Kurzfassung der Verfassungsbeschwerde der FDP gegen die Vorratsdatenspeicherung

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Transkript:

Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff / RA Marco Buschmann Stand: 20.01.2016 Kurzfassung der Verfassungsbeschwerde der FDP gegen die Vorratsdatenspeicherung Vorratsdatenspeicherung (VDS) ist ein massiver Grundrechtseingriff. Das Bundesverfassungsgericht, der Europäische Gerichtshof und ein halbes Dutzend anderer Verfassungsgerichte in Europa haben VDS-Gesetze verworfen, weil sie den äußerst engen Korridor, in dem eine solche Maßnahme wenn überhaupt zulässig sein könnte, verlassen haben. Auch die Neuauflage der VDS durch die Große Koalition genügt diesen strengen Anforderungen nicht. Das neue VDS-Gesetz regelt tiefe Freiheitseinschnitte zu ungenau und eröffnet so weite Interpretationsspielräume, wo die Verfassung zum Schutze der Bürger größte Präzision verlangt. Das neue VDS-Gesetz schafft empfindliche Gefahren für die Privatsphäre der Bürger durch die Möglichkeit zur Bildung von Bewegungsprofilen, die etwa aus der Nutzung von Funkzellendaten abgeleitet werden können. Es schützt besonders sensible Kommunikation etwa zwischen Anwalt und Mandant oder Arzt und Patient nicht ausreichend. Es gefährdet die Arbeit von Journalisten und Seelsorgern. Darüber hinaus setzt es klare Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus der Entscheidung von 2010 nicht um. Daher hat die FDP Verfassungsbeschwerde erhoben mit dem Ziel, dass das Bundesverfassungsgericht das neue VDS-Gesetz für nichtig erklärt. Wichtige Elemente der Begründung sind: 1. Das neue VDS-Gesetz verletzt das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot. Der Gesetzgeber hat Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs hinreichend bereichsspezifisch, präzise und normenklar festzulegen. Das neue VDS-Gesetz jedoch regelt schwere Freiheitseingriffe nachlässig und ungenau, wo das Grundgesetz zum Schutze der Bürger höchste Präzision verlangt. So bleibt völlig unklar, 1.1. wann zu Strafverfolgungszwecken eine gerichtliche Kontrolle des staatlichen Zugangs zu Vorratsdaten erfolgt; 1.2. ob 100g Abs. 1 StPO die Ermittlung des Aufenthaltsortes zulässt; 1.3. was eine Straftat von erheblicher Bedeutung sein soll; 1.4. wie der Widerspruch aufzulösen sein soll, dass nur Straftaten, die ein Verbrechen im Sinne von 12 StGB darstellen, den Anwendungsbereich der VDS eröffnen sollen, jedoch das neue VDS-Gesetz mit 232 Abs. 5 StGB und 233 Abs. 3 StGB Katalogtaten erwähnt, die den Anforderungen von 12 StGB nicht genügen; 1.5. ob 113b Abs. 4 TKG n.f. künftig zur Speicherung von Standortdaten bei jeder Einwahl eines Mobiltelefons in eine Funkzelle gestattet; 1.6. wie weit der persönliche Anwendungsbereich von 113c Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 TKG n.f. reicht und wie weit es dadurch zu widersprüchlichen Ermächtigungsgrundlagen zur Weitergabe von personenbezogenen Daten durch Strafverfolgungsbehörden kommt;

2 1.7. unter welchen Bedingungen das Bundeskriminalamt auf Vorratsdaten bei den Diensteanbietern zugreifen darf; 1.8. ob Verfassungsschutzbehörden vom Landesgesetzgeber über 113c Abs. 1 Nr. 2 TKG n.f. zur Erhebung von Vorrats-Verbindungsdaten ermächtigt werden dürfen, was ein akutes Problem darstellt, da die Regierung des Freistaats Bayern schon einen entsprechenden Gesetzentwurf beschlossen hat; 1.9. warum 113c Abs. 3 TKG n.f. und 101a Abs. 3, S. 1, S. 2 StPO die Kennzeichnungspflicht für genutzte Vorratsdaten unterschiedlich regeln, obwohl sie sich auf gleiche Sachverhalte beziehen; 1.10. was die eigenständige Bedeutung der zweiten Variante von 101a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 StPO n.f. sein soll; 1.11. ob das Bundeskriminalamt seine fehlende Zugriffsmöglichkeit auf Vorratsdaten zu präventiven Zwecken mittels 101a Abs. 4 S. 1 Nr. 2 StPO n.f. umgehen kann, indem das BKA als Ermittlungsbehörde dem BKA als Polizeibehörde die Daten gem. 101a Abs. 4 Nr. 2 StPO n.f. weiterleitet oder das BKA bzw. die Bundespolizei die Daten mit Hilfe von Landespolizeibehörden erhält; 1.12. was mit der offenbar willkürlichen (jedenfalls nicht systematischen) Verwendung der Begriffe Verkehrsdaten (vgl. 100g StPO), personenbezogene Daten (vgl. 101a Abs. 3 StPO n. F.) und verwertbare personenbezogene Daten ( 101a Abs. 4 S. 3 und S. 4 StPO n. F.) gemeint sein soll; 1.13. in welchem Verhältnis das Begriffspaar Verkehrsdaten und Standortdaten stehen und wie weit damit die Erhebungsbefugnis in 100g Abs. 1 StPO n.f. reicht; 1.14. warum 100j Abs. 2 StPO n.f. eine überflüssige Zirkelverweisung vornimmt; 1.15. wie hoch der Grad an Entkoppelung des Internets in Anbetracht des relativierenden (oder gar widersprüchlichen) Normtextes gem. 113d Nr. 3 TKG n.f. tatsächlich sein muss; 1.16. was unter ähnlichen Nachrichten gemäß 113b Abs. 2 S. 2 Nr. 1 TKG n.f. zu verstehen ist; und 1.17. wer gemäß 113a Abs. 1 S. 1 TKG von der Formulierung Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste erfasst wird. 2. Das neue VDS-Gesetz verletzt mit einer Vielzahl einzelner Vorschriften den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Denn: 2.1. Die Speicherung von Vorrats-Vertragsdaten wird zeitlich nicht begrenzt. Vielmehr stellt das neue VDS-Gesetz diese Speicherdauer quasi ins Belieben der Telekommunikationsunternehmen. Eine klare Zweckbindung liegt nicht vor. Es kommt

3 mithin potenziell zu einer völligen Ungleichbehandlung von Vorrats-Vertragsdaten und den strenger regulierten Vorrats-Verkehrsdaten, die den Anforderungen des Gleichbehandlungssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG nach Ansicht der Beschwerdeführer nicht standhält. 2.2. 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO n.f. greift unverhältnismäßig in Grundrechte ein. Das BVerfG verlangt angesichts der Schwere des Grundrechteingriffs einer Vorratsdatenspeicherung, dass der staatliche Zugriff auf diese Daten nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung in Betracht kommt. Das gilt nach Ansicht der Beschwerdeführer auch für Vorrats-Vertragsdaten. 100g Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO jedoch erlaubt einen Zugriff bei Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen werden. In Anbetracht der weiter fortschreitenden Alltagsbedeutung insbesondere digitaler Telekommunikationsmittel weitet dies den Anwendungsbereich unverhältnismäßig auf quasi jede Straftat aus. 2.3. Die Funkzellenabfrage ist unverhältnismäßig. Diese Maßnahme betrifft einen schier unübersehbaren Kreis von Betroffenen. Der Grundrechtseingriff wirkt daher in seiner Summe schwer. Sie birgt zudem die Gefahr detaillierter Bewegungsprofile. Die Anforderungen für die Anwendung der Maßnahme sind zu niedrig angelegt, wie selbst die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Andrea Voßhoff, meint, die früher selbst eine Anhängerin der Vorratsdatenspeicherung war. 2.4. Der Gesetzgeber kommt seiner Pflicht nicht nach, in einem Mindestumfang Geeignetheit und Erforderlichkeit des Zugriffs auf Vorrats-Vertragsdaten zu begründen. Das ist schon deshalb in besonderer Weise unzureichend, weil es sich um die Wiedereinführung eines bereits durch das BVerfG verworfenen Instruments handelt. Führt der Gesetzgeber aber ein Instrument wieder ein, das das Verfassungsgericht in der vorausgehenden Ausgestaltung als verfahrensrechtlich nicht ausreichend abgesichert bezeichnet hat, liegt es nahe, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Darlegung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes höchsten Anforderungen genügen muss. Eine substantiiertere Darlegung müsste dem Gesetzgeber auch eigentlich leicht fallen. Denn gemäß 100g Abs. 4 StPO sind die Abfragen hinsichtlich der Vertrags-Verkehrsdaten zu protokollieren. Es läge nahe, diese Daten zu dem Zweck heranzuführen, in wie vielen Fällen eine Abfrage gem. 100g Abs. 1 StPO a.f. ohne Erfolg bliebe, weil die Daten schon gelöscht wurden. Diese entscheidende Zahl wird aber weder genannt noch irgendwie greifbar dargelegt. Vielmehr verweist er pauschal darauf, dass die bisherige Rechtslage angeblich unzulänglich und eine Verbesserung angezeigt sei. Er selbst behauptet nicht einmal, dass die Verbesserung erforderlich, geschweige denn notwendig oder gar dringend notwendig sei vermutlich weil es dafür eben auch keinen sachlich nachvollziehbaren Grund gibt. 2.5. Das neue VDS-Gesetz ist unverhältnismäßig, da es noch lückenhafter ist als die Vorgängerregelung. Dadurch ist es ungeeignet das eigentliche Ziel zu erreichen. Gerade Terroristen und der organisierten Kriminalität werden zahllose Schlupflöcher geboten. Am Ende bleibt lediglich eine Grundrechtsbelastung unschuldiger Bürger, die

4 Telekommunikationsdienstleistungen einfach und schnell in ihrem Alltag nutzen wollen. Aber diejenigen, auf die die Regelung eigentlich abzielt, können sich ihr mühelos entziehen. 2.6. Das neue VDS-Gesetz ist objektiv ungeeignet im Hinblick auf SMS-Nachrichten. Denn große Telekommunikationsdiensteanbieter sind nicht in der Lage, bei SMS-Nachrichten Inhalt und Verbindungsdaten zu trennen. Mit der Speicherung des Verbindungsdatums würde daher auch der Inhalt der SMS gespeichert werden. Da aber der Inhalt der Telekommunikationsdienste gesetzlich ausdrücklich nicht gespeichert werden darf, darf in diesen Fällen die gesamte Information nicht gespeichert werden. Das Gesetz entleibt sich in Anbetracht der Wirklichkeit der Rechtstatsachen daher selbst. Dies ist im übrigen ein Hinweis auf eine unzureichende Auseinandersetzung des Gesetzgebers mit der Materie, die er zu regeln gedachte. 2.7. Das neue VDS-Gesetz ist vergleichbar objektiv ungeeignet im Hinblick auf den E-Mail- Verkehr. Viele IP-Adressen werden zusammen mit E-Mails gespeichert. Der E-Mail- Verkehr selbst soll aber nach dem neuen VDS-Gesetz nicht gespeichert werden. Andererseits sollen aber bestimmte Kommunikationen, die mittels der IP-Adresse hergestellt werden, wiederum gespeichert werden. Da man einer IP-Adresse aber nicht ansieht, zu welchem Zweck sie benutzt wird, müssen folglich alle IP-Adressen vorsorglich gespeichert werden. Auf diese Weise werden dann doch wieder E-Mail-Verkehre gespeichert. Auch hier stellt das VDS-Gesetz einen offenen Selbstwiderspruch dar, der anzeigt, dass der Gesetzgeber sich nicht sorgfältig genug mit der Regelungsmaterie auseinandergesetzt hat, in die er eingreift. 2.8. Der Gesetzgeber hat die Erforderlichkeit nicht angemessen aufgezeigt. Zahlreiche technische Alternativen, die zu einer effektiven Strafverfolgung beitragen könnten, sind gar nicht erwogen und damit auch nicht angemessen abgewogen worden. 2.9. Die Speicherung von Vertragsdaten auf Vorrat ist mittlerweile per se unverhältnismäßig, weil angesichts zahlreicher neuer massenhafter staatlicher Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger ein Niveau kumulierter Grundrechtsbelastung eingetreten ist, das nicht mehr tragbar ist. 2.10. 113b TKG n.f. ist unverhältnismäßig, weil die endlose Verlängerung der Anordnung nicht eingeschränkt wird und damit potenziell die Erstellung eines vollständigen Bekanntschafts- und Kommunikationsbildes der Betroffenen möglich wird. 2.11. Das neue VDS-Gesetz verletzt den Kernbereich privater Lebensgestaltung, den der Staat nach Rechtsprechung des BVerfG zu respektieren hat. Das Gericht hatte bereits entschieden, dass die Beziehung des Einzelnen zu seinem Strafverteidiger und zu den Geistlichen diesem absoluten Kernbereich zuzuordnen ist. Dazu gehört nicht nur der Inhalt der Kommunikation, sondern auch die Tatsache selbst, dass überhaupt eine solche Kommunikation stattfindet. Einen solchen Schutz des Kernbereichs, der ggf. schon alleine aus den Verkehrsdaten ersichtlich werden kann, sieht der Gesetzentwurf aber gerade nicht vor.

5 2.12. Das neue VDS-Gesetz ist unverhältnismäßig. Denn das BVerfG verlangt, dass der repressive Zugriff auf Vorratsdaten nur erlaubt sein kann, wenn es um die Verfolgung schwerer Straftaten geht. Diese liegen, zumindest in dem hier gegebenen Kontext, nach richtiger Ansicht aber nur vor, wenn der Tatbestand mit einer Strafe von mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe sanktioniert ist. Diese Schwelle unterschreiten mehrere Tatbestände, die nach dem neuen VDS-Gesetz den Zugriff auf Vorratsdaten erlauben sollen. 2.13. Das neue VDS-Gesetz ist unverhältnismäßig, weil kein System oder leitender Gedanke erkennbar ist, nach dem sich die Auswahl derjenigen Straftaten richtet, deren Verfolgung den Zugriff auf Vorratsdaten ermöglichen soll. Vielmehr erscheint der Katalog mehr oder weniger gegriffen um nicht zu sagen: willkürlich. 2.14. Das neue VDS-Gesetz ist unverhältnismäßig, als dass die Telekommunikationsanbieter in keiner Weise ein Recht haben zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen staatlichen Zugriff auf die Vorratsdaten überhaupt vorliegen. 2.15. 113c TKG n.f. ist verfassungswidrig, weil er die Verwendung der Vorrats- Verkehrsdaten nicht auf die Frist des 113b Abs. 1 Nr. 1 Nr. 2 TKG n.f. beschränkt. 2.16. 113 Abs. 1 S. 3 TKG n.f. ist verfassungswidrig, weil diese Neuregelung die mittelbare Verwendung der Vorrats-Verkehrsdaten zwecks Erfüllung einer Auskunft gemäß 113 c Abs. 1 Nr. 3 TKG n.f. zulässt. Allerdings enthält die Regelung keine Beschränkung der Verwendung der Vorrats-Verkehrsdaten auf den Fall von Straftaten. Auch eine Einschränkung der präventiven Verwendung auf den Fall der konkreten Gefahren für die öffentliche Sicherheit findet sich nicht. Gemäß 113 Abs. 2 S. 1 TKG darf die Auskunft auch zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten erteilt werden oder zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist dies eine zu niedrige Schwelle. Zulässig ist nur die Verwendung für die Abwehr von konkreten Gefahren und auch dies nur für das polizeiliche Schutzgut der öffentlichen Sicherheit. 2.17. 100g Abs. 3 S. 2 StPO i.v.m. 113b Abs. 4 TKG n.f. ist verfassungswidrig, weil er die Bildung von Profilbildern nicht wirksam eingrenzt. 2.18. Die Regelung des 113b Abs. 3 TKG n.f. ist auch deshalb unverhältnismäßig, weil die Bildung von Persönlichkeitsbildern nicht ausreichend ausgeschlossen ist. 2.19. Das VDS-Gesetz ist verfassungswidrig, weil es für die sogenannten Vertrauensberufe, wie sie in 53 StPO aufgeführt werden, kein Speicherverbot vorsieht. 2.20. 113c TKG ist verfassungswidrig, weil er für die präventiven Zwecke keine Beschränkungen zu den Fragen enthält: zur unverzüglichen Auswertung / unverzüglichen Löschung der nicht benötigten Vorratsverbindungsdaten bei Erhebung / unverzüglichen Löschung der erhobenen Vorrats-Verkehrsdaten nach Wegfall des Erhebungszwecks / Sicherung der Zweckbindung bei Weitergabe der Daten /

6 Eingrenzung der Zweckänderung/ Protokollierung der empfangenden Stelle bei Weitergabe der rechtmäßig erhobenen Vorratsverbindungsdaten. 2.21. 101a Abs. 3 StPO ist verfassungswidrig, weil die unverzügliche Löschungspflicht für die von Anfang an nicht erforderlichen Daten fehlt. Das Überraschende an diesem Fehler liegt darin, dass sowohl der wissenschaftliche Dienst des Bundestages, als auch Sachverständige, die die Neuregelung wohlwollend bewerten, hier schon lange, dringend eine Änderung anmahnten. 2.22. 101a Abs. 4 StPO n.f. ist verfassungswidrig, weil er keine Information des Betroffenen bei der Weitergabe vorsieht und zudem keinen Schutz vor ungerechtfertigtem Zugriff enthält. 2.23. 101a Abs. 4 StPO n.f. ist verfassungswidrig, weil die Protokollierungspflicht der weitergebenden Stelle nach einer vorausgehenden Zweckentfremdung fehlt. 2.24. 113e TKG n.f ist wegen des Fehlens der Protokollierung der Abfrage, d.h. der Erhebung, verfassungswidrig. 3. Die Neuregelung verletzt zudem, wie die Kommission in einem internen Schreiben verdeutlich, auch vorrangiges Europarecht. Die in 113b Abs. 1 TKG n.f. vorgesehene Pflicht, die Daten in Deutschland zu speichern, verletzt die Dienstleistungsfreiheit und die umfassende Vorratsdatenspeicherungspflicht die europäischen Datenschutzgrundrechte. Nach zutreffender Ansicht muss das BVerfG die Frage der Vereinbarkeit mit europäischem Recht zumindest vor einer Abweisung der Verfassungsbeschwerde im Wege eines Vorabentscheidungsverfahren zum EuGH gem. Art. 267 AEUV klären lassen.