Johannes Wild Anita Schilcher. Filius. Lehrerhandreichung. Flüssigkeit im Lesen mit unterschiedlichen Sachhörtexten trainieren.

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Transkript:

Johannes Wild Anita Schilcher Filius Lehrerhandreichung Flüssigkeit im Lesen mit unterschiedlichen Sachhörtexten trainieren Erasmus+

Das Wichtigste auf einen Blick Klassenstufen: Dauer: Einsatzmöglichkeiten: Technische Voraussetzungen: 2. - 4./5. (schwache) 6 Wochen, täglich 15-20 Min. (= 30 Einheiten) Deutschunterricht, Sachunterricht, individuelle Förderung Abspielgerät für Hörtexte (ideal: Mp3) im Klassenzimmer Für individuelle Förderung: Abspielgerät je Schüler/-in Mit Unterstützung durch das Programm Erasmus+ der Europäischen Union. Dieses Projekt wurde mit Unterstützung der Europäischen Kommission finanziert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben. Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz. Stand: 31.03.17 Redaktion, Layout Johannes Wild Illustrationen des Lesehefts Johannes Steubl Die Hörtexte wurden eingesprochen von: Eileen Lägel Wald, Umwelt 1, Mathematik Katharina Muth Wald 1, Umwelt, Mathematik 1 Markus Pissarek Körper 1, Technik 1 Stefanie Zapf Körper, Technik 1 Vorangestellter metakognitiver Teil. Sie erhalten die Hörtexte und Trainingsmaterialien kostenfrei zum Download unter: www.projektelis.eu

Einführung Lesen gehört zu den grundlegenden Fähigkeiten und Fertigkeiten, ohne die eine gesellschaftliche Teilhabe nicht möglich ist. Aktuelle Studien wie IGLU (PIRLS), PISA oder DESI weisen jedoch darauf hin, dass ein erheblicher Teil unserer Schülerinnen und Schüler über Defizite beim Lesen verfügt und sich die Spannweite der Schülerleistungen mit zunehmender Schuldauer erhöht. Schwache Leser haben insbesondere bei den basalen Leseprozessen Probleme, die Voraussetzung für das Verstehen von Texten sind. Es bedarf daher Förderprogramme, die dies berücksichtigen. Ergebnisse der neueren Forschung (u.a. Vollmer/Thürmann 2013) weisen darauf hin, dass Sprachlichkeit und fachliches Lernen eng zusammenhängen. Leseförderung ist dementsprechend Aufgabe aller Fächer. Sie darf nicht Alleinstellungsmerkmal des Deutschunterrichts der Grundschule sein, da Fachsprache allgemeinsprachliche Bildung benötigt (deren Vorliegen allerdings häufig als selbstverständlich vorausgesetzt wird). Filius greift diese Impulse auf und bietet die Möglichkeit, auch im Sach- und Mathematikunterricht Leseförderung zu betreiben. Was bedeutet es, zu lesen? Lesen ist ein komplexer Prozess, bei dem verschiedene Teilprozesse zusammenwirken. Gängige Lesekompetenzmodelle wie jenes von Rosebrock/Nix (2014) fassen die kognitiven Teilprozesse des Lesens auf einer Prozessebene des Lesens zusammen. Sie reichen von den hierarchieniedrigen Ebenen (Buchstaben-, Wort- und Satzidentifikation und lokale Kohärenzbildung) über die globale Kohärenzbildung bis hinauf zu Superstrukturen und Darstellungsstrategien. Mit Hilfe von Informationen aus dem Text und seines Vorwissen bildet sich der Leser während des Lesens ein sog. mentales Modell. Wie exakt dieses mit dem Text übereinstimmt, hängt davon ab, wie vollständig und genau dort die vom Text angeforderten Inhalte und Zusammenhänge abgebildet und geordnet sind. Insbesondere bei Leseanfängern erfordert das erhebliche Anstrengungen. Lesen ist [also] keine passive Rezeption dessen, was im jeweiligen Text an Information enthalten ist, also keine bloße Bedeutungsentnahme, sondern aktive (Re-)Konstruktion der Textbedeutung, also Sinnkonstruktion. (Leisen 2010, 6) Diesbezüglich wirken auf Ebene der Teilprozesse zwei Mechanismen zusammen: ein eher kleinteiliger datengesteuerter (bottom-up) Prozess sowie ein schemaund vorwissensgeleiteter (top-down) Prozess, die jeweils Teilaspekte der Texterschließung steuern; beispielsweise das Erschließen von Wörter über die Lautung oder Buchstabengestalt (lautierend L-e-s-e-n) sowie das Erkennen ganzer Wörter bzw. Wortbausteinen auf einen Blick (z. B. morphologische Einheiten wie Präfixe, Suffixe etc.). Die Genauigkeit der Erkennung beeinflusst dabei wie auch der Grad der Automatisierung und die Geschwindigkeit die Qualität des mentalen Modells, das ein Leser bildet. Darüber hinaus müssen Leser Verknüpfungen zwischen Sätzen herstellen können. Satzmusterkenntnisse (z. B. Verbklammer des Deutschen, Satzendsignale wie Satzzeichen etc.) spielen eine entscheidende Rolle für die Intonation und grenzen größere propositionale Einheiten ab. Durch das Zusammenspiel von Satzstruktur (Syntax) und 3

Bedeutung (Semantik) bauen erfahrenere Leser eine Erwartungshaltung auf und können so Wörter im Satzkontext schneller vorhersagen und satzübergreifende Sinnzusammenhänge herstellen. Ausreichendes Sprach- und Weltwissen hilft, Leerstellen im Text zu ergänzen und ermöglicht damit die hierarchiehöheren Verstehensprozesse. Was versteht man unter Leseflüssigkeit? Wer Texte flüssig lesen kann, versteht also auch mehr (und umgekehrt). Die Leseflüssigkeit (Lesegeläufigkeit; fluency) bildet die Grundlage für Leseverstehen. Sie beschreibt, inwieweit jemand zur schnellen, genauen, automatisierten und sinngestaltenden leisen oder lauten Textlektüre in der Lage ist (vgl. Rosebrock/Nix 2014, 36). Der Leseprozess läuft nicht linear ab, sondern in Blicksprüngen (Sakkaden). Buchstaben und Wörter müssen dabei im Text schnell und zuverlässig, d.h. ohne Verlesungen, dekodiert werden. Verlesungen führen dazu, dass falsche Bedeutungen in die Satzanalyse miteinbezogen werden, oder dazu, dass der Lesevorgang so langsam wird, dass ein Verstehen nicht mehr möglich ist. Nur wenn die Dechiffrierprozesse beim Lesen durch anhaltende Übung automatisiert wurden, d.h. in angemessener Geschwindigkeit, ohne Mühe, autonom und unbewusst vollzogen werden, stehen kognitive Kapazitäten für die eigentlichen Textverstehensprozesse zur Verfügung (Rosebrock/Nix 2014, 37). Lesen Kinder vor, wird dies an der Fähigkeit zum sinngemäßen Betonen deutlich, das im Idealfall dem des Sprechens entspricht. Hierzu muss der Satz als Einheit erkannt sowie in sinnvolle Teilabschnitte gegliedert werden. Gelingt all dies nicht, bleibt Lesen ein frustrierendes Erlebnis. (Vgl. Rosebrock/Nix 2014, 37f.) Welche Voraussetzungen bringen die Kinder mit? Erinnern Sie sich an Ihre erste Fahrstunde? Sicherlich war es schwierig, so viele Dinge gleichzeitig zu beachten und zu tun. Das Ganze soll dann auch noch schnell passieren. Schwachen Schülern oder Leseanfängern geht es genauso während des Lesens: Sie haben Probleme bei Dingen, die für Profis ganz selbstverständlich sind: Sie scheitern an der De- und Rekodierung von Buchstaben und Wörtern, haben einen zu geringen Sichtwortschatz, können Wörter nicht morphematisch gliedern und verfügen insgesamt über einen zu schmalen Wortschatz. IGLU (PIRLS) zeigt, dass dies selbst in den späteren Jahren der Grundschule noch auf eine große Zahl von Schülerinnen und Schülern zutrifft. Sie haben entsprechenden Förderbedarf. Jedoch profitiert von solchen Maßnahmen in der Regel nicht nur diese Schülergruppe, sondern auch starke Leser, deren Leseflüssigkeit noch nicht der von erwachsenen Lesern entspricht. In der zweiten Klasse haben alle Schülerinnen und Schüler die magische Verstehensgrenze einer Lesegeschwindigkeit von 100 Wörtern pro Minute beim leise Lesen noch nicht erreicht (vgl. Rosebrock/Nix 2014, 42). Während es den stärkeren Lesern gelingt, diese bis zur sechsten Jahrgangsstufe auf etwa 150 Wörter pro Minute auszubauen, überschreiten die schwachen Schüler/-innen die Schwelle i. d. R. erst zu Beginn ihres siebten oder achten Schulbesuchsjahres (vgl. Grafik: Hasbrouk et al. 2005). 4

Abb. 1: Lesegeschwindigkeit in Wörtern pro Minute zu Beginn der jeweiligen Jahrgangsstufe nach Perzentilen. (Vgl. Hasbrouk et al. 2005) Obgleich der Bedarf an Fördermaßnahmen bei vielen Schülerinnen und Schülern also vorhanden ist, erhält nur etwa jedes zehnte Kind tatsächlich auch die Unterstützung, die es benötigt. Langfristig führt dies dazu, dass diese Kinder aufgrund der negativen Bildungserfahrungen, die sie machen, das Lesen abwerten und eine distanzierende Haltung dazu entwickeln. Häufig fehlen zusätzlich wirksame Lesemodelle im Umfeld, z.b. durch das Erzählt- und Vorgelesen bekommen durch kompetente Andere (z. B. Mutter/Vater-Kind- Dyade). Sie erleben Lesen dadurch nicht als gewinnbringend und/oder sinnhaft. Dabei bietet gerade der Austausch mit Anderen eine Intensivierung des Textverstehens und starken Lernanlass. Sachtexte bieten sich demnach besonders für ein Lesetraining an. Sie werden dem Bedürfnis der Kinder, die Welt zu verstehen, gerecht und zählen laut Erfurter Studie (Richter/Plath 2009, 50) zu den beliebtesten Textsorten von Grundschulkindern beider Geschlechter. Sachtexte werden in der Unterrichtspraxis stärker als literarische Texte in der Regel allerdings als bloße Informationsmedien gesehen, die eine eigene Auseinandersetzung mit ihrer Form oder Gestaltung nicht lohnen. In der Deutschdidaktik kritisieren Autoren zurecht, dass Sachtexte seltener zum Lesen lernen eingesetzt werden (learnig to read) als vielmehr zum Präsentieren von Inhalten (reading to learn) (vgl. Philipp/ Schilcher 2012). Was sind die Ziele des Trainings? Wie die Studie von Hasbrouk et al. zeigt, bedarf es bis in die Sekundarstufe einer ständigen Kontrolle, ob die Kinder die Grundfähigkeiten tatsächlich bereits erworben haben oder ob bestimmte Teilfähigkeiten gefestigt werden müssen. FILIUS vereint daher verschiedene bisherige Konzepte in einem umfassenden Förderkonzept. Es versetzt die Schülerinnen und Schüler in die Rolle von Lesesportlern, die wie beim Sport von einem professionellen Lesetrainer hinsichtlich ihrer Leseflüssigkeit ausgebildet werden (vgl. Rosebrock/Nix 2014, 5

49). Die Aufgabe des Lesetrainers übernimmt ein ausgebildeter Sprecher von einer CD (vgl. Gailberger 2011). Bei dieser Form des Begleitenden Lautlesens wird... auf die Wirkung eines kompetenteren Lesemodells gesetzt, das zusammen mit dem weniger gut lesenden Schüler Texte gemeinsam vorliest. Der kompetentere Leser demonstriert dabei, welche Lesegeschwindigkeit dem Text angemessen ist und welche Satzteile wie sinnvoller Weise betont werden müssen. (Rosebrock/Nix 2014, 48) Die Schülerinnen und Schüler trainieren in Filius ihre Leseflüssigkeit u.a. durch Wiederholung und Modelllernen. Daneben fördert die Arbeit mit einem Partner auch die Konzentration und Anstrengungsbereitschaft und sensibilisiert für Korrekturen. Das wiederholte Lesen der Texte trägt dabei nicht nur zum Weltwissen der Kinder bei, sondern es besteht die begründete Hoffnung insbesondere, wenn die Texte thematisch zusammenhängend gelesen werden, dass sich positive Effekte auf den Wortschatz ergeben. Nicht zuletzt dadurch erleben sich die Kinder als selbstwirksam und erkennen die eigenen Fortschritte. Das gilt gerade auch für die schwächeren, die dadurch ein entsprechendes Selbstkonzept aufbauen können. Die Unterstützung durch Hörtexte gewährleistet, dass alle Kinder an der Anschlusskommunikation teilnehmen können. Die Wirksamkeit dieses Vorgehens ist inzwischen in einer Reihe von Studien belegt (als Übersicht Philipp/Schilcher 2012; vgl. Gailberger 2011, 71). Eine Umfrage Gailbergers (2011, 85) sowie des Börsenvereins des deutschen Buchhandels (2006, 48) ergaben, dass Kinder diese Form der Unterstützung als sehr motivierend empfinden. Sie fühlen sich so als kompetentere Leser, was auch tatsächlich der Fall ist. Wie läuft das Training ab? Bei dem Training handelt es sich um eine Mischung aus dem sog. wiederholten Lesen (repeated reading) und begleitenden Lautlesen (paired/assisted reading), das in drei Schritten erfolgt (s. u.). Während der Trainingsphase trainieren die Kinder sechs Wochen täglich jeweils 15-20 Minuten mit den Sach(hör)texten (= eine Trainingseinheit) im Plenum oder individuell. Woche 1............ Woche 6 Abb. 2: Überblick über das Training: 6 Wochen täglich eine etwa 15-minütige Trainingseinheit ( ). Der Ablauf einer Trainingseinheit ist einfach: Nachdem sie einen Text erhalten haben, nehmen die Schülerinnen und Schüler einen Stift zur Hand. Dies soll bereits die spätere Arbeit mit Lesestrategien anbahnen und ersetzt den Finger, der in der Zeile mitfährt. Für eine Trainingseinheit benötigen die Schüler das Trainingsheft mit den Texten, die Lehrkraft die Hörtexte als Mp3 oder CD ( ). Insgesamt hören die Kinder dann den Text dreimal: 1. Stilles Mitlesen: Die Kinder hören den Text, währenddessen folgen sie dem Hörtext im Text Wort für Wort mit ihrem Stift. ( Stilles Lesen mit dem Stift ) 6

7 2. Halblautes/flüsterndes Mitlesen: Die Kinder hören den Text erneut und folgen wieder mit dem Stift. Zusätzlich sprechen sie diesmal den Text begleitend zum Sprecher halblaut bzw. flüsternd mit. ( Mitlesen mit dem Stift.) Schwache Leser können dies auch mehrfach wiederholen, z.b. auch als Hausaufgabe. 3. (Alleine) Vorlesen (Abschnitt A/B): Im dritten Schritt entfällt das Sprachvorbild von CD. Nun lesen die Kinder in Partnerarbeit den Text selbst. Partner A liest Abschnitt A vor, während Partner B überwacht und lobt bzw. auf Fehler hinweist. Anschließend (farbig hinterlegter Abschnitt B) wechseln die Aufgaben. Ein wiederholtes lautes Mit- oder Vorlesen zuhause mit den Eltern etc. als Hausaufgabe ist optional. Da alle Texte gleich lang und gleich schwer sind, sind diese während des Trainings frei kombinierbar. Vermutlich sind jedoch leichte Vorteile hinsichtlich des Wortschatzes zu erwarten, wenn in thematischen Blöcken gearbeitet wird. Es bietet sich außerdem an, die Texte so in die jeweilige Unterrichtsstunde einzubetten, dass über die erlesenen Inhalte gesprochen werden kann. Bei den Hörtexten liegen außerdem drei unterschiedlich schnell gesprochene Varianten vor, wodurch eine Differenzierung unkompliziert möglich ist. Sofern die Möglichkeit besteht, jedem Schüler ein eigenes Abspielgerät zur Verfügung zu stellen (Z. B. Sprachlabor, Mp3-Player, Tablet-Klassen etc.) kann auch individuell gefördert werden: Jeder Schüler kann den Text auswählen, der ihn interessiert, und in seiner Geschwindigkeit abspielen. Zusätzlich erlauben es viele Geräte bzw. Programme, die Geschwindigkeit zusätzlich zu regulieren. Wie sind die Trainingstexte aufgebaut? Nahezu alle Texte des Trainings sind problemorientiert gestaltet und gehen von einer Problemfrage aus, die die Anschlusskommunikation anregt. Der eigentliche Text, den die Kinder auch abgedruckt erhalten, wird bei den Hörtexten zusätzlich in eine (metakognitive) Klammer eingebettet: Vor dem Lesen des Textes wird, nachdem das Leseziel genannt wurde, eine Elaborationsstrategie demonstriert Sich Gedanken zur Überschrift machen (Vorwissen aktivieren). Abb. 3: Aufbau eines Filius-Hörtextes. (Hellgrau: Text, der im Leseheft der Kinder abgedruckt ist.) Nach dem Lesen schließt sich die metakognitive Klammer, indem das Leseziel aufgegriffen wird und der Lernzuwachs verbalisiert wird. Es handelt sich hierbei um eine Überwachungsstrategie. Die Schülerinnen und Schüler werden nun explizit dazu aufgefordert, ihren eigenen inhaltlichen Lernzuwachs zu nennen. Die Klammer um den Text wird durch einen Sprecherwechsel und eine ausreichende Pause markiert, sodass die Kinder sich darauf vorbereiten können, mitzulesen.

Börsenverein des deutschen Buchhandels: Kinder und Jugendliche Fans von Hörbüchern? Eine Untersuchung im Rahmen des Leseförderungsprojektes Ohr liest mit 2006. (URL: http://www.boersenverein.de/sixcms/media. php/976/ohr%20liest%20mit%20-%20 Auswertung%202006.pdf, zuletzt geprüft: 14.03.2017) Gailberger, S.: Lesen durch Hören. Leseförderung in der Sek. I mit Hörbüchern und neuen Lesestrategien. Weinheim, Basel: Beltz 2011. Hasbrouk, J./Tindal, G.: Oral Reading Fluency: 90 Years of Measurement. In: Behavioral research & testing (2005). [unpag.] (Url: http:// files.eric.ed.gov/fulltext/ed531458.pdf ) Leisen, J.: Leseverstehen und Leseförderung in den Naturwissenschaften. In: LIES (2011) H. 23. S. 3-13. Leisen, J.: Sachtexte im Grundschulunterricht lesen aber wie? In: Grundschulunterricht (2010) H. 2. S. 4-7. Philipp, M./Schilcher, A.: Selbstreguliertes Lesen. Klett-Kallmeyer 2012. Plath, M./Richter, K.: Literatur für Mädchen Literatur für Jungen. Geschlechtsspezifische Leseinteressen und Rezeptionsmuster. In: Literatur für Mädchen Literatur für Jungen. Wege zur Lesemotivation in der Schule. Hrsg. von Karin Richter und Monika Plath. Hohengehren: Schneider 2009. S. 27-62. Röhrl, S./Krauss, S.: Lesestrategien für mathematische Sachaufgaben. In: Praxis Grundschule (2015) H. 3. S. 10-19. Rosebrock, C.: Leseförderung aus systematischer Sicht: Dimensionen von Lesekompetenz und adaptive Förderverfahren. In: Sprechen, Lesen und Schreibenlernen. Hrsg. von Frank Hellmich und Katja Siekmann. Berlin: DGLS 2013. S. 112-134. Rosebrock, C./Nix, D.: Grundlagen der Lesedidaktik: und der systematischen schulischen Leseförderung. 7. Auflage. Schneider 2014. Vollmer, H./Thürmann, E.: Sprachbildung und Bildungssprache als Aufgabe aller Fächer der Regelschule. In: Sprache im Fach. Sprachlichkeit und fachliches Lernen. Hrsg. von Michael Becker-Mrotzek et al. Münster u.a.: Waxmann 2013. S. 41-57. 8

Lesen gehört zu den Schlüsselkompetenzen in unserer Gesellschaft. Viele Kinder haben jedoch bereits Probleme, einfache Texte zu verstehen. Filius führt die Kinder innovativ an das Erfassen von Inhalten und Entnehmen von Informationen heran: Mit einfachen und motivierenden Texten, die auch für schwache Leser geeignet sind, wird hier bereits in der zweiten Jahrgangsstufe und in mehreren Fächern das schnelle und automatisierte Lesen von Wörtern und Sätzen trainiert. Das Training lässt sich einfach und unkompliziert über einen längeren Zeitraum hinweg täglich einsetzen. Besonders motivierend empfinden Kinder dabei die Kombination mit kurzen Hörtexten und den Austausch mit ihren Mitschülern. Trainiert wird daher im Klassenverband mit allen Schülern gleichzeitig. Filius ist Teil des ErasmusPlus-Projekts ELiS (Evidenzbasierte Leseförderung in Schulen) und vereint Elemente des wiederholenden Lautlesens mit Elementen des begleitenden Lautlesens in einem neuartigen Training mit Sachtexten zum Hören.