Lösungsstrategien. Mathematik für Nachdenker. von Natalia Grinberg. überarbeitet

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Transkript:

Lösungsstrategien Mathematik für Nachdenker von Natalia Grinberg überarbeitet Lösungsstrategien Grinberg schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG Harri Deutsch 2011 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 8171 1875 5

Natalia Grinberg Lösungsstrategien Mathematik für Nachdenker

Die Autorin Dr. Natalia Grinberg lehrt als Privatdozentin Mathematik an der Universität Karlsruhe. Die Webseite zum Buch http://www.harri-deutsch.de/1790.html Der Verlag Wissenschaftlicher Verlag Harri Deutsch GmbH Gräfstraße 47 60486 Frankfurt am Main verlag@harri-deutsch.de www.harri-deutsch.de Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8171-1790-1 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdrucks und der Vervielfältigung des Buches oder von Teilen daraus sind vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Der Inhalt des Werkes wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autor und Verlag für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie für eventuelle Druckfehler keine Haftung. 1. Auflage 2008 c Wissenschaftlicher Verlag Harri Deutsch GmbH, Frankfurt am Main, 2008 Fachlektorat: Wolfgang J. Weber Druck: fgb freiburger graphische betriebe <www.fgb.de> Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis 1 Elementare Beweismethoden 7 1.1 Direkter Beweis............................. 7 1.2 Widerspruchbeweis indirekter Beweis................ 9 1.3 Vollständige Induktion......................... 12 1.4 Schwierigere Aufgaben......................... 22 2 Schubfachprinzip 33 2.1 Einführende Aufgaben......................... 33 2.2 Schwierigere Aufgaben......................... 40 3 Extremalprinzip 47 3.1 Einführende Aufgaben......................... 48 3.2 Schwierigere Aufgaben......................... 53 4 Invarianten- und Halbinvariantenmethode 63 4.1 Einführende Aufgaben......................... 63 4.2 Schwierigere Aufgaben......................... 75 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen 85 5.1 Kongruenz- und Ähnlichkeitsabbildungen.............. 85 5.1.1 Klassifizierung und Verkettung................ 90 5.1.2 Schließungssätze........................ 100 5.2 Affine Abbildungen........................... 102 6 Linearitätsprinzip 113 6.1 Schwerpunkt.............................. 115 6.2 Verschiedene Aufgaben......................... 121 7 Konvexität 127 7.1 Konvexe Mengen............................ 127 7.2 Konvexe Funktionen.......................... 130 8 Methoden der elementaren Zahlentheorie 137 8.1 Teilbarkeit, Primfaktorzerlegung................... 137 8.2 Größter gemeinsamer Teiler Euklidischer Algorithmus...... 146 8.3 Äquivalenzklassen modulo q Chinesischer Restsatz........ 147 8.4 Die Sätze von Fermat und Euler................... 150 8.5 Lösung von Gleichungen in Z..................... 152

ii Inhaltsverzeichnis 9 Ungleichungen 157 9.1 Rearrangement- und Tschebyscheff-Ungleichungen......... 157 9.2 AM-GM-Ungleichung.......................... 161 9.3 Young-, Hölder- und Minkowski-Ungleichung............ 167 9.4 Cauchy-Schwarz-Ungleichung..................... 171 9.5 Bernoulli-Ungleichung......................... 175 9.6 Jensen-Ungleichung........................... 177 9.7 Abschätzung von Summen durch Integrale.............. 179 10 Polynome 183 11 Kombinatorik und erzeugende Funktionen 201 Literaturverzeichnis 212

Vorwort In Mathe war ich immer schlecht... Gerhard Schröder, Bundeskanzler 1998 2005 In diesem Buch geht es um die Lösung mathematischer Aufgaben, wobei es sich nicht um zum Schulstoff gehörende Routineaufgaben handelt, sondern um herausfordernde Denkaufgaben, die gerade nicht mit den gewöhnlichen schulmathematischen Methoden angegangen werden können. Solche Aufgaben erfordern intensives Nachdenken und setzen eine gewisse mathematische Kultur voraus. Die Lösungsstrategien sind daher nicht für die Vorbereitung auf eine Abiturprüfung gedacht, sondern wenden sich vielmehr an den interessierten Schüler, der die ersten eigenen Schritte in der Mathematik geht und sich über den Schulstoff hinaus umschauen will. Eine Vielzahl mathematischer Leckerbissen wird ihn auf den Geschmack bringen, sich auch weiterhin mit anspruchsvollen mathematischen Problemem auseinanderzusetzen. In Deutschland gibt es kein flächendeckendes Angebot an mathematischer Talentförderung andere Länder haben da weit bessere Traditionen und jahrzehntelange Erfahrungen. Selbst die größten deutschen Universitäten mit Didaktik-Abteilungen bieten in der Regel nicht einmal einen Mathematik-Schülerzirkel. Es gibt zwar mehrere Seminare und Mathematikwettbewerbe, bei denen sich junge Mathematikfreaks unter Gleichgesinnten versammeln können, doch diese Angebote sind sehr eng an nur wenige engagierte Lehrer oder Universitätsdozenten gebunden. Somit haben die meisten talentierten Schüler keinen engagierten und gut informierten Ansprechpartner vor Ort, Angebote zur Begabtenförderung sind allein vom Zufall oder Glück abhängig. Wenn darüber hinaus Kontakte zu Gleichgesinnten fehlen, verlieren die Jugendlichen, ohne jede Unterstützung, allmählich ihr anfangs so starkes und unbefangenes Interesse an der Mathematik. Die Schule lässt junge Talente einfach verkommen. Solche Schüler werden auch in Wettbewerben oft daran scheitern, dass sie nicht geübt sind, ihre Ideen mathematisch korrekt auszudrücken. Sie bekommen ihre korrigierten Lösungen mit knappen und manchmal sogar verletzenden Kommentaren zurück, die nicht viel erklären, sondern nur frustrieren. Ein wichtiges Ziel dieses Buches ist es, solchen Schülern elementare mathematische Fertigkeiten zu vermitteln und sie im wahrsten Sinne des Wortes wettbewerbsfähig zu machen. Zu den Methoden mathematischen Problemlösens gibt es nur wenig deutschsprachige Literatur, und die ist zudem oft entweder zu elementar oder zu kompliziert. Sowohl im Schulunterricht als auch in Vorlesungen kommen die entsprechenden Methoden meist zu kurz und nur am Rande der Veranstaltung vor. Äußerst selten

2 Vorwort werden eigenständige Vorlesungen zum Thema Aufgabenlösen angeboten. Dieser Mangel war für mich die Motivation, an der Mathematischen Fakultät der Universität Karlsruhe Vorlesungen über mathematische Problemlöseverfahren für Lehramtsstudenten sowie einem Schnupperkurs für Oberstufenschüler anzubieten. Die vielen positiven Rückmeldungen in den Veranstaltungen und auf die Onlineversion des Vorlesungsskripts, das ein Semester lang im Netz stand haben mich bewogen, das Skript zu bearbeiten und als Buch zu veröffentlichen. Konzept und Aufbau Das Buch führt vom Einfacheren zum Schwierigeren und ist für das selbständige Durcharbeiten gut geeignet. Ziel ist, den Leser in die Lage zu versetzen, unbekannte neue Probleme der einen oder anderen Methode zuordnen und somit lösen zu können. Jedes der 11 Kapitel ist einer bestimmten Methode oder Methodengruppe zur Lösung mathematischer Aufgaben gewidmet dieses Konzept schließt sich dem klassischen Buch [6] an. Die Kapitel beginnen jeweils mit einer leicht verständlichen Erklärung der entsprechenden Methode, ihrer Anwendungsgebiete sowie möglicher Stolpersteine bei der Anwendung. Dann werden die Methoden zunächst an einigen repräsentativen Beispielen demonstriert, gefolgt von einer Reihe relativ einfacher Aufgaben, die den Leser mit der jeweiligen Methode vertraut machen. Oberstufenschüler und Studenten können diese Probleme nach einer kurzen Einarbeitung selbständig lösen. Anschließend finden Sie eine kleine Sammlung anspruchsvollerer Probleme, die entweder schwierigere Ideen einbeziehen oder auch zusätzliche mathematische Vorkenntnisse erfordern. Die aus meiner Sicht schwierigeren Aufgaben sind mit einem Stern * markiert oder in eine separate Rubrik ausgegliedert. Solche Aufgaben sind in der Regel für Studenten oder für Teilnehmer von Mathematikwettbewerben interessant. Aufgaben, die zum mathematischen Lehrplan der gymnasialen Oberstufe gehören, markiere ich mit einem Dreieck. Man kann zwar lange darüber diskutieren, welche Themen und Methoden in ein Buch über Aufgabenlösen gehören, Eins steht aber fest: Alles kann ein einziges Buch nicht fassen. So enthalten die Lösungsstrategien z. B. kein eigenständiges Kapitel über die Anwendung der Graphentheorie zum Lösen von Aufgaben, aber Anwendungsbeispiele dafür sind mehrfach im Text verstreut. Die Themen der Kapitel 1 bis 4, 8 und 9 sind für den Erwerb einer elementaren Aufgabenkultur unabdingbar. Die anderen, etwa das Linearitätsprinzip, Konvexität und Anwendung geometrischer Abbildungen, entsprechen besonders meinem persönlichen Geschmack. Aufgaben Die meisten Aufgaben stammen aus verschiedenen Wettbewerben wie dem Bundeswettbewerb Mathematik, dem Landeswettbewerb Baden-Württemberg/Bayern, Baltic Way und Moskauer Teamwettbewerben (Moskauer Matboj). Viele klassische

Vorwort 3 Aufgaben habe ich aus der Literatur [6], [12], [16], [21] übernommen. Weitere Beispiele, deren Urquelle jetzt nicht mehr eindeutig zu bestimmen ist, stammen aus meinem eigenen Aufgabenvorrat. Die letzte Gruppe bilden einige klassische Grundergebnisse aus der Zahlentheorie, Geometrie, Algebra oder Analysis, die ich in Aufgabenform verpackt habe. Studenten und Lehrer sollen beim Anblick solcher Aufgaben ein angenehmes déjà-vu-gefühl bekommen. Alle Aufgaben sind mit ausführlichen Lösungen versehen. Zielgruppen Die Lösungsstrategien wenden sich an ein breites Leserspektrum. Oberstufenschüler, soweit sie mathematisch talentiert sind, erhalten Hilfe bei der Wettbewerbsvorbereitung. Lehrer können jedes Kapitel als eine fertige Vorlage für Mathematikzirkel oder Begabten-AGs nutzen. Viele der Aufgaben lassen sich aber auch in den normalen Mathematikunterricht integrieren. Studierende, insbesondere Lehramtsstudenten, verbessern durch die Beschäftigung mit den Lösungsstrategien ihre Problemlösekultur und bereiten sich ganz nebenbei auf eine positive und gedeihliche Konfrontation mit begabten Schülern vor. Hochschullehrer verwenden einzelne Kapitel als Material für Vorlesungen und Übungen oder als Basis eines Schnupperkurses für Schüler. Amateure 1 finden in dem Buch anregende Herausforderungen. Danksagung Besonderer Dank geht an meinen Sohn Darij für seine Mitarbeit an Teilen des Textes. Ferner möchte ich mich bei meinen Kollegen Alexander und Michail Lewintan für gute Ratschläge bei der Gestaltung der Arbeit bedanken. Mein Dank geht auch an Herrn Klaus Horn vom Verlag Harri Deutsch und Herrn Wolfgang J. Weber für ihre gründliche sprachliche und fachliche Textkorrektur. Schließlich danke ich Prof. Dr. Arthur Engel für die freundliche Genehmigung, eine Reihe von Beispielen aus seinem klassischen Buch [6] zu übernehmen. 1 franz. für Liebhaber

5 Anwendungen geometrischer Abbildungen 5.1 Kongruenz- und Ähnlichkeitsabbildungen Benutzte Literatur: 1. Lambacher-Schweizer Geometrie 1,2 [10] 2. V.V. Prasolov, Problems in Planimetry (in russischer Sprache) [12] 3. A. Engel: Problem-Solving Strategies, Chapter 12 [6] Bei vielen geometrischen Aufgaben ist es sinvoll, die ursprüngliche Konfiguration auf Symmetrien zu untersuchen, oder die Konfiguration so zu transformieren, dass sie einfacher wird. Definition 5.1 Kongruenzabbildung Eine bijektive Abbildung T : R 2 R 2 heißt Kongruenzabbildung, wenn für je zwei Punkte A und B gilt A B = AB mit A = T (A) und B = T (B). (5.1) Definition 5.2 Ähnlichkeitsabbildung Eine bijektive Abbildung T : R 2 R 2 heißt Ähnlichkeitsabbildung, wenn es ein λ > 0 gibt mit der Eigenschaft: für je zwei Punkte A und B gilt A B = λ AB mit A = T (A) und B = T (B). (5.2) Offensichtlich ist jede Kongruenzabbildung insbesondere eine Ähnlichkeitsabbildung mit λ = 1. Ist T eine Kongruenz- bzw. Ähnlichkeitsabbildung, so ist die inverse Abbildung T 1 ebenfalls eine Kongruenz- bzw. Ähnlichkeitsabbildung. Sind T 1 und T 2 Kongruenz- bzw. Ähnlichkeitsabbildungen, so ist ihre Verkettung (auch Hintereinanderausführung genannt) T 2 T 1 ebenfalls eine Kongruenzbzw. Ähnlichkeitsabbildung. Aufgabe 5.1 Im Punkt A wohnt Rotkäppchen, im Punkt B ihre Oma, siehe Abbildung 5.1a. Rotkäppchen soll zum Fluss laufen, Wasser schöpfen und es der Oma bringen. Wie muss Rotkäppchen laufen, damit ihr Gesamtweg minimal ist? Lösung Es sei die Gerade g das Flussufer, an dem Rotkäppchen Wasser schöpfen soll. Wir bezeichnen mit B das Spiegelbild von B an der Geraden g, siehe Abbildung

86 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen (a) Ein möglicher Weg (b) Der kürzeste Weg AXB Bild 5.1: Wege von A nach B 5.1b. Für jeden Punkt Y g, zu dem Rotkäppchen hinläuft, wird die Gesamtstrecke l, die sie zurücklegen muss, durch l = AY + Y B = AY + Y B gegeben. Die letzte Summe ist genau dann minimal, wenn die Strecke AY B gerade ist. Daraus folgt die Strategie: Rotkäppchen muss zum Schnittpunkt X = (AB ) g laufen. Bemerkung Eine gleichwertige Einkleidung des Minimierungsproblems ist die Bestimmung des Weges eines Lichtstrahls von A nach B bei Reflexion an g. Aufgabe 5.2 Ein Bühnenscheinwerfer strahlt senkrecht nach unten. a) Wie soll man einen Quader halten, damit dessen Schatten die maximale Fläche hat? b) Welche maximale Fläche kann der Schatten eines regelmäßigen Tetraeders mit der Kante 1 haben? Siehe [6, Kapitel 12.3, Aufgabe 42 und 43]. Lösung a) Eine Umformulierung dieser Frage ist: Auf welche Ebene soll man den Quader projizieren, um eine maximale Fläche zu erzielen? Wir zeichnen eine solche Projektion, siehe Abbildung 5.2a. Die sichtbare Seite (sowie der Schatten) besteht aus drei Parallelogrammen. Die Gesamtfläche ist dann die doppelte Fläche ABC des Dreiecks ABC. Die Antwort lautet also: Die Projektionsfläche ist dann maximal, wenn die Projektionsebene parallel zur Ebene ABC ist. (Bei der Beleuchtung durch einen senkrecht nach unten strahlenden Bühnenscheinwerfer muss der Schauspieler den Quader so halten, dass die Ebene ABC horizontal ist).

5.1 Kongruenz- und Ähnlichkeitsabbildungen 87 (a) Quader (b) Tetraeder Bild 5.2: Projektionen b) Eine Umformulierung dieser Frage ist: Auf welche Ebene soll man den Tetraeder projizieren, um eine maximale Fläche zu erzielen? Wir bezeichnen die Projektion mit ADBC, siehe Abbildung 5.2b. Ferner seien X, Y, Z und W die Mittelpunkte der Strecken (AD), (DB), (BC) und (CA). Aus Ähnlichkeitsgründen gilt DXY = 1 4 DAB, CW Z = 1 4 CAB, AXW = 1 4 ADC, BY Z = 1 4 BDC. Die Gesamtfläche des Vierecks ADBC ist damit das Doppelte der Fläche XY ZW des Parallelogramms XY ZW, siehe Abbildung 5.2b, da XY ZW = ADBC DXY CW Z AXW BY Z = ADBC 1 4 ( DAB + CAB ) 1 ( ADC + (BDC)) 4 = ADBC 1 4 ADBC 1 4 ADBC = 1 2 ADBC. Nach dem Satz von der Mittelparallelen gilt XY = W Z = 1 2 AB 1 2 und ebenso Y Z = XW = 1 2 DC 1 2 (wir haben AB 1 und DC 1, da die Projektion einer Strecke nicht länger ist, als die Strecke selbst). Daraus folgt ADBC = 2 XY ZW 2 XY Y Z sin XY Z 2 1 2 1 2 1 = 1 2. Gleichheit ist möglich, wenn die Projektionsebene parallel zu einem Paar gegenüberliegender Kanten des Tetraeders ist, bzw. parallel zum Quadrat XY ZW.

88 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen Aufgabe 5.3 Nördlich und südlich eines Flusses liegen je eine Stadt A und B. Wo soll man eine zum Fluß orthogonale Brücke bauen, damit die Gesamtstrecke von A nach B (über diese Brücke) am kürzesten ist? Lösung Es seien X der Anfang und und Y das Ende der Brücke. Wir bezeichnen mit A das Bild des Punktes A bei Translation um XY, d. h. AA = XY. Es gilt offensichtlich l = AX + XY + Y B = ( A Y + Y B ) + XY. Bild 5.3: Brückenbau durch Parallelverschiebung Die Gesamtlänge ist also dann minimal, wenn A Y B eine gerade Strecke ist (da XY die Breite des Flusses, also fest vorgegeben ist). Dadurch kann der Punkt Y leicht bestimmt werden, und somit auch der Punkt X. Aufgabe 5.4 Es sei ABC ein spitzwinkliges Dreieck. Ferner sei ein Punkt X auf der Strecke AB gegeben. Finden Sie einen Punkt Y auf der Strecke BC und einen Punkt Z auf der Strecke CA so, dass die Gesamtlänge l X = XY + Y Z + ZX minimal ist. Bild 5.4: Y Z + ZX + XY soll minimiert werden

5.1 Kongruenz- und Ähnlichkeitsabbildungen 89 Lösung Wir bezeichnen das Spiegelbild von X an der Geraden (BC) mit X und das Spiegelbild von X an der Geraden (AC) mit X, siehe Abbildung 5.4. Es ist offensichtlich XY = X Y und XZ = X Z. Das ergibt l X = X Y + Y Z + ZX X X. Die Gesamtlänge l X ist also dann minimal, wenn der Streckenzug X Y ZX gerade ist. Die Antwort ist somit Y = (X X ) (BC) und Z = (X X ) (AC). Aufgabe 5.5 Gegeben sei eine rechteckige Torte, auf der eine ebenfalls rechteckige Tafel Schokolade liegt. Wie kann man die Torte und die Schokolade mit einem geraden Messerschnitt so teilen, dass sowohl die Torte als auch die Tafel Schokolade jeweils in zwei gleich große Stücke geteilt wird? Bild 5.5: Torte und Schokolade, mit Zentren Lösung Jeder Schnitt, der durch das Zentrum eines Rechtecks geht, teilt das Rechteck in zwei kongruente Teile (ein Rechteck ist ja punktsymmetrisch!). Deswegen muss man entlang der Gerade durch das Zentrum der Torte und das der Schokolade schneiden (falls diese beiden Zentren zusammenfallen, nimmt man eine beliebige Gerade durch sie), siehe Abbildung 5.5. Aufgabe 5.6 Gegeben seien drei parallele Geraden l 1, l 2 und l 3. Konstruieren Sie ein gleichseitiges Dreieck ABC mit A l 2, B l 1 und C l 3. Lösung Es sei A ein beliebiger Punkt auf l 2. Ferner sei l 1 das Bild der Geraden l 1 bei der Drehung D A, 60 mit Zentrum A und Drehwinkel 60, siehe Abbildung 5.6. Dann ist C = l 3 l 1 und B = D A,60 (C). Aufgabe 5.7 Zwei Spieler, Albert und Bertram, legen abwechselnd 1-Euro-Münzen auf einen elliptischen Tisch. Jeder Spieler darf seine Münze nur auf einen freien Platz legen. Albert fängt an. Verlierer ist, wer keine weitere Münze auf den Tisch legen kann. Wie muss Albert spielen, um sicher zu gewinnen? Bemerkung Man kann natürlich auch Spielgeld oder runde Bierdeckel etc. verwenden.

90 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen Bild 5.6: Gleichseitiges Dreieck mit Ecken auf drei parallelen Geraden Lösung Albert muss die erste Münze A 0 genau in die Mitte legen. Im weiteren Spielverlauf muss er seine Münze stets punktsymmetrisch (bezüglich des Zentrums O des Tisches) zu der vorherigen Münze von Bertram legen. Da der Tisch punktsymmetrisch bezüglich O ist, bleibt nach jedem Zug von Albert der noch freie Platz F auf dem Tisch ebenfalls punktsymmetrisch. Bild 5.7: Die Spiegeltaktik führt zum Erfolg Außerdem ist O / F, da das Zentrum mit der ersten Münze von Bertram überdeckt ist. Daraus folgt: Wenn Bertram noch eine Münze legen kann, also eine genügend große freie Kreisscheibe K F findet, dann ist das Spiegelbild dieser Kreisscheibe an dem Tischzentrum O ebenfalls frei.dass heißt, Albert findet sicherlich noch Platz für seine nächste Münze. 5.1.1 Klassifizierung der Kongruenzabbildungen und deren Verkettungen Bei vielen geometrischen Aufgaben, in denen kongruente Mengen eine Rolle spielen, ist es hilfreich zu überlegen, welche Kongruenzabbildung die eine Figur in die andere überführt. Um diese zu bestimmen, muss man einige Fragen beantworten, wie beispielweise: Besitzt die Kongruenzabbildung Fixpunkte? Wenn ja, wie viele? Ist sie gleich- oder gegensinnig (siehe nachstehende Definition)?

5.1 Kongruenz- und Ähnlichkeitsabbildungen 91 Definition 5.3 Geich- und Gegensinnigkeit a) Ein Dreieck ABC die Reihenfolge der Ecken ist entscheidend heißt positiv orientiert, wenn beim Durchlaufen des Umkreises gegen den Uhrzeigersinn auf die Ecke A zuerst die Ecke B und dann die Ecke C folgt. Folgt auf A dagegen zuerst C und dann B, so heißt das Dreieck ABC negativ orientiert. b) Eine Kongruenzabbildung heißt gleichsinnig, wenn das Bild jedes positiv orientierten Dreiecks positiv orientiert ist. Die Abbildung heißt gegensinnig, wenn das Bild jedes positiv orientierten Dreiecks negativ orientiert ist. Aufgabe 5.8 Es sei T eine beliebige Ähnlichkeitsabbildung. Beweisen Sie: a) Sind A, B und C drei nichtkollineare Punkte, dann gilt ABC = A B C, wobei hier und im Folgenden das Bild bei der Abbildung T bedeutet. Dabei sind die Winkel nicht orientiert. b) Das Bild einer Geraden ist wiederum eine Gerade. c) Sind zwei Geraden l 1 und l 2 parallel, so sind ihre Bilder T (l 1 ) und T (l 2 ) ebenfalls zueinander parallel. d) Das Bild eines Kreises mit Radius R ist wiederum ein Kreis (mit Radius λr). Lösung a) Die Dreiecke ABC und A B C sind ähnlich, weil aus (5.2) die Verhältnisgleichung B C : BC = C A : CA = A B : AB = λ folgt. Daher sind entsprechende Winkel gleich. b) Für drei kollineare Punkte A, B und C (wobei B zwischen A und C liege) gilt AC = AB + BC. Aus (5.2) folgt dann A C = A B + B C. Das bedeutet genau, dass die Punkte A, B und C ebenfalls kollinear sind und B zwischen A und C liegt. c) Angenommen, die Geraden T (l 1 ) und T (l 2 ) sind nicht parallel und X sei der Schnittpunkt dieser Geraden. Da die Abbildung T bijektiv ist, hat dieser Punkt X ein Urbild X 0 mit X = T (X 0 ). Da der Punkt X = T (X 0 ) auf den Geraden T (l 1 ) und T (l 2 ) liegt, läge dessen Urbild X 0 auf den Geraden l 1 und l 2 ; dies ist aber nicht möglich, weil die Geraden l 1 und l 2 zueinander parallel sind. d) Es sei K = { X R 2 : OX = R } der Kreis um den Punkt O mit Radius R. Dann ist K = T (K) = { X R 2 : O X = λr }, was wiederum einen Kreis um den Punkt O = T (O) mit Radius λr darstellt. Aufgabe 5.9 Es seien A, B und C drei nicht kollineare Punkte. Beweisen Sie, dass eine Kongruenzabbildung durch die Bilder A, B und C dieser drei Punkte eindeutig definiert wird.

92 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen Lösung Es sei X R 2 ein beliebiger Punkt. Wir wollen sein Bild X bei der Kongruenzabbildung bestimmen. Es muss gelten X A = XA und X B = XB. Diese zwei Gleichungen haben in der Regel zwei gemeinsame Lösungen X = X 1 und X = X 2 (im Falle X (AB) nur noch ein Punkt X 1 = X 2 ), siehe Abbildung 5.8a. (a) X 1 und X 2: Zwei Kandidaten für X (b) Mithilfe von C lässt sich ein Kandidat herausfiltern Bild 5.8: Bestimmung des Bildes X Um zu entscheiden, welcher der beiden gegebenfalls verschiedenen Punkte X 1 und X 2 das Bild X von X ist, benutzen wir die dritte Relation X C = XC. Weil X 1 C = X 2 C ist, siehe Abbildung 5.8b, kann diese nur auf einen der zwei Punkte zutreffen. Somit ist das Bild X eindeutig bestimmt. Bemerkung Eine Ergänzung dieser Behauptung: für zwei beliebige kongruente Dreiecke ABC und A B C gibt es genau eine Kongruenzabbildung T, die A in A, B in B und C in C überführt. Die Konstruktion dieser Abbildung wurde oben gegeben. Aufgabe 5.10 Es sei T eine Kongruenzabbildung, die zwei verschiedene Fixpunkte A und B hat, d. h. zwei Punkte A und B mit A B, für die A = A und B = B gilt. Zeigen Sie, dass T entweder die Spiegelung S (AB) an der Geraden (AB) ist oder die Identitätsabbildung id. Lösung Erstens wird jeder Punkt X (AB) eindeutig durch die zwei Abstände AX und BX bestimmt. Da aber AX = A X = AX und BX = B X = BX (5.3) ist, folgt X = X. Also ist jeder Punkt auf der Geraden (AB) ein Fixpunkt der Abbildung T. Betrachten wir jetzt zwei Fälle:

5.1 Kongruenz- und Ähnlichkeitsabbildungen 93 1. Es gibt einen Fixpunkt C / (AB) ; 2. Es gibt keine weitere Fixpunkte außerhalb (AB). Im ersten Fall ist T die Identitätsabbildung, da T durch die Bilder dreier nichtkollinearer Punkte eindeutig bestimmt wird. Wenn also id (A) = T (A), id (B) = T (B) und id (C) = T (C) ist, dann ist auch identisch id = T. Im zweiten Fall betrachten wir einen beliebigen Punkt X / (AB) und finden sein Bild X. Es gilt (5.3), was für die Lage des Punktes X nur zwei Möglichkeiten lässt: entweder ist X = X oder X ist das Spiegelbild S (AB) X von X bezüglich (AB). Da wir den Fall X = X ausgeschlossen haben (es gibt ja keine weiteren Fixpunkte außerhalb (AB)!) muss also X = S (AB) X für jeden Punkt X gelten. Aufgabe 5.11 Es sei T eine Kongruenzabbildung, die genau einen Fixpunkt O hat. Zeigen Sie, dass T eine Drehung um O ist. Lösung Betrachten wir einen Punkt A O. Dann ist A = T (A) A. Es ist nun OA = O A = OA. Wir bezeichnen mit ϕ den (orientierten) Winkel AOA 0 und betrachten die Drehung D ϕ um den Drehpunkt O mit dem Drehwinkel ϕ. Es gilt nach der Definition D ϕ (A) = A = T (A). Die inverse Drehung Dϕ 1 = D ϕ erfüllt also D ϕ (A ) = A. Wir betrachten nun die Verkettung T 1 = D 1 ϕ T. Die Abbildung T bestimmt sich dann aus der Gleichung T = D ϕ Dϕ 1 T }{{} = D ϕ T 1. (5.4) T 1 Es gilt T 1 (O) = O und T 1 (A) = D ϕ (T (A)) = D ϕ (A ) = A. Die Kongruenzabbildung T 1 hat somit mindestens zwei verschiedene Fixpunkte O und A. Aus Aufgabe 5.10 wissen wir, dass somit entweder T 1 = S (OA) oder T 1 = id ist. Im Falle T 1 = S (OA) folgt aus (5.4) T = D ϕ S (OA). Diese Abbildung hat aber weitere Fixpunkte (in der Tat ist sie eine Achsenspiegelung), siehe Abbildung 5.9. Dieser Fall ist somit ausgeschlossen. Also bleibt T 1 = id. Daraus schließt man T = D ϕ id = D ϕ. Die Abbildung T ist somit eine Drehung um den Fixpunkt O, was zu zeigen war.

94 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen Bild 5.9: D ϕ S (OA) ist eine Achsenspiegelung Aufgabe 5.12 Beweisen Sie, dass jede Kongruenzabbildung T, die keinen Fixpunkt hat, entweder eine Translation (Parallelverschiebung) P d ist, d. h. es gibt einen Vektor d mit T (X) = X + d für jeden Punkt X, (5.5) oder eine Gleitspiegelung (eine Kombination aus Translation und Achsenspiegelung) T (X) = S g (X) + p für jeden Punkt X, (5.6) wobei der Translationsvektor p parallel zur Achse g ist. Wir identifizieren hier einen Punkt X in R 2 mit dem Vektor OX, wobei O der Ursprung ist. Lösung Es sei O = T (O). Wir bezeichnen d = OO und betrachten die Parallelverschiebung P d. Es gilt P d (O) = O = T (O). Somit hat auch die Verkettung T 2 = P d T mindestens einen Fixpunkt, da ist. T 2 (O) = P d (T (O)) = P d (O ) = O 1. Hat T 2 genau einen Fixpunkt O, so ist T 2 = D ϕ eine Drehung um O, siehe Aufgabe 5.11. 2. Hat T 2 mindestens zwei Fixpunkte O und A, sind aber nicht alle Punkte Fixpunkte, so ist T 2 die Geradenspiegelung S (OA), siehe Aufgabe 5.10. 3. Und die letzte Möglichkeit: T 2 = id. Auf jeden Fall wird T durch T = P d P 1 d T }{{} = P d T 2 (5.7) T 2 gegeben, vergleiche (5.4). Wir betrachten jetzt alle drei Fälle.

5.1 Kongruenz- und Ähnlichkeitsabbildungen 95 Bild 5.10: P d D ϕ hat einen Fixpunkt 1. Es sei T = P d D ϕ, ϕ 0. Dann hat T doch einen Fixpunkt, auf dem obigen Bild ist es der Punkt D ϕ (X). Dieser Fall ist also ausgeschlossen. 2. Es sei T = P d S (OA). Wenn d senkrecht auf (OA) steht, hat T Fixpunkte: In diesem Fall ist nämlich jeder Punkt der Geraden g 1 = (OA) d 2 ein Fixpunkt. Wenn aber d und (OA) nicht orthogonal zueinander sind, d. h. wenn d = d 1 + d 2, wobei d 1 = α OA und d 2 OA ist, hat die Verknüpfung P d S (OA) keinen Fixpunkt, da jeder Punkt X parallel zu Bild 5.11: P d S (OA) hat keinen Fixpunkt (OA) verschoben wird.die Abbildung T ist in diesem Fall eine Gleitspiegelung S g (X) + p, wobei p = d 1 und g das Bild der Geraden (OA) bei der Parallelverschiebung um den Vektor d2 2 ist. Bild 5.12: P d S (OA) als Gleitspiegelung

96 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen 3. Für T 2 = id erhält man T = P d, siehe (5.7), also ist T eine Translation. Eine Übersicht der Kongruenzabbildungen in R 2 gibt Tabelle 5.1. Tabelle 5.1: Klassifizierung aller Kongruenzabbildungen in R 2. Fixpunkte gleichsinnig gegensinnig keine Translation Gleitspiegelung genau ein Drehung genau eine Gerade Achsenspiegelung R 2 Identitätsabbildung Aufgabe 5.13 a) Es seien g 1 und g 2 zwei Geraden mit dem Schnittpunkt O und ϕ der gerichtete Winkel zwischen den beiden Geraden g 1 und g 2. Beweisen Sie, dass die Verkettung T = S g2 S g1 die Drehung um O mit dem Drehwinkel 2ϕ ist. b) Es seien g 1, g 2 und g 3 drei konkurrente Geraden mit dem Schnittpunkt O. Wir bezeichnen mit S j = S gj, j = 1, 2, 3, die Achsenspiegelung an g j. Beweisen Sie die Relation (S 3 S 2 S 1 ) (S 3 S 2 S 1 ) = id. (5.8) Lösung a) Die Verkettung T = S g2 S g1 ist eine gleichsinnige Kongruenzabbildung mit dem Fixpunkt O. Daraus folgt, dass T eine Drehung um O ist. Um den Drehwinkel zu bestimmen, betrachten wir einen Punkt A g 1. Es ist A = S g1 (A) = A und A = T (A) = S g2 (A ) = S g2 (A). Der Drehwinkel wird durch AOA = 2 (g 1, g 2 ) = 2ϕ gegeben. b) Die Verkettung T = S 3 S 2 S 1 ist eine gegensinnige Kongruenzabbildung mit dem Fixpunkt O, siehe Abbildung 5.13. Also ist T eine Achsenspiegelung. Daraus folgt T 2 = T T = id. Bild 5.13: Verkettung dreier Achsenspiegelungen an konkurrenten Geraden.

5.1 Kongruenz- und Ähnlichkeitsabbildungen 97 Aufgabe 5.14 Es seien D A,α, D B,β, 0 < α, β < 360, zwei Drehungen um die Punkte A, B mit A B (gegen den Uhrzeigersinn). Beweisen Sie, dass für α + β 360 die Verkettung T = D B,β D A,α ebenfalls eine Drehung ist mit dem Drehwinkel γ = α + β. Wo liegt das Drehzentrum? Für α + β = 360 ist T eine Parallelverschiebung. Lösung Wir verbinden A und B mit einer Geraden und zeichnen zwei weitere Geraden: l A sei die Gerade durch A, die mit der Geraden (AB) den Winkel α 2 bildet, und l B sei die Gerade durch B, die mit der Geraden (AB) den Winkel β 2 bildet. Den Schnittpunkt l A l B bezeichnen wir mit C (in Abbildung 5.14 ist der Fall 0 < α, β < 180 gezeigt). Aus Aufgabe 5.13 wissen wir: Bild 5.14: Verkettung zweier Drehungen D A,α = S (AB) S (AC) und D B,β = S (BC) S (AB). Daraus folgt T = D B,β D A,α = S (BC) S (AB) S (AB) S (AC) = S (BC) S (AC) = D C,γ, wobei γ = 2 (180 BCA) = 2 ( ) α 2 + β 2 = α + β ist. Im Falle α + β = 360 sind l A und l B parallel. Die Verkettung ist dann die Parallelverschiebung um den Vektor 2 d, wobei d der Abstandsvektor zwischen l A und l B ist. Aufgabe 5.15 Auf den Seiten BC, CA und AB eines Dreiecks ABC werden (nach außen) gleichseitige Dreiecke BCA, CAB bzw. ABC aufgerichtet. Es seien X, Y und Z die Mittelpunkte dieser gleichseitigen Dreiecke BCA, CAB bzw. ABC (siehe Abbildung 5.15a). Man beweise: Das Dreieck XY Z ist gleichseitig. Bemerkung Diese Aussage ist als Satz von Napoleon in die Geschichte der Mathematik eingegangen. Angeblich wurde sie von Napoleon Bonaparte entdeckt. Lösung Man betrachte die Drehungen um X, Y und Z, wobei die Drehwinkel jeweils 120 sein sollen. Wir bezeichnen mit Z den Punkt, für den Z XY = 60 = XY Z gilt (das Dreieck XY Z ist somit gleichseitig) und werden zeigen, dass Z = Z gilt. Die Verkettung T = D Y D X ist nun eine Drehung um Z mit Drehwinkel 120 +120 = 240 (oder 120 ), siehe Abbildung 5.15b. Angenommen,

98 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen (a) Grundkonstruktion (b) Mit Hilfsstrecken Bild 5.15: Satz von Napoleon Z Z. Die Verkettung T 1 = D Z D Y D X = D Z,120 D Z,240 ist dann eine Parallelverschiebung, weil für die Winkel die Relation 120 + 240 = 360 erfüllt ist. Andererseits gilt T 1 (B) = B, d. h. T 1 hat einen Fixpunkt. Das ergibt einen Widerspruch zu der Annahme, dass Z Z ist. Also ist Z = Z und damit XY Z gleichseitig. Aufgabe 5.16 Es seien ABC und A B C zwei kongruente Dreiecke, wobei ABC im Uhrzeigersinn und A B C gegen den Uhrzeigersinn orientiert ist. Beweisen Sie, dass die Mittelpunkte A, B und C der Strecken (AA ), (BB ) bzw. (CC ) kollinear sind (siehe Abbildung 5.16). Lösung Da die Dreiecke ABC und A B C kongruent aber gegensinnig orientiert sind, gibt es eine gegensinnige Kongruenzabbildung T mit T (ABC) = A B C. Somit ist entweder T = S g eine Geradenspiegelung oder T = S g,d eine Gleitspiegelung mit einer Achse g. In jedem Fall gilt für jeden Punkt X: der Mittelpunkt X der Strecke XX (wobei X = T (X) ist) liegt auf der Achse g. Insbesondere ist {A, B, C } g. Aufgabe 5.17 Es seien K j = K (O j, r j ), j = 1, 2, 3, drei Kreise mit verschiedenen Radien r 1, r 2, r 3. Wir bezeichnen mit A 1, A 2 und A 3 die Schnittpunkte der äußeren gemeinsamen Tangenten zu K 2 und K 3, zu K 3 und K 1 bzw. zu K 1 und K 2 (siehe Abbildung 5.17). Beweisen Sie, dass die Punkte A 1, A 2 und A 3 kollinear sind (Spezialfall des Satzes von Monge).

5.1 Kongruenz- und Ähnlichkeitsabbildungen 99 Bild 5.16: Gegensinnig kongruente Dreiecke Bild 5.17: Spezialfall des Satzes von Monge Lösung Bezeichnen wir mit H A [k] die zentrische Streckung mit Zentrum A und dem Koeffizienten k. Für jeden Vektor a gilt H A [k] ( a ) = k a. Es ist nach dem Strahlensatz H A3 [ r2 r 1 ] (K 1 ) = K 2, H A1 [ r3 r 2 ] [ ] r1 (K 2 ) = K 3, H A2 (K 3 ) = K 1. r 3 [ ] [ ] [ ] r Damit gilt für die Abbildung H = H 1 r A2 r 3 H 3 r A1 r 2 H 2 A3 r 1 H (K 1 ) = K 1. Damit ist H eine Kongruenzabbildung mit (mindestens) einem Fixpunkt O 1.

100 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen Darüber hinaus gilt für jeden Vektor a : H a = r 1 r 3 r 3 r 2 r 2 r 1 a = a. Es gibt nur eine Kongruenzabbildung mit einem Fixpunkt, die alle Vektoren erhält: die Identitätsabbildung. Es ist also H = id. Daraus folgt insbesondere [ ] [ ] ( [ ]) 1 r3 r2 r1 H A1 H A3 = H A2 = H A2 r 2 r 1 r 3 Anwenden dieser Abbildung auf den Punkt A 3 ergibt [ ] [ ] [ r3 r3 r2 H A1 (A 3 ) = H A1 H A3 r 2 r 2 r 1 [ r3 r 1 ]. ] (A 3 ) = H A2 [ r3 r 1 ] (A 3 ). Der Punkt X = H A1 [ r 3 r 2 ] (A 3 ) liegt auf der Geraden (A 1 A 3 ), während der Punkt [ ] r Y = H 3 A2 r 1 (A 3 ) auf der Geraden (A 2 A 3 ) liegt. Aus X = Y folgt X = Y = (A 1 A 3 ) (A 2 A 3 ). Im Falle (A 1 A 3 ) (A 2 A 3 ) folgt daraus X = Y = A 3, was unmöglich ist. Also ist (A 1 A 3 ) = (A 2 A 3 ), d. h. die Punkte A 1, A 2 und A 3 sind kollinear. 5.1.2 Schließungssätze Eine ausführliche Erklärung zu Schließungssätzen gibt es unter http://www.stud. uni-muenchen.de/~darij.grinberg/dreigeom/schleg.pdf Aufgabe 5.18 Es seien l 1, l 2 und l 3 drei gerade Wege in der Nähe eines runden Teichs. Eine mathematisch ausgebildete Ente schwimmt vom Teichufer (Punkt A 0 ) aus parallel zu l 1. Als sie wieder das Ufer erreicht (im Punkt A 1 ), ändert sie ihre Richtung und schwimmt weiter parallel zu l 2. Nachdem sie wieder am Ufer ankommt (im Punkt A 2 ), schwimmt sie weiter in Richtung l 3, dann wieder in Richtung l 1, danach in Richtung l 2 und schließlich in Richtung l 3 (siehe Abbildung 5.18). Beweisen Sie, dass der letzte Punkt A 6 mit dem Anfangspunkt A 0 übereinstimmt. Lösung Wir bezeichnen mit g j, j = 1, 2, 3, die Senkrechte zu l j durch den Mittelpunkt des Teichs. Dann sind g 1, g 2 und g 3 konkurrent. Da die Mittelsenkrechte jeder Kreissehne durch den Kreismittelpunkt geht, haben die Sehnen A 0 A 1, A 1 A 2, A 2 A 3, A 3 A 4, A 4 A 5 und A 5 A 6 jeweils die Mittelsenkrechten g 1, g 2, g 3, g 1, g 2 bzw. g 3. Mit anderen Worten: A 1 = S 1 (A 0 ), A 2 = S 2 (A 1 ), A 3 = S 3 (A 2 ), A 4 = S 1 (A 3 ), A 5 = S 2 (A 4 ), A 6 = S 3 (A 5 ),

5.1 Kongruenz- und Ähnlichkeitsabbildungen 101 Bild 5.18: Der Weg der Ente wobei S j = S gj, j = 1, 2, 3, die Achsenspiegelung bezüglich g j ist. Also ist A 6 = S 3 S 2 S 1 S 3 S 2 S 1 (A 0 ) = id (A 0 ) = A 0. Im zweiten Schritt wurde Teil (b) der Aufgabe 5.13 verwendet die S 1, S 2, S 3 sind Achsenspiegelungen an drei konkurrenten Geraden. Bemerkung Die Aufgabe lässt sich auf den Fall mehrerer Geraden verallgemeinern. Für einen Kreis k und beliebige Geraden l 0, l 1,..., l n 1 werde eine Folge von Punkten A 0, A 1,... auf k wie folgt rekursiv konstruiert: Der Punkt A 0 sei beliebig auf dem Kreis k gewählt; für jede ganze Zahl i 0 werde der Punkt A i+1 als der von A i verschiedene Punkt gewählt, in dem die Parallele zu l i mod n durch A i den Kreis k schneidet. (Hierbei bedeutet i mod n den Rest der Zahl i bei Division durch n.) Dann gilt stets A 2n = A 0. Der Beweis dieser Verallgemeinerung verläuft im Wesentlichen analog zu der Lösung von Aufgabe 5.18; allerdings müssen gegebenenfalls gerichtete Winkel betrachtet werden. Aufgabe 5.19 Thomsenstreckenzug Auf den Seiten eines Dreiecks ABC seien die Punkte C 1, C 2 (AB), A 1, A 2 (BC), B 1, B 2 (CA) gegeben mit (A 1 B 1 ) (AB), (B 1 C 1 ) (BC), (C 1 A 2 ) (CA), (A 2 B 2 ) (AB), (B 2 C 2 ) (BC) Beweisen Sie, dass auch (C 2 A 1 ) (CA) ist. Lösung Wir haben die Parallelogramme A 1 B 1 C 1 B, B 2 AC 1 A 2, B 1 C 1 A 2 C, B 2 C 2 BA 2.

102 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen Bild 5.19: Thomsenstreckenzug Also ist A 1 B = B 1 C 1 und C 2 B = B 2 A 2 = AC 1. Somit erhält man das Dreieck B 1 AC 1 aus dem Dreieck A 1 C 2 B durch Parallelverschiebung T. A 1B 1 Folglich ist ( ) B 1 A = T A A 1 C 2 und somit (C 2 A 1 ) (CA). 1B 1 5.2 Affine Abbildungen Definition 5.4 Affine Abbildung Eine bijektive Abbildung T : R 2 R 2 heißt affine Abbildung, wenn für je drei verschiedene kollineare Punkte A, B und C, wobei der Punkt B zwischen den Punkten A und C liegt, gilt: die Bilder A = T (A), B = T (B) und C = T (C) sind ebenfalls kollinear, dabei liegt der Punkt B zwischen den Punkten A und C, und es gilt A B AB = B C BC. (5.9) Bemerkung Die Gleichung (5.9) ist eigentlich überflüssig: Sie folgt nämlich aus der Bedingung, dass jede Gerade in eine Gerade überführt wird. Offensichtlich ist jede Ähnlichkeitsabbildung gleichzeitig eine affine Abbildung, da für eine Ähnlichkeitsabbildung die Relation A B AB = λ = B C BC erfüllt ist. Ist T eine affine Abbildung, so ist die inverse Abbildung T 1 ebenfalls affin. Sind T 1 und T 2 affine Abbildungen, so ist ihre Verkettung T 2 T 1 ebenfalls eine affine Abbildung. Im Folgenden zeigen wir einige wichtige Eigenschaften von affinen Abbildungen. Aufgabe 5.20 Es sei T eine beliebige affine Abbildung. Wir bezeichnen wieder für jeden Punkt P das Bild von P bei der Abbildung T mit P. Beweisen Sie:

5.2 Affine Abbildungen 103 a) Sind zwei Geraden l 1 und l 2 parallel, so sind ihre Bilder T (l 1 ) und T (l 2 ) ebenfalls zwei zueinander parallele Geraden. b) Ist ABCD ein Parallelogramm, so ist A B C D ebenfalls ein Parallelogramm. c) Ist AB = λxy, so ist A B = λ X Y. d) Es sei M eine Punktmenge im R 2 und M 1 sei das Bild der Menge M bei einer Parallelverschiebung, d. h. es gelte M 1 = T d (M) mit einem Vektor d. Dann ist auch das Bild M 1 = T (M 1 ) das Bild der Menge M = T (M) bei einer Parallelverschiebung. Lösung a) Das Bild einer Geraden bei einer affinen Abbildung ist nach Definition wiederum eine Gerade. Aus der Bijektivität von T folgt: ist M 1 M 2 =, so ist auch T (M 1 ) T (M 2 ) =. b) folgt aus (a): Es ist nämlich und (A B ) (AB) (DC) (D C ) (A D ) (AD) (BC) (B C ). c) Wir bezeichnen Y mit D und markieren den Punkt C (XY ) mit DC = λ XY. Bild 5.20: Zum Beweis von Teil c Nun ist ABCD ein Parallelogramm. Für die Bilder der Punkte A, B, C, D, X und Y gilt X Y XY nach (1) = D C nach (b) = A B = A B DC AB λ XY. Daraus folgt A B = λ X Y. d) Es sei X M ein fest gewählter Punkt. Wir bezeichnen p = XX und betrachten die Parallelverschiebung T p. Für jedes Y M gilt XX 1 = Y Y 1 = d.

104 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen Bild 5.21: Parallelverschobene Figuren bleiben parallelverschoben (evtl. um einen anderen Vektor) Nach (c) mit λ = 1 folgt daraus X X 1 = Y Y 1 = p. Also ist M = T p (M). Aufgabe 5.21 gilt Für zwei beliebige Figuren M 1 und M 2 (beispielsweise Vielecke) A (M 1 ) : A (M 2 ) = A (M 1) : A (M 2), wobei A im Rahmen dieser Aufgabe den Flächeninhalt einer Figur bezeichnet. Lösung Wir wählen zwei linaer unabhängige Vektoren a und b in R 2 und führen auf der Ebene ein Gitternetz aus kongruenten Parallelogrammen P ij (ε), i Z, j Z, mit den Seiten εa, εb, ein. Es sei N ε (M) die Anzahl der Netzparallelogramme, die komplett innerhalb von M liegen. Ferner sei A 0 (a, b) die Fläche des Grundparallelogramms mit den Seiten a, b. Der Flächeninhalt A (M) ist gegeben durch A (M) = A 0 (a, b) lim ε 0 ε 2 N ε (M). (5.10) Jetzt können wir die Behauptung beweisen. Das Bild des Gitternetzes {P ij (ε)} ist ebenfalls ein Gitternetz { P ij (ε)}, gegebenfalls mit den anderen Grundvektoren a und b. Es ist offensichtlich N ε (M ) = N ε (M) (die Anzahl der Netzparallelogramme hat sich nicht geändert). Also gilt A (M ) A 0 (a, b ) lim ε 2 N ε (M) A (M) = ε 0 A 0 (a, b) lim ε 2 N ε (M) = A 0 (a, b ) A 0 (a, b). ε 0

5.2 Affine Abbildungen 105 Bild 5.22: Flächenapproximation zum Beweis von A (M 1) : A (M 2) = A (M 1) : A (M 2) Diese Zahl ist von M unabhängig. Also ist A (M 1) A (M 1 ) = A (M 2) A (M 2 ) oder äquivalent A (M 1) A (M 2 ) = A (M 1) A (M 2 ). Aufgabe 5.22 Es seien A, B und C drei nichtkollineare Punkte. Beweisen Sie, dass eine affine Abbildung durch die Bilder A, B und C dieser drei Punkte eindeutig definiert wird (vgl. mit Aufgabe 5.9). Lösung Die Vektoren AB und AC sind nicht kollinear. Für jedes X R 2 gibt es Bild 5.23: Wie man das Bild von X bestimmt, wenn man die Bilder von A, B und C kennt Koeffizienten b und c mit AX = b AB + c AC. In anderen Worten heißt das, dass AB 1 XC 1 ein Parallelogramm ist, wobei AB 1 = b AB und AC1 = c AC ist. Das Bild B 1 von B 1 ist eindeutig definiert wegen (5.9). Genauso eindeutig ist das Bild C 1 von C 1 bestimmt. Dann ist X ebenfalls eindeutig dadurch bestimmt, dass A B 1X C 1 ein Parallelogramm ist.

106 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen Bemerkung Eine Ergänzung zu dieser Behauptung: für zwei beliebige Dreiecke ABC und A B C gibt es genau eine affine Abbildung T, die A in A, B in B und C in C überführt. Die Konstruktion dieser Abbildung wurde oben gegeben. Sind die Dreiecke ABC und A B C kongruent, ist T automatisch eine Kongruenzabbildung; sind ABC und A B C ähnlich, so ist T eine Ähnlichkeitsabbildung. Aufgabe 5.23 Es sei ABC ein beliebiges Dreieck. Ferner seien C 1, C 2 (AB), A 1, A 2 (BC), B 1, B 2 (CA) Punkte, die die entsprechenden Seiten in jeweils drei gleiche Teile teilen. Die Strecken (AA 1 ), (AA 2 ), (BB 1 ), (BB 2 ), (CC 1 ) und (CC 2 ) bilden ein Sechseck. Beweisen Sie, dass die drei Hauptdiagonalen dieses Sechsecks (d. h. die Diagonalen, die jeweils gegenüberliegende Ecken verbinden), konkurrent sind (d. h. sie schneiden sich in einem Punkt). Siehe Abbildung 5.24. Bild 5.24: Drei konkurrente Diagonalen Lösung Sei T eine affine Abbildung, die ABC in ein gleichseitiges Dreieck A B C überführt. Dann teilen die Bilder C j, A j, B j, j = 1, 2, entsprechende Seiten von A B C ebenfalls in jeweils drei gleiche Abschnitte. Die Strecken (A A 1), (A A 2), (B B 1), (B B 2), (C C 1) und (C C 2) bilden ein regelmäßiges Sechseck, dessen Zentrum mit dem Dreieckszentrum übereinstimmt. Aus Symmetriegründen schneiden sich die drei Hauptdiagonalen dieses Sechsecks in diesem Zentrum. Daraus folgt, dass die Urbilder dieser Diagonalen sich im Urbild des Zentrums schneiden, also ebenfalls konkurrent sind (übrigens ist dieses Urbild der Schwerpunkt des Dreiecks ABC). Aufgabe 5.24 Es seien C 1 (AB), A 1 (BC), B 1 (CA) Punkte auf den Seiten eines Dreiecks ABC. Ferner seien C 2, A 2 B 2 weitere Punkte auf den entsprechenden Seiten mit AC 1 = C 2 B, BA 1 = A 2 C und CB 1 = B 2 A. Zeigen Sie, dass die Dreiecke A 1 B 1 C 1 und A 2 B 2 C 2 inhaltsgleich sind, d. h. dass A 1 B 1 C 1 = A 2 B 2 C 2 gilt.

5.2 Affine Abbildungen 107 Lösung Da die Behauptung offensichtlich affin invariant ist, ist es hinreichend, sie für ein gleichseitiges Dreieck mit der Seitenlänge 1 zu beweisen. Es sei also AB = CA = BC = 1. Wir bezeichnen Es ist AC 1 = a, BA 1 = b und CB 1 = c. A 1 B 1 C 1 = ABC AC 1 B 1 BA 1 C 1 CB 1 A 1 3 = ABC [a (1 c) + b (1 a) + c (1 b)] 4 3 = ABC [a + b + c ac bc ab]. 4 Analog gilt A 2 B 2 C 2 = ABC AC 2 B 2 BA 2 C 2 CB 2 A 2 3 = ABC [c (1 a) + a (1 b) + b (1 c)] 4 3 = ABC [a + b + c ac bc ab]. 4 Daraus erkennt man sofort, dass A 1 B 1 C 1 = A 2 B 2 C 2 ist. Lösen Sie Aufgabe 5.19 durch Anwendung von affinen Abbildun- Aufgabe 5.25 gen. Lösung Da die Behauptung affin invariant ist, ist es hinreichend, sie für ein gleichseitiges Dreieck ABC zu beweisen. In diesem Fall sind aber offensichtlich B 1 AC 1, CB 2 A 2 und A 1 C 2 B kongruente gleichseitige Dreiecke, was die Relation BC 2 A 1 = BAC = 60 impliziert. Aufgabe 5.26 Es sei E eine Ellipse und l 0, l 1,..., l n 1 beliebige Geraden. Zu einem auf E beliebig gewählten Punkt A 0 wird eine Folge von Punkten A 0, A 1, A 2,... auf der Ellipse E wie folgt rekursiv konstruiert: der Punkt A i+1 wird für jede ganze Zahl i 0 als der von A i verschiedene Punkt bestimmt, in dem die Parallele zu l i mod n durch A i die Ellipse E schneidet. (Hierbei bedeutet i mod n den Rest der Zahl i bei Division durch n.) Zeigen Sie, dass stets A 2n = A 0 gilt Lösung Da die Behauptung affin invariant ist, reicht es aus, sie für einen kreisförmigen Teich zu beweisen. Diesen Beweis haben wir aber schon in Aufgabe 5.18 in der wir eine nicht so trockene Einkleidung der Fragestellung gewählt hatten geführt.

108 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen Aufgabe 5.27 a) Es sei T eine affine Abbildung. Angenommen, es gibt ein Dreieck ABC, dessen Bild A B C bei der Abbildung T zu ABC ähnlich ist. Zeigen Sie, dass T eine Ähnlichkeitsabbildung ist. b) Es sei T eine affine Abbildung. Ferner sei T winkeltreu. Zeigen Sie, dass T eine Ähnlichkeitsabbildung ist. Lösung a) Es sei T 0 eine Ähnlichkeitsabbildung, die ABC in A B C überführt. Dann ist T (A) = T 0 (A), T (B) = T 0 (B) und T (C) = T 0 (C). Die zwei affinen Abbildungen T und T 0 stimmen also in den Bildern dreier nichtkollinearer Punkte überein. Dann sind diese Abbildungen gleich: T = T 0. b) Wir betrachten ein gleichseitiges Dreieck ABC. Da T winkeltreu ist, ist das Bild A B C ein ebenfalls gleichseitiges Dreieck; damit kommen wir zum Punkt (a). Aufgabe 5.28 Es sei T eine affine Abbildung. Ferner sei das Bild K eines bestimmten Kreises K ebenfalls ein Kreis. Zeigen Sie, dass T eine Ähnlichkeitsabbildung ist. Lösung Wir betrachten einen Durchmesser AB von K, vgl. Abbildung 5.25. Für jede Sehne A 1 B 1, die parallel zu (AB) ist, gilt: (A 1 B 1 ) (AB) und A 1B 1 < A B (letzteres wegen A 1B 1 : A B = A 1 B 1 : AB, da bei affinen Abbildungen Streckenverhältnisse auf parallelen Geraden invariant bleiben). Daraus folgt, dass die Strecke A B für den Kreis K ebenfalls ein Durchmesser ist. Das Zentrum O des Kreises K wird damit auf das Zentrum O von K abgebildet, da O der Mittelpunkt der Strecke AB und O der Mittelpunkt der Strecke A B ist. Bezeichnen wir mit λ = O A / OA das Verhältnis der Radien der Kreise K und K, dann gilt für jeden Punkt X auf K : O X = λ OX. Betrachten wir nun zwei beliebige Punkte Y und Z. Es gibt einen Radius OX des Kreises K mit (Y Z) (OX). Es folgt: Y Z Y Z = O X OX = λ. Das ist aber die Eigenschaft, die eine Ähnlichkeitsabbildung kennzeichnet.

5.2 Affine Abbildungen 109 Bild 5.25: Wenn ein Kreis in einen Kreis übergeht, dann ist die Affinität eine Ähnlichkeitsabbildung Bild 5.26: Ebene axiale Affinität Aufgabe 5.29 Es sei g eine Gerade, p ein Vektor, der nicht kollinear ist zu g ist und k R\ {0} eine reelle Zahl. Man definiere eine ebene axiale Affinität T wie folgt: Für jeden X R 2 sei X 1 g die Projektion von X auf g in der Richtung parallel zu p. Dann definiert man T (X) = X 1 + k X 1 X. a) Beweisen Sie, dass T eine affine Abbildung ist. b) Wie ändert sich der Flächeninhalt einer Figur bei dieser Transformation? c) Wann ist T gleich- bzw. gegensinnig? Lösung a) Betrachten wir drei kollineare Punkte A, B und C. Ist (AC) g, so ist A B = AB und B C = BC, siehe Abbildung 5.27a. Also sind die Punkte A, B und C kollinear und es gilt A B AB = B C BC = 1. Schneiden sich die Geraden (AC) und g (siehe Abbildung 5.27b), so folgt die Kollinearität der Punkte A, B und C und die Relation A B AB = B C BC aus dem 1. Strahlensatz.

110 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen (a) Zu g parallele Gerade (b) Gerade, die nicht parallel zu g ist Bild 5.27: Geraden gehen in Geraden über. b) Wir wissen, dass das Verhältnis der Flächeninhalte F (M ) : F (M) für alle Figuren gleich ist. Betrachten wir das Parallelogramm ABCD mit A, B g und (AD) p. Dann ist A = A, B = B und (A D ) p. Also ist ABCD A B C D = A D = k. AD c) Es sei das Parallelogramm ABCD aus (b) gegen den Uhrzeigersinn orientiert. Ist k > 0, so ist A B C D genauso orientiert. Für k < 0 ist die Orientierung umgekehrt. Also: für k > 0 ist T gleichsinnig, für k < 0 ist T gegensinnig. Aufgabe 5.30 Spezialfall des Satzes von Desargues Sind die Verbindungsgeraden entsprechender Ecken zweier Dreiecke parallel, also (AA 1 ) (BB 1 ) (CC 1 ), so sind die Schnittpunkte entsprechender Seiten kollinear. Lösung Wir beweisen den Satz durch räumliche Deutung des Bildes 5.28. Dazu betrachten wir das Bild als Zeichnung der Parallelprojektion von der Originalebene Bild 5.28: Satz von Desargues, räumlich gesehen E = (ABC) auf die Zeichenebene E 1 = (A 1 B 1 C 1 ) mit Projektionsrichtung p (AA 1 ) (BB 1 ) (CC 1 ). Diese Projektion ist eine affine Abbildung von E auf E 1 und wird auch als axiale Affinität bezeichnet.

5.2 Affine Abbildungen 111 Das Dreieck A 1 B 1 C 1 ist die Projektion des Dreiecks ABC. Offensichtlich ist (AC) E, (A 1 C 1 ) E 1 und damit B 2 = (AC) (A 1 C 1 ) E E 1 = g (wir bezeichnen mit g die Schnittgerade E E 1 ). Analog ist A 2 = (CB) }{{} E (C 1 B 1 ) }{{} E 1 g und C 2 = (AB) }{{} E (A 1 B 1 ) g. }{{} E 1 Also sind die drei Schnittpunkte A 1, B 1 und C 1 kollinear: sie liegen auf der Schnittgeraden g der Ebenen E und E 1. Bemerkung Anders ausgedrückt ist g die Achse einer ebenen axialen Affinität, die ABC in A 1 B 1 C 1 abbildet. Mit der nächsten Aufgabe unternehmen wir einen kurzen Ausflug in die projektive Geometrie. Aufgabe 5.31 Satz von Desargues Sind die Verbindungsgeraden entsprechender Ecken zweier Dreiecke konkurrent: (AA 1 ) (BB 1 ) (CC 1 ) = O, so sind die Schnittpunkte entsprechender Seiten kollinear. Lösung Wir beweisen diesen Satz ebenfalls durch räumliche Deutung des Bildes 5.29. Interpretieren wir OA 1 B 1 C 1 als Zeichnung eines Tetraeders, dann ist ABC der ebene Schnitt dieses Tetraeders mit einer Schnittebene E. Sei E 1 = (A 1 B 1 C 1 ) Bild 5.29: Satz von Desargues

112 5 Anwendungen geometrischer Abbildungen die Grundebene des Tetraeders. Genauso wie in der obigen Aufgabe schließen wir: sowie B 2 = (CA) }{{} E A 2 = (CB) }{{} E (C 1 A 1 ) }{{} E 1 E E 1 = g, (C 1 B 1 ) }{{} E 1 g und C 2 = (AB) }{{} E (A 1 B 1 ) g. }{{} E 1 Also sind die drei Schnittpunkte A 1, B 1 und C 1 kollinear. Bemerkung Die Punktprojektion E E 1, die X nach X 1 abbildet, so dass O, X und X 1 kollinear sind, ist keine affine, sondern eine projektive Abbildung.