Rede von Herrn Oberbürgermeister Klaus Wehling anlässlich der Veranstaltung Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus Mittwoch, 27.

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Rede von Herrn Oberbürgermeister Klaus Wehling anlässlich der Veranstaltung Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus Mittwoch, 27. Januar 2009, 12:00 Uhr Schloß Oberhausen, Konrad Adenauer Allee 46, 46042 Oberhausen

2 Sehr geehrter Herr Franz Sehr geehrter Herr Telli, Verehrte jugendliche und erwachsene Gäste, meine Damen und Herren. Anita Lasker-Wallfisch hat als junges jüdisches Mädchen gleich zwei Konzentrationslager überlebt: Auschwitz und Bergen-Belsen. Sie hat dieses unvorstellbare Grauen überlebt - weil sie Cello spielen konnte. Die gerade mal 16jährige war Mitglied im Mädchenorchester von Auschwitz, jenem furchtbaren Vernichtungslager, an dessen Befreiung wir uns heute gemeinsam erinnern. Für ihre Familie hat die 1925 in Breslau geborene Musikerin ihre Erinnerungen von damals niedergeschrieben. An eine Veröffentlichung war dabei nicht gedacht. Zum Glück ist daraus ein Buch geworden mit dem Titel: Ihr sollt die Wahrheit erben. Seit 1946 lebt Anita Lasker-Wallfisch in England. Ihrem Instrument hat sie immer die Treue gehalten. Sie war als Cellistin Mitglied im Englisch Chamber Orchestra. Mehr als ein halbes Jahrhundert hat sie, wie viele andere Opfer, um Deutschland einen großen Bogen gemacht. Erst 1994 war sie zum ersten Mal wieder hier.

3 Seitdem regelmäßig, um als Augenzeugin zu berichten und zu erinnern. Das Erinnern hat sich im Laufe der Jahrzehnte grundlegend verändert, verändern müssen. Die erste Phase direkt nach dem Krieg war in weiten Teilen geprägt vom Leugnen der Greultaten. Wobei ein Leugnen spätestens heute vor 65 Jahren mit der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau nicht mehr möglich war! Wenn die Vernichtung der Juden damals nicht rundweg geleugnet wurde, dann versuchten viele Deutsche, quer durch alle Gesellschaftsschichten, einfach zu verdrängen. Lange, zu lange hat unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg diese Phase des verschweigenden Verdrängens gedauert. Es wurde verdrängt aus Schuld. Es wurde verdrängt aus Scham. Es wurde leider auch verdrängt aus törichter Ignoranz. Auch heute ist diese Dummheit immer noch lebendig. Wie sehr, das zeigen die ebenso gefährlichen, wie zugleich gestrigen Neonazis. Zwei Beispiele nenne ich: Erstens: Den Bischof der traditionalistischen Pius-Brüderschaft, Richard Williamson, der den Holocaust rundheraus leugnet. Zweitens der ebenso unfassbarere Umstand, wie der Diebstahl des Auschwitzschriftzuges: Arbeit macht frei heute vor knapp fünf Wochen. Was bringt Menschen dazu sich so zu verhalten?

4 Bert Brecht hatte und hat tatsächlich immer noch recht, wenn er in seiner Kriegsfibel reimt, ich zitiere: Der Schoß, aus dem dies alles kroch, ist fruchtbar noch. Ganz gleich wie, an den Tatsachen, an Auschwitz und all den anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern kommen wir nicht vorbei. Darum ist es so grundlegend, so grundsätzlich, dass wir immer wieder erinnern, dass wir nicht nachlassen dürfen. Uns, den Nachgeborenen wächst heute diese Verantwortung zu. Wie sehr, das belegen die beiden genannten Beispiele. Es gibt nicht mehr viele, die aus eigenem Erleben und Erleiden Zeugnis geben können. Die Verpflichtung gegen das Vergessen anzugehen obliegt nun uns. Neben den Gedenkstätten und tatsächlichen Orten, an denen die unvorstellbaren Verbrechen gegen die Menschlichkeit stattfanden, gibt es heute zusätzlich die Möglichkeit sich auch virtuell zu erinnern. Gibt man den Begriff Holocaust in die Internetsuchmaschine Google ein, so erscheinen 17.600.000 Treffer nach 0,28 Sekunden. Die Shoa Foundation, die der weltberühmte Regisseur von Schindlers Liste, Stephen Spielberg 1994 gegründet hat, verfügt über 52.000 Interviews mit Überlebenden. Mit Juden, mit Sinti und Roma, mit politisch Verfolgten. Die Möglichkeiten sich zu erinnern und zu gedenken, sind also materiell und substanziell sehr gut. All das nutzt aber nichts, wenn es den Willen und die Bereitschaft zur Erinnerung nicht gibt, oder wenn dieser Wille erlahmt. Wir, die

5 Lebenden tragen heute die Verantwortung nicht allein für das Erinnern. Wir, die Lebenden tragen die unteilbare Verantwortung dafür, dass so etwas nie wieder geschehen kann und nie wieder geschieht. Wir müssen die Würde der Menschen durch die Erinnerung an die Naziverbrechen verteidigen. Elie Wiesel, der das Konzentrationslager Buchenwald überlebt hat, hat in seiner Friedensnobelpreisrede von 1986 unmissverständlich formuliert um was es geht: Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stillschweigen bestärkt den Peiniger, niemals den Gepeinigten. Millionen Menschen können nicht mehr sprechen, wir sind sozusagen die Stimme jener Menschen, die nicht mehr reden können, weil man sie umgebracht hat, so hat es Anita Lasker-Wallfisch in einem Spiegel-Interview 2005 gesagt. Wir sprechen über und hören von einer Vergangenheit die uns nie in Ruhe lassen wird. Wir sprechen und wir müssen sprechen, über eine Vergangenheit, die wir nie in Ruhe lassen dürfen. Das schulden wir den Millionen unschuldiger Opfer! Shalom!