Springfeld: Finstere Wahrheit

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Transkript:

Springfeld: Finstere Wahrheit

Finstere Wahrheit Von der naturwissenschaftlichen Spekulation zur Erkenntnis von Uwe Springfeld ebooknews press

Impressum Copyright 2014 ebooknews press Verlag Dr. Ansgar Warner Rungestr. 20 (V) 10179 Berlin ISBN: 978-3-944953-07-6

Inhaltsverzeichnis Vorab... 7 Feyerabend mit Kant... 9 Dunkle Materie eine vernünftige Hypothese?........... 21 Der Klang des Detektors... 33 Mit Ockhams Rasiermesser gegen den Gordischen Knoten... 43 Schluss... 53 Namens- & Stichwortverzeichnis.. 55

Vorab Mir fehlt ein Philosophiestudium. Deshalb konnte mich Friedrich Steinle derart überraschen. Friedrich Steinle ist Wissenschaftshistoriker und ich interviewte ihn für eine Rundfunksendung, in der ich die Grenzen von Forschung und Wissenschaft ausloten wollte. 1 Diese Grenzen sind nicht nur kulturell bedingt, wie die Entwicklung der chinesischen und der Naturwissenschaft der Mayas zeigt. Sie haben sich auch in Europa mehrfach im Lauf der Jahrhunderte verschoben. Und heute kann man sagen, dass nur die Naturwissenschaften auf griechischbabylonischer Grundlage Vorstellungen von Naturgesetzen entwickelten, wie wir sie heute kennen. Darüber zu reden, war ich zu Friedrich Steinle ins Büro gekommen. 1 http://www.wdr5.de/sendungen/tiefenblick/grenzendernaturwissenschaft130.html 4

Wir hatten uns in die Besprechungsecke seines Standard-Professoren-Büros gesetzt, die eigentlich nur eine abgerundete Verlängerung der Schreibtischplatte war. An den Wänden glänzten grau beschichtete Resopalmöbel und ich wunderte mich über die ordentlich eingeräumten Ordner. Auf dem Tisch lag kein hastig abgelegtes Papier, nirgendwo eine achtlos herumliegenden Notiz, nur mein Aufnahmegerät. Es lief schon eine Weile, dann paraphrasierte Steinle einen Gedanken Immanuel Kants zu den Naturwissenschaften: Kant sagt, im Experiment treten wir der Natur nicht als Schüler gegenüber, sondern als bestallte Richter, der der Natur bestimmte Fragen stellt und sie zu Antworten zwingt. Ich war beeindruckt. Ich kannte bisher nur den zum Bonmot geschrumpften Gedanken Karl 5

R. Poppers 2, nach dem sich eine naturwissenschaftliche Theorie durch ein Experiment falsifizieren lassen muss. Doch der Gedanke bezieht sich auf die Funktion eines naturwissenschaftlichen Experiments, nicht wie bei Kant zu dessen Wesen. Praktisch betrachtet liegt zudem Poppers Ansatz weit ab der heutigen Realität experimenteller Naturwissenschaften. 1975 hatte ihn der Wissenschaftsphilosoph Paul Feyerabend 3 förmlich auseinandergenommen. Feyerabend war von einem bestechend einfachen Gedanken ausgegangen. Zu Zeiten der Hexenverbrennung waren die Inquisitoren weder abgrundtief dumm noch moralisch böse oder verkommen. Im Gegenteil, sie waren die führenden Intellektuellen ihrer Zeit. Weshalb hatten sie sich also 2 Vgl. Karl R. Popper (Hrsg. von Herbert Keuth): Logik der Forschung. Tübingen 2005 (Verlag Mohr Siebeck) 3 Vgl. Paul Feyerabend: Wider dem Methodenzwang, Frankfurt 1986 (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft) 6

derart in den Hexenwahn hineinsteigern können? Paul Feyerabend hatte eine der grundlegenden Schriften der Hexenverfolgung studiert, den Hexenhammer (lat. Malleus Maleficarum), den die beiden Dominikanermönche Heinrich Kramer (lat. Henricus Institoris) und Jakob Sprenger um 1486 verfasst hatten. Knapp 500 Jahre später erkannte Paul Feyerabend in der Schrift den Prototypen einer wissenschaftlich-empirischen Arbeit. Ein überzeugender Gedanke, wenn man einmal in den Text hineinliest. Der Hexenhammer gliedert sich ähnlich wie vieler heutige Dissertationen in die klassischen drei Abschnitte Theorie-, einen Daten- und Schlussteil. Im Hexenhammer untersuchen Kramer und Sprenger erst, wer der Hexerei zu bezichtigen ist. Im Datenteil beschreiben sie die beobachteten Phänomene der Hexerei, dass plötzlich beispielsweise Krankheiten ausbrechen, Männer impotent und Menschen in Tiere verwandelt werden. Im dritten Teil ziehen die Autoren Folgerungen aus ihren Untersuchungs- 7

ergebnissen in Hinblick auf verschiedene Vorgehensweisen in Hexenprozessen. Gemessen an heutigen, wissenschaftlichen Maßstäben zeigt der Hexenhammer nur eine einzige Schwäche. Die Ausgangshypothese ist falsch. Es gibt keine Hexen. Menschen können nicht zaubern. Sie haben keine übernatürlichen Fähigkeiten. Ansonsten ist die Argumentation jedoch schlüssig und folgerichtig. Deshalb ist eine Frage besonders interessant. Wie konnte zwei intelligenten Menschen wie Heinrich Kramer und Jakob Sprenger ein derart kapitaler Fehler in ihrer Ausgangshypothese unterlaufen? Wie haben die beiden ihren falschen Ansatz begründet? Mit Vernunft. Laut Kramer und Sprenger existieren Hexen, weil es laut wahrem, katholischen Glauben Hexen gibt. In der Einleitung ihres Werkes wenden sich die Autoren deshalb gegen eine durch nichts begründete gefühlsduselige Menschlichkeit, die behauptet, man dürfe keine Menschen verbrennen, weil es keine Hexen gibt. Die also sagen, es gebe kein 8

Hexenwerk in der Welt, außer in der Vorstellung der Menschen; (glauben) auch nicht..., dass es Dämonen gebe, außer in der Vorstellung des großen Haufens, so dass der Mensch die Irrtümer, die er sich selbst macht, nach ihrer Meinung den Dämonen aufbürde und dass schon aus starker Einbildung gewisse Gestalten im Sinne erscheinen... und da dies dem wahren Glauben widerstreitet, nach dem wir glauben, dass Engel aus dem Himmel gestoßen und Dämonen geworden seien, deshalb gestehen wir auch, dass sie durch größere Kraft ihrer Natur vieles vermögen, was wir nicht können; und jene, die sie zu solchen Taten bringen, heißen Zauberer 4. Abgesehen vom falschen Ansatz sind die Parallelen zu den modernen Naturwissenschaften unübersehbar. Strukturell ähnlich wie Heinrich Kramer und Jakob Sprenger begründen heute beispielweise Teilchenphy- 4 Jakob Sprenger, Heinrich Insistorius (Übers. J.W.R. Schmidt): Der Hexenhammer, München 1982 (dtv), S. 4 9

siker Demokrits Atom-Theorie der Materie, modern gewendet in die Existenz von Elementarteilchen. Weil die materielle Welt aus elementaren Teilchen aufgebaut ist, zeigen die Partikel ihre Spuren in den verschiedenen Detektoren der Welt. Ist eine Teilchenspur im Detektor also genauso ein Beweis für die Existenz von Elementarteilchen wie unerklärliche Impotenz beim Mann für die Existenz von Hexen? Allgemeiner gefragt, kann man von einem beliebigen Phänomen auf eine dahinterstehende, zwangsläufig richtige Theorie schließen? Wohl kaum. Deshalb verlangte Karl Popper, dass wissenschaftliche Theorien zu falsifizieren sein müssen. Die finstere Wahrheit ist: Tatsächlich führt kein logischer Schluss folgerichtig von Phänomenen zu einer zwangsläufig richtigen Theorie. Diese Tatsache kann etwas über die Logik sagen, über die Sprache, in der sich die Logik ausdrückt, über die Erkenntnisfähigkeit des Menschen oder über die Wirklichkeit, die man erkennen will. 10

Paul Feyerabend hatte die wissenschaftliche Methode im Blick, also die Logik und die Sprache, in der sie sich ausdrückt. Deshalb schloss er etwa vierzig Jahre nach Popper, dass die eine Theorie über die Welt genau so gut oder schlecht ist wie jede andere. Ende der Leseprobe 11