BUNDESNETZAGENTUR 251 Projekt P72: Kreis Segeberg Lübeck Göhl Beschreibung Zweck des Projekts P72 ist die Erhöhung der Übertragungskapazität in Schleswig-Holstein und von Schleswig-Holstein in Richtung Süden. Insbesondere dient es der Integration von Leistung aus Onshore- Windanlagen in der Region Ostholstein sowie einer besseren Anbindung der nach Schweden führenden HGÜ-Verbindung Baltic Cable. Das Projekt P72 besteht aus den Maßnahmen M351, M49 und M50.
252 VORLÄUFIGE PRÜFUNGSERGEBNISSE Maßnahme M351: Raum Göhl Raum Lübeck Maßnahme M351 (Raum Göhl Raum Lübeck) wird derzeit vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse als bestätigungsfähig eingestuft. Beschreibung Im Rahmen dieser Maßnahme ist der Bau einer neuen 380 kv-leitung zwischen dem Raum Göhl und dem Raum Lübeck vorgesehen (Netzausbau). Im Raum Göhl und im Raum Lübeck ist jeweils eine 380 kv- Schaltanlage neu zu errichten (Netzausbau). Angestrebte Inbetriebnahme (laut ÜNB): 2021 Elektrotechnische Prüfung Die Begründung der Maßnahme M351 kann nicht durch eine Behebung einer (n-1)-verletzung im Übertragungsnetz erfolgen. Die Maßnahme begründet sich aus Überlastungen des Verteilnetzes (110 kv-ebene). Die Prüfung der Maßnahme M351 erfolgte daher anhand eines Datensatzes für Schleswig- Holstein, welcher in Zusammenarbeit von TenneT und dem Verteilnetzbetreiber HanseWerk AG erstellt wurde und sowohl das Übertragungsnetz als auch das Hochspannungsverteilnetz in Schleswig-Holstein detailliert abbildet. Sämtliche Einspeiseleistungen in der 110 kv-ebene wurden dabei so gesetzt, dass sie den Vorgaben des Szenarios B2024* entsprechen.
BUNDESNETZAGENTUR 253 Der bereitgestellte Datensatz belegt anhand zweier Netznutzungsfälle für die Stunde 846 und für die Stunde 5774 des Jahres 2024, dass ohne die Maßnahme M351 das bestehende Hochspannungsnetz (110 kv-netz) bereits im (n-0)-fall auf der Stecke zwischen Göhl, Scharbeutz und Siems stark überlastet sein wird. Bereits im (n-0)-fall würden Belastungen von über 140% auftreten. Daraus ergibt sich ein Bedarf an Netzausbau für die Region Ostholstein. Beide untersuchten Netznutzungsfälle weisen eine hohe Einspeisung aus Erneuerbaren Energien und einen Leistungsexport über das Baltic Cable, einer HGÜ-Verbindung zwischen Lübeck und Schweden, auf. Insgesamt wurden von TenneT und HanseWerk drei verschiedene Varianten einer integrierten Netzplanung von 110 kv- und 380 kv-netz vorgelegt, die auf den Eingangsparametern des Szenariorahmens beruhen. Eine Variante beinhaltet den 380 kv-netzausbau vom Raum Göhl in den Raum Lübeck (P72 M351). Die zwei anderen Varianten stellen hingegen den notwendigen Ausbaubedarf in Ostholstein dar, welcher sich durch einen reinen Ausbau der 110 kv-netzebene ergeben würde. Die beiden 110 kv-ausbau-varianten unterscheiden sich dadurch, dass in einer Variante die Leistung aus der Region um Göhl direkt Richtung Lübeck abgeführt wird, während die andere Variante eine Abführung der Leistung von Göhl nach Siems vorsieht. Im Unterschied zu der Variante mit 380 kv-netzausbau müsste das 110 kv-netz insbesondere zwischen der Region um Göhl und Cismar in Richtung Scharbeutz um- und ausgebaut werden. Mindestens vier Übertragungssysteme in 110 kv wären notwendig. Je nachdem, ob ein Transport Richtung Lübeck oder Siems erfolgen soll, wäre zudem eine Weiterführung dieser Übertragungssysteme Richtung Lübeck bzw. Siems notwendig. Sämtliche Varianten lösen die Netzengpässe im 110 kv-netz in der Region Ostholstein vollständig auf und sind demnach wirksam. Alle Varianten beinhalten Netzausbau bzw. Netzverstärkungen des 110 kv-netzes, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. In allen Varianten sind Zubringerleitungen Richtung Göhl aus dem nördlichen Bereich Ostholstein notwendig. Diejenige Variante, welche die Maßnahme M351 mit einschließt, erweist sich als deutlich zukunftsfähiger. In den untersuchten Netznutzungsfällen beträgt die maximale Auslastung von der Maßnahme M351 11% im (n- 0)-Fall und 22% im (n-1)-fall. Demnach ist eine Übertragung zusätzlicher Leistung aus dem Raum Göhl in Richtung Lübeck möglich. Die Varianten, welche eine Lösung ausschließlich in der 110 kv-netzebene vorsehen, beinhalten kaum Reserven bezüglich der Übertragungsleistung. So ergeben sich je nach betrachtetem Netznutzungsfall im (n-1)-fall Auslastungen von 77% (Stunde 846) bzw. 75% (Stunde 5774) zwischen Lübeck und Scharbeutz. Bei einer fortschreitenden Erhöhung der Erzeugungsleistung im Raum Göhl (z. B. durch Ausbau von Wind Onshore) über das Szenario B2024* hinaus wären umgehend weitere zusätzliche Maßnahmen in der 110 kv-netzebene zwischen dem Raum Göhl und dem Raum Lübeck notwendig. In der Variante mit einem Leistungstransport nach Siems sind im (n-1)-fall bereits Auslastungen bis zu 99% (Stunde 846) vorhanden. Auch in dieser Variante wären bei einer fortschreitenden Erhöhung der Erzeugungsleistung im Raum Göhl weitere zusätzliche Maßnahmen in der 110 kv-netzebene notwendig. Im Rahmen der Prognosen des NEP 2024 erfolgt im Raum Göhl eine Erhöhung der regionalisierten Leistung Wind Onshore um über 30%, vergleicht man Szenario B2024* mit Szenario B2034. Dies zeigt die Notwendigkeit einer zukunftsfähigen Lösung für den Übertragungstransport von dem Raum Göhl in Richtung Lübeck.
254 VORLÄUFIGE PRÜFUNGSERGEBNISSE In der beantragten Variante mit Maßnahme M351 wird eine Netztrennung des 110 kv-netzes zwischen Rogerfelde und Scharbeutz vorgenommen, wodurch die Übertragung der Leistung vom 110 kv-verteilnetz ins 380 kv-übertragungsnetz verschoben wird. Dies führt aufgrund der höheren Spannung des Übertragungsnetzes zu geringeren Übertragungsverlusten. In den betrachteten Netznutzungsfällen sind in der Variante mit M351 die Wirkleistungsverluste um bis zu ca. 6 MW geringer als in den beiden Varianten ohne einen Ausbau des 380 kv-übertragungsnetzes. In einer Kostenabschätzung auf Basis des Szenario B2024*, die neben den Investitionskosten auch Netzverluste über einen Zeitraum von zehn Jahren einpreist, liegen die Kosten der Variante mit Maßnahme M351 bei ca. 142 Mio. Euro. Bereits für den Zehnjahresausblick liegt die Kostenabschätzung damit nur noch leicht über den beiden Varianten, die eine reine Lösung auf der 110 kv-netzebene betrachten (ca. 134 Mio. Euro bzw. ca. 129 Mio. Euro). Auf längere Sicht wird die Variante mit Maßnahme M351 auch kostenmäßig vorteilhafter gegenüber den reinen 110 kv-lösungen sein. Denn über die für 2024 benötigten 110 kv- Leitungen werden wie vorstehend dargelegt bald darauf weitere 110 kv-leitungen erforderlich. Deren Kosten sind noch nicht in der Kostenabschätzung für die 110 kv-varianten enthalten, kämen also noch hinzu. Derzeitiger Stand und Abschätzung der kurzfristigen Entwicklung Laut Anlagestammdaten (Stand 31.12.2013) waren in der Postleitzahlen Region 237XX (ausgenommen 23795) im Osten Schleswig-Holsteins 410 MW an Onshore-Windanlagen installiert. Eine Abfrage unter den Verteilnetzbetreibern im Rahmen des Szenariorahmen 2025 ergab, dass die HanseWerk AG einen Ausbau von weiteren etwa 190 MW von 2014 bis Ende 2016 prognostiziert. Dadurch würden sich ca. 600 MW installierte Leistung an Onshore Wind für das Jahr 2016 ergeben. Demnach würde schon bereits 2016 der regionalisierte Wert im Szenario B2024* für das Jahr 2024 im Raum Göhl von ca. 560 MW überschritten. Die Daten des Landes Schleswig-Holstein für die Region Ostholstein (http://www.schleswigholstein.de/energie/de/strom/windenergie/windenergie_onshore/windenergie_onshore_node.html, Stand 04.11.2014) belegen ebenfalls, dass mit 432 MW bereits jetzt ein Großteil der im Szenario B2024* unterstellten Leistung an Wind Onshore realisiert ist. Die derzeitigen Ausbauzahlen legen somit nah, dass das Szenario B2024* eine eher konservative Abschätzung bezüglich der in Ostholstein installierten Onshore-Windleistung darstellt. Szenario der HanseWerk AG Nach Ansicht der HanseWerk AG sind die im NEP 2024 regionalisierten Einspeiseleistungen in Schleswig- Holstein zu gering. Laut ihrem Anschlusskataster sei eine um ca. 25% höhere Einspeiseleistung für das Jahr 2024 zu erwarten als derzeit im Szenario B2024* angenommen. Bei der höheren Einspeiseleistung steigt der Ausbaubedarf in den Varianten, die einen reinen Ausbau der 110 kv-netzebene betrachten. Die Wirkleistungsverluste erhöhen sich ebenfalls im Vergleich zu der Variante mit Maßnahme M351. Dies führt dazu, dass die Kostenabschätzungen für die beiden Varianten, die eine reine Lösung auf der 110 kv-netzebene betrachten (ca. 158 Mio. Euro bzw. ca. 148 Mio. Euro) höher ausfallen. Die Kosten mit der Maßnahme M351 blieben hingegen in etwa gleich (ca. 142 Mio. Euro).
BUNDESNETZAGENTUR 255 Gutachter-Marktmodellierung ( SensiO ) In der Gutachter-Marktmodellierung wurde die Spitzenkappung verwendet, um den reduzierten Transportbedarf im Übertragungsnetz abzubilden. Eine detaillierte Betrachtung der 110 kv-ebene erfolgt dabei modellbedingt nicht. Dadurch kann die Gutachter-Marktmodellierung nicht dazu verwendet werden, den Einfluss von Spitzenkappung auch im 110 kv-netz zu untersuchen. Eine grobe Abschätzung des Einflusses der Spitzenkappung auf den Netzausbaubedarf in der Region Ostholstein ist gleichwohl anhand der im Szenario B2024* hinterlegten Leistungsdauerlinie für Wind Onshore möglich: Bei einer Abregelung von bis zu 3% der aus Windkraftanlagen an Land erzeugten Energiemenge, wie sie im Grünbuch der Bundesregierung zum Strommarkt für die Energiewende geplant ist, muss im optimalen Fall das Netz ca. 20% weniger Leistung transportieren. Dadurch verzögert sich der Netzausbaubedarf aber nur, entbehrlich wird er nicht. Denn diese Reduzierung der zu transportierenden Leistung wird durch den weiteren stetigen Ausbau an Wind Onshore wieder kompensiert. An den Überlastungen des bestehenden 110 kv-netzes im Jahr 2024 ändert auch die Spitzenkappung aller Voraussicht nach nichts. Ein Einfluss der Leistungsreduktion im Bereich Offshore ist auszuschließen, da über die Maßnahme M351 keine Anbindung von Offshore-Anlagen erfolgt. Vorläufige Einschätzung Vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse wird die Maßnahme M351 als bestätigungsfähig eingestuft. Zur Lösung der Übertragungsaufgabe vom Raum Göhl in den Raum Lübeck erscheint aufgrund ihrer größeren Zukunftsfähigkeit die Variante, die 380 kv-höchstspannungsebene auszubauen, einem Ausbau allein der 110 kv-netzebene überlegen.
256 VORLÄUFIGE PRÜFUNGSERGEBNISSE Maßnahme M49: Raum Lübeck Siems Maßnahme M49 (Raum Lübeck Siems) wird derzeit vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse als bestätigungsfähig eingestuft. Beschreibung Im Rahmen dieser Maßnahme ist eine Verstärkung der Verbindung zwischen Siems und dem Raum Lübeck vorgesehen. Dafür besteht die Notwendigkeit, die bestehende 380 kv-schaltanlage Siems mit einer im Raum Lübeck neu zu errichtenden 380 kv-schaltanlage durch eine neue 380 kv-leitung (Neubau in bestehender Trasse) zu verbinden (Netzverstärkung). Angestrebte Inbetriebnahme (laut ÜNB): 2021 Elektrotechnische Prüfung Die Begründung der Maßnahme M49 kann nicht durch eine klassische (n-1)-verletzung im Übertragungsnetz selbst erfolgen. Überlastungen treten im unterlagerten 110 kv-netz auf, falls es zu einem Ausfall des vorhandenen 220 kv-stromkreises zwischen Siems und Lübeck kommt. In diesem Fall muss die Leistung des Baltic Cable, das nach Schweden führt und am UW Herrenwyk mit dem deutschen Netz verbunden ist, vollständig über das 110 kv-netz transportiert werden. Da das 110 kv-netz dafür nicht ausgelegt ist, müsste die Übertragungsleistung des Baltic Cable gedrosselt werden, wie es teilweise bereits heute aufgrund
BUNDESNETZAGENTUR 257 mangelnder Transportkapazitäten der Fall ist. Andere Netzinfrastruktur im Höchstspannungsbereich, welche diese Transportaufgabe übernehmen könnte, ist nicht vorhanden. Durch die Maßnahme M49 hingegen würde der Leistungstransport über den Interkonnektor Baltic Cable selbst im (n-1)-fall sichergestellt. Mit der Maßnahme M49 können die Überlastungen im 110 kv-netz behoben werden. Dies kann anhand eines Datensatzes von TenneT und HanseWerk (vgl. Maßnahme M351), welcher sowohl die 110 kv- als auch die 380 kv-netzebene umfasst, nachvollzogen werden. Bei Ausfall eines der 380 kv-systeme der Maßnahme im Netznutzungsfall der Stunde 8092 beträgt die Auslastung des verbleibenden Systems 30%. Die Maßnahme ist folglich wirksam. Ohne die Maßnahme M49 wäre beim Ausfall des vorhandenen 220 kv-stromkreises zwischen Siems und Lübeck das 110 kv-netz zwischen Siems und Herrenwyk bereits im (n-0)-fall mit 120% belastet. Gutachter-Marktmodellierung ( SensiO ) Auch bei einer Reduktion der Offshore-Leistung und einer Kappung von Einspeisespitzen wird durch die Maßnahme M49 der Leistungstransport über den Interkonnektor Baltic Cable selbst im (n-1)-fall sichergestellt. Bei Ausfall eines der 380 kv-systeme der Maßnahme im Netznutzungsfall der Stunde 5412 beträgt die Auslastung des verbleibenden Systems 29%. Vorläufige Einschätzung Vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse wird die Maßnahme M49 als bestätigungsfähig eingestuft.
258 VORLÄUFIGE PRÜFUNGSERGEBNISSE Maßnahme M50: Raum Lübeck Kreis Segeberg Maßnahme M50 (Raum Lübeck Kreis Segeberg) wird derzeit vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse als bestätigungsfähig eingestuft. Beschreibung Im Rahmen dieser Maßnahme ist der Bau einer neuen 380 kv-leitung in der Trasse der bestehenden 220 kv- Leitung zwischen dem Raum Lübeck und dem Kreis Segeberg notwendig (Netzverstärkung). Im Kreis Segeberg ist der Neubau einer 380 kv-schaltanlage notwendig (Netzausbau). Angestrebte Inbetriebnahme (laut ÜNB): 2019 Wirksamkeit Die Maßnahme M50 behebt im Zielnetz des Szenarios B2024* wirksam eine (n-1)-verletzung. Im Zielnetz ist ohne die Maßnahme M50 ein Stromkreis der bestehenden 220 kv-leitung zwischen Lübeck und Hamburg/Nord in der Stunde 4730 zu 107% belastet, wenn ein paralleler Stromkreis ausfällt. Die Hinzunahme der Maßnahme M50 reduziert die Auslastung auf 31%. Die Maßnahme ist folglich wirksam.
BUNDESNETZAGENTUR 259 Erforderlichkeit Im Zielnetz wird die Maßnahme M50 in 3% der betrachteten Stunden über 20% ausgelastet, wobei die maximale Auslastung bei 24% liegt. Der Mittelwert der Auslastung beträgt 11%. Die Maßnahme ist demnach auch erforderlich. Gutachter-Marktmodellierung ( SensiO ) Bei einer Reduktion der Offshore-Leistung und einer Kappung von Einspeisespitzen ist im Zielnetz ohne die Maßnahme M50 ein Stromkreis zwischen Lübeck und Hamburg/Nord in der Stunde 4730 zu 102% belastet, wenn ein paralleler Stromkreis ausfällt. Die Hinzunahme der Maßnahme M50 reduziert in einem solchen Fall die Auslastung auf 14%. Die maximale Auslastung im Jahr für die Maßnahme M50 beträgt 21%. Vorläufige Einschätzung Die Maßnahme M50 ist wirksam und erforderlich und wird vorbehaltlich weiterer Erkenntnisse als bestätigungsfähig eingestuft. Ob - wie von den Übertragungsnetzbetreibern angedeutet - die bestehende 380 kv-schaltanlage Hamburg/Nord netztechnisch als alternativer Netzverknüpfungspunkt zum bestehenden Höchstspannungsnetz in Betracht käme, ist ggf. noch zu untersuchen.