Klausur StrR I - SS 2014



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Transkript:

Anmerkung zur Methode der Fallbearbeitung (Verwendung der Stilarten ): Die Bearbeiter müssen den Gutachtenstil immer dann anwenden, wenn ein Tatbestandsmerkmal nicht offensichtlich vorliegt. Mein Mantra in der Vorlesung: Wenn im Gutachten eine Subsumtion der Begrünung bedarf, dann muss sie im Gutachtensstil erfolgen. Im Gutachten ist kein Platz für Begründungen im Urteilsstil. Wenn an dem Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals allerdings keinerlei Zweifel bestehen, kann ohne weiteres der knappere Feststellungs- oder Mitteilungssstil verwendet werden. Hierbei bietet es sich an, diesen in einer Weise umzusetzen, in der die Definition des jeweiligen Tatbestandsmerkmals einfließt (siehe bspw. unten zur ersten Kausalitätsprüfung) Einen Methodenfehler stelle es dar, wenn Begründungen im Urteilsstil gegeben werden, wenn Begründungsbedürftiges nicht begründet wird. Keinen Fehler (aber eine Ungeschicklichkeit, einen schlechten Umgang mit der Ressource Zeit) stellt es dagegen dar, wenn nicht Begründungsbedürftiges im Gutachtensstil begründet wird. Das sollte angemerkt werden (z.b.: Hier könnte man kürzer den Feststellungsstil verwenden ), vor allem sollte, wenn deutlich wird, dass die Zeit an anderen Stellen der Bearbeitung, die ausführlicher Begutachtung bedurft hätten, fehlt. Einen methodologischen Grundlagenfehler stellt es dar, wenn Bearbeiter eine Tendenz haben, Unproblematisches breit zu begründen, über Problematisches dagegen nur kurze Feststellungen mitteilen. Das zeigt an, dass Bearbeiter entweder Problematisches von Unproblematischem nicht unterscheiden kann, oder dass Bearbeiter das begründet, was er oder sie leicht begründen kann, sich aber vor schwierigen Begründungen durch vermeintlich elegante Kürze drückt. Anmerkungen zu den Bestandteilen der Voten In den Voten muss (auch zur Vermeidung von Remonstrationen, vor allem aber aus didaktischen Gründen) für die Studierenden erkennbar sein, warum die Bearbeitung gerade die Punktzahl bekommen hat, die sie bekommen hat. Das ist leichter gesagt als getan. Aber: Das Votum sollte Aussagen darüber enthalten: ob die Aufgabenstellung vollständig (oder nur teilweise) bearbeitet wurde, ob die einschlägigen Tatbestände gesehen wurde (und keine nicht gefragten oder fernliegenden Tatbestände geprüft wurden), ob die Lösungen ganz oder teilweise vertretbar/unvertretbar waren; ob Verf. die Technik der Falllösung beherrscht (Sicherheit im Umgang mit Gutachtenund Feststellungsstil, Technik und Details der Subsumtion) ob und inwieweit materielle Kenntnisse vorhanden sind, ob Verf. Problembewusstsein hat und dementsprechend zutreffend Schwerpunkte gesetzt hat, ob Verf. Argumentationsniveau erkennen lässt, bzw. wie das Argumentationsniveau zu bewerten ist. Anzumerken, aber als nachrangig (oder ggf. für die Bewertung nicht relevant) sind Probleme der Lesbarkeit, der Ausdrucksweise, der Orthographie und Grammatik. 1

Musterlösung 1 Aufgabe 1: A. Strafbarkeit des R gem. 212 I StGB 2 (zum Nachteil des T) 3 Der R könnte sich wegen Totschlags gem. 212 I StGB strafbar gemacht haben, indem er gezielt den T mehrfach mit einer Pistole in den Rücken schoss. I. Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand Mit dem Tod des T ist der tatbestandliche Erfolg eingetreten. Die Schüsse mit der Pistole durch R, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der tatbestandliche Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, sind kausal für den Tod des T. Durch die Abgabe der Schüsse hat R auch eine rechtliche relevante Gefahr für das Rechtsgut Leben des T geschaffen. Sie hat sich im Tod des T realisiert, so dass der Tod des T dem R auch objektiv zurechenbar ist. 2. Subjektiver Tatbestand R müsste vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung eines gesetzlichen Straftatbestands in Kenntnis der objektiven Tatumstände. Im vorliegenden Fall schoss R gezielt und mehrfach in den Rücken des T. Dabei sah er es als sichere Folge seines Handelns voraus, dass T durch die mehrfachen Schüsse tödlich getroffen wird. R handelte mit dolus directus 2. Grades, also vorsätzlich. 1 Diese Musterlösung hat eine doppelte Funktion: Sie soll Korrekturassistenten und Studierenden ein Muster einer Lösung, also einen Lösungsvorschlag konkret vorstellen. Den Korrekturassistenten soll damit ein Maßstab zur Hand gegeben werden für die Bewertung der studentischen Arbeiten, den Studierenden soll diese Musterlösung helfen zu verstehen, warum ihre Arbeit so bewertet wurde, wie sie bewertet wurde, also helfen, Lücken, materiell-rechtliche Fehler (systematische Fehler [z.b. beim Aufbau des Verbrechens], verfehlte Definitionen und auch unvertretbare Ergebnisse), Methodenfehler (Fehler im Gutachtensstil, Fehler in der Subsumtion, Fehler in der Schwerpunktsetzung, Fallfrage missachtet etc.) und sonstige Schwächen (äußerer Eindruck der Arbeit, Schrift, Rechtschreibung und Grammatik) zu erkennen. Dagegen erhebt die Musterlösung nicht den (unrealistischen) Anspruch, die eine und richtige Lösung anzubieten. 2 -Angaben ohne Gesetzesangabe im folgenden Text beziehen sich auf das StGB. Römische Ziffern nach einer Paragraphenangabe bezeichnen den Absatz der Norm, auf den sich der Text bezieht. (Diese Fußnote bietet sich bei der ersten -Angabe auch in Klausuren an, in denen ansonsten Fußnoten nichts zu suchen haben. Wenn im Text Abkürzungen benutzt werden, empfiehlt es sich bei erstmaliger Erwähnung des abzukürzenden Begriffs die Verwendung des nicht abgekürzten Begriffs (z.b. Erlaubnistatbestandsirrtum), hinter den in Klammern die Abkürzung (z.b. ETBI) genannt wird. Tendenziell sollten in Klausuren nur wenig und nur allgemein übliche Abkürzungen verwendet werden. 3 Die (durchaus hölzern wirkende, aber korrekte ) Formulierung zum Nachteil von kann in diesem Fall weggelassen werden, weil der Sachverhalt nur von einer Tötung berichtet. 2 Kommentar [H1]: Hier empfiehlt sich die kurze Mitteilung sehr. Jedes Gutachten, jede Definition wirkt überflüssig. Kommentar [H2]: Hier ist gegen ein Kurzgutachten nichts einzuwenden, aber auch die hier gewählte Kurzmitteilung ist nicht zu beanstanden. Keineswegs muss zu Beginn einer Klausur (gewissermaßen zum Nachweis der Beherrschung des Gutachtensstils) ein Gutachten vorgeführt werden. Kommentar [H3]: Da der SV eindeutig ist, und da beide Formen des dolus directus wie auch dolus eventualis zur Bejahung des Vorsatzes führen, muss man nicht erwägen, ob R vielleicht absichtlich (dol. Dir.1. Grades gehandelt hat. Es demonstriert aber Auseinandersetzung mit den konkreten Sachverhaltsangaben, wenn man es tut. -- Nicht vertretbar ist die Annahme von dol. Dir. 1 Grades oder dolus eventualis. Kein Fehler, aber nicht ideal ist, wenn nach Benennung der SV Angaben schlicht (und ohne Spezifizierung) Vorsatz angenommen wird. -- Methodisch kritikwürdig ist es, wenn ohne konkreten SV-Bezug der Vorsatz bejaht wird.

II. Rechtswidrigkeit Des Weiteren müsste R auch rechtswidrig gehandelt haben. Die Tatbestandsmäßigkeit indiziert bei 212 die Rechtswidrigkeit. Vorliegend könnte das Verhalten des R jedoch durch den Rechtfertigungsgrund der Notwehr gem. 32 I StGB gerechtfertigt sein. Dann müsste R sich in einer Notwehrlage befunden haben, sein Verhalten müsste sich als erforderliche und auch gebotene Notwehrhandlung darstellen, und er müsste mit Verteidigungswillen gehandelt haben. 1. Notwehrlage Die Notwehrlage setzt einen gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff voraus. Unter einem Angriff versteht man jede Bedrohung rechtlich geschützter Interessen durch menschliches Verhalten zu bezeichnen. T und K zerrten den R gegen seinen Willen in das Hausinnere. R wurde von K auf einem Stuhl festgehalten. Zudem steckte T aus dem geöffneten Safe eine große Anzahl an Geldscheinen ein. Diese Verhaltensweisen stellen Angriffe auf rechtlich geschützte Interessen in Form des Hausrechts, der Willensfreiheit und des Eigentums des R dar. Gegenwärtig ist ein Angriff, wenn dieser unmittelbar bevorsteht, begonnen hat oder noch andauert. Zum Zeitpunkt der Notwehrhandlung, also den Schüssen mit der Pistole, hat K die Villa bereits verlassen, weshalb Angriffe seinerseits (auf die Willens- und Fortbewegungsfreiheit des R) nicht mehr gegenwärtig sind. T hingegen ist zu diesem Zeitpunkt noch in der Villa zugegen und steckt die Geldscheine aus dem Safe ein. Dies ist als gegenwärtiger Angriff auf das Hausrecht und auf das Eigentum des R zu qualifizieren. Der Angriff durch T, der nicht selbst durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt ist und daher gegen die Rechtsordnung verstößt, ist auch rechtswidrig erfolgt. R befand sich also in einer Notwehrlage. 2. Notwehrhandlung Die Schüsse auf T müssten sich als Notwehrhandlung, die sich hier gegen den T als Angreifer richtet, auch als erforderlich und geboten darstellen lassen. Weiterhin ist ein subjektives Rechtfertigungselement notwendig. Eine Notwehrhandlung ist immer dann erforderlich, wenn diese aus der ex ante- Perspektve zur Angriffsabwehr geeignet ist und das mildeste unter den zur Verfügung stehenden Mitteln darstellt. Die Schüsse mit der Pistole sind offensichtlich geeignet, die Angriffe des T abzuwehren. Fraglich ist allerdings, ob die tödlichen Schüsse des R wirklich das mildeste unter den zur Verfügung stehenden Mitteln darstellen, zumal T dem R den Rücken zuwandte und R auch erkannt hatte, dass T unbewaffnet war. Für die Bewertung als mildestes Mittel kommt es nicht nur auf die Auswahl des Verteidigungsmittels an, sondern zudem auf die Art und Weise seiner Verwendung im konkreten Fall. In Betracht kommt hier nach den Umständen, dass R den Angriff des T ohne 3 Kommentar [H4]: Bessere Klausuren zeichnen sich dadurch aus, dass erkannt wird, dass mehrere Angriffe auf rechtlich geschützte Interessen des R in Betracht kommen. Wichtig ist, dass zur Frage der Gegenwärtigkeit dieser Angriffe auf den Zeitpunkt der Notwehrhandlung abgestellt wird. Dafür, dass das Leben des R durch den Einbruch gefährdet war, bietet der Sachverhalt keinen Anlass.

den Einsatz der Schusswaffe z.b. mit Körperkraft abwehrt. Der Ausgang eines Kampfes wäre allerdings ungewiss gewesen. Auf einen ungewissen Kampf mit T muss sich R aber nicht einlassen. Mildere Mittel als die Heranziehung der Schusswaffe sind daher bei der gebotenen ex ante-beurteilung der Kampflage nicht ersichtlich. Hinsichtlich der konkreten Verwendung des Verteidigungsmittels bestehen allerdings erhebliche Zweifel an der Erforderlichkeit der Notwehrhandlung. Allgemein gilt, dass der Einsatz einer lebensgefährlichen Schusswaffe zuvor angedroht werden muss, soweit die konkreten Tatumstände dies zulassen. Im vorliegenden Fall wäre dies dem R ohne Weiteres möglich gewesen, indem er entweder die Verwendung der Schusswaffe zunächst verbal androht oder einen Warnschuss abgibt. Hierfür spricht insbesondere der Umstand, dass T unbewaffnet ist und R dies wusste. T stand am Safe mit dem Rücken zu R, weshalb R ausreichend Zeit hatte, diese milderen Mittel heranzuziehen. Abgesehen davon hätte R zumindest versuchen können, nicht den Rumpf zu treffen, in dem bekanntlich alle lebenswichtigen Organe eines Menschen liegen. Die genannten Tatumstände ließen es zu, einen anderen Körperteil gezielt anzuvisieren, um das Risiko einer lebensgefährlichen Verletzung bei T zu senken. Folglich ist der konkrete, bewusst lebensgefährliche (und tatsächlich sich als tödlich erweisende) Einsatz der Schusswaffe nach einer ex-ante-beurteilung der Kampflage nicht erforderlich gewesen. 3. Zwischenergebnis Die Schüsse des R waren keine erforderliche Notwehrhandlung, eine Rechtfertigung durch Notwehr scheidet aus. Ein anderer Rechtfertigungsgrund kommt nicht in Betracht. Somit handelte R rechtswidrig. Kommentar [H5]: Man kann auch die Androhung des Einsatzes der Schusswaffe oder einen Warnschuss als andere mildere Mittel ansehen (und nicht nur als andere konkrete Verwendung des Abwehrmittels). Kommentar [CP6]: Ein anderes Ergebnis erscheint aufgrund der konkreten Sachverhaltsangaben kaum vertretbar. Wichtig: die Erörterung der Erforderlichkeit muss konkret erfolgen, also sowohl andere konkrete Abwehrmöglichkeiten (z.b. körperliche Auseinandersetzung, Warnung, Warnschuss) erwähnen als auch Details der Situation, in der sich III. Schuld Der Sachverhalt gibt keine Hinweise darauf, dass R sich über eine tatsächliche Lage geirrt hat, die ihn, wenn sie denn vorgelegen hätte, rechtfertigen würde. Ein Erlaubnistatbestandsirrtum zu Gunsten des R kommt daher nicht in Betracht. Vorliegend könnte jedoch ein Notwehrexzess gem. 33 StGB als Schuldausschließungsgrund in Betracht kommen, mit der Folge, dass R nicht zu bestrafen wäre. Voraussetzung dafür wäre, dass R alle sonstigen Voraussetzungen der Notwehr erfüllt hat, die Grenzen der Notwehr aber überschritten hat und dies aus einem der in 33 genannten (asthenischen) Affekte heraus getan hat. Wie bereits oben geprüft, befand sich R in einer Notwehrlage. Er hat die Schüsse auch abgegeben, um seine Rechtsgüter zu verteidigen, also mit Verteidigungswillen gehandelt. Seine Schüsse stellten aber keine erforderliche Notwehrhandlung dar. Er hat also die Grenzen der erlaubten Notwehr überschritten (sog. intensiver Notwehrexzess). Nach dem Sachverhalt war R bei Abgabe der Schüsse von Furcht getrieben. Furcht ist in 33 StGB ausdrücklich als Affekt normiert, der die Rechtsfolge des 33 auslöst. R handelte im Notwehrexzess und wird daher nicht bestraft. 4 Kommentar [CP7]: Hier die Frage eines ETBI kurz anzusprechen und kurz (unter Verweis auf den SV) abzulehnen, ist kein Fehler, aber auch keine Notwendigkeit. (Einen Mangel würde es dagegen darstellen, wenn hier ein ETBI ausführlich geprüft würde.) Kommentar [CP8]: Das Schlagwort intensiver Notwehrexzess muss nicht fallen, ist aber (natürlich) unschädlich. Kommentar [CP9]: Man kann hier entweder mit dem Gesetzeswortlaut formulieren wird nicht bestraft oder, der systematischen Einordnung des Notwehrexzesses folgend handelt nicht schuldhaft.

IV. Ergebnis R hat sich nicht gemäß 212 I StGB strafbar gemacht. B. Strafbarkeit des R gem. 212 I StGB zum Nachteil der F Des Weiteren könnte sich R wegen Totschlags gem. 212 I StGB strafbar gemacht haben, indem er die Zündung des Motors mit einer Ladung Sprengstoff verbunden hat. I. Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand Mit dem Tod der F liegt der tatbestandliche Erfolg vor. Die Verbindung der Motorzündung mit einer Ladung Sprengstoff kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Tod der F entfiele, so dass sein Handeln auch für diesen Erfolg kausal war. R schuf auch eine rechtliche relevante Gefahr für das Leben der F, die sich im Erfolg auch realisierte und ihm daher objektiv zuzurechnen ist. 2. Subjektiver Tatbestand R müsste vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung eines gesetzlichen Straftatbestands in Kenntnis der objektiven Tatumstände. R wollte durch das Anbringen der Ladung Sprengstoff am PKW den K, einen Menschen, töten. Fraglich ist, ob dieser auf die Tötung des K gerichtete Tötungsvorsatz auch die Tötung der (tatsächlich getöteten) F umfasst. Das wäre jedenfalls dann der Fall, wenn R es für möglich gehalten hätte, dass eine andere Person als K den Wagen anlässt und zu Tode kommt. Dann hätte er bezüglich des Todes dieser Person, also auch der F, dolus eventualis. Aus dem Sachverhalt ergibt sich dies aber nicht, es kann dem R also auch nicht unterstellt werden. Nach dem Sachverhalt ist der R allerdings, nachdem er erfährt, dass es die F getroffen hat, damit durchaus einverstanden. Es fragt sich, ob ihm deswegen die Tötung der F als vorsätzlich zugerechnet werden kann. Vorsätzlich begeht jemand eine Tat, wenn er bei der Verwirklichung der Tat, also im Moment der Tat, Vorsatz hatte. Nachträgliches Einverstandensein kann den Vorsatz allerdings nicht begründen. Von Vorsatz bezüglich der tatsächlich getöteten F wäre aber auch dann auszugehen, wenn es auf die von R vorgenommene Konkretisierung des Vorsatzes auf die Person K gar nicht ankäme. Das wird - von Vertretern der sogenannten Gleichwertigkeitstheorie - mit dem Argument vertreten, der Tatvorsatz fordere nur Wissen und Wollen bezüglich der Tötung eines Menschen, auf weitere Konkretisierungen komme es nicht an. R wollte einen Menschen (K) töten und er hat einen Menschen (F) getötet. Nach dieser Ansicht hat R die F also vorsätzlich getötet. 5 Kommentar [CP10]: Die folgenden Ansichten zur rechtlichen Behandlung eines solchen Falles kommen nur in Betracht, wenn man - wie die h.m. - für vorsätzliches Handeln eine Form der Konkretisierung des Opfers durch den Täter fordert, sog. Konkretisierungstheorie. Würde man hingegen der Gleichwertigkeitstheorie folgen, kommt es auf eine solche Konkretisierung des Tatobjekts grundsätzlich nicht an, mit der Folge, dass im vorliegenden Fall von einem unbeachtlichen error in persona auszugehen wäre. R hat dann vorsätzlich gehandelt, da er eine andere Person tötete und dies auch wollte. Sollte in einer Klausur tatsächlich auf die Gleichwertigkeitstheorie abgestellt werden, ist dies zwingend zu begründen.]

Dieser Ansicht kann man aber entgegenhalten, dass es zwar auf Identitätsvorstellungen (und also auf Konkretisierungen bezüglich der Identität) dann nicht ankommt, wenn der Täter sich zwar über die Identität irrt, aber genau weiß, dass er den von ihm getöteten Menschen tötet. So liege es in den Fällen des sogenannten error in persona, in denen der Täter sich über die Identität des Menschen täuscht, dessen Rechtsgüter er im Begriff ist zu verletzen. In diesem Fall ist der Identitätsirrtum ein Motivirrtum, der ebenso wie andere Motivirrtümer den Tatvorsatz nicht beseitigt. Anders verhalte es sich dagegen, wenn sich der Vorsatz eindeutig auf ein anvisiertes Opfer konkretisiert hat, das dann verfehlt wird, und die Rechtsgutsverletzung nur zufällig ein tatbestandlich gleichwertiges Opfer trifft. So verhält es sich in den Fällen der sogenannten aberratio ictus. Für die rechtliche Behandlung dieses Irrtums ist also entscheidend, ob sich der Vorsatz des R tatsächlich und vorsatzrelevant auf K konkretisierte. Man könnte für die Frage der Vorsatzkonkretisierung auf die sinnliche Wahrnehmung des Tatobjekts durch den Täter abstellen. Im vorliegenden Fall hat R sein eigentliches Zielobjekt, den K, sinnlich nicht wahrgenommen, weshalb sich der Vorsatz des R auch nicht auf K konkretisierte. Ein Fehlgehen der Tat ( aberratio ictus ) wäre demnach auszuschließen. Stattdessen konkretisiert sich der Vorsatz auf diejenige Person, die den roten PKW als erstes in Bewegung gesetzt hat; ( error in persona ). R unterliegt wegen der Gleichwertigkeit der Tatobjekte einem unbeachtlichen error in persona, mit der Folge, dass eine vorsätzliche Tötung der F anzunehmen wäre. Hiergegen könnte man jedoch einwenden, dass die sinnliche Wahrnehmung kein taugliches Kriterium darstellt, da die Konkretisierungstheorie nur solche Fälle vor Augen hat, in denen der Täter sein Tatobjekt optisch wahrnimmt. Für Konstellationen wie der Vorliegenden, in denen es grundsätzlich an einer solchen optischen Wahrnehmung fehlt, müsse daher die geistige Identitätsvorstellung des Täters in den Vordergrund treten. Vor dem geistigen Auge des R hätte sich der Vorsatz auf K konkretisiert. Demnach wäre die Tötung der F nicht vom Vorsatz des R umfasst und die Tat deshalb fehlgegangen ( aberratio ictus ). Ferner könnte man auch darauf abstellen, dass sich der Vorsatz des Täters grundsätzlich nur auf die Person konkretisieren kann, die zuerst den roten PKW nutzte. Hintergedanke ist, dass der Täter es dem Zufall überlassen hat, welche Person als erstes den Motor zündet. R würde das Individualisierungsrisiko tragen, mit der Folge, dass die Tötung der F von seinem Vorsatz umfasst wäre. Gegen die Auffassung, die im Ergebnis auf eine aberratio ictus Konstellation abstellt, lässt sich allgemein einwenden, dass man die Zurechnung des Erfolges nicht allein von der Erfüllung irgendwelcher Vorstellungen des Täters abhängig machen kann, die gerade keine notwendigen Elemente zur Begründung des Unrechts darstellen. Der Täter hat vielmehr eine für den Vorsatz ausreichende Erfolgsvorstellung, wenn ihm bewusst ist, dass er den objektiven Tatbestand einer Strafnorm erfüllt. In diesem Sinne muss der Begriff der Konkretisierung des Tatobjekts verstanden werden. R wusste und wollte, dass die erste Person, die den Motor zündet, durch die Explosion zu Tode kommt. Diesen Kausalverlauf hat R in seinem Vorsatz aufgenommen. Die Identität der zu Tode gekommenen Person stellt weder für das begangene Unrecht, noch für die subjektive Zurechnung einen wesentlichen Faktor dar, weshalb sich R auch nicht über wesentliche Kausalfaktoren geirrt hat. Aus diesen Gründen ist den Ansichten zuzustimmen, nach denen R vorsätzlich handelte. Die Voraussetzungen des subjektiven Tatbestands liegen vor. Kommentar [CP11]: Von den Studenten kann nicht erwartet werden, dass die rechtliche Behandlung dieses Irrtums derart umfassend behandelt wird; in einer Klausur könnten das Examenskandidaten nicht. Es wird auch nicht vorausgesetzt, dass en détail die verschiedenen Lösungsvorschläge im Schrifttum aufgezeigt werden, die hier im Übrigen auch nicht erschöpfend dargestellt wurden. Positiv ist, wenn Bearbeiter Problembewusstsein zeigen und erkennen, dass hier ein Schwerpunkt der Klausur liegt. Bessere Klausuren geben - wenn ihnen der Sprengstoff-Fall nicht ohnehin bekannt ist - zu erkennen, dass die Konkretisierung des Vorsatzes in dieser Konstellation problematisch erscheint. Die Bearbeiter sollen mit eigenen Argumenten erklären, warum hier eher von einer error in persona oder einer aberratio ictus Konstellation auszugehen ist. Da Kenntnisse zur Gleichwertigkeitstheorie sowie zur Konkretisierungstheorie (h.m.) allgemein vorausgesetzt werden (nicht zuletzt durch die klassischen aberratio-ictus Fälle), sollten diese Kenntnisse als Argumentationsgrundlage hilfreich sein, um eine vertretbare Lösung zu finden. 6

II. Rechtswidrigkeit Es sind keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich. III. Schuld Es liegen keine Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe vor. IV. Ergebnis R hat sich gem. 212 I StGB strafbar gemacht. C. Strafbarkeit des J gem. 223 I StGB zum Nachteil des K Des Weiteren könnte sich J gem. 223 I StGB wegen Körperverletzung strafbar gemacht haben, indem er K von dem Barhocker riss und am Boden festhielt. I. Tatbestandsmäßigkeit 1. Objektiver Tatbestand K erlitt eine schwere Gehirnerschütterung. Hierin ist sowohl eine körperliche Misshandlung durch Beeinträchtigung des Wohlbefindens als auch eine Gesundheitsgefährdung durch Hervorrufen eines pathologischen Zustands zu erkennen, weshalb der tatbestandliche Erfolg vorliegt. Das Verhalten des J kann auch nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg in Form der Gehirnerschütterung entfiele. Weiterhin stellt das Verhalten des J eine rechtlich relevante Gefahr für die körperliche Unversehrtheit des K dar, die sich im konkreten realisierte und J zuzurechnen ist. 2. Subjektiver Tatbestand J hat die Gehirnerschütterung nach dem Sachverhalt vorausgesehen und in Kauf genommen, hat also mit dolus eventualis gehandelt. II. Rechtswidrigkeit Des Weiteren müsste J rechtswidrig gehandelt haben. Vorliegend könnte das Verhalten des J jedoch durch das Festnahmerecht gem. 127 I StPO gedeckt sein. 7

1. Festnahmelage Danach müsste J den K auf frischer Tat betroffen (Var. 1) oder verfolgt (Var. 2) haben. Durch das Einsteigen in die Villa hat K unzweifelhaft eine Straftat begangen. Sehr fraglich ist allerdings, ob J den K auch auf frischer Tat betroffen bzw. verfolgt hat. Auf frischer Tat betroffen ist man, wenn die Festnahme in einem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zur Tat steht. Im vorliegenden Fall hat J den K weder unmittelbar nach Begehung der Straftat gestellt noch wurden unmittelbar nach Entdeckung der Tat etwaige Verfolgungsmaßnahmen durch J eingeleitet. Stattdessen wurde J erst Wochen später zufällig in einer Bar aufgrund des polizeilichen Fahndungsbilds auf K aufmerksam. Nach einer derartigen Zäsur von einem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zur Tat nicht gesprochen werden. Die Tatfrische ist daher abzulehnen. 2. Zwischenergebnis Die Voraussetzungen der Festnahmelage liegen nicht vor. Andere Rechtfertigungsgründe kommen nicht in Betracht, weshalb J rechtswidrig handelte. III. Schuld Weiterhin müsste J auch schuldhaft gehandelt haben. Der Sachverhalt gibt keine Hinweise darauf, dass J sich über eine tatsächliche Lage geirrt hat, die ihn, wenn sie denn vorgelegen hätte, rechtfertigen würde. Ein Erlaubnistatbestandsirrtum zu Gunsten des R kommt daher nicht in Betracht. Grundsätzlich scheint J bewusst zu sein, dass sein Verhalten gegen eine Strafnorm verstößt. Allerdings geht er davon aus, dass für sein Verhalten ein Rechtfertigungsgrund existiert, so dass ihm das konkrete Unrechtsbewusstsein fehlt. Er befindet sich also in einem Verbotsirrtum (Fehlvorstellung über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes; indirekter Verbotsirrtum oder Erlaubnisirrtum), 17. Zum Schuldausschluss führt ein Verbotsirrtum, 17 S. 1 StGB, wenn der Irrtum unvermeidbar war. Es fragt sich also, ob J bei hinlänglicher Sorgfalt diesen Irrtum nicht hätte verhindern können. Für die Beantwortung dieser Frage kommt es darauf an, ob unter Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten und Erkenntnismöglichkeiten des Täters ein Anlass bestand, an der Rechtmäßigkeit seines Handelns zu zweifeln, und er auf diesem Wege zur Unrechtseinsicht gekommen wäre. Im vorliegenden Fall setzte sich der J bewusst über die polizeilichen Angaben unter Fahndungsaufruf hinweg, die als vertrauliche Informationsquelle zu erkennen gab, dass ein eigenmächtiges Ergreifen des Täters rechtlich unzulässig ist. Weiterhin hat J vor der - aus seiner Sicht gerechtfertigten - Handlung die Polizei kontaktiert. Er hatte also die Möglichkeit, sich vor seiner Handlung darüber zu informieren, ob sein Verhalten zu strafrechtlichen Konsequenzen führen würde. Diese Erkenntnismöglichkeiten hat J ignoriert bzw. nicht wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund ist der Irrtum des J über die Existenz eines Rechtfertigungsgrundes vermeidbar gewesen. Folglich liegt kein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor, J handelte, weil andere Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe nicht ersichtlich sind, schuldhaft. Kommentar [CP12]: Hier die Frage eines ETBI kurz anzusprechen und kurz (unter Verweis auf den SV) abzulehnen, ist kein Fehler, aber auch keine Notwendigkeit. (Einen Mangel würde es dagegen darstellen, wenn hier ein ETBI ausführlich geprüft würde.) Kommentar [CP13]: Diese Einordnung demonstriert Wissen; für die Falllösung ist sie nicht notwendig 8

IV. Ergebnis J hat sich gem. 223 I StGB strafbar gemacht. Die Strafe kann jedoch gem. 17 S. 2 i.v.m. 49 Abs. 1 StGB gemildert werden. Aufgabe 2: a) Das deutsche Strafrecht wird als Tatstrafrecht sowie als Schuldstrafrecht bezeichnet. Was versteht man darunter? Die Bezeichnung des deutschen Strafrechts als Tatstrafrecht stellt klar, dass Voraussetzung jeder Strafbarkeit eine Tat, ein tatbestandsmäßiges Verhalten ist. Die strafrechtliche Sanktion stellt somit ausschließlich eine Antwort auf diese Einzeltat dar und lässt die gesamte Lebensführung des Täters oder die von ihm künftig erwarteten Gefahren (zunächst) unberücksichtigt. Den Gegensatz zum Tatstrafrecht bildet das sog. Täterstrafrecht, bei dem die Strafe an die Persönlichkeit des Täters anknüpft. Bisweilen wird mit dem Begriff Tatstrafrecht auch klargestellt, dass nur Taten, nicht schon Gedanken, Pläne oder Absichten strafbar sind. Weiterhin wird das deutsche Strafrecht insofern als Schuldstrafrecht bezeichnet, weil jegliche Strafe ( 38 ff. StGB) voraussetzt, dass die in Rede stehende rechtswidrige Tat dem Täter auch persönlich vorzuwerfen ist. Die Strafe setzt also die Schuld des Täters voraus. Das sog. Schuldprinzip ist verfassungsrechtlich zwar nicht ausdrücklich verankert, wird aber aus der Menschenwürde (Art. 1 GG) und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) abgeleitet. Die Fähigkeit des Menschen, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, kann eine strafrechtliche Sanktionierung erst begründen. Allerdings handelt es sich bei der Schuld nicht ausschließlich um ein strafbegründendes, sondern zugleich um ein strafbegrenzendes Verbrechensmerkmals, weil die Schuld des Täters auch die Grundlage für die Zumessung der Strafe bilden muss ( 46 Abs. 1 StGB). b) Wann wird im Strafrecht von kumulativer, wann von alternativer Kausalität gesprochen? Wie wird in diesen Fällen das (für die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes notwendigen) Vorliegen der Kausalität begründet? Kann man auch - mit Gründen - die Ansicht vertreten, dass Kausalität gar nicht vorliegt? Kumulative Kausalität und alternative Kausalität sind Begriffe, mit denen Fallkonstellationen bezeichnet werden, die insofern atypisch sind, als mehrere Akteure Beiträge zu einem Erfolg beigetragen haben. Die kumulative Kausalität bezeichnet einen Sachverhalt, in dem mehrere und voneinander unabhängig gesetzte Bedingungen den konkreten Erfolg nicht für sich alleine, sondern erst durch ihr Zusammenwirken herbeiführen. 9 Kommentar [CP14]: Dies ist eine Beschreibung der Begriffe und ein Antwortvorschlag. Von den Bearbeitern können solche lehrbuchartige Ausführungen in einer Klausur nicht erwartet werden. Erforderlich ist zunächst, dass die beiden Konstellationen zutreffend beschrieben werden. Dies kann mit Hilfe von Beispielsfällen oder abstrakt erfolgen. Sodann sollte klargestellt werden, dass die conditio-formel nur in den Fällen alternativer Kausalität zu problematischen Lösungen führt. In einem dritten Schritt ist dann festzustellen, dass diese Problematik entweder dazu führen kann, die Kausalität abzulehnen oder aber dazu, dass man die Formel modifiziert. Der Hinweis darauf, dass im Rahmen der alternativen Kausalität eine Modifizierung der conditio-formel an sich nicht notwendig wäre, sobald man den Begriff des konkreten Erfolgs schlichtweg eng gebraucht, ist auch von durchschnittlichen Bearbeitern nicht zu erwarten, also ein deutliches Indiz für eine insoweit überdurchschnittliche Leistung.

Hingegen bezeichnet die alternative Kausalität einen Sachverhalt, in dem mehrere und voneinander unabhängig gesetzte Bedingungen zeitlich zusammentreffen und jede dieser Bedingungen für sich alleine zur Erfolgsherbeiführung ausgereicht hätte. Der wesentliche Unterschied dieser beiden Einzelfälle liegt also im unterschiedlichen Zusammenwirken der (mindestens zwei) Bedingungen für die Erfolgsherbeiführung. Die Unterschiedlichkeit zeigt sich v.a., wenn man mit der ganz h.m. die Kausalität mit Hilfe der Äquivalenztheorie und der conditio sine qua non-formel (im Folgenden: conditio-formel) begründet. Danach ist jede Bedingung (mit-)ursächlich für den Erfolg, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Angewendet auf die Fälle der kumulativen Kausalität führt die conditio-formel unproblematisch zur Feststellung des Kausalzusammenhangs. Denn denkt man sich eine der (mindestens zwei) Bedingungen weg, würde der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfallen. In diesen Fällen kann die Kausalität (auch nach anderen Kausalitätstheorien) nicht bestritten werden. Anders verhält es sich in Fällen der alternativen Kausalität. Wendet man die conditio-formel auf diese Fälle an, muss man an sich den Kausalzusammenhang zwischen der hinweggedachten Bedingung und dem Erfolg zweifeln, da der Erfolg aufgrund der anderen Bedingung bestehen bliebe. Demensprechend kann man in diesen Fällen die Kausalität ablehnen. Nach der wohl vorherrschenden Auffassung ist dieses Ergebnis nicht überzeugend; es wird daher die Ansicht vertreten, dass die conditio-formel auf die folgende Art und Weise modifiziert werden muss: Von mehreren Bedingungen, die zwar alternativ, aber nicht kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele, ist jede erfolgsursächlich. 10