Prof. Dr.-Ing. Bruno O. Braun Präsident des VDI Verein Deutscher Ingenieure Rede zur Eröffnung der VDI-Veranstaltung Chancen von Bologna nutzen: Wie verändern sich die Rollen von Universitäten und Fachhochschulen bei der Ingenieurausbildung? 19. Oktober 2011 Hotel Adlon Kempinski, Berlin Es gilt das gesprochene Wort. 1
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Dr. Schütte, sehr geehrte Frau Ministerin Prof. Wanka, sehr geehrte Frau Prof. Wintermantel, sehr geehrter Herr Prof. Marquardt, sehr geehrter Herr Deppen, sehr geehrter Herr Dr. Fuchs, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist mir eine große Freude, sie zum heutigen VDI-Symposium Chancen von Bologna nutzen begrüßen zu dürfen. Über zehn Jahre Bologna-Reform waren Anlass für den VDI, Zwischenbilanz zu ziehen und verbleibende Herausforderungen anzusprechen. Gemeinsam mit Vertretern aller Hochschultypen, Unternehmenspraktikern und Studierenden haben wir unsere Analysen und Empfehlungen gebündelt in der VDI-Stellungnahme Chancen von Bologna nutzen: Ingenieurinnen und Ingenieure für die Zukunft ausbilden. Diese finden Sie in Ihren Unterlagen zur Veranstaltung. Wir wollen damit neue Anregungen geben, wie die Umsetzung der Bologna-Reform nachhaltig erfolgreich fortgesetzt werden kann. Vieles wurde bereits geschafft. Bei den Ingenieurstudiengängen sind mittlerweile 94 Prozent auf das zweistufige System von Bachelor und Master umgestellt. Das Erreichte darf allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass es weiterhin noch viel zu tun gibt. Manche Entwicklungen müssen intensiv überdacht werden. Wir möchten heute mit Ihnen einen Aspekt besonders thematisieren, der für die Hochschullandschaft und insbesondere die Ingenieurausbildung von großer Bedeutung ist. Es geht uns um die Veränderung der Rollen von Universitäten und Fachhochschulen im Zuge der Bologna-Reform. 2
Die Ingenieurwissenschaften stellen insofern eine Besonderheit dar, als dass ihre Absolventen sowohl an Universitäten als auch an den Fachhochschulen ausgebildet werden. Die unterschiedlichen Profile dieser beiden Hochschultypen haben viel zur Qualität der Ingenieurausbildung insgesamt in unserem Land beigetragen. Ingenieure beider Hochschultypen werden heute in hoher Zahl in der betrieblichen Praxis wie in der Forschung gebraucht. Der VDI beobachtet jedoch mit Sorge, dass diese erfolgreiche Profilbildung durch die zunehmende Angleichung von Fachhochschule und Universität in Gefahr gerät. Die Politik hat die beiden Hochschultypen einander angenähert, in dem sie beispielsweise ihre Abschlüsse Bachelor und Master gleich gestellt hat. Nicht zuletzt hierdurch stellen heute einen immer stärkeren Angleichungswettbewerb zwischen den Hochschultypen fest. Dabei richten sich die Fachhochschulen zunehmend am Leitbild Universität aus. Sie übernehmen von letzteren auch deren Kriterien der akademischen Exzellenz. Problematisch ist dabei, dass in den Fachhochschulen zwangsläufig das eigentlich erfolgreiche Profil der Praxisorientierung an Gewicht verliert. Auch die Universitäten verstärken nicht zuletzt durch die Exzellenzinitiative die Konzentration auf rein akademische Ziele. Die Kooperationen mit Unternehmen, zum Beispiel bei Studien- und Abschlussarbeiten, verlieren an Gewicht. Der berufsqualifizierenden Bachelorausbildung messen viele Universitäten nur eine stark untergeordnete Bedeutung bei. Manche formulieren als eigentliches Aus- 3
bildungsziel explizit den Masterabschluss, möglichst sogar noch mit Promotion. Beide Hochschultypen konzentrieren sich unter dem Wettbewerbsdruck stärker auf die Wissenschaft und weniger auf die Praxiskompetenz. Für die Beibehaltung und Stärkung des Industriestandorts Deutschland ist diese Entwicklung problematisch. Meine Damen und Herren, aus Sicht des VDI sollten die Hochschulen auch künftig beides anbieten: wissenschaftliche Exzellenz und Vorbereitung auf die betriebliche Praxis. Sowohl das stärker auf die Wissenschaft als auch das auf die betriebliche Praxis ausgerichtete Ausbildungsprofil sollte beibehalten werden, anstatt die Unterschiede zwischen diesen zu verwischen. Den Fachhochschulen empfiehlt der VDI deshalb, entsprechend ihrer Traditionen auf ihre besonderen Stärken zu setzen. Statt der Wissenschaftsorientierung der Universitäten nachzueifern und das Promotionsrecht einzufordern, sollten sie gerade im Ingenieurbereich ihre Anwendungsorientierung bewahren und ausbauen sowie Angebote der berufsbezogenen Weiterbildung entwickeln. Den Universitäten empfiehlt der VDI, trotz aller notwendigen und wichtigen Forschungsorientierung, es auch als ihre Aufgabe zu verstehen, Bachelor-Absolventen für eine qualifizierte Beschäftigung auszubilden. Ebenso sollten sie exzellenten Masterabsolventen von Fachhochschulen die Möglichkeit kooperativer Promotionen bieten. Meine Damen und Herren, der VDI fordert alle Akteure auf, die Chancen des Bologna- Prozesses zu nutzen. Denn er bietet den Hochschulen weitere Möglichkeiten, im Rahmen der Neugestaltung ihrer Studienangebote zusätzliche Studierende zu gewinnen. 4
So besteht erhebliches Potenzial, mehr Frauen für das Ingenieurstudium zu gewinnen und mit kürzeren, berufsqualifizierenden Bachelor-Studiengängen auch so genannte Bildungsaufsteiger besser anzusprechen. Wir müssen es schaffen, die Breite der Interessen und Talente junger Menschen mit der Bedarfsbreite der Wirtschaft zusammenzuführen. Ein weiteres zentrales Anliegen aller Akteure muss es sein, den Studienerfolg wesentlich zu steigern. Vor dem Hintergrund des wachsenden Ingenieurmangels ist eine Abbruchquote von 30 bis 50 Prozent bei den Ingenieurwissenschaften untragbar. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte meine wesentlichen Punkte noch einmal kurz zusammen: Der VDI sieht erhebliche Chancen in der Bologna-Reform für die Hochschulen wie für die Ausbildung der Ingenieure. Die derzeitige Angleichung der Profile von Fachhochschulen und Universitäten sowie die Verwissenschaftlichung der Ingenieurausbildung setzen falsche Prioritäten. Fachhochschulen und Universitäten sollten sich jeweils auf ihre erfolgreich etablierten und unterschiedlichen Rollen besinnen und diese weiter stärken. Die Ausbildung einer ausreichenden Anzahl von Ingenieurinnen und Ingenieuren für die betriebliche Praxis wird auch künftig ein entscheidender Erfolgsfaktor für den Industriestandort Deutschland bleiben. Sie muss deshalb weiterhin eine vordringliche Aufgabe der Hochschulen bleiben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. 5