Verbraucherschutz auf Finanzmärkten Mit der Bereitstellung des Milliarden-Rettungspakets hat die Bundesregierung einen ersten richtigen Schritt zur Wiederherstellung des Vertrauens in die Finanzmärkte getan. Vertrauensbildung kann sich nach Ansicht der Verbraucherzentrale NRW jedoch nicht allein darauf beschränken, dass der Staat finanzielle Garantien für Banken übernimmt, sondern vielmehr muss auch das Vertrauen der Kunden nachhaltig gestärkt werden. Ein verbesserter rechtlicher Verbraucherschutz, eine verbraucherorientierte Finanzaufsicht sowie der bedarfsgerechte Ausbau anbieterund produktunabhängiger Beratung und Information sind hierbei die zentralen Eckpfeiler, um Vertrauensbildung bei Verbraucherinnen und Verbrauchern zu befördern. Im Einzelnen hat die Verbraucherzentrale NRW elf Forderungen für Verbesserungen im Verbraucherschutz formuliert. 1. Zukunftssichere Gestaltung der Einlagensicherung (a) Die Neugestaltung der Einlagensicherung hat an vier Punkten anzusetzen: (b) (c) (d) Gesetzliche Einlagensicherung: Der EU-rechtlich geregelte Mindestschutz ist von derzeit 20.000 Euro auf wenigstens 50.000 Euro anzuheben, für 100% der Anlagen und zwar unbefristet. Zusätzlich muss das EU-Recht dahingehend abgeändert werden, dass Verbraucher im Entschädigungsfall ihre gesetzlich gesicherte Einlage binnen maximal fünf Werktagen ausgezahlt bekommen so beispielsweise die dänische Regelung. Die derzeit geltende EU-Regelung, die eine Auszahlung bis zum Ablauf von neun Monaten gestattet, ist nicht zumutbar. Freiwillige Einlagensicherungssysteme der Bankenverbände: Die Einlagensicherungsfonds müssen krisenfest gestaltet werden. Für alle Marktteilnehmer muss erkennbar sein, dass Einlagen im Insolvenzfall einer Bank oder mehrerer Institute tatsächlich geschützt sind. Die Banken sind zu verpflichten, den Nachweis der Krisenfestigkeit zu erbringen beziehungsweise den Nachweis der Nachbesserung im Bedarfsfall. Der Bundesanstalt für Finanzaufsicht sind entsprechende Kontrollbefugnisse einzuräumen. Garantieerklärung der Bundesregierung: Die politische Willenserklärung ist in eine rechtlich verbindliche, das heißt auch durchsetzbare Erklärung zu übertragen. Schon jetzt zeigt sich, dass eine staatliche Garantieerklärung ohne gesetzliche Konkretisierung die Spekulation um die Auslegung ihres Geltungsbereichs anheizt und damit das Ziel verfehlt, Vertrauen bei den Verbrauchern wiederherzustellen. Garantieerklärung der europäischen Staaten: Die europäischen Staaten müssen vorsorglich eine Erklärung zur Einlagensicherheit von grenzüberschreitenden Geldeinlagegeschäften abgeben. Der Fall der isländischen Kaupthing Bank beweist die Unsicherheit darüber, ob das Einlagensicherungssystem eines Landes auch für Bürger eines anderen europäischen Staates gilt, die in ihrem Land bei einer Repräsentanz der ausländischen Bank Gelder angelegt haben. Diese Unsicherheit wird sich rasch aus- 13.10.2008 1
dehnen und in einem irrationalen Geldabzug münden, sollten weitere in Schieflage geratene Banken unter ein ähnliches Moratorium gestellt werden wie die Kaupthing Bank. 2. Einführung einer verpflichtenden Produktkennzeichnung und Produktkontrolle Für Finanzprodukte ist eine verpflichtende Kennzeichnung einzuführen. Dieses Label soll Verbrauchern auf einen Blick eine zusammenfassende Verbraucherinformation zu allen Schlüsselparametern eines Finanzprodukts geben wie dessen Kosten, Verfügbarkeit und Risiken. Alle bisherigen Bestrebungen, die Transparenz, Verständlichkeit und Vergleichbarkeit von Finanzprodukten herzustellen, sind gescheitert. Gesetzliche Bestimmungen werden häufig ignoriert oder so ausgelegt, dass die Transparenz auf der Strecke bleibt. Wer nicht gut informiert ist, kann nicht gut entscheiden. Fehlende Vergleichbarkeit verhindert den Wettbewerb. Wo Risiken verschleiert werden, sind kostspielige Fehlentscheidungen die Folge. Ähnlich wie beim Energielabel für Haushaltsgeräte oder der geforderten Nährwertampel für Lebensmittel würden Verbraucher mit einer solchen Kennzeichnung zudem lernen, auf was es bei Finanzdienstleistungen ankommt. Die Einführung eines solchen Labels muss flankiert werden von einer effektiven Produktkontrolle. Die Einhaltung sämtlicher Informationspflichten ist kontinuierlich quantitativ und qualitativ zu überwachen, zum Beispiel durch von unabhängigen Experten der Verbraucherzentralen ausgewertete verdeckte Test-Beratungen. 3. Genehmigungspflicht für neue Finanzprodukte Bevor neue Finanzprodukte auf den Markt gelangen können, sind sie einer Zulässigkeitskontrolle zu unterziehen. Hierbei ist zu analysieren und zu bewerten, für welche Anlegergruppen sich das Produkt eignet und für welche Anlegergruppen ein Vertriebsverbot gelten soll. Ein solches Verbot gilt etwa bereits für den Vertrieb der risikobehafteten Einzel- Hedgefonds an Privatanleger es ist entsprechend auszudehnen. 4. Ausdehnung der persönlichen Haftung für unrichtige Kapitalmarktinformationen Vorstände, Aufsichtsräte und Leitungsorgane von Finanzdienstleistungsinstituten müssen persönlich für unrichtige Kapitalmarktinformationen und grobe Managementfehler haften, die für Kursrückgänge ursächlich sind. Diese Haftungsregelung hat bereits der Entwurf für das sogenannte Kapitalmarktinformationshaftungsgesetz (KapInHaG) vorgesehen, den das Bundesfinanzministerium im Jahr 2004 auf Druck der Anbieter zurückgezogen hat. Der Regelungsvorschlag ist umgehend wieder aufzugreifen. 5. Ermöglichung durchsetzbarer Schadensersatzansprüche wegen Falschberatung Die bislang allein im Verhältnis Bankberater zu Finanzaufsicht bestehende Dokumentationspflicht des Beratungsgespräches mit einem Kunden ist um eine Dokumentationspflicht gegenüber dem Kunden zu erweitern. Damit eine solche Pflicht nicht durch Verklausulierung und Standardisierung zum Nachteil der Verbraucher instrumentalisiert werden 13.10.2008 2
kann, ist angelehnt an das Versicherungsvertragsgesetz zu regeln, dass der Bankberater im Dokumentationsbogen in eigenen, einfachen und verständlichen Worten die Risiken des Anlageprodukts beschreiben und begründen muss, warum er dem Verbraucher das Produkt empfohlen hat. Die Beweislast ist umzukehren. Berater und Vermittler haben die Richtigkeit der Finanzberatung zu beweisen und nicht wie jetzt der Verbraucher die Falschberatung. Die geltende dreijährige Verjährungsfrist ist auf die zivilrechtlich übliche Verjährungsfrist von zehn Jahren zu verlängern. Verbrauchern ist es angesichts komplexer Produktstrukturen mit langem Anlagehorizont binnen drei Jahren nicht möglich, die erforderlichen rechtlichen Schritte zum Nachweis eines durch Falschberatung erlittenen Schadens rechtzeitig einzuleiten. Kreditinstitute sollten Anlagen zurückkaufen müssen, die unter der Vorspiegelung falscher Produkteigenschaften an den Kunden gebracht wurden. Die US-Börsenaufsicht hat u. a. die Deutsche Bank im August gezwungen, sogenannte ARS-Anleihen in einem Volumen von 1 Mrd. $ von Privatkunden zurückzukaufen, weil diese nicht richtig über das Produkt aufgeklärt wurden. Zusätzlich muss sie eine Strafe von 15 Mio. $ zahlen. Die UBS musste sogar Anleihen im Wert von 18,6 Mrd. $ zurückkaufen und 150 Mio. $ zahlen. 6. Gesetzlich geregelte Qualifikationsanforderungen an Finanzvermittler Die Anforderungen an Finanzvermittler, egal ob sie Anlagen, Versicherungen oder Kredite vermitteln, sind einheitlich gesetzlich zu regeln. Hierher gehören der Nachweis der ausreichenden Sachkunde, eine Registrierung, der Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung und die Pflicht zur Dokumentation der Vermittlungsgespräche. 7. Aufhebung der Trennung zwischen überwachtem und Grauem Kapitalmarkt Die bisherige Trennung zwischen überwachtem Kapitalmarkt und Grauem Kapitalmarkt ist aufzugeben. Alle Finanzmarktprodukte sind unabhängig von ihrer Funktionsweise und Struktur der staatlichen Kontrolle und spezifischen Produktanforderungen zu unterstellen. Zugleich sind klare Verhaltens- und Haftungsregeln für die Vermittlung dieser Kapitalanlagen zu definieren. Die jährlich amtlich bekannt werdenden Milliardenschäden infolge von vornherein unseriös konzipierten Kapitalanlagen und unseriösen Vertriebsstrukturen zeigen, dass sich der Gesetzgeber zur Kontrolle des Grauen Kapitalmarktes nicht auf die Regelungen zum Verkaufsprospekt beschränken kann. Ferner ist die Zusammenarbeit der Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden und der Verbraucherverbände zu forcieren. 8. Verbraucherorientierte Gestaltung der Finanzaufsicht Die ausnahmslose Geltung der Verschwiegenheitspflicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht muss so gelockert werden, dass Erkenntnisse der Aufsichtsbehörde zu Schadensfällen in ihren internen Prüfberichten zumindest prozessöffentlich gemacht werden können. Die geltende Verschwiegenheitspflicht verhindert die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, weil die geschädigten Verbraucher ohne den Prüfbericht nicht den Beweis der Falschberatung erbringen können. 13.10.2008 3
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat den Auftrag zu erhalten, die Öffentlichkeit zu warnen, wenn ihr Erkenntnisse über Missstände und gravierendes Fehlverhalten von Anbietern vorliegen. Nur ein Überwachen auch des Verhaltens der Branche gegenüber den Verbrauchern kann systematisch gefährliche Marktpraktiken aufklären. Verbraucherschutz ist Marktschutz. Die Erweiterung des Aufgabenbereichs erweitert die Eingriffsmittel der Aufsicht, was ihre Durchsetzungskraft stärkt und ihr Präventivwirkung verleiht. Die neuen Aufgaben sind im Kreditwesengesetz und im Wertpapierhandelsgesetz zu verankern. 9. Verbindliche Verankerung der Finanziellen Bildung in Schulcurricula In den Lehrplänen der Schulen ist die Pflicht zur Finanz- und Wirtschaftsbildung zu verankern. Die Wirtschafts- und Konsumkompetenz ist durch effektive Bildungsprogramme zu verbessern. Bildungslücken in Finanzfragen können gravierende individuelle, soziale und gesamtwirtschaftliche Negativfolgen haben, wie es die Fälle mangelnder oder falscher Risikoabsicherung zeigen, die Fälle unzureichender finanzieller Vorsorge, aber auch die Fälle mit Schwierigkeiten, die privaten Finanzen zu budgetieren oder gar der Überschuldung. In einem weiteren Schritt müssen entsprechende freiwillige Angebote in der Erwachsenenbildung ausgebaut werden. 10. Stärkung der anbieterunabhängigen Finanzberatung durch Verbraucherzentralen Die anbieterunabhängige Verbraucherberatung in Finanzdienstleistungen muss schnellstmöglich in der Fläche ausgebaut werden. In den für Verbraucher vermeintlich kostenlosen Beratungen der Finanzinstitute oder der mit ihnen kooperierenden Finanzvermittler erhalten Verbraucher systembedingt keine anbieterneutrale und oftmals auch nicht an ihrem individuellen Bedarf, Nutzen und ihrer Risikoneigung orientierte Beratung. Die von den Verbraucherzentralen angebotene Finanzberatung ist hingegen frei von eigenen Interessen. Sie genießt schon heute unter Verbrauchern hohes Vertrauen und wird entsprechend frequentiert. Folge: Wartezeiten, die sich unter dem aktuell akuten Nachfragedruck noch verlängern. Dieser Zustand ist Verbrauchern nicht zumutbar jeder Verbraucher braucht Zugang zu unabhängigem Rat. 11. Einsetzung eines Finanz-Watchdogs unter dem Dach des Verbraucherzentrale Bundesverbandes und der Verbraucherzentralen Unter dem Dach des Verbraucherzentrale Bundesverbandes und der Verbraucherzentralen ist ein sogenannter Finanz-Watchdog (Arbeitstitel) zu institutionalisieren. Seine Aufgabe ist es, die Interessen der Verbraucher aktiv gegenüber den Anbietern, der Aufsicht und dem Gesetzgeber zu vertreten. Dazu hat der Finanz-Watchdog unter anderem Qualitätskontrollen in den Finanzmärkten vorzunehmen, Erkenntnisse über Missstände an die Aufsicht weiterzugeben und diese zur Abhilfe aufzufordern. Auch die zielgruppenorientierte Verbraucheraufklärung und -beratung oder die Streitschlichtung gehören zu den Aufgaben. Um sicher zu stellen, dass die Finanzmärkte auch wieder im Sinne der Verbraucher funktionieren, ist gerade eine Integration und Erweiterung der Finanzberatung der Verbraucher- 13.10.2008 4
zentralen und der politischen Interessenvertretung des Verbraucherzentrale Bundesverbandes angezeigt. Die Koordination der Aufgaben eines Finanz-Watchdogs bietet sich daher unter dem bewährten Dach des Bundesverbandes und der Verbraucherzentralen an. * * * 13.10.2008 5