Adipositas Wann kommt der Chirurg?



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Transkript:

Adipositas Wann kommt der Chirurg? Thomas P. Hüttl Ärzte und Selbsthilfe im Dialog: Krankhaftes Übergewicht und Adipositas vermeiden München, 24. April 2013

Verständnis für Adipositaschirurgie Chirurgie = einzig effektive Therapie bei extremer Adipositas Chirurgie = Alternative bei Versagen konservativer Therapie Chirurgie = Option bei schwer einstellbarem Diabetes (Metabolische Chirurgie) Wiederherstellungs-Chirurgie Aber: Adipositas ist nicht heilbar 4-D-Regel International Obesity Taskforce aus FOCUS 46/2003

Behandlungsverfahren Konservativ: bei schwerer Adipositas - Programme zur Gewichtsabnahme i.d.r. ohne Erfolg! - Pharmazeutische Präparate Unverändert seit NIH-Konferenz 1991 Interventionell: - endoskopisch (Magenballon, Endobypass) - operativ (Bypass, Magenband, Sleeve, BPD-DS)

Oder doch gleich Chirurgie? OPTIFAST52 N = 8296, multizentrisch (37 Dt. Zentren), 1999-2008 Adipositas I, II, III: 20%, 32%, 47% Langzeit -Daten Gewicht 3-Jahre: N = 301 (3,6%) X Langzeit -Daten Lebensqualität N = 250 (3%) Bischoff SC et.al.: Multicenter evaluation of an interdisciplinary 52 weight loss program for obesity with regard to body weight, comorbidities and quality of life a prospective study; Int J of Obesity 2011; 1-11.

Patientenauswahl Motivation Entscheidende Faktoren Leidensdruck (auch psychosozial) Bereitschaft zur Ernährungsanpassung Bereitschaft zur Nachsorge Bereitschaft zur dauerhaften Einnahme von Supplementen

Evaluation und Diagnostik Eine operative Maßnahme zur Gewichtsreduktion erfordert eine vorhergehende interdisziplinäre Stellungnahme. In diesem Zusammenhang sollte eine Vorstellung bei einem in der konservativen Adipositas- Therapie erfahrenen Arzt erfolgen. Runkel, Hüttl et al. (2010) S3-Leitlinie Adipositas-Chirurgie

Evaluation und Diagnostik Bereits präoperativ sollen die Patienten von einer Ernährungsfachkraft mitbetreut werden! größere Abnahme nach einer OP schnellere Gewichtsabnahme und kürzere OP-Zeit nach erfolgreichem Ernährungsprogramm Runkel, Hüttl et al. (2010) S3-Leitlinie Adipositas-Chirurgie

Evaluation und Diagnostik Insbesondere sollte bei allen Patienten die Konsultation eines möglichst in der Therapie der Adipositas tätigen klinischen Psychologen, Psychosomatikers oder Psychiaters in Betracht gezogen werden. Runkel, Hüttl et al. (2010) S3-Leitlinie Adipositas-Chirurgie

Indikation Adipositas III (BMI > 40 kg/m²) Adipositas II (BMI > 35 kg/m²) + Folge- / Begleiterkrankungen (z.b. Diabetes, Bluthochdruck) intensive konservative Therapie ausgeschöpft oder geringe Erfolgsaussicht (neu!) Compliance / Adhärenz Runkel, Hüttl et al. (2010) S3-Leitlinie Adipositas-Chirurgie

Dosisabhängige Wirkung! Magenband Verlust an Übergewicht (EWL) Begleiterkrankungen Typ 2 Diabetes 47.4% 47.9% (29 kg) Hypertonus Hyperlipidämie Roux Y- Bypass BPD Buchwald H et al. JAMA 2004 Verlust an Übergewicht (EWL) 61.6% (43 kg) Begleiterkrankungen 83.7% Typ 2 Diabetes Hypertonus Remissionsraten Hyperlipidämie nach Schlauchmagen-OP Typ 2 Diabetes 74 % Verlust an Übergewicht (EWL) 70.1% (46 kg) Begleiterkrankungen Bluthochdruck Typ 2 Diabetes 63 % 98.9% Hypertonus Schlafapnoe-Syndrom Hyperlipidämie 100 % 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Hüttl TP, Parhofer KG, et al. ZBL Chir 2009 134:24-31 Besserung/Heilung (%)

Metabolische Chirurgie Bei Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 kann im Einzelfall bereits bei einem BMI zwischen 30 und 35 kg/m² eine bariatrische OP erwogen werden. NEU: FDA anerkennt BMI > 30 kg/m² + DMT2 als morbide Adipositas * Runkel, Hüttl et al. (2010), S3-Leitlinie Adipositas-Chirurgie *H. Buchwald, Dt. Chirurgenkongress Mai 2011M München

Diabetes-Chirurgie Chirurgie effektiver HbA1c Medikation BMI Konservativ Bypass Sleeve Schauer PR et al., N Engl J Med. 2012 Apr 26;366(17):1567-76 N = 150, prospektiv randomisiert, Endpunkt: HbA1c < 6%

OP-Verfahren Ein für alle Patienten pauschal zu empfehlendes Verfahren existiert nicht. Die Verfahrenswahl soll unter Berücksichtigung von BMI, Alter, Geschlecht, Komorbiditäten, Adhärenz und Beruf erfolgen. Sleeve Bypass Band BPD-DS 48% 42% 9% 1% Runkel, Hüttl et al. (2010) S3-Leitlinie Adipositas-Chirurgie, Dtsch Ärztebl. 2011 Zahlenquelle: Destatis, Statistisches Bundesamt 2012 für 2011

Magenband (9%)

Roux-Y-Magenbypass (40%) kleiner Magenpouch (~15 ml; Restriktion) Bypass (Malabsorption) Gastro-Jejunostomie Jejuno-Jejunostomie ~ 1,5 m alimentärer Schenkel ~ 50 cm biliopankreatisch

Schlauchmagen (>50%) 5 cm

Stufenkonzept Hochrisikopatienten 11/2008 378 kg BMI 109 kg/m² kons. stat. Therapie 112/2010 310 kg BMI 91 kg/m² Ballon 7/2011 276 kg BMI 81 kg/m² Sleeve 1/2013 168 kg BMI 49 kg/m²

Patientensicherheit 5-Jahres-Überleben Kohortenstudie Quebec, N = 6781 MORTALITÄT 8% 6% 4% 2% 0,68% 6,17% p < 0,001 0% OP (N = 1035) KONTROLLE (N = 5746) * inklusive einer perioperativen Mortalitätsrate (30 Tage) von 0,4 %!!! 9-fache Reduktion der Sterblichkeit!!! Christou NV et al. (2004), Ann Surg 240: 416-24

Kosten-Effizienz Einfluss auf direkte Krankheitskosten 1. Jahr 4. Jahr 5. Jahr Krankenkassenausgaben im 5. Jahr* Psychiatrische Kardiovaskuläre Maligne Gesamtausgaben Erkrankungen KH 1 252.000 Mio 46.000 $ 23.000 vs. $ vs. 5,1 $ 460.000 1,75 v. Mio 86.000 $ Mio $ $ $ pro 1000 Patienten Sampalis JS et al., J Obes Surg 14 (2004): 939-947

Nachsorge Patienten nach Adipositas-chirurgischen Eingriffen bedürfen einer regelmäßigen Nachsorge durch einen in der Adipositas-Therapie erfahrenen Arzt und eine Ernährungsfachkraft. Bariatrisch operierten Patienten sollte im 1. postoperativen Jahr eine engmaschigere Nachsorge / ärztliche Betreuung angeboten werden. Runkel, Hüttl et al. (2010) S3-Leitlinie Adipositas-Chirurgie

Plastische Chirurgie Plastische Korrekturen sollten integraler Bestandteil des Gesamtbehandlungskonzeptes sein Runkel, Hüttl et al. (2010) S3-Leitlinie Adipositas-Chirurgie Bilder: J. Widmann, Abtlg. f. Plastische Chirurgie

Inakzeptabler Versorgungsgrad Anteil der bariatrisch versorgten OP-fähigen Bevölkerung Entwicklungsland Bayern Martini O, Hüttl TP, Expertengruppe MBC (2012) OPs pro 100.000 OP-fähige Bev. 2011, 18-65 J.; BMI 35-40 & DMT2 oder BMI 40

Quo vadis? Steigerung um Faktor 5-10 zu erwarten Quelle: Expertengruppe Metabolische Chirurgie www.expertengruppe-mbc.de

Weitere Informationen Expertengruppe Metabolische Chirurgie www.expertengruppe-mbc.de Adipositaszentrum München