Medizin Burkhard Schütze Untersuchung der Anwendbarkeit der manualtherapeutischen Gleitmobilisationstechnik Bei allgemein peripheren Gelenkerkrankungen und speziell nach Operationen des vorderen Kreuzbandes Masterarbeit
UNTERSUCHUNG DER ANWENDBARKEIT DER MANUALTHERAPEUTISCHEN GLEITMOBILISATIONSTECHNIK BEI PERIPHEREN GELENKERKRANKUNGEN ALLGEMEIN UND SPEZIELL NACH OPERATIONEN DES VORDEREN KREUZBANDES Master Thesis zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science im Universitätslehrgang: Muskuloskelettale Physiotherapien 2 von Burkhard Schütze Klinische Medizin und Biotechnologie an der Donau-Universität Krems Tag der mündlichen Prüfung: 14.01.2011
Zusammenfassung Hintergrund: Die Technik Gleitmobilisation ist eine gängige Behandlungstechnik und wird von unterschiedlichen manualtherapeutischen Strömungen gelehrt und angewendet. Bisher gibt es aber nur wenig Belege für deren Praktikabilität an peripheren Gelenken. Zielvorgabe: Ziel dieser Arbeit war es, ausgehend von der bestehenden Datenlage zu den verschiedenen Formen der Gleitmobilisation, diese zu klassifizieren und eine weitere Empfehlung zur Anwendung dieser manualtherapeutischen Technik zu treffen. Methoden: Grundlage für die Entwicklung einer Pilotstudie war die Durchführung einer umfangreiche Literaturauswertung zur Anwendung und Erfolgsrate von Gleitmobilisationstechniken (Kaltenborn-Evjenth, Maitland, Mulligan) bei peripheren Gelenkerkrankungen. Inkludiert wurden alle Studien zu diesem Thema, die bis 2010 veröffentlicht wurden und in den Datenbanken Cochrane Library, MEDLINE / Ovid Full Text, MEDPILOT, PEDro und PubMed gelistet waren. Die externe Validität wurde mittels PEDro und die interne Validität mittels der PEDro und SIGN Skala bestimmt. Die methodische Qualität der gefundenen Studien wurde nach dem Modell von Lloyd-Smith gewichtet. Die Beweisdimensionen wurden nach den Kriterien der NHMRC geprüft und beurteilt. Ausschlusskriterien wurden definiert als tierexperimentelle Studien, Manipulation (HVT), Traktions- und Wirbelsäulenbehandlungen, sowie Behandlungen an mehr als einem Gelenk sowie Einzelfallstudien. Zusätzlich dazu wurde eine Pilotstudie entwickelt, welche die Wirkungsweise von manualtherapeutischen Techniken mit der konventionellen Physiotherapie (Kontrollgruppe) bei der postoperativen Versorgung von vorderen Kreuzbandrupturen (VKB) vergleicht. Die randomisierte einfach blindierte Studie umfasste drei wöchentliche Anwendungen mit a) allgemeiner Physiotherapie (G1 n = 1) und b) Physiotherapie mit Gleitmobilisation
(G2 n = 1, G3 n = 1) über einen Gesamtzeitraum von 40 ± 1 Tagen. G1 und G2 zu G3 unterschieden sich in der operativen Versorgung. Ziel dieser Studie war es Unterschiede in der Rehabilitation hinsichtlich Funktionalität, aber auch Lebensqualität zu detektieren. Resultat: Insgesamt wurden in die Review 25 Studien aufgenommen, die sich mit der Thematik Gleitmobilisation bei peripheren Gelenkerkrankungen befassen. Davon waren 18 RCT und sieben CT. Beurteilt nach der SIGN Skala waren sieben Studien vertrauenswürdig. Der Mittelwert nach der PEDro Beurteilung lag bei 5,84 (Range 8-3). 71% der Ergebnisse aus den Mulligan Studien waren signifikant, was insgesamt 56% der vertrauenswürdigen Studien ausmachte. Die vertrauenswürdigen Maitlandstudien machten 35% der Review aus und diese erreichten 45% signifikante Ergebnisse. Die Gleitmobilisationstechnik nach Kaltenborn-Evjenth war nur zu 11% vertreten, nur Teil einer Studie und hatte keine signifikanten Ergebnisse aufzuweisen. Beim Vergleich vor und nach den Interventionen hinsichtlich objektiver Messungen waren 91% der Ergebnisse signifikant. Im Vergleich zwischen den Einzelgruppen (G1...G4) erreichte die Gleitmobilisationstechnik eine Signifikanz von 25%. Subjektive Messungen wie die Visuelle Analog Skala (VAS) und Fragebögen stellten nur einen Anteil von 21% (fünf Messungen) und zeigten 100% vor / nach den Behandlungen sowie 40% der Ergebnisse zwischen Gruppen signifikant. In der chronischen Phase (drei Monate +) zeigten sich in der Zusammenfassung der Ergebnisse 71% bei Mulligan und 67% bei Maitland signifikant. Aufgrund der geringen Fallzahl der Pilotstudie (n = 3, = 100%, Alter 31 ± 3 Jahre) konnten keine signifikanten Rückschlüsse auf die unterschiedlichen Behandlungsformen gezogen werden. Schlussfolgerung: Gleitmobilisation ist eine gute Möglichkeit periphere Gelenke additiv zu anderen Maßnahmen zur Behandlung zu nutzen. Es ist auf Grund der geringen Anzahl hochwertiger vertrauenswürdiger Studien unmöglich festzustellen, ob die Gleitmobilisation besser als andere Behandlungsformen wirkt. Es gibt Hinweise darauf, dass diese Technik insbesondere bei muskuloskelettalen
Gelenkerkrankungen in der chronischen Phase - und dort speziell das Mulligan Konzept - verlässliche Wirkung zeigt. Fraglich ist, ob die Gleitmobilisation in der postoperativen Versorgung von VKB Rupturen Vorteile gegenüber konventioneller Physiotherapie bietet. Die entwickelte Studie zeigte sich praktikabel und umfasst sowohl funktionell messbare Parameter, wie auch subjektive Elemente zur Lebensqualität. In dieser Weise sollten weitere Studien mit größeren Fallzahlen und hohem Follow-up folgen. Schlüsselwörter: Gleiten, Manuelle Therapie, Mobilisation, periphere Gelenke, VKB
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung... 3 2. Methode... 6 2.1. Datenbanken / Datenfindungsprozess... 6 2.2. Suchterminologie... 6 2.3. Auswahlkriterien... 6 2.4. Qualität der Methodik... 7 2.5. Rangordnung der Beweise... 9 2.6. Statistische Präzision... 10 2.7. Effektgröße... 10 2.8. Klinische Relevanz... 11 2.9. Datenerfassung... 11 3. Resultate... 12 3.1. Studienfindung und Auswahl... 12 3.2. Rangordnung der Beweise... 14 3.3. Methodische Qualität... 15 3.4. Interventions- und Kontrollgruppen... 17 3.5. Messungen... 25 3.6. Power der Studien... 28 3.7. Klinische Relevanz... 39 4. Diskussion... 40 4.1. Bestehende Literatur... 40 4.2. Limits... 41 4.3. Studienqualität und externe Validität... 42 4.4. Erkenntnisse... 45 1
4.5. Pilotstudie Die postoperative Versorgung des vorderen Kreuz bandes mit und ohne den Einsatz von Gleitmobilisation... 48 5. Schlussfolgerung... 51 Literaturverzeichnis... 53 Danksagung... 59 Abbildungsverzeichnis... 60 Tabellenverzeichnis... 61 Abkürzungsverzeichnis... 61 Anhang 1 PEDro Skala (Übersicht)... 65 Anhang 2 SIGN Scale (Übersicht)... 66 Anhang 3 Studienfindungsprozess... 67 Anhang 4 Studienauswahlprozess... 74 Anhang 5 Übersicht über eingeschränkt vertrauenswürdige Studien... 80 Anhang 6 Pilotstudie... 91 Anhang I... 99 Anhang II... 101 Anhang III... 102 Anhang IV... 104 Anhang V... 107 2
1. Einleitung Manualtherapeuten gebrauchen täglich die Mobilisationstechnik Gleiten. Diese wird in der Vielzahl manualtherapeutischer Konzepte auf unterschiedliche Art und Weise praktiziert. Kaltenborn definiert die Gleitmobilisationstechnik in seinen Büchern wie folgt: Das translatorische (dorsale / ventrale) Gleiten ist eine Gelenkspielbewegung parallel zur Behandlungsebene. Aus ihr resultiert ein Gleiten der Gelenkflächen zueinander. Die nicht kongruent gekrümmten Gelenkflächen erlauben dieses Gleiten über kurze Distanzen in allen Gelenken. Zudem wird das translatorische Gleiten immer mit einer Traktion Stufe I kombiniert, um eine eventuell schmerzhafte Kompression zu vermeiden bzw. zu verhindern. Die gehaltene Mobilisation dehnt die verkürzten Strukturen durch Zeit (30-40 Sekunden) und nicht durch vermehrte Krafteinwirkung [21]. Die Behandlungsebene nach Kaltenborn liegt hypothetisch auf dem konkaven Gelenkpartner, verläuft durch das Gelenk und liegt rechtwinklig zu einer Linie, die von der Rotationsachse zur Mitte der sich berührenden Gelenkflächen geht [21]. Zusätzlich wird in diesem Konzept das Funktionsgleiten oder gebogenes Gleiten erwähnt, wobei der Therapeut die Gleitbewegung gelenknah unterstützt [27]. Das Maitland Konzept vertritt eine andere Form der Gleitmobilisation. Hier wird der Ansicht widersprochen, dass alle Untersuchungen und Behandlungen mit passiven Bewegungen in die gleichen Richtungen durchgeführt werden müssen, in denen sie auch aktiv erfolgen (Gleiten, Rollen, Drehen) [32]. Dennoch wird auch in diesem Konzept von Gleitmobilisation in verschiedene Richtungen gesprochen, wie zum Beispiel dem Gleiten in anterior posteriore (AP) oder posterior anteriore (PA) Richtung [17], welches jedoch, abgesehen von der Bewegungsrichtung, nicht exakt der transversalen Gleitmobilisation des Kaltenborn-Evjenth entspricht, sondern eher dem gebogenen Gleiten. Schematisch wird es jedoch genauso dargestellt [33]. Ein weiterer und wesentlicher Unterschied ist, dass im Maitland Konzept der Therapeut die Gleitmobilisation intermittierend in unterschiedlichen Graden appliziert. Eine weitere differente Form der Gleitmobilisationstechnik ist die Mobilization With Movement (MWM) nach Mulligan. Diese ist eine Form der manualtherapeutischen Technik, bei welcher der Therapeut ein Gleiten im Gelenk aufrecht erhält, wobei der Patient Bewegungen ausführt [49] oder eine körperliche Aufgabe erfüllt [39]. Die 3
Gleitbewegung beginnt bevor der Patient die singuläre Bewegung startet und endet mit dem Abschließen der Rückbewegung. Folglich finden beim Mulligan Konzept zwei Bewegungen im Wechsel statt die des Therapeuten und jene des Patienten. Der Therapeut hat darauf zu achten, dass die Gleitbewegung parallel zur Behandlungsebene stattfindet [2]. Man könnte daraus schließen, dass dieses Konzept eine Kombination und Erweiterung der beiden erst genannten ist. In der wissenschaftlichen Literatur kann man deutlich mehr über Effekte der manuellen Therapie an der Wirbelsäule nachlesen, als über die an peripheren Gelenken [37, 40]. Dies war auch der Grund für Moss [37], Paungmali [39, 40] und Vicenzino [56] sich der Untersuchung der Gleitmobilisation an peripheren Gelenken zu widmen, um zu erfahren, ob die an der Wirbelsäule gefundenen Effekte verallgemeinerbar auf den gesamten Körper sind. Die Fragestellung des vorliegenden Reviews war folgende: Ist die manualtherapeutische Gleitmobilisationstechnik ein probates Mittel bei der Behandlung peripherer Gelenkerkrankungen, und bietet diese Vorteile gegenüber konventioneller Krankengymnastik? Diese Vorteile sollten sich in schnellerer Genesung, also subjektiv der Zunahme der Lebensqualität, und objektiv der Beweglichkeit, wiederspiegeln. Desweiteren war das Bestreben des Reviews, Effekte aufzuspüren und zu erfahren, wann und wie die Technik Gleitmobilisation am effizientesten wirkt, und ob eine bestimmte Form der Technik zu präferieren ist. Dem schließen sich die Forschungsfragen der Pilotstudie an, welche da wären: a) Ist die manualtherapeutische Gleitmobilisationstechnik eine geeignete Intervention bei der postoperativen Behandlung nach VKB Operationen hinsichtlich der subjektiven Parameter Lebensqualität, und objektiven Parameter Beweglichkeit? b) Bietet die Gleitmobilisationstechnik Vorteile (oben genannte) gegenüber der herkömmlichen Physiotherapie? c) Ist eine groß angelegte Studie mit dem gewählten Studiendesign sinnvoll und durchführbar? 4
Davon ausgenommen war die Untersuchung der einzelnen Formen der Gleitmobilisationstechnik. Die Nullhypothese dieser Forschungsarbeit lautet: Die Technik Gleitmobilisation ist kein probates Mittel bei der Behandlung peripherer Gelenkerkrankungen, bietet keine Vorteile gegenüber der herkömmlichen Physiotherapie. Die Alternativhypothese ist: Die Technik Gleitmobilisation ist ein probates Mittel bei der Behandlung peripherer Gelenkerkrankungen und bietet Vorteile gegenüber der herkömmlichen Physiotherapie. 5
2. Methode 2.1 Datenbanken / Datenfindungsprozess Es wurden im Zeitraum von über einem halben Jahr Studien bis zum 10.07.2010 über die zugänglichen relevanten elektronischen Datenbanken der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) inkludiert. Die Datenbanken die genutzt wurden waren Cochrane Library, MEDPILOT, MEDLINE / Ovid Full Text, PEDro, sowie PUBmed. Darüber hinaus wurden sämtliche relevant erscheinenden Reviews auf weitere passende Studien im Design von randomisierten kontrollierten klinischen Studien (RCT) bis hin zu einfachen klinischen Studien (CT) gescannt. Zusätzlich wurden alle Autoren, welche sich mit der Thematik Gleitmobilisation befasst haben und in der bis dato vorhandenen Literatur aufgelistet waren, einer separaten Suche nach Studien in der Datenbank PUBmed unterzogen. 2.2 Suchterminologie Gesucht wurden Studien, welche die folgende Schlüsselwörter enthielten: physiotherapy, manual, manipulative, glide, slide, therapy, treatment, mobilization, mobilisation, movement, osteoarthrosis, osteoarthritis, joint, extremity, shoulder, elbow, wrist, hip, knee, ankle. Die Terminologie wurde an die jeweiligen Datenbanken angepasst. Alles in allem wurden 4499 Studien in diesem Prozess identifiziert, von welchen letztlich 83 näher untersucht wurden. Eine genauere Darstellung des Studienfindungsprozesses findet sich im Anhang 3. 2.3 Auswahlkriterien Zu Beginn des Suchprozesses wurden alle elektronisch frei zugänglichen und verfügbaren Reviews und experimentellen Studien eingeschlossen, um zum einen zusätzliche Studien aus den Reviews zu gewinnen, und zum anderen um sicher zu gehen, dass es keine Review gibt, welche sich ausschließlich explizit mit dem Thema Gleitmobilisation (in holistischer Form) an peripheren Gelenken befasst. Nachdem dies sichergestellt war, wurden nur experimentelle Studien eingeschlossen, welche sich mit der Thematik der Gleitmobilisation in ihren unterschiedlichen Facetten wie der MWM, AP / PA Mobilisation und der 6