Arbeitszeitbetrug und Abmahnungserfordernis. Zum Urteil des BAG vom 9.6.2011 (2 AZR 381/ 10)



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Transkript:

Arbeitszeitbetrug und Abmahnungserfordernis. Zum Urteil des BAG vom 9.6.2011 (2 AZR 381/ 10) Jürgen Jendral (HMAV) Vorwort. Vor dem Beginn der Industrialisierung, die nach Auffassung von Karl Marx die Menschen von der Arbeit entfremdete, bestimmte die Sonne weitgehend Anfang und Ende der täglichen Arbeitszeit der Menschen. Mit Beginn der Industrialisierung wurde der Begriff der Arbeitszeit dem Diktat der Uhren unterstellt. Arbeitszeiten wurden minutengenau erfasst und mit den jeweiligen Maschinenlaufzeiten synchronisiert. Die Arbeiter in den Fabriken mussten sich einer strengen Kontrolle und Überwachung ihrer Arbeitszeiten unterwerfen. Arbeitszeit orientierte sich nicht an den Menschen, die Arbeit verrichteten, sondern an den profitorientierten Taktungsvorgaben der Maschinen. 1879 konstruierte Richard Bürk aus Schwenningen den sogenannten Arbeiter-Kontrollapparat, zur Überwachung der Arbeitszeit, der beim Kaiserlichen Patentamt unter der Nr. 9774 als Patent eingetragen wurde. Dies war die Geburtsstunde der Stechuhr. In der Folgezeit wurden nach und nach viele mechanische, manuelle und elektronische Zeiterfassungssysteme zur Kontrolle der individuellen Arbeitszeit entwickelt. Ihr gemeinsamer Zweck war und ist die genaue Überwachung der Erbringung der dem Arbeitgeber vom Arbeitnehmer arbeitsvertraglich geschuldeten quantitativen Arbeitszeit. Kontrolliert und überwacht wird die somit die Anwesenheitszeit. Was solche Systeme in Verwaltungen oder ähnlichen Organisationen (beispielsweise in kirchlichen Dienststellen) nicht kontrollieren können, ist die qualitative Dimension der Arbeitszeit. Man kann ein elektronisches Zeiterfassungssystem um sechs Uhr passieren oder seine Anwesenheit ab sechs Uhr korrekt in seinen Gleitzeitbogen eintragen. Was jedoch, wenn dann im Büro erst mal Kaffee gekocht und die Zeitung gelesen wird? Ist dies nicht auch eine Form von Arbeitszeitbetrug? Seite 1 von 8 1

Dies lässt sich jedoch mit den meisten gängigen Systemen nicht erfassen! Eintragungen in Gleitzeitbögen beispielsweise oder ihnen entsprechende elektronische Systeme erfassen nur die quantitative Anwesenheitszeit. Sie sagen nichts über das aus, was in welchem Umfang als Arbeitsleistung erbracht wurde. Erfasst werden kann dies nur im produzierenden Bereich, bzw. im Bereich von Fertigungsstrassen, also im Bereich der Fließbandarbeit. Wenn dort um sechs die Schicht beginnt um bei meinem Beispiel zu bleiben- fällt es sofort auf, wenn der Arbeitnehmer erst um halb sieben Uhr erscheint. Der Arbeitnehmer kann beim pünktlichen Erscheinen am Arbeitsplatz um sechs Uhr auch nicht zuerst Kaffee kochen oder seine Zeitung lesen. Er ist sofort in den Produktionsprozess (qualitativ) eingebunden und gleichzeitig findet eine laufende Qualitätskontrolle seiner Arbeit statt. Wenn wir von Arbeitszeitbetrug sprechen, dann reden wir in der Regel über einen quantitativen Arbeitszeitbetrug, also von einer bewusst falsch dargestellten Anwesenheitszeit. Ein Arbeitnehmer kommt beispielsweise um halb sieben Uhr und trägt als Arbeitsbeginn sechs Uhr in seinen Gleitzeitbogen ein. Juristisch gesehen ein klarer Fall von Arbeitszeitbetrug! Doch was, wenn dieser Arbeitnehmer sofort mit seiner Arbeit beginnt, statt erst Kaffee zu kochen und die Zeitung einer genauen Durchsicht zu unterziehen. Sein qualitatives Arbeitsergebnis wäre dann u. U. höher, als das des Kollegen, der um sechs Uhr im Büro ist, dies minutengenau in dem Arbeitszeit-Kontrollsystem vermerkt und so dann handelt, wie oben dargestellt. An diesem Beispiel wird die Zweideutigkeit des juristischen Begriffs Arbeitszeitbetrug deutlich. Wir haben uns einen Fächer flexibler Arbeitszeitmodelle wie Gleitzeit, Arbeitszeitkonten, Jahresarbeitszeitmodelle oder Ansparkonten für Sabbaticals oder vorzeitigen Ruhestand usw. geschaffen und erleben eine ständige Diskussion darüber, wie unsere Arbeitszeit noch mehr flexibilisiert werden kann, um die temporär benötigte Arbeitsleistung mit dem Arbeitsanfall perfekt -und leider oft zu Lasten der Arbeitnehmer- zu synchronisieren. Durch offenen oder verdeckten Arbeitsplatzabbau bzw. einer Zunahme der Aufgaben, die zu bewältigen sind, kommt es zu einer schleichenden Verdichtung der zu bewältigenden Arbeit. Seite 2 von 8 2

Gleichzeitig wird für viele Menschen ihre Arbeit immer sinnentleerter und ihre Identifikation mit ihrer Organisation oder ihrem Unternehmen (das so wichtige Zugehörigkeitsgefühl) und seinen ideellen Werten (so es solche überhaupt gibt und sie kommuniziert werden) nimmt ab. Über meist auch vorhandene Defizite im Führungs- und Leitungsverhalten erfolgt eine weitere Destabilisierung von Mitarbeitenden. Dass vor diesem Hintergrund auch einzelne Täuschungsversuche in Arbeitszeitsystemen zu Lasten des Arbeitgebers versucht werden, ist rechtlich ein Betrugstatbestand auf den reagiert werden muss und den ich nicht beschönigen will. Nur würde ich mir wünschen, dass beim Auftreten solcher Reaktionen weniger drastische rechtliche Exempel in Form von sofortigen fristlosen Kündigungen statuiert werden. Ich hätte gerne (kirchliche) Arbeitgeber, die den betroffenen Menschen, ihre eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten in Organisation und Führung und das rechte Maß ihres arbeitgeberseitigen Handelns differenzierter betrachten. Es könnte doch sein, dass ein klares offenes Gespräch und ggf. eine mildere Form der Sanktion, dem Arbeitnehmer helfen, sein Fehlverhalten zu korrigieren und gleichzeitig auch dem Arbeitgeber wertvolle Hinweise zum Nachdenken darüber geben, ob möglicherweise seine Organisation der Arbeit in der Dienststelle oder das Führungs- und Leitungsverhalten an dem einen oder anderen Punkt neu überdacht und ggf. verändert werden sollte. Nicht alles was juristisch korrekt erkannt wird (Betrugstatbestand) muss auch sofort arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Weniger Verrechtlichung der menschlichen Beziehungen am Arbeitsplatz und mehr miteinander reden, wenn Störungen im Arbeitsverhältnis auftreten, wäre die menschlichere Form des Umgangs. Die wünschen wir uns spätestens dann alle, wenn wir selbst einmal Betroffene sein sollten. Führen heißt fühlen, zu dieser Einsicht gelangen immer mehr aktive Führungskräfte, Wissenschaftler und Berater. Ich gehe noch einen Schritt weiter und konkretisiere dieses fühlen : Führen heißt Menschen zu lieben. (Daniel F. Pinnow, Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft, in Führen / Worauf es wirklich ankommt, Gabler Verlag). Eine solches Führungsverhalten könnte Urteile -wie die im folgenden besprochene Entscheidung- verhindern. Seite 3 von 8 3

Zum Urteil des BAG vom 9.6.2011-2 AZR 381/ 10- (NZA 2011,1027) Sachverhalt: Die Klägerin war bei dem Beschäftigten als Verwaltungsfachangestellte beschäftigt. Ihrem Arbeitsverhältnis lag ein Tarifvertrag zugrunde. Nach diesem Tarifvertrag war sie nur noch aus wichtigem Grund kündbar. In der Dienststelle, in der sie arbeitete, gibt es eine Dienstvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit. Mitarbeiter, die an dieser DV teilnehmen, können danach in der Zeit von 6 Uhr bis 22 Uhr Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit selbst bestimmen. Sie sind verpflichtet, Beginn und Ende der Anwesenheitszeit minutengenau zu dokumentieren. Dies geschieht mit einem elektronischen Zeiterfassungssystems mit Hilfe des PCs am Arbeitsplatz. In der DV ist auch geregelt, dass Mißbrauch und Manipulation der Gleitzeitregelung grundsätzlich disziplinarische bzw. arbeitsrechtliche Maßnahmen zur Folge haben. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin wegen Arbeitszeitbetrugs außerordentlich ( fristlos ). Zusammengefasst betrachtet ergab sich aus den im Prozess vom Arbeitgeber vorgelegten Unterlagen die Behauptung, die Klägerin hätte an sieben Arbeitstagen jeweils 13 Minuten, an einigen Tagen sogar mehr als 20 Minuten als Arbeitszeiten dokumentiert, obwohl sie noch nicht im Betrieb gewesen sei oder den Betrieb bereits verlassen hätte. Insgesamt ging es nach Feststellung des Gerichts- um eine Summe von 135 Minuten, die von der Klägerin als Arbeitszeit angegeben, aber nicht erbracht wurden. Die Klägerin machte geltend, dass sie glaubte, die Arbeitszeit beginne jeweils bereits dann, wenn sie die Parkplatzeinfahrt durchfahren habe. Weiter behauptete sie, es hätte keine Anweisung gegeben, dass maßgeblich für die Arbeitszeiterfassung die Uhr im Eingangsbereich sei. Sie hätte häufig sehr viel Zeit mit der Suche nach einem Parkplatz verbracht. Für 50 Mitarbeiter hätten nur 27 Parkplätze zur Verfügung gestanden. Seite 4 von 8 4

Aus der Urteilsbegründung des BAG: Das BAG bestätigte die außerordentliche ( fristlose ) Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Zur Begründung führte das BAG unter anderem aus, dass der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von 626 I BGB darzustellen. Dies gelte für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzliche falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei komme es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber müsse auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit der am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmer vertrauen können. Wenn er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst übertrage und wenn diese das dafür zur Verfügung gestellte Formular falsch ausfüllten, so stelle dies in der Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Zum Abmahnungserfordernis stellte das BAG u.a. fest: Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach der Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich auch für den Arbeitnehmer erkennbarausgeschlossen ist. Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Seite 5 von 8 5

Das Gericht befand, dass das auf Heimlichkeit angelegte, vorsätzliche und systematische Fehlverhalten der Klägerin besonders schwer wiegt. Deshalb so das BAG- erscheine die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage auch nach Ausspruch einer Abmahnung nicht mehr wiederherstellbar. Weiter wurde dazu ausgeführt, dass eine Hinnahme des vorsätzlichen und systematischen Verhaltens durch die Beklagte -auch für die Klägerin erkennbar- auf Grund der Schwere ihrer Pflichtverletzung unabhängig von einer Wiederholungsgefahr ausgeschlossen sei. Weitere Prüfung: Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist? Weiter prüfte das Gericht, ob bei der bestätigten außerordentlichen Kündigung eine Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist für den Arbeitgeber zumutbar wäre. Die längste ordentliche Kündigungsfrist hätte zwölf Monate zum Ende eines Kalendervierteljahres betragen. Aber auch hier wurde gegen die Klägerin entschieden: Auch die langjährige unbeanstandete Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut 17 Jahren, ihr Alter sowie die von ihr angegebene Unterhaltsverpflichtung für eine Person führen angesichts des mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruchs nicht zu einer Interessenabwägung zu ihren Gunsten. (...) Das Verschulden der Klägerin ist so erheblich, dass es der Beklagten nicht zuzumuten ist, das Arbeitsverhältnis für die Dauer der fiktiven Kündigungsfrist fortzusetzen. Seite 6 von 8 6

Nachwort. Eine Frau blickt auf eine Betriebszugehörigkeit von 17 Jahren zurück. In diesen 17 Jahren war ihr Arbeitsverhältnis nach Feststellung in dem Urteil- frei von Beanstandungen. Anders ausgedrückt, in der Sprache des BAG, die Klägerin hat in diesen 17 Jahren ein erhebliches Vertrauenskapital (wie es das BAG in der Emmely -Entscheidung nannte) erworben. Dann missbraucht sie das Vertrauen ihres Arbeitgebers und verwickelt sich in einen Betrug. Sie betrügt ihren Arbeitgeber um 135 Minuten Arbeitszeit. Das muss und darf der Arbeitgeber nicht hinnehmen. Das ist meine klare Auffassung dazu. Er muss reagieren, in seinem Interesse und im Interesse aller Beschäftigten! Nur, gehört ein solcher Fall wirklich vor ein Arbeitsgericht? Und wenn darüber vor dem Arbeitsgericht gestritten wird, bedarf es dann dieser Härte der höchstrichterlichen Rechtsprechung? Wirkt der Vertrauensbruch wirklich so schwer, wie es das BAG sieht, dass keine Abmahnung erforderlich ist, es also keine Chance für die Frau gibt, ihr Fehlverhalten in der Zukunft zu ändern? Gibt es wirklich keine mildernden Umstände, die zu einem Abmahnungserfordernis führen könnten? Und weiter, wenn man der Auffassung des BAG zur Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigung zustimmt, wirkt der Vertrauensbruch den die Klägerin begangen hat (die Störung des Arbeitsverhältnisses durch den Täuschungsversuch) wirklich so schwer, dass es nicht möglich ist, eine außerordentliche Kündigung mit einer sozialen Auslauffrist ( fiktive Kündigungsfrist, die der ordentlichen Kündigungsfrist des Tarifvertrages entspricht) zu gestalten? Mir ist unwohl bei der Lektüre dieser Rechtsprechung. Ich meine, dass in einem gut geführten Unternehmen ein solcher Fall auf der betrieblichen Ebene im Zusammenwirken der Führungs- und Leitungskräfte mit der betrieblichen Interessensvertretung und der Betroffenen anders gelöst werden kann, zum Beispiel dergestalt, dass die Betroffene abgemahnt wird und Sanktionen hinzunehmen hat, wie beispielsweise Herausnahme aus der Gleitzeitregelung und die Festlegung fester Arbeitszeiten, deren Einhaltung kontrolliert werden. Seite 7 von 8 7

So hätte die Arbeitnehmerin noch eine letzte Chance sich zukünftig zu bewähren und es wäre darüber hinaus auch ein klares Signal an alle Beschäftigten, dass ihr Arbeitgeber solche Verstöße zwar klar sanktioniert, sich aber dennoch durch die Wahl seiner getroffenen Maßnahmen seiner sozialen Verpflichtung bewusst ist, einem Menschen, der lange für ihn gearbeitet hat, eine zweite Chance zu geben. Die Fehler zu hassen, aber dennoch die Menschen zu lieben, diesen klugen Rat gab Benedikt von Nursia schon im Jahre 529 dem Abt (der Führungskraft eines Klosters) in seiner Regula Benedicti : Er hasse die Fehler, er liebe die Brüder. Muss er aber zurechtweisen, handle er klug und gehe nicht zu weit; sonst könnte das Gefäß zerbrechen, wenn er den Rost allzu heftig auskratzen will. Stets rechne er mit seiner eigenen Gebrechlichkeit. Er denke daran, dass man das geknickte Rohr nicht zerbrechen darf. Damit wollen wir nicht sagen, er dürfe Fehler wuchern lassen, vielmehr schneide er sie klug und liebevoll weg, wie es seiner Ansicht nach jedem weiterhilft. Er suche mehr geliebt, als gefürchtet zu werden. (RB 64, 11-15). In meinem Vorwort habe ich Ihnen auf Seite 3 Daniel F. Pinnow zitiert: Führen heißt fühlen, zu dieser Einsicht gelangen immer mehr aktive Führungskräfte, Wissenschaftler und Berater. Ich gehe noch einen Schritt weiter und konkretisiere dieses fühlen : Führen heißt Menschen zu lieben. Wer gut führt u n d Menschen liebt wäre mit dem beschriebenen und ausgeurteilten Sachverhalt (hoffentlich) anders umgegangen. Seite 8 von 8 8