Observationen im Sozialversicherungsrecht
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- Sofie Schubert
- vor 7 Jahren
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1 Observationen im Sozialversicherungsrecht Voraussetzungen und Schranken Übersicht 1. Einleitung und Problemstellung 3. E-Art. 44a ATSG (Überwachung) 5. Schlussbetrachtung 1
2 1. Einleitung und Problemstellung Woher die plötzliche Aktualität des Themas? Welche Rechtspositionen werden durch Observationen berührt? Welche Vorgaben macht die Verfassung? Wann und unter welchen Voraussetzungen sind Observationen zulässig? Wie sollte eine künftige gesetzliche Regelung ausgestaltet sein? Observationen als Grundrechtseingriffe BV 10 II (Persönlichkeitsentfaltung) BV 13 I (Privatsphäre) BV 13 II (Datenschutz) Faktoren Ziel der Observation: Systematische Wissensgewinnung über bislang nicht belegte Tatsachen Intensität (Dichte) der Beobachtung Eingesetzte Mittel (Kameras, Aufnahmegeräte etc.) Umgang mit den Erkenntnissen 2
3 Observationen als Eingriffe in die Privatsphäre Observation in Privaträumen Observation auf nicht offen einsehbarem Privatgrund Observation auf offen einsehbarem Privatgrund Intensive Observation oder wenn (im öffentlichen Bereich) mit Vertraulichkeit zu rechnen ist Gesetzliche Grundlage Generell-abstrakt und genügend bestimmt (Rechtssicherheit und Rechtsklarheit) Formelles Gesetz bei schweren Eingriffen (strittig, ob Observationen immer schwere Eingriffe sind) Öffentliches Interesse Schutz der Versichertengemeinschaft vor Missbrauch 3
4 Insbesondere: Verhältnismässigkeit Eignung: Die Observation muss geeignet sein, um die strittigen Tatsachen zu beweisen / widerlegen Erforderlichkeit: In sachlicher, räumlicher, zeitlicher und persönlicher Hinsicht! Subsidiarität zu anderen Beweismitteln. Zumutbarkeit: Strenge Anforderungen an den Anfangsverdacht 3. E-Art 44a ATSG Art. 44a (neu) Überwachung 1 Eine Person, welche Versicherungsleistungen beantragt oder bezieht, kann ohne ihr Wissen überwacht werden, wenn: a. der Versicherer einen begründeten Verdacht hat, dass diese Person unrechtmässig Leistungen bezieht respektive bezogen hat oder zu erhalten versucht; und wenn b. die bisherigen Abklärungen zu keinem Ergebnis geführt haben, ohne Aussicht auf Erfolg sind oder sich als ausserordentlich schwierig erweisen. 4
5 3. E-Art 44a ATSG 2 Die Anordnung der Überwachung wird mit Angaben über die den Verdacht begründenden Tatsachen in den Akten eingetragen. 3 Die Überwachung darf nur auf öffentlichem Grund erfolgen. Sie kann die Benutzung von Bildaufzeichnung beinhalten. 4 Die erfassten Daten werden im Dossier abgelegt. Falls sich der Verdacht nicht erhärtet, werden sie nach spätestens 10 Tagen gelöscht. 5 Der Versicherer kann einen Dritten mit der Überwachung beauftragen. 6 Er informiert die betroffene Person nach der Beendigung der Überwachung. BGE 132 V 241 Im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Sachverhaltsabklärung dürfen die Ergebnisse von Observationen verwertet werden, wenn diese rechtmässig durch einen Privatversicherer angeordnet wurden. 5
6 Beizug von Spezialisten gemäss Art. 59 Abs. 5 IVG 5 Zur Bekämpfung des ungerechtfertigten Leistungsbezugs können die IV-Stellen Spezialisten beiziehen. Kritik Äusserst unbestimmte Norm Keine direkten Leitlinien und Schranken für Observationen Rückgriff auf allgemeine verfassungsrechtliche Anforderungen nötig (bzw. entsprechende Weisungen an die IV-Stellen) Gesetzgeberische Notlösung Observationen nach BGE 135 I 169 Die Unfallversicherung ist befugt, eine versicherte Person durch einen Privatdetektiv observieren zu lassen (E. 4 und 5). Grundrechtseingriff (Art. 13 Abs. 1 BV) bejaht. Gesetzliche Grundlage: Art. 43 i.v.m. Art. 28 Abs. 2 ATSG! Es handle sich um einen geringfügigen und seltenen Eingriff. Hierfür reiche die gesetzliche Grundlage. E-Art. 44a ATSG diene lediglich der Verdeutlichung der geltenden Rechtslage. 6
7 Observationen nach BGE 135 I 169 Kritik Gesetzliche Grundlage zu unbestimmt: Bestimmtheitserfordernis gilt auch bei formellen gesetzlichen Grundlagen! Seltenheit der Massnahme senkt Anforderungen an das Bestimmtheitserfordernis nicht. Historische Auslegung und Botschaft zu E-Art. 44a ATSG sprechen klar gegen gesetzliche Grundlage de lege lata. Wunsch als Vater des Gedankens bzw. der gesetzlichen Grundlage! Observationen im Ausland Urteil des BGer 8C_239/2008 vom 17. Dezember 2009: Anordnung der privatdetektivlichen Observation durch Unfallversicherer. Observationen über mehrere Wochen in A und D. Verwertbarkeit der Observationsergebnisse im CH- Verfahren (mit knappem Mehrheitsentscheid!) bejaht, obwohl diese vermutlich in Verletzung ausländischen nationalen wie auch zwischenstaatlichen Rechts gewonnen wurden. 7
8 Observationen im Ausland Kritik Im Gegensatz zu BGE 132 V 241 (Verwertung der Observationsergebnisse einer Privatversicherung) wurden die Ergebnisse hier illegal erworben. Die illegale Handlung wurde vom Unfallversicherer selbst angeordnet, obwohl es auf jeden Fall vor BGE 135 I 169 an einer entsprechenden Grundlage fehlte. Äusserst bedenklicher Entscheid! 5. Schlussbetrachtung Gesetzliche Grundlagen sind gegenwärtig zu schmal und zu unbestimmt. Es fehlen konkrete gesetzliche Leitlinien für den Einsatz und die Schranken von Observationen. Observationen, die oft zu einseitigen Resultaten führen, dürfen nur subsidiär zum Einsatz kommen (und sind beweismässig entsprechend zu würdigen). Eine (ev. leicht angepasste) Verabschiedung von E-Art. 44a erscheint wünschenswert. Die Praxis zur Verwertung von Observationsergebnissen aus dem Ausland ist aufzugeben bzw. durch entsprechende staatsvertragliche Absprachen zu legalisieren. 8
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