WIR SIND FÜR SIE DA! Alleinsorge für die Mutter, trotz Hauptverantwortung für zerrüttete Beziehung

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Transkript:

SERVICE WIR SIND FÜR SIE DA! Alleinsorge für die Mutter, trotz Hauptverantwortung für zerrüttete Beziehung Bundesgerichtshof Beschluss vom 1197414000 XII ZB 158/05 Fundstelle: FamRZ 2008, 592 Norm: 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB Schlagworte: Aufhebung der gemeinsamen Sorge, kein Regel- Ausnahme-Verhältnis von gemeinsamer Sorge und Alleinsorge, Kindeswohl, Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter, obwohl diese für die Zerrüttung der sozialen Beziehungen der Eltern hauptverantwortlich ist, bloße Pflicht zur Konsensfindung ersetzt nicht fehlende Verständigungsmöglichkeit, gerichtlich ausgeräumter Missbrauchsvorwurf, emotionale Bindung der Kinder an die Mutter, Erziehungskontinuität, fehlendes Zusammenleben mit dem Vater, hohes Lebensalter des Vaters Redaktionelle Zusammenfassung Das Amtsgericht übertrug der nicht mit dem Vater verheirateten Mutter die alleinige elterliche Sorge für die beiden gemeinsamen Kinder. Das Oberlandesgericht wies die Beschwerde des Vaters gegen diese Entscheidung zurück. Auch die Rechtsbeschwerde des Vaters beim Bundesgerichtshof hatte keinen Erfolg.

Die nicht miteinander verheirateten Eltern hatten zunächst durch Erklärungen gegenüber dem Jugendamt die gemeinsame elterliche Sorge für die beiden Kinder erlangt, die von Geburt an bei der Mutter lebten, während der anderweitig verheiratete Vater weiter mit seiner Ehefrau zusammenlebte. Nachdem die Eltern ein Jahr nach Geburt des zweiten Kindes ihre Beziehung beendet hatten, lebte die Mutter mit einem neuen Partner zusammen, den sie zwischenzeitlich geheiratet hat. Die Kinder hatten ein Jahr nach der Beendigung der Beziehung noch Kontakt zum Vater, bis die Mutter den Umgang unterband. Zwei Umgangsrechtsverfahren zwischen den Eltern folgten, das eine dauert noch an. Im ersten Umgangsrechtsverfahren ging es um Pädophilie- und Missbrauchsvorwürfe, die gerichtlich nicht bestätigt wurden. Mit dem neuen Umgangsrechtsverfahren verfolgt die Mutter das Ziel, den Vater für drei Jahre vom Umgang auszuschließen. Die Mutter stellte im Sorgerechtsverfahren den Antrag, die elterliche Sorge für beide Kinder auf sich allein zu übertragen. Leben die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern - wie im vorliegenden Fall - nicht nur vorübergehend getrennt, so ist gemäß 1671 Absatz 2 Nummer 2 Bürgerliches Gesetzbuch einem Elternteil auf seinen Antrag auch ohne die Zustimmung des anderen Elternteils die alleinige Sorge zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Für die gemeinsame Sorge ist weder ein Regel-Ausnahme Verhältnis gesetzlich geregelt noch besteht eine gesetzliche Vermutung, dass die gemeinsame Sorge nach der Trennung der Eltern im Zweifel die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist. Für die allgemein gehaltene Aussage, dass eine gemeinsame elterliche Sorge nach der Trennung der Eltern dem Kindeswohl prinzipiell förderlicher sei als die Alleinsorge eines Elternteils, besteht in der kinderpsychologischen und familiensoziologischen Forschung auch weiterhin keine empirisch gesicherte Grundlage. Eine gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung

erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern. Zu den wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge gehören die Grundentscheidungen über den persönlichen Umgang der Kinder mit dem nicht betreuenden Elternteil. Im vorliegenden Fall verweigert die Mutter jede positive Mitwirkung bei der Durchführung der gerichtlichen Umgangsregelung, lässt nichts unversucht, eine Abänderung dieser Regelung zu erreichen und nimmt auch die Verhängung von Zwangsgeldern in Kauf. Insofern besteht zwischen den Eltern in dieser Angelegenheit keinerlei Übereinstimmung und es gibt auch keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass sich die derzeit fehlenden Verständigungsmöglichkeiten unter dem "Druck" der gemeinsamen elterlichen Sorge in absehbarer Zeit wiederherstellen lassen. Auch die Tatsache, dass es nach Einschätzung des Oberlandesgerichts allein die Verweigerungshaltung der Mutter ist, die für die fehlende Verständigung der Eltern verantwortlich ist und dass diese Haltung der Mutter weder nachvollziehbar noch billigenswert erscheint, ändert nichts daran, dass eine Verständigungsmöglichkeit nicht besteht. Auch wenn unbestritten eine Verpflichtung der Eltern zum Konsens besteht, vermag die bloße Pflicht zur Konsensfindung eine tatsächlich nicht bestehende Verständigungsmöglichkeit nicht zu ersetzen. Denn nicht schon das Bestehen der Pflicht allein ist dem Kindeswohl dienlich, sondern erst die tatsächliche Pflichterfüllung, die sich in der Realität nicht verordnen lässt. Die Gegenmeinung läuft im Ergebnis darauf hinaus, das pflichtwidrige Verhalten des nicht kooperierenden Elternteils mit einer ihm aufgezwungenen gemeinsamen elterlichen Sorge sanktionieren zu wollen. Die am Kindeswohl auszurichtende rechtliche Organisationsform der Elternsorge ist dafür jedoch grundsätzlich kein geeignetes Instrument, denn die Elterninteressen haben sich in jedem Falle dem Kindeswohl unterzuordnen. Ein fortgesetzter destruktiver Elternstreit führt aber für ein Kind zwangsläufig zu

erheblichen Belastungen, und zwar unabhängig davon, welcher Elternteil die Verantwortung für die fehlende Verständigungsmöglichkeit trägt. Es ist auch keine sinnvolle Lösung, die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge auf den streitigen Punkt des Umganges mit dem Vater zu beschränken, da die Bestimmungen des 1684 Bürgerliches Gesetzbuch Vorrang vor etwaigen, den Umgang einschränkenden Bestimmungen des alleinsorgeberechtigten Elternteils haben. Es ist unerheblich, ob im vorliegenden Fall auch in anderen Teilbereichen der elterlichen Sorge keine Übereinstimmung zwischen den Eltern besteht, da jedenfalls eine tragfähige soziale Beziehung zur Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht besteht. Die Mutter will den Verdacht, der Vater habe das eine der beiden Kinder sexuell missbraucht, nicht als ausgeräumt ansehen und hält unverändert an diesem Vorwurf fest. Solche Vorwürfe sind regelmäßig Ausdruck der völligen Zerrüttung der persönlichen Beziehungen zwischen den Eltern, so dass eine soziale Basis für eine künftige Kooperation zwischen ihnen regelmäßig nicht bestehen wird. Es steht dabei außer Frage, dass der unbegründete Vorwurf sexuellen Missbrauchs, soweit dieser von einem Elternteil besonders leichtfertig oder gar wider besseres Wissen erhoben worden ist, ein schwerwiegendes Indiz gegen dessen Erziehungseignung darstellt und diesem Gesichtspunkt bei der Prüfung der Frage, ob diesem Elternteil nach Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge die Alleinsorge übertragen werden kann, ein ganz erhebliches und in vielen Fällen entscheidendes Gewicht zukommt. Von einer erzwungenen Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge kann allerdings unabhängig vom Wahrheitsgehalt des Missbrauchsvorwurfes für das Kindeswohl "nichts Gutes" erwartet werden. Entspricht demnach die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl, so hat das Gericht auf der zweiten Prüfungsebene zu beurteilen, ob die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Antragsteller dem Kindeswohl am besten dient.

Das Oberlandesgericht hat der besonderen emotionalen Bindung der Kinder an die Mutter und dem Gedanken der Erziehungskontinuität im Haushalt der Mutter unter den hier gegebenen Umständen ein so hohes Gewicht beigemessen, das diese Gesichtspunkte das festgestellte erzieherische Versagen der Mutter in Teilbereichen, nämlich unter anderem in Bezug auf die Herstellung und Erhaltung der Bindungen zum Vater, in der wertenden Gesamtschau doch noch überwiegen. Die darauf gegründete Schlussfolgerung, dass die Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter dem Kindeswohl - auch gegenüber der Übertragung auf den Vater - relativ noch am besten entspricht, lässt aus Sicht des Bundesgerichtshofs angesichts der außergewöhnliche Familienkonstellation keine Rechtsfehler erkennen. Denn der Vater, der in der Vergangenheit noch nie über einen längeren Zeitraum mit seinen Kindern in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, kann schon angesichts seines hohen Lebensalters für die künftige Betreuung und Pflege der Kinder keine anderen realistischen Perspektiven anbieten, als sie in der Obhut der Mutter zu belassen. Diese Entscheidung im Original nachlesen http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtspr... Zurück Copyright 2017 VAMV-Bundesverband e.v.