Verfassungsrechtliche Zielkonflikte des Stammzellgesetzes Prof. Dr. Jochen Taupitz
Vorbemerkungen Große Hochachtung vor der politischen Leistung der Protagonisten des Stammzellgesetzes in der seinerzeitigen emotional aufgeheizten Stimmung. Das mir aufgegebene Thema verlangt jedoch eine nüchterne verfassungsrechtliche Analyse. Auch wenn darin deutliche Kritik am geltenden StZG zum Ausdruck kommt: Die Kritik gegenüber einem Verbot der Stammzellforschung wäre ungleich größer.
Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen Im Gegensatz zur Ethik fragt das Verfassungsrecht nicht, was der Mensch tun darf, sondern was der Staat verbieten darf. Soweit der Staat in Grundrechte eingreift, bedarf dies einer hinreichenden Begründung. Soweit Grundrechte als Rechtfertigung für den Eingriff in andere Grundrechte dienen, ist der Gesetzgeber im Wege praktischer Konkordanz zum schonenden Ausgleich zwischen ihnen verpflichtet.
Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen Zentrale Anforderungen folgen zudem aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Der Eingriff in Grundrechte muss zum Schutz der konfligierenden Grundrechte / Verfassungsgüter - geeignet - erforderlich - verhältnismäßig im engen Sinne (d.h. nicht übermäßig belastend, nicht unzumutbar) sein.
StZG folgt dem Trend jüngerer Gesetze (insbesondere zur Biomedizin), den Zweck (richtiger: die Zwecke) des Gesetzes im Hinblick auf verfassungsrechtliche Vorgaben zu benennen: Zweck dieses Gesetzes ist es, im Hinblick auf die staatliche Verpflichtung, die Menschenwürde und das Recht auf Leben zu achten und zu schützen und die Freiheit der Forschung zu gewährleisten, 1. die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen grundsätzlich zu verbieten, 2. zu vermeiden, dass von Deutschland aus eine Gewinnung embryonaler Stammzellen oder eine Erzeugung von Embryonen zur Gewinnung embryonaler Stammzellen veranlasst wird, und 3. die Voraussetzungen... [für den ausnahmsweise zulässigen Import / die ausnahmsweise zulässige Verwendung embryonaler Stammzellen zu bestimmen].
Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen: Die vom StZG geschützten Grundrechte Das StZG soll durch seine Verbote ersichtlich die für die Stammzellgewinnung benötigten Embryonen schützen: Zweck dieses Gesetzes ist es, im Hinblick auf die staatliche Verpflichtung, die Menschenwürde und das Recht auf Leben zu achten und zu schützen und die Freiheit der Forschung zu gewährleisten, 1. die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen grundsätzlich zu verbieten, 2. zu vermeiden, dass von Deutschland aus eine Gewinnung embryonaler Stammzellen oder eine Erzeugung von Embryonen zur Gewinnung embryonaler Stammzellen veranlasst wird,... Siehe auch den Titel des StZG: Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen.
Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen: Die vom StZG beschränkten Grundrechte StZG enthält ein grundsätzliches Verbot der Einfuhr und Verwendung von Stammzellen => Eingriff in mehrere Grundrechte: 1. Forschungsfreiheit derjenigen, die im- 2. Berufsfreiheit portieren / verwenden 3. Allgemeine Handlungsfreiheit möchten 4. Menschenwürde derjenigen, die ggf. von 5. Recht auf körperl. Unversehrtheit Therapien profitieren 6. Recht auf Leben 6. Eigentumsrecht derjenigen, die ihre Stamm- 7. Allgemeine Handlungsfreiheit zellen zur Verfügung stellen 8. ggf. allg. Persönlichkeitsrecht möchten
Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen: Die vom StZG beschränkten Grundrechte 1 StZG nennt von den durch das Gesetz beschränkten Grundrechten lediglich folgende: 1. Forschungsfreiheit derjenigen, die im- 2. Berufsfreiheit portieren / verwenden 3. Allgemeine Handlungsfreiheit möchten 4. Recht auf körperl. Unversehrtheit derjenigen, die ggf. von 5. Menschenwürde Therapien profitieren 6. Recht auf Leben 6. Eigentumsrecht derjenigen, die ihre Stamm- 7. Allgemeine Handlungsfreiheit zellen zur Verfügung stellen 8. ggf. allg. Persönlichkeitsrecht möchten
Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen: Die vom StZG beschränkten Grundrechte 1 StZG nennt von den durch das Gesetz beschränkten Grundrechten lediglich folgende: 1. Forschungsfreiheit derjenigen, die im- 2. Berufsfreiheit portieren / verwenden 3. Allgemeine Handlungsfreiheit möchten 4. Recht auf körperl. Unversehrtheit derjenigen, die ggf. von 5. Menschenwürde Therapien profitieren 6. Recht auf Leben (oder nur im Hinblick auf die zu schützenden Embryonen?) 6. Eigentumsrecht derjenigen, die ihre Stamm- 7. Allgemeine Handlungsfreiheit zellen zur Verfügung stellen 8. ggf. allg. Persönlichkeitsrecht möchten
Schlussfolgerung: Erstaunlich undifferenzierte / selektive Nennung der konfligierenden Grundrechte Zweck dieses Gesetzes ist es, [insbesondere?] im Hinblick auf die staatliche Verpflichtung, die Menschenwürde und das Recht auf Leben zu achten und zu schützen und die Freiheit der Forschung zu gewährleisten, 1. die Einfuhr und die Verwendung embryonaler Stammzellen grundsätzlich zu verbieten, 2. zu vermeiden, dass von Deutschland aus eine Gewinnung embryonaler Stammzellen oder eine Erzeugung von Embryonen zur Gewinnung embryonaler Stammzellen veranlasst wird, und 3. die Voraussetzungen... [für den ausnahmsweise zulässigen Import / die ausnahmsweise zulässige Verwendung embryonaler Stammzellen zu bestimmen].
Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen: Die vom StZG geschützten Grundrechte Das StZG soll durch seine Verbote ersichtlich die für die Stammzellgewinnung benötigten Embryonen schützen. Kernfragen: - Genießen Embryonen in vitro Menschenwürde- und Lebensschutz? - Darf der deutsche Staat im Ausland befindlichen Embryonen inländischen Grundrechtsschutz zuteil werden lassen? - Muss der deutsche Staat im Ausland befindlichen Embryonen inländischen Grundrechtsschutz zuteil werden lassen? - Sind alle Import-/Verwendungsverbote des StZG verhältnismäßig (geeignet, erforderlich, angemessen)?
Genießen Embryonen in vitro Menschenwürde- und Lebensschutz? Bekanntlich sehr umstritten. Das StZG folgt der Linie des ESchG, wonach Embryonen in vitro jedenfalls schutzwürdig sind. Allerdings lässt das ESchG offen, ob Embryonen als Grundrechtsträger oder nur objektivrechtlich geschützt werden. Das StZG gibt immerhin deutlich zu verstehen, dass der Embryonenverbrauch als solcher keine Menschenwürdeverletzung darstellt sonst hätte der Gesetzgeber in 4 Abs. 3 StZG nicht ausdrücklich festlegen können, dass die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen keinen offensichtlichen Widerspruch zu tragenden Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung darstellt. => Warum wird dann aber die Wahrung der Menschenwürde als Zweck des StZG benannt?
Darf der Staat im Ausland befindlichen Embryonen inländischen Grundrechtsschutz zuteil werden lassen? H.M.: Ja Jedenfalls soweit es um Schädigungen geht, die vom Inland ausgehen.
Muss der Staat im Ausland befindlichen Embryonen inländischen Grundrechtsschutz zuteil werden lassen? H.M.: Nein - Kein völkerrechtlicher Vertrag, der Deutschland insoweit binden würde - Kein Völkergewohnheitsrecht, vom eigenen Staat ausgehende Schädigungen von Rechtsgütern zu verhindern, die vom ausländischen Ortsrecht nicht als entsprechend schutzwürdig angesehen werden. - Schutzpflichten der Grundrechte sind (sofern nicht über das Band der Staatsangehörigkeit vermittelt), nur gegen den eigenen Staat ( nach innen ) gerichtet. - Staatliche Unterlassungspflicht bezogen auf die Beeinträchtigung ausländischer Rechtsgüter allenfalls bei Handlungen, die dem (inländischen) Staat zugerechnet werden können (z.b. durch staatliche Finanzierung, durch Handlungen von Amtsträgern).
Muss der Staat im Ausland befindlichen Embryonen inländischen Grundrechtsschutz zuteil werden lassen? H.M.: Nein - Angesichts internationaler Auffassungsunterschiede zum Menschenwürdeschutz von Embryonen gibt es keinen Weltrechts- Menschenwürdeschutz von Embryonen. Doppelmoral / widersprüchliche Rechtslage, im Inland vom Unrecht im Ausland zu profitieren? => Gebot, Forschung mit embryonalen Stammzellen im Inland zu verbieten? - Nein, Ursprungshandlung und Verwertungshandlung sind zu trennen. - Nationale Rechtsunterschiede sind Ausfluss staatlicher Souveränität. - Achtung von der Souveränität anderer Staaten gebietet es, die dortigen Regeln nicht an heimischen Maßstäben zu messen.
Schlussfolgerung Der deutsche Gesetzgeber durfte / darf ausländische Embryonen schützen... aber wie?
Sind alle Import-/Verwendungsverbote des StZG verhältnismäßig (geeignet, erforderlich, angemessen)? I. Auf Gewinnung zielende Verbote Stichtagsregelung: Soll Verbrauch ausländischer Embryonen für deutsche Forschung verhindern. Genau das bewirkt aber bereits das ESchG i.v.m. den Regeln des allgemeinen Strafrechts: Jeder von Deutschland aus veranlasste / unterstützte und jeder von einem deutschen Amtsträger / einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten mit Bezug auf den Dienst vorgenommene Verbrauch von Embryonen ist strafbar, selbst wenn die Handlung nach Ortsrecht nicht strafbar ist. => Stichtagsregelung schadet viel, nützt aber so gut wie nichts. => Stichtagsregelung = übermäßige Beschränkung der Grundrechte der Betroffenen. => Das galt erst recht für den früheren Stichtag.
Sind alle Import-/Verwendungsverbote des StZG verhältnismäßig (geeignet, erforderlich, angemessen)? I. Auf Gewinnung zielende Verbote Verbot des Imports / der Verwendung von Stammzellen aus PID- Embryonen: PID-Embryonen sind ohnehin todgeweiht. => Lebensschutz kein taugliches Argument PID-Gesetz vom 21.11.2011 erlaubt PID (unter bestimmten Voraussetzungen) auch im Inland. => PID nach Auffassung des Gesetzgebers offenbar keine Menschenwürdeverletzung PID-Embryonen eignen sich besonders für die Erforschung ihrer genetischen Erkrankung. Haltbar allenfalls mit der Begründung, dass der deutsche Gesetzgeber geringere ausländische Anforderungen an PID nicht implizit billigen will.
Sind alle Import-/Verwendungsverbote des StZG verhältnismäßig (geeignet, erforderlich, angemessen)? I. Auf Gewinnung zielende Verbote Verbot des Imports / der Verwendung von Stammzellen aus intrakorporal befruchteten Embryonen: Keine Begründung im Gesetzgebungsverfahren / keine plausible Begründung erkennbar.
Sind alle Import-/Verwendungsverbote des StZG verhältnismäßig (geeignet, erforderlich, angemessen)? II. Auf Verwendung zielende Verbote Beschränkung von Einfuhr / Verwendung auf Forschungszwecke: - Zu importierende / zu verwendende Stammzellen genießen als solche unstreitig keinen Menschenwürde-/Lebensschutz. - Gesetzesbegründung: Stammzellen können in ethischer Hinsicht nicht wie jedes andere menschliche Material angesehen werden. => Ethische Aspekte verfassungsrechtliche Aspekte! Verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht zuletzt mit Blick auf die Forschungsfreiheit nötig! - Postmortaler Menschenwürdeschutz pränatalen Lebens? Postmortaler Menschenwürdeschutz = Nachwirkung sozialer Beziehungen => passt bei Embryonen in vitro sicher nicht. - StZG gibt (wie dargelegt) deutlich zu verstehen, dass der Embryonenverbrauch als solcher keine Menschenwürdeverletzung darstellt.
Sind alle Import-/Verwendungsverbote des StZG verhältnismäßig (geeignet, erforderlich, angemessen)? II. Auf Verwendung zielende Verbote Beschränkung von Einfuhr / Verwendung auf Forschungszwecke: => Verfassungsrechtliche Rechtfertigung nicht gegeben. => Noch einmal: Warum wird die Wahrung der Menschenwürde als Zweck des Gesetzes benannt? - Widerspruch zu den Fernzielen des StZG => Verletzung der Grundrechte von Kranken jedenfalls dann, wenn Therapien zur Verfügung stehen.
Sind alle Import-/Verwendungsverbote des StZG verhältnismäßig (geeignet, erforderlich, angemessen)? II. Auf Verwendung zielende Verbote Beschränkung von Einfuhr / Verwendung auf hochrangige, alternativlose Forschung: Da schon die Beschränkung auf Forschung an sich verfassungsrechtlich kaum haltbar ist, gilt dies erst recht für die besonderen Anforderungen an die Forschung.
Inkonsistenzen zum übrigen Recht - Keine vergleichbaren Regelungen bezogen auf Stammzellen aus Föten. => Stärkerer (Grundrechts-)Schutz von Embryonen im Vergleich zu weiter entwickelten Föten?
Ausblick - Wenn sich herausstellen sollte, dass die Forschung mit embryonalen Stammzellen ein Irrweg / überflüssig war: Dann haben wir uns die Hände nicht schmutzig gemacht. - Spätestens aber dann, wenn erste Therapien aus embryonalen Stammzellen entwickelt werden, muss das Gesetz modifiziert werden. - Wäre es aber nicht auch an der Zeit, darüber nachzudenken, was in Deutschland mit den hier nicht transferierten PID- Embryonen geschehen darf?
Verfassungsrechtliche Zielkonflikte des Stammzellgesetzes Prof. Dr. Jochen Taupitz