Umsatzsteuer selbständig tätiger Laborärzte Prof. Dr. Axel Otte, WP/StB 1 I. Einleitung Während bis zu einer EuGH-Entscheidung im Jahr 2000 2 davon ausgegangen wurde, dass die Leistungen selbständig tätiger Ärzte grundsätzlich umsatzsteuerfrei waren, haben sich seitdem sehr differenzierte Entwicklungen ergeben. Die Finanzverwaltung hat in diesem Zusammenhang versucht, für Rechtsklarheit zu sorgen 3. In einschlägigen Verwaltungsanweisungen sind hierbei auch selbständig tätige Laborärzte erfasst worden 4. Danach war bisher davon auszugehen, dass nur selbständig tätige Laborärzte ohne Vertragsarztzulassung nach 95 SGB V ihre Leistungen der Umsatzsteuer zu unterwerfen hatten. Nunmehr liegen eine Entscheidung des EuGH und nachfolgend zwei des BFH vor, die zu einer deutlich geänderten umsatzsteuerlichen Beurteilung der Tätigkeiten selbständiger Laborärzte führen 5. Dabei wird die allzu enge Auffassung der Finanzverwaltung korrigiert. Im Folgenden wird untersucht, wie sich die neuen Entscheidungen auf die Beurteilung laborärztlicher Tätigkeiten auswirken. Dabei wird nach Art der Berufsausübung unterschieden. II. Beurteilung von unterschiedlichen Arten der Berufsausübung 1. Berufsausübung im Rahmen einer Einzel- oder Gemeinschaftspraxis mit Vertragsarztzulassung Die Finanzverwaltung fordert für die Umsatzsteuerfreiheit eine Tätigkeit im Rahmen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses zu den Patienten, für die Heilbehandlungen erfolgen. 6 Die Mitwirkung an der Diagnose durch die laborärztliche Tätigkeit wird hier der Heilbehandlung zugerechnet. Nun ist klar, dass im Regelfall ein solches persönliches Vertrauensverhältnis zwischen dem Laborarzt und dem zu behandelnden Patienten nicht besteht. Deshalb ist für Laborärzte die Umsatzsteuerbefreiungsvorschrift des 4 Nr. 14 a UStG, die nach Finanzverwaltungsauffassung nur für selbständig tätige Ärzte mit unmittelbarem Patientenkontakt gilt, nicht einschlägig. Die Finanzverwaltung verweist hingegen auf 4 Nr. 14 b Doppelbuchstabe bb UStG, der vorsieht, dass die Leistungserbringung der Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik oder Befunderhebung, die an der vertragsärztlichen Versorgung nach 95 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch teilnehmen, umsatzsteuerfrei ist. 7 Es ist zu fragen, was unter diesen Zentren zu verstehen ist. Diese Zentren müssen nach Abschn. 4.14.1 Abs. 1 UStAE eine soziale Zweckbestimmung aufweisen.
2 Wird die soziale Zweckbestimmung im Schutz der menschlichen Gesundheit gesehen, so versagt jedoch dieses Abgrenzungskriterium. Es wären dann nämlich nahezu sämtliche Praxen niedergelassener Ärzte Zentren i.si. von 4 Nr. 14 b Doppelbuchstabe bb UStG und die steuerrechtlich gebotene Abgrenzung zu 4 Nr. 14 a UStG wäre nicht möglich. Auch eine Interpretation der Zentren als Zusammenschlüsse von mehreren Ärzten wäre nicht haltbar, da sich dann unzulässigerweise umsatzsteuerliche Ungleichbehandlungen zwischen Einzelpraxen einerseits sowie Gemeinschaftspraxen und Medizinischen Versorgungszentren andererseits ergeben würden. 8 Ungeachtet dieser Problematik ordnet die Finanzverwaltung die selbständige Tätigkeit der Laborärzte mit Vertragsarztzulassung den Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik oder Befunderhebung zu 9. Diese Zuordnung ist steuerrechtlich missglückt und alles andere als rechtssicher. In dem vorgenannten Urteil des EuGH und der Folgerechtsprechung des BFH 10 wird das Merkmal Notwendigkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen behandelndem Arzt und Patient aufgegeben. Es genügt, dass die Tätigkeit des Laborarztes ein unerlässlicher, fester und untrennbarer Bestandteil eines Gesamtverfahrens der Heilbehandlung ist. Diesem Kriterium genügt die Befunderhebung des Laborarztes. Auch Beratungsleistungen, die menschlichen Heilbehandlungen dienen, sind hier zu subsumieren. Als Konsequenz ergibt sich die Vermeidung möglicher Auseinandersetzungen über das Vorliegen eines Zentrums für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik oder Befunderhebung. 11 Die Umsatzsteuerfreiheit ist nach dieser Rechtsprechung auf 4 Nr. 14 a UStG zu stützen. Ein Beitrag zu mehr Rechtssicherheit für die hier behandelte Art der Berufsausübung ist erreicht. 2. Berufsausübung im Rahmen einer Einzel- oder Gemeinschaftspraxis ohne Vertragsarztzulassung Zu denken ist hier insbesondere an Ärzte, die neben einer Tätigkeit im Angestelltenverhältnis auch selbständige Leistungen erbringen. Dies gilt insbesondere für Chef- und teilweise auch für Oberärzte. In geringerem Umfang dürften hiervon nur selbständig tätige Laborärzte betroffen sein, die auf die Vertragsarztzulassung verzichten, weil sie für Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen tätig sind. In der Besteuerungspraxis wird auf die Umsatzbesteuerung der selbständig erbrachten laborärztlichen Leistungen der Chef- und der Oberärzte weitgehend verzichtet. Diese Festlegung der Finanzverwaltung ist jedoch widersprüchlich, auch wenn man die neue Rechtsprechung nicht beachtet. Chef- und Oberärzte, die laborärztliche Leistungen erbringen, haben i.d.r. kein persönliches Vertrauensverhältnis zu den zu behandelnden Patienten, so dass 4 Nr. 14 a UStG entsprechend der Regelungen im UStAE nicht anwendbar ist. Die Anwendung des 4 Nr. 14 b Doppelbuchstabe bb UStG scheitert daran, dass keine Vertragsarztzulassung vorliegt. Auch die weiteren Regelungen 4 Nr. 14 UStG sind nicht an 2
3 wendbar. Folglich dürften die selbständig erbrachten laborärztlichen Leistungen der Chef- und Oberärzte - abweichend von der tatsächlichen Besteuerungspraxis - nicht von der Umsatzsteuer befreit sein. Die Umsatzsteuerfreiheit wird nach dem UStAE jedoch nicht auf die nur selbständig erbrachten Leistungen der Laborärzte ohne Vertragsarztzulassung angewendet. Noch in 2010 ist auch das Niedersächsische FG von der Umsatzsteuerpflicht der Leistungen eines Facharztes für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, der für eine Laborarztpraxis, Krankenhäuser, andere Arztpraxen, Alten- und Pflegeheime tätig war 12, in inhaltlicher Übereinstimmung mit den Festlegungen der Finanzverwaltung ausgegangen. Die neue Rechtsprechung des EuGH und des BFH führen hier jedoch zu einer deutlichen Entlastungswirkung. Für die Umsatzsteuerfreiheit der laborärztlichen Leistungen sowohl der Chef- und Oberärzte als auch der nur selbständig tätigen Laborärzte genügt jetzt die Erfüllung des Merkmals unerlässlicher, fester und untrennbarer Bestandteil eines Gesamtverfahrens der Heilbehandlung. Einer Vertragsarztzulassung, die zumindest für die nur selbständig tätigen Laborärzte erforderlich war, bedarf es nicht mehr. Nunmehr können sich die Laborärzte ohne Vertragsarztzulassung auf 4 Nr. 14 a UStG berufen. Freilich ist dabei darauf zu achten, dass die Tätigkeit einer Heilbehandlung dient. Deshalb dürften i.d.r. Leistungen für Alten- und Pflegeheime nicht diesem Kriterium genügen. Die Vermeidung der Umsatzsteuer in diesem Zusammenhang ist jedoch aufgrund der Regelungen zur Kleinunternehmerbesteuerung - die Einhaltung der Umsatzgrenzen des 19 UStG vorausgesetzt - möglich. 3. Berufsausübung im Rahmen einer ärztlichen Laborgemeinschaft Schließen sich selbständige Ärzte, die umsatzsteuerfreie Leistungen nach 4 Nr. 14 a UStG erbringen, zu einer ärztlichen Laborgemeinschaft zusammen, dann sind die Leistungen einer solchen Gemeinschaft, soweit sie für die umsatzsteuerfreien Tätigkeiten ihrer Mitglieder verwendet werden und diese der Laborgemeinschaft die genauen Kosten erstatten, nach 4 Nr. 14 d UStG umsatzsteuerfrei 13. Hingegen sind Leistungen einer solchen Gemeinschaft, die z.b. in der Rechtsberatung, der Buchführung oder in der Tätigkeit einer ärztlichen Verrechnungsstelle bestehen, nicht umsatzsteuerfrei, da nicht die Heilbehandlung von Patienten im Vordergrund steht 14. Die Regelung zu den ärztlichen Laborgemeinschaften ist durch die neue Rechtsprechung nicht betroffen, so dass die bisherigen steuerlichen Beurteilungen unverändert angewendet werden können. Damit lassen sich auch Auseinandersetzungen vermeiden, die auf der Diskrepanz zwischen veralteter Finanzverwaltungsauffassung und neuer Rechtsprechung beruhen. 3
4 III. Folgerungen für die Besteuerungspraxis Es ist davon auszugehen, dass sich die neue Rechtsprechung durchsetzen wird. Zwar hat die Finanzverwaltung noch nicht deren Anwendung erklärt; jedoch ist kaum vorstellbar, dass die deutsche Finanzrechtsprechung - nachdem der BFH bereits der EuGH-Rechtsprechung gefolgt ist - wieder die im UStAE verankerten Grundsätze anwendet. Die Finanzverwaltung wird sich dann anpassen müssen. Auch ist eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes mit dem Ziel, die Rechtsprechung zu brechen, wegen der Bindung an die gemeinschaftsrechtliche MwStSystRL nicht zu erwarten. Es bietet sich an zu prüfen, ob in konkreten Besteuerungsfällen aufgrund der neuen Rechtsprechung steuerentlastend Umsatzsteuerjahreserklärungen, die ja i.d.r. zu einer Umsatzsteuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung führen, noch geändert werden können. Umsatzsteuervoranmeldungen, die Zeiträume betreffen, für die noch keine Umsatzsteuerjahreserklärung bei den Finanzbehörden eingereicht worden ist, sollten korrigiert werden. Die neue Rechtsprechung betrifft nicht die Frage, ob Umsatzsteuerfreiheit eintritt, wenn nicht die Heilbehandlung im Vordergrund der laborärztlichen Leistung steht. In solchen Fällen tritt keine Umsatzsteuerfreiheit ein. Zu nennen sind hier insbesondere: 15 Schriftstellerische oder wissenschaftliche Tätigkeit, auch soweit es sich dabei um Berichte in einer ärztlichen Fachzeitschrift handelt. Vortragstätigkeit, auch wenn der Vortrag vor Ärzten im Rahmen einer Fortbildung gehalten wird. Lehrtätigkeit. Blutalkoholuntersuchungen für gerichtliche Zwecke. Blutgruppenuntersuchungen zur Spurenauswertung. Analyse von Nabelschnurblut sowie in diesem Blut enthaltenen Stammzellen soweit eine damit zusammenhängende ärztliche Heilbehandlung nicht erfolgt. IV. Fazit Die neue Rechtsprechung hat zu mehr Rechtsklarheit für selbständig tätige Laborärzte, die ihren Beruf außerhalb einer ärztlichen Laborgemeinschaft ausüben, geführt. Die Finanzverwaltung ist nunmehr gehalten, ihre teilweise widersprüchlichen bzw. missglückten Abgrenzungen im UStAE aufzugeben und sich der Rechtsprechung anzupassen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass sich Steuerentlastungen für Laborärzte, die nur selbständig ohne Vertragsarztzulassung außerhalb einer ärztlichen Laborgemeinschaft tätig sind, ergeben. Gegebenenfalls sollten bereits eingereichte Steuererklärungen korrigiert werden, um Steuerentlastungen zu erreichen. 4
5 1 Der Autor ist an der Hochschule Heilbronn für die Fachgebiete Steuerrecht und Rechnungswesen zuständig. 2 Vgl. EuGH vom 14.09.2000, C-384/98, EuGHE I S. 6795, BB 2000 S. 2400. 3 Vgl. Otte, BB 2012 S. 340. 4 Insbesondere sind hier die Regelungen im Abschn. 4.14.5. UStAE vom 17.11.2010, BStBl I 2010 S. 979 zu nennen. 5 Vgl. EuGH vom 18.11.2010, C 156/09, Verigen, HFR 2011 S. 121; BFH vom 29.6.2011, XI R 52/07, BFH/NV 2011 S. 1806; BFH vom 18.8.2011, V R 27/10, BFH/NV 2011 S. 2214. 6 Vgl. Abschn. 4.14.1. Abs. 1 UStAE (Fn 4) S. 976. 7 Vgl. Abschn. 4.14.5. Abs. 9 UStAE (Fn 4) S. 980. 8 Es käme zu einer Verletzung der steuerlichen Neutralität, vgl. hierzu z.b. BFH vom 2.9.2010, V R 47/09, BStBl II 2011 S. 195. 9 Vgl. Abschn. 4.14.5. Abs. 9 UStAE (Fn 4 ) S. 980. 10 Vgl. Fn 5. 11 Für den Rechtszustand vor 2009, bei dem jedoch der Begriff Zentrum für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik oder Befunderhebung noch keine Rolle gespielt hat, liegen Rechtsprechungsentscheidungen mit dem Inhalt vor, dass laborärztliche Leistungen nicht unmittelbar gegenüber den Patienten erbracht werden müssen, s. z.b. BFH vom 15.3.2007, V R 55/03, BStBl II 2008 S. 31. 12 Vgl. Niedersächsisches FG vom 27.5.2010, 16 K 331/09, EFG 2010 S. 1652. 13 Vgl. Abschn. 4.14.8. Abs. 1 UStAE (Fn 4) S. 984. 14 Vgl. Abschn. 4.14.8. Abs. 3 UStAE (Fn 4) S. 984. 15 Vgl. Abschn. 4.14.1. Abs. 5 UStAE (Fn 4) S. 979 und OFD Karlsruhe vom 5.4.2011 S 7170, DStR 2011 S.915 Prof. Dr. rer. pol. Axel Otte Wirtschaftsprüfer/Steuerberater Hochschule Heilbronn axel.otte@hs-heilbronn.de 5