Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Prof. Dr. Johanna Wanka, anlässlich der Beratung und Unterrichtung durch die Bundesregierung Berufsbildungsbericht 2014 am 22. Mai 2014 im Deutschen Bundestag Es gilt das gesprochene Wort!
1 Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir können stolz sein auf unser Ausbildungssystem. Die Jugendarbeitslosenquote in Deutschland liegt unter 8 Prozent. Nur Österreich hat ebenfalls eine einstellige Quote. Alle anderen europäischen Länder haben zum Teil sehr hohe zweistellige Quoten, wie wir wissen. Das hohe Qualifikationsniveau, das wir in Deutschland haben, ist ein großer Wettbewerbsvorteil. Zuletzt hat uns sogar die OECD dafür gelobt. Auch ausländische Wirtschaftsvertreter bestätigen uns das regelmäßig. In verschiedenen Ländern wird auch versucht, es in ähnlicher Weise zu machen. Die berufliche Ausbildung ist das Rückgrat unseres Wirtschaftssystems. Man darf es aber keinesfalls nur in volkswirtschaftlicher Hinsicht betrachten. Wir müssen auch sehen, dass jedem Einzelnen ein Berufsabschluss ein ganzes Leben lang nutzt. Er ist für seinen Lebensweg, für seine individuellen Perspektiven und für seine gesellschaftliche Teilhabe außerordentlich wichtig. Berufsbildung ist deswegen sowohl im Hinblick auf Bildungsgerechtigkeit als auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht sehr wichtig. Der Berufsbildungsbericht zeigt viel Positives. Er zeigt aber auch, dass wir wichtige Aufgaben zu lösen haben: Es zeigen sich schon jetzt Tendenzen hin zu einer Veränderung der Ausbildungsmarktsituation. Darauf haben wir zum Teil schon reagiert, wir müssen aber auch noch weiter daran arbeiten. Der Bericht zeigt deutlich auf, welche Punkte für unser Handeln in Zukunft sehr wichtig sind: Erstens. 2013 wurden weniger Ausbildungsverträge neu abgeschlossen als im Vorjahr und noch weniger als in den Jahren zuvor. Das Minus gegenüber dem Vorjahr beträgt 3,5 Prozent. Zweitens. Die Unternehmen haben zunehmend Probleme, geeignete Bewerber oder überhaupt Bewerber für ihre freien Ausbildungsplätze zu finden. Das heißt, wir haben in Deutschland im Moment einen Höchststand an unbesetzten Ausbildungsstellen. Drittens. Es gelingt trotzdem nicht, dass alle von der Schule direkt in die Ausbildung gehen. Wir haben über 20.000 unversorgte Bewerber. Viertens. Analog zu den eben genannten Punkten zeigen auch viele Untersuchungen, dass es zunehmend schwieriger wird, dafür zu sorgen, dass betriebliches Angebot und Nachfrage von Jugendlichen zusammenpassen. Dieses Matchingproblem stellt sich nach Beruf und auch nach Region sehr unterschiedlich dar; aber es ist ein generelles Problem.
2 Fünftens. Es zeigt sich im Bericht deutlich, dass immer weniger Betriebe ausbilden. Gemessen an der Zahl der Betriebe bilden nur knapp über 21 Prozent aus. Das ist prozentual der tiefste Stand an ausbildenden Betrieben seit 1990. Ein letzter Punkt, der die Berichte über dieses Thema in den Zeitungen sehr stark bestimmt: Die Zahl der Studienanfänger war 2013 zum ersten Mal höher als die Zahl derer, die eine berufliche Ausbildung begonnen haben. Wenn es uns nicht gelingt, entsprechend viele Facharbeiter auszubilden, kann das in den nächsten Jahren eine riesige Innovationsbremse für Deutschland sein. Wir werden deshalb in dieser Legislaturperiode die berufliche Ausbildung weiter stärken mit der Initiative Chance Beruf. Der Qualitätsmix, den wir auch immer im Verhältnis zwischen akademischer und beruflicher Ausbildung hatten, ist für Deutschland wichtig. Deswegen muss ein politischer Schwerpunkt sein, die Attraktivität der beruflichen Ausbildung zu stärken. Dabei geht es um Qualitätsverbesserung und Gleichwertigkeit. Formal ist die Gleichwertigkeit an vielen Stellen gegeben. In der Wahrnehmung der Menschen ist das aber noch nicht so. Das gilt für die jungen Menschen, aber vor allen Dingen auch für die Eltern und die Großeltern. Es ist deswegen wichtig, effektive Maßnahmen zu ergreifen, damit junge Menschen von der Schule direkt in die Ausbildung gehen und keine Umwege machen. Wir haben erfolgreiche Modelle erprobt. Aus dem, was wir erprobt haben und was sich bewährt hat, müssen wir dann den Regelfall machen. Als Beispiel nenne ich die Bildungsketten, um Schulabbrüche zu verhindern und die jungen Menschen für eine Berufsausbildung zu motivieren. Das sollte zum Teil durch Ehrenamtliche begleitet werden, um den Abschluss und den Berufseinstieg zu schaffen. Diese Bildungsketten sind sehr effektiv und werden überall geschätzt. Wir haben mit verschiedenen Ländern zum Beispiel Thüringen und Hessen schon Verträge geschlossen. Sie wollen das auch mit eigenen Mitteln in großem Maßstab entsprechend implementieren. An dieser Stelle eine Bemerkung zum Übergangssystem. Das Übergangssystem war wichtig und notwendig, als wir deutschlandweit viel zu wenige Ausbildungsplätze hatten. Die Länder haben sich mit großen finanziellen Mitteln daran beteiligt. Hunderttausende junger Leute waren in diesem Übergangssystem. Von 2005 bis jetzt ist es gelungen, die Zahl derer, die sich im Übergangssystem befinden, um ein Drittel zu reduzieren. Es gibt die Ansicht, das Übergangssystem abzuschaffen. Das halte ich für völlig verfehlt. Wir brauchen das Übergangssystem zum einen, um die Ausbildungsfähigkeit der Schulabbrecher zu sichern zum Glück sind es nur noch 5,9 Prozent und nicht mehr 12 Prozent. Zum anderen ermöglicht
3 das Übergangssystem jungen Leuten, notwendige Voraussetzungen zu erlangen. Sie können so beispielsweise, wenn sie Erzieher werden wollen, ein Praktikum absolvieren. Das heißt, wir brauchen ein Übergangssystem, das wirklich zur Ausbildung befähigt und dabei Unterstützung leistet. Weil die Länder dieses System in starkem Maße tragen, wollen wir vonseiten meines Hauses mit ihnen verhandeln, wie man es zurückbauen kann. Hier geht es ja auch um unbefristete Arbeitsplätze für Lehrer und anderes, was sich über die ganze Zeit entwickelt hat. Es geht aber nicht nur darum, die nicht so leistungsstarken Schüler in die Ausbildung zu bekommen, sondern auch darum, dass leistungsstarke Schüler eine Ausbildung beginnen, statt in die Hochschulen zu drängen. Auf keinen Fall kann man das durch einfache Verbote erreichen. Das funktioniert nicht. Die Zulassungsbeschränkung ist eine Möglichkeit der Steuerung. Nehmen Sie aber zum Beispiel den Studiengang Psychologie. Bundesweit gibt es an allen Hochschulen Zulassungsbeschränkungen. Der Effekt ist, dass nun in Innsbruck heftig darüber diskutiert wird, dass 90 Prozent derjenigen, die dort Psychologie studieren, Deutsche sind. Einfach zu beschränken, heißt also nicht, dass sie dann entsprechend eine Ausbildung beginnen. Es muss also insgesamt deutlich gemacht werden, dass jeder nur dann ein Studium beginnen soll, wenn er die Chance hat, es wirklich erfolgreich abzuschließen, und es muss dafür gesorgt werden, dass nicht so viele nur aus Statusgründen ein Hochschulstudium aufnehmen. Was wir dafür tun können, ist, die Durchlässigkeit zu erhöhen, sodass man mit einer guten beruflichen Ausbildung an die Hochschule gehen kann, sodass aber auch die, die abbrechen, von der Wirtschaft als kluge junge Leute gut aufgenommen werden. An dieser geringen Durchlässigkeit waren wir zum Teil selbst Schuld. Viele Jahre galt in Deutschland die These: Bei uns ist das Abitur die allgemeine Hochschulzugangsberechtigung und nichts anderes. Das ist jetzt rechtlich aufgebrochen. Damit funktioniert es aber nicht ohne weiteres. Ich appelliere auch an die Betriebe, bei den Ausbildungsanstrengungen nicht nachzulassen. Den Rückgang der Ausbildungsplatzangebote haben wir nicht bei den großen und mittleren Unternehmen, sondern vor allen Dingen bei den kleinen Firmen zu verzeichnen. Zum Teil ist das auf die Frustration zurückzuführen, dass sie jahrelang keine Auszubildenden gefunden haben. Deswegen ist ein Schwerpunkt unserer Arbeit, gerade die kleinen und mittleren sowie von Migranten geführten Unternehmen dazu zu befähigen, dass sie Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Im Rahmen von Jobstarter wollen wir bald eine neue Initiative verkünden.
4 Meine Damen und Herren, die Initiative Chance Beruf hat viele Komponenten, die hier nicht alle erwähnt werden können. Die vor uns liegenden Herausforderungen werden wir mit der nationalen Allianz für Aus- und Weiterbildung, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, thematisieren und anpacken. Wir brauchen übergreifende Lösungsansätze, um einen systematischen Effekt zu erzielen und nicht in diesen Engpass zu geraten, vor dem uns allen graut. Alle, die an diesem Berufsbildungssystem beteiligt sind, müssen sich aktiv einbringen. Wir wollen dafür sorgen, dass jeder in diesem Land eine Chance hat und von dem System profitieren kann. Deshalb gibt es dieses umfassende Bildungspaket. Damit wird es uns gelingen, die berufliche Ausbildung zukunftsfähig zu machen. Vielen Dank.