, die sprach- oder ausdrucksökonomische Funktion wird diesen Erscheinungen aber nur selten zugeschrieben. Beide Konstruktionen tragen zur Satzkomplexität (Anzahl und Verbindung der Teilsätzen) bei, die höher als in der Gemeinsprache ist. Die Nominalisierung ist eine Ableitung von Nomen aus anderen Wortarten in Fachsprachen besonders aus Verben. 36 z.b. die Entscheidung aus entscheiden der Urteil aus urteilen a) Nominalisierungen von Verben nominalisierter Infinitiv: verfahren treffen das Verfahren das Treffen Nominalisierungen von Verben mit Suffix ung entscheiden die Entscheidung fordern die Forderung 36 ROELCKE, 1999; S. 81 27

forschen die Forschung lexikalisierte Nomen suchen beabsichtigen vorgehen die Suche die Absicht der Vorgang b) Nominalisierungen von Funktionsverbgefügen in Kraft treten das Inkraftreten Stellung nehmen die Stellungnahme c) Nominalisierungen von Adjektiven gut beteiligt das Gute der Beteiligte e) Nominalisierungen von Adjektivverben. reich sein der Reichtum interessiert sein die Interesse bereit sein die Bereitschaft Neben den Nominalisierungen kommen in den Fachsprachen häufig auch die Funktionsverbgefüge vor, ihr Anteil ist nicht so groß, aber immer wesentlich höher als in der Gemeinsprache. Sie entstehen durch Desemantisierung aus einem solchen Verbalnomen, dessen Prädikatsfunktion von einem bedeutungsarmen Stellvertreterverb übernommen wird. 37 Nach Hoffmann liegt der Vorzug von FVG darin: dass sich die nominale Elemente leichter durch Attribute als die Verben durch adverbielle Bestimmungen präzisieren lassen, was letztendlich der syntaktischen Kompression dient. 38 37 ROELCKE, 1999; S. 81 38 HOFFMANN, Lothar: Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen, S.424 28

Die Funktionalverbgefüge kann man in zwei Gruppen verteilen: FVG mit Präpositionalobjekt sich entscheiden zur Anwendung bringen zur Anwendung kommen zum Ausdruck bringen zum Ausdruck kommen eine Entscheidung treffen anwenden angewendet werden ausdrücken ausgedrückt werden FVG mit Akkusativobjekt die Absicht haben Anerkennung finden Anspruch erheben den Antrag stellen Einfluss nehmen beabsichtigen anerkannt werden beanspruchen beantragen beeinflussen Durch Verwendung von verschiedenen Verben kann die Modalitätsaussage des Funktionalverbgefüges formuliert werden. ausdrücken Ausdruck geben zum Ausdruck bringen IV. Weitere syntaktische Besonderheiten Die umfangreiche Aufzählung von syntaktischen Besonderheiten der Fachsprachen beenden geringere syn. Erscheinungen, die vorwiegend eine fachkommunikative Funktion tragen. Präpositionalgefüge und verwandte Konstruktionen verfügen über urteilen nach kämpfen für satzwertige Infinitivkonstruktionen, Partizipialkonstruktionen, Ellipsen, Appositionen, Aufzählungen, Asyndese, Einbettung, Spannformen, Parenthesen 29

valenzspezifische Verbformen 3.1.3 Syntaktisch bedingte Prozesse der Fachsprachen In folgenden Abschnitten werden die syntaktisch bedingten Prozesse der Fachsprachen beschrieben und es wird so auf weiter wichtige syntaktische Merkmale der Fachsprachen hingewiesen. 3.1.3.1 Satz- und Satzgliedkomplexität Die Komplexität der Fachtexte umfasst nicht nur die inneren Beziehungen auf der Satzebene, sondern auch die Bindung unter Satzgliedern und Satzgliedgruppen in einem einfachen, stark erweiterten Satz. Den Komplexitätsgrad des Fachtextes kann man durch Komplexitätsquotienten feststellen- Dividierung der Nebensätze durch die Zahl der Sätze. Es gibt aber markante Unterschiede zwischen verschiedenen Textsorten. Die Komplexität verläuft nicht nur auf der Ebene des Satzbaues sondern auch auf der Ebene von einzelnen Satzgliedern- Attributierungen, Nominalisierungen, komplexe Prädikatgruppen (auch in Form FVG). Bei aller Explizitheit und Folgerichtigkeit verursacht sie aber, dass die Rezeption der Fachtexte manchmal auch für Fachleute erschwert ist. 3.1.3.2 Die syntaktische Komprimierung Die wissenschaftlichen Sachverhalte müssen knapp und präzis dargestellt werden. Zur Erfüllung dieser Forderung bieten sich mehrere Kürzungsmöglichkeiten: nichtverbale Informationsträger wie Tabellen, Graphiken usw., syntaktische Komprimierung lexikalische Komprimierung (Wortbildung) Renomination BENEŠ, 1981 bemerkt zur syntaktischen Komprimierung: 30

Gemeint ist, dass man einen bestimmten Inhalt wahlweise mit einem Nebensatz oder mit einer nicht-satzartigen Struktur ausdrücken kann 39 Die Kompression besteht also in der Ersetzung des finiten Verbs durch verkürzende Formen wie Nominalisierung des Verbs. Apposition, Partizipialkonstruktion, satzwertiger Infinitiv. 40 Wie schon angesprochen wurde, führt die Sprachökonomie, sowie auch Formen der Komprimierung sehr häufig zur Erschwerung der Textrezeption. Den Grad von Satz- und Satzgliedkomprimierung (damit auch Fachlichkeitsgrad des Textes) beeinflussen der Typ des Rezipienten (seine fachsprachlichen Kompetenzen) und der Zweck des Textes. Bei Fachtexten mit didaktischer oder erklärender Funktion ist die Kompression geringer als bei Informationstexten mit hohem Fachlichkeitsgrad. 3.1.3.3 Die Anonymisierung Die Anonymisierung gehört zu den merkbarsten Eigenschaften der Fachtexte. Sie wird auch als Unpersönlichkeit, Subjektschub oder Deagentivierung genannt. Die Anonymisierung trägt in der fachlichen Kommunikation keine Funktion, es handelt sich um eine stilistische Regel, die keine tiefere Begründung hat. In einigen Fällen ist die Benutzung von Anonymisierung durch die Fachtextsorte oder den Kommunikationsgegenstand bedingt: z.b. in der Rechtssprache kann man nicht konkret sprechen, alles ist an abstrakte Personen und Personengruppen gebunden, um die Allgemeinheit des Rechts ausdrücken zu können. In anderen Fachsprachen im Gegenteil erscheint in letzten Jahren eine starke Tendenz zur Deanonymisierung. In Fachtexten verläuft die Anonymisierung mit Hilfe von unterschiedlichen sprachlichen Mitteln: Pronomen wir, man und es Passiv und Reflexiv Prädikative Verbalsubstantive 39 BENEŠ, 1981; zitiert nach HOFFMANN, Lothar: Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen 40 KAEHLBRANDT, 1989,34; zitiert nach HOFFMANN, Lothar: Syntaktische und morphologische Eigenschaften von Fachsprachen 31

unvollständige Nebensätze in Gestalt von Partizipial-, Gerundialund Infinitivkonstruktionen. 3.2 Stilistische Merkmale Der Stil eines Textes wird aufgrund vieler kleiner stilistischer Einheiten 41 geprägt, die durch den Mitteilungszweck, das Thema und die konkrete Kommunikationssituation bedingt sind. In der Fachkommunikation wird der Gebrauch von emotionalen und expressiven Stilmitteln eingeschränkt, das heißt aber nicht, dass die Fachsprache stilistisch arm ist. Stilelemente sind in den Fachtexten selbstverständlich weniger zu finden als in der Gemeinsprache oder Belletristik, aber auch ihre niedrige Anwesenheit oder sogar Abwesenheit sagt viel über den Stil des Textes aus. 3.2.1 Fachstil Bis zu den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat die Stilistik vermutet, dass Stilqualitäten nur ein literarischer Text aufweist. Dank der Forschungen der Prager strukturalistischen Schule (namentlich HAVRÁNEK und BENEŠ) wurde diese Annahme anhand der Funktionalstilistik überwunden. In kurzer Zeit haben Forschungen auch im Bereich der Fachsprachen begonnen und es wurde der Begriff Fachstil definiert: Prinzip der sprachlichen Organisation der Texte der Fachprosa mit Hilfe der Ausdrucksmittel der Fachsprache 42. GLÄSER, 1979 versteht unter Fachstil: die für die Gestaltung eines Fachtextes charakteristische Auswahl und Anordnung sprachlicher Mittel, die in einem Gesamtzusammenhang von Absicht, Inhalt, Form und Wirkung der Aussage fungieren. 43 41 Lexikalische, grammatische und phonetische Sprachmittel 42 BENEŠ, 1969 zitiert nach GLÄSER, Rosemarie: Fachsprachen und Funktionalstile, in HSK 14.1; S. 204 43 GLÄSER, 1979 zitiert nach REITBAUER, Margit: Effektiver lesen mit Superstrukturen, S. 55 32

GLÄSER, 1979 unterscheidet weiter 6 Fachstile, denen sich weitere Textsorten mit unterschiedlichen Fachlichkeitsgrad zuzuordnen lassen: der theoretischwissenschaftliche Fachstil, der didaktische Fachstil, der direktive Fachstil, der praktische Fachstil, der populärwissenschaftliche Fachstil und der ästhetische Fachstil. 44 Da die Stilistik der Fachtexte nicht zu den Hauptpunkten dieser Diplomarbeit gehört, werden die stilistischen Merkmale von Fachsprachen lediglich oberflächlich besprochen. Jeder Text erfüllt eine bestimmte Funktion, die durch ihre verschiedenen Kriterien den Text prägt. Es sind Kriterien wie: Wem ist der Text adressiert? In welcher Situation? Was wollen wir mit dem Text erreichen? usw. Diese Kriterien bilden einen Funktionalstil und sind auch für den Fachlichkeitsgrad des Textes bestimmend. MALÁ, 2009 die von den Untersuchungen der Prager Schule ausgeht, unterscheidet 5 Funktionalstile 45 : Stil des Alltagsverkehrs Stil des offiziellen Verkehrs/Amtstil Stil der Wissenschaft Stil der Presse und Publizistik Stil der Belletristik Den Fachtexten können wir 2 Funktionalstile zuordnen: Stil des offiziellen Verkehrs (Amtstil) Verwaltung des Verhaltens (Direktivstil) Stil der Wissenschaft- Vermittlung der Informationen Die Fachsprache wird nämlich sowohl in Wissenschaftskreisen als auch in der öffentlichen Kommunikation mit Laien verwendet. Die Grenze zwischen beiden Stilen ist gleich schwer festzustellen wie die Grenze zwischen zwei gleichnamigen Fachbereichen. Zu den Hauptmerkmalen des Fachstils gehören: Sachlichkeit Fachbezogenheit Objektivität Begrifflichkeit Logik Abstraktion 44 Ebd. S. 55 45 MALÁ, 2009, S. 25 33