Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen Ein Handbuch zur Sprachpolitik des Europarats Herausgegeben von Franz Lebsanft und Monika Wingender
ISBN 978-3-11-024083-2 e-isbn 978-3-11-024084-9 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 2012 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Felix Tacke (Bonn) Liechtenstein (Fürstentum Liechtenstein) 1 Vorgeschichte Das zwischen der Schweiz und Österreich gelegene, kaum mehr als 35.000 Einwohner umfassende Fürstentum Liechtenstein erhielt seine staatliche Souveränität, als es 1806 auf Initiative Napoleons Mitglied des Rheinbundes wurde. Laut Artikel 2 der liechtensteinischen Verfassung von 1921 konstituiert sich das Fürstentum als eine konstitutionelle Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage. In seiner Außenpolitik betont der Kleinstaat die Pflege bilateraler und multilateraler Beziehungen zu anderen Staaten sowie internationalen Organisationen. Als Leitlinien gibt Liechtenstein u.a. die Solidarität mit der internationalen Staatengemeinschaft sowie das Engagement in der Menschenrechtspolitik und der Weiterentwicklung des Völkerrechts an. Seine Integration in die internationalen Institutionen begann Liechtenstein 1975 mit der Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Darauf folgten 1978 der Beitritt zum Europarat, 1990 die Aufnahme in die Vereinten Nationen (UNO) sowie 1995 der Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und zur Welthandelsorganisation (WTO). Einen EU-Beitritt schließt Liechtenstein bislang aus und bezeichnet seine Mitgliedschaft im EWR auf seinem Internetportal (www.liechtenstein.li) in diesem Zusammenhang als bestmögliche und grössenverträglichste Lösung. Neben zahlreichen internationalen Wirtschaftsabkommen und Verträgen zu Menschen- und Bürgerrechten ist besonders der Beitritt zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten bemerkenswert, da auf dem Territorium Liechtensteins keine nationalen Minderheiten im Sinne des Rahmenübereinkommens existieren. Im Ratifikationsinstrument hieß es als Begründung: Das Fürstentum Liechtenstein erachtet die Ratifikation des Rahmenübereinkommens als einen Akt seiner Solidarität mit den Zielsetzungen des Übereinkommens. Artikel 6 der liechtensteinischen Verfassung statuiert das Deutsche als Staats- und Amtssprache. Während das Hochdeutsche v.a. als Schriftsprache fungiert, werden in der mündlichen Alltagskommunikation wie auch in den Nachbarländern alemannische Dialekte gesprochen. Traditionell werden auf dem Hoheitsgebiet des Fürstentums keine Regional- oder Minderheitensprachen gesprochen.
134 Felix Tacke 2 Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen 2.1 Implementierung 2.1.1 Zeitlicher Verlauf Liechtenstein gehörte zu den elf Staaten, die die Charta bereits am 5.11.1992 unterzeichneten. Gemeinsam mit dem Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten wurde die Charta am 18.11.1997 ratifiziert. Das Fürstentum ermöglichte dadurch zusammen mit Finnland, Kroatien, Norwegen, den Niederlanden und Ungarn, dass die Charta am 1.3.1998 gemäß Artikel 19,1 allgemein in Kraft treten konnte. Am selben Tag wurde sie auch in Liechtenstein rechtlich wirksam. In seinem Ratifikationsinstrument gab Liechtenstein analog zu seinem Vorgehen beim genannten Rahmenübereinkommen an, dass es zum Zeitpunkt der Ratifikation keine Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta gibt. Der erste Staatenbericht wurde gemäß Artikel 15,1 der Charta innerhalb der Jahresfrist am 1.3.1999 vorgelegt. In seiner Ratifizierungsurkunde gab Liechtenstein an, die Bedeutung hervorheben zu wollen, welche der Charta als Schutzinstrument zukomme; die Bewahrung der kulturellen Diversität Europas zähle zu den Prioritäten Liechtensteins. Der Sachverständigenausschuss veröffentlichte seinen ersten Evaluationsbericht am 9.2.2001. Der Ausschuss lobte Liechtenstein darin für das durch die Ratifizierung gezeigte Engagement und die Solidarität mit Europa. Da es keine zu schützenden Sprachen gebe, solle der gewöhnliche Aufwand bei der Evaluation eines Staates im Falle Liechtensteins reduziert werden; außerdem, so heißt es in dem Bericht weiter, sehe der Sachverständigenausschuss davon ab, dem Ministerkomitee des Europarats Empfehlungen für das Fürstentum zu übermitteln. In identischer Weise wurden seitdem noch vier weitere Berichtszyklen vollständig abgeschlossen, die in den Evaluationsbericht des Sachverständigenausschusses vom 5.5.2011 mündeten.
Liechtenstein 135 3 Bewertung In Anbetracht der Tatsache, dass das Fürstentum Liechtenstein auf seinem Hoheitsgebiet keine Regional- oder Minderheitensprachen im Sinne der Charta aufweist, kann an dieser Stelle keine Bewertung der Anwendung der Charta im Bereich des Sprachenschutzes gegeben werden. Die Implementierung in formaler Hinsicht, dies betrifft die Veröffentlichung und Bekanntmachung des Textes und der durch ihn propagierten Werte, darf hingegen als vorbildlich bezeichnet werden. Zentral ist vielmehr die Frage nach dem Warum des Beitritts zur Charta wie auch zum Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten, die zusammen in einem Kontext gesehen werden sollten. Neben den offiziellen Solidaritätsverlautbarungen ist die Antwort wohl vor allem im Rahmen der allgemeinen außenpolitischen Prioritäten Liechtensteins zu suchen. So gibt eine von der Regierung des Fürstentums Liechtenstein herausgegebene Schrift mit dem Titel Ziele und Prioritäten der liechtensteinischen Aussenpolitik an, man wolle durch Engagement und diverse Tätigkeiten zum Erhalt der allgemeinen politischen und völkerrechtlichen Ordnung beitragen und dadurch auch die Existenz Liechtensteins sichern (28). Liechtenstein wird diesem Anspruch im Fall der Charta durchaus gerecht, ermöglichte es durch seine Ratifizierung des Vertrages doch sein allgemeines Inkrafttreten. Die Integration Liechtensteins in die verschiedenen internationalen Organisationen und die Unterzeichnung diverser transnationaler Verträge und Übereinkommen sollte daher über die z.t. im Vordergrund stehenden wirtschaftlichen Interessen hinaus immer auch im Lichte dieser definierten Zielsetzung gesehen werden. 4 Bibliographie 4.1 Quellen 4.1.1 Europarat Rapport périodique du Liechtenstein, 1.3.1999. [= 1. Staatenbericht] Rapport périodique du Liechtenstein, 9.3.2002. [= 2. Staatenbericht] Rapport périodique du Liechtenstein, 1.5.2005. [= 3. Staatenbericht] Rapport périodique du Liechtenstein, 5.2.2008. [= 4. Staatenbericht] Rapport périodique du Liechtenstein, 7.4.2011. [= 5. Staatenbericht] Rapport d évaluation du Comité d experts, 9.2.2001. [= 1. Evaluationsbericht] Rapport d évaluation du Comité d experts, 24.3.2004. [= 2. Evaluationsbericht]
136 Felix Tacke Rapport d évaluation du Comité d experts, 8.4.2005. [= 3. Evaluationsbericht] Rapport d évaluation du Comité d experts, 12.9.2008. [= 4. Evaluationsbericht] Rapport d évaluation du Comité d experts, 5.5.2011. [= 5. Evaluationsbericht] 4.1.2 Weitere Quellen Fürstentum Liechtenstein: Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1921. In: Liechtensteinisches Landesgesetzblatt (LGBl.) 15, 24.10.1921. Fürstentum Liechtenstein: Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen. In: Liechtensteinisches Landesgesetzblatt (LGBl.) 9, 16.1.1998. Regierung des Fürstentums Liechtenstein (Hrsg.): Ziele und Prioritäten der liechtensteinischen Aussenpolitik, Vaduz: Gassner 2007. 4.2 Literatur Janich, Nina / Greule, Albrecht (Hrsg.): Sprachkulturen in Europa: Ein internationales Handbuch, Tübingen: Narr 2002. Pan, Christoph / Pfeil, Beate Sibylle: Minderheitenrechte in Europa, Wien u.a.: Springer 2 2006.