Betreuungszeit als Hauptproblem Ergebnisse einer Elternbefragung zur frühkindlichen Betreuung Tagung: Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ein Jahr danach, Hochschulzentrum Essen Prof. Dr. Marco Zimmer, Prof. Dr. Christian Rüttgers
Tagung: Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ein Jahr danach Agenda 1. Einleitung 2. Rahmenbedingungen 3. Kinderbetreuung als Problemlösung 4. Ergebnisse der Elternbefragung 5. Handlungsempfehlungen 2
1. Einleitung Problemstellung und Zielsetzung Vortrag Kurzversion des Beitrags: Zimmer, M. & Rüttgers, C. (2014). Betreuungszeit als Hauptproblem Ergebnisse einer Elternbefragung zur frühkindlichen Betreuung seit dem 1. August 2013. In Zimmer, M. & Rüttgers, C. (Hrsg.), Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz - ein Jahr danach, Münster, New York: Waxmann, 11 47. Problemstellung: Der Produktionsfaktor Arbeit wird zunehmend knapper, während sich zugleich Arbeit und sonstiges Leben weniger voneinander abgrenzen lassen. Entlastung versprechen eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Kinderbetreuungsmöglichkeiten gelten hierbei als relevante Problemlösungskomponente. Ziel des Vortrages ist es, den Beitrag, den der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz hierzu leistet, zu analysieren sowie Handlungsempfehlungen für Betreuungseinrichtungen und Unternehmen abzuleiten. 3
2. Rahmenbedingungen Zunehmende Knappheit des Faktors Arbeit 2030: Stärkste Jahrgänge gehen in den Ruhestand 1.600.000 Bevölkerungszahl (Deutschland) Ruhestandseintritt: 62-67 Jahre 1.200.000 1968 1963 800.000 400.000 0 2029 2024 2019 2014 2009 2004 1999 1994 1989 1984 1979 1974 1969 1964 1959 1954 1949 1944* Geburtsjahr *und ältere Jahrgänge (Eigene Darstellung, Daten: Statistisches Bundesamt, 12. koord. Bevölkerungsvorausberechnung Var. 1-W1) 4
2. Rahmenbedingungen Entgrenzung von Arbeit Reduktion von Sicherheit und Strukturen Tradierte Modelle der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bieten z. T. keine Sicherheit mehr der Ernährer kann die Familie nicht ernähren (Jurczyk & Szymenderski 2012, 92 f.). Insbesondere bei hochqualifizierten Frauen: Wunsch nach Erwerbstätigkeit auch in der Erziehungszeit (Jürgens 2010, 575) Arbeitszeitstrukturen lösen sich auf: 2012 waren über 59 % der abhängig Beschäftigten zumindest gelegentlich zu atypischen Zeiten tätig (Destatis 2013a, 105). Extern wegfallende zeitliche Strukturen müssen familienintern ersetzt und organisiert werden: Die Beaufsichtigung des Kindes muss sichergestellt sein! Das Familien- und Betreuungsmanagement übernehmen meistens weitgehend die Mütter (Müller 2013, 288 ff.) das heißt auch, dass sie beruflich zurückstecken, wenn Betreuungslücken zu füllen sind. 5
3. Kinderbetreuung als Problemlösung Kinderbetreuung zur Erhöhung der Erwerbstätigenquote von Frauen Mehr Erwerbsbeteiligung von Müttern unter Dreijähriger Kinderbetreuung Verhaltenssimulation auf Basis des SOEP: +2 %-Punkte (Müller, Spieß & Wrohlich 2013, 41) Alters des jüngsten Kindes (von bis unter Jahren) Quote der (aktiv) erwerbstätigen Mütter in % Quote der (aktiv) erwerbstätigen Väter in % Insgesamt 71 (60) 93 (84) unter 3 51 (32) 91 (82) 3 bis unter 6 70 (62) 92 (85) 6 bis unter 10 76 (68) 94 (85) 10 bis unter 15 80 (72) 93 (85) 15 bis unter 18 80 (73) 92 (83) (Destatis 2013b, 41) 6
3. Kinderbetreuung als Problemlösung Kinderbetreuung zur Stärkung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf Mütter als Managerinnen des Betreuungsnetzwerks entlasten Familiennetzwerk Vater/Partner Mutter Institutionelle Betreuung Krippe Tagespflege Großeltern, weitere Familienmitglieder für Betreuung in Rand- oder Ferienzeiten notwendig emotionale Bindung sichert liebevollen Umgang deckt regelmäßig einen großen Zeitraum des Tages ab wenig soziale Ambivalenz 7
4. Ergebnisse der Elternbefragung Eckdaten Befragung durch das ipo Befragungskreis Leserinnen und Leser der Zeitschrift Eltern Online-Befragung vom 5. Mai bis zum 18. Juni 2014 Deskriptive Statistik 494 Teilnehmer insgesamt (Quelle: eltern.de) 246 von der relevanten Zielgruppe vollständig beantwortete Fragebögen 92 Prozent weiblich, 8 Prozent männlich Durchschnittsalter 33 Jahre 61 Prozent mindestens einen akademischen Abschluss 8
4. Ergebnisse der Elternbefragung Wartezeiten in Wochen geringer bei Antragstellung in der Betreuungseinrichtung Gesamt Antragstellung direkt bei der Betreuungseinrichtung Antragstellung bei kommunaler Verteilstelle 18,7 (n = 185) 17,4 (n 1 = 147) 25,7 (n 2 = 38) länger bei nicht-erfolgreichen Anträgen Gesamt Erstantrag erfolgreich Erstantrag nicht erfolgreich 18,7 (n = 185) 16,8 (n 1 = 93) 20,8 (n 2 = 91) t-test einseitig, p < 0,1 (Zimmer & Rüttgers 2014, 26 f.) 9
4. Ergebnisse der Elternbefragung Gründe für die Wahl der Betreuungsform (Erstantrag) Pädagogische Gründe für die Krippe, Flexibilität für die Tagespflege trifft gar nicht zu trifft voll zu 1 2 3 4 5 Pädagogische Gründe 3,24* 3,81* Flexibilität in den Betreuungszeiten 3,55 4,04 Gruppengröße 3** 3,68** Krippe [n = 214] Tagesmutter oder Großtagespflege [n = 25] t-test zweiseitig, **: p < 0,01; *: p < 0,05; : p < 0,1 (Zimmer & Rüttgers 2014, 28) 10
4. Ergebnisse der Elternbefragung Wunsch und Wirklichkeit der Betreuungsform 27 Prozent erhalten nicht die gewünschte Betreuungsform Wunsch- Betreuung Ist- Betreuung Krippe Tagesmutter oder Großtagespflege Gesamt Krippe Tagesmutter oder Großtagespflege 62 (61 %) 3 (3 %) 24 (24 %) 12 (12 %) 86 (85 %) 15 (15 %) Wunsch- Aufteilung Gesamt 65 (64 %) 36 (35 %) 101 (100 %) Ist-Aufteilung McNemar-Test, p < 0,001 (Zimmer & Rüttgers 2014, 29) 11
4. Ergebnisse der Elternbefragung Ist- vs. Wunsch-Anfangszeit der Betreuung Etwas früherer Anfang der Betreuung gewünscht Ist-Anfangszeit Wunsch-Anfangszeit [n = 99] [n = 99] 07:00 Uhr 22 % 43 % Soll-Median 29 % 07:30 Uhr Ist-Median 17 % 08:00 Uhr 27 % 19 % 60 % 40 % 20 % 0 % 20 % 40 % 60 % Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test, p < 0,001 (Zimmer & Rüttgers 2014, 30) 12
4. Ergebnisse der Elternbefragung Ist- vs. Wunsch-Endzeit der Betreuung Deutlich späteres Ende der Betreuung gewünscht Ist-Endzeit Wunsch-Endzeit [n = 100] [n = 99] 14:30 Uhr 12 % 4 % 15:00 Uhr 15:30 Uhr Ist-Median 12 % 11 % 3 % 9 % 16:00 Uhr 13 % 9 % 16:30 Uhr 17:00 Uhr 14 % 13 % 6 % 20 % Soll-Median 17:30 Uhr 2 % 4 % 18:00 Uhr 3 % 20 % 40 % 20 % 0 % 20 % 40 % Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test, p < 0,001 (Zimmer & Rüttgers 2014, 31) 13
4. Ergebnisse der Elternbefragung Einflussfaktoren der Betreuungszufriedenheit Flexibilität besonders wichtig Unabhängige Variable Standardisiertes Beta t-wert p-wert Eigenschaften der Betreuung Zeit für Wegstrecke -0,16-1,97 0,052 Betreuungsform 0,22 2,52 0,014* Wahrgenommene Flexibilität der Betreuung 0,41 4,71 0,000*** Persönliche Eigenschaften Partner vorhanden 0,43 4,96 0,000*** Berufstätigkeit -0,24-2,82 0,006** R² = 0,40***; R² adj = 0,36; n = 95 ***: p < 0,001; **: p < 0,01; *: p < 0,05; : p < 0,1 (Zimmer & Rüttgers 2014, 32) 14
4. Ergebnisse der Elternbefragung Gesamtbewertung des Rechtsanspruches Rechtsanspruch wird grundsätzlich positiv gesehen Wie bewerten Sie den Rechtsanspruch auf ein Betreuungsangebot für ein- und zweijährige Kinder insgesamt? 40 % 30 % [n = 246] 33 % 20 % 17 % 14 % 19 % 17 % 10 % 0 % 1 2 3 4 5 überhaupt nicht gut sehr gut (Zimmer & Rüttgers 2014, 33) 15
4. Ergebnisse der Elternbefragung Bewertung der Antragstellung im Vergleich zu vorher Verbesserungen sind aber kaum spürbar trifft gar nicht zu trifft voll zu 1 2 3 4 5 schneller 1,94 [n = 82] einfacher 1,94 [n = 82] flexibler 1,8 [n = 82] (Zimmer & Rüttgers 2014, 34) 16
5. Handlungsempfehlungen Betreuungszeit als Kernproblem Unternehmen und Arbeitsagenturen sensibilisiert (DIHK 2014) (Bundesagentur für Arbeit 2014) 17
5. Handlungsempfehlungen Betreuungseinrichtungen Mehr Flexibilität innerhalb erweiterter Zeiträume erreichen Kombination aus Kernzeiten- und Randzeitenbetreuung, ggf. Online-Buchungssystem für Randzeitenbetreuung Durch Kombination verschiedener Maßnahmen gilt es einerseits die Kosten sowie andererseits die körperlichen und psychischen Belastungen der Erzieherinnen und Erzieher in Grenzen zu halten: Kooperationen oder Zusammenlegen von Einrichtungen Altersgemischte Gruppen in Randzeiten Professionelles Personalmanagement (z. B. IT-gestützte Dienstplanung in Verbindung mit Arbeitszeitkonten, Controlling von Work-Life-Balance und Arbeitsstress der Beschäftigten durch regelmäßige Mitarbeiterbefragungen etc.) 18
5. Handlungsempfehlungen Unternehmen Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern Work-Life-Balance-Initiativen: Flexible Arbeitszeiten und Entzerrung von Kernzeiten Home-Office-Möglichkeiten Schaffung von dauerhaften Betreuungsoptionen (eigene Einrichtungen, Kooperationen, Belegplätze) Betreuungsangebote für Randzeiten oder Ausnahmefälle, z. B. durch Agenturen für familiennahe Dienstleistungen Unterstützung von Regionalstrukturen oder Elterninitiativen Im Sinne eines strategischen Personalmanagements gilt es die getroffenen Maßnahmen zu evaluieren, z. B. durch Mitarbeiterbefragungen. 19
Literatur Bundesagentur für Arbeit (2014). Kita-Betreuungszeiten an die Lebenswirklichkeit anpassen. Presse Info 41/2014 vom 20.10.2014. Verfügbar unter: http://www.arbeitsagentur.de/web/content/de/presse/presseinformationen/arbeitsundausbildungsm arkt/detail/index.htm?dfcontentid=l6019022dstbai694651 [24.10.2014]. Destatis Statistisches Bundesamt (2013a). Mikrozensus. Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Stand und Entwicklung der Erwerbstätigkeit in Deutschland (Fachserie 1 Reihe 4.1.1). Wiesbaden. Destatis Statistisches Bundesamt (2013b). Geburtentrends und Familiensituation in Deutschland 2012. Wiesbaden. DIHK (2014). Am Ball bleiben. Kinderbetreuung flexibilisieren und ausbauen. Das IHK- Unternehmensbarometer zur Kinderbetreuung 2014. Verfügbar unter: http://www.dihk.de/ressourcen/downloads/ihk-unternehmensbarometerkinderbetreuung.pdf/at_download/file?mdate=1406707248270 [24.10.2014]. Jurczyk, K. & Szymenderski, P. (2012). Belastungen durch Entgrenzung. Warum Care in Familien zur knappen Ressource wird. In Lutz. R. (Hrsg.), Erschöpfte Familien, Wiesbaden: VS-Verlag, 9 105. Jürgens, K. (2010). Deutschland in der Reproduktionskrise. Leviathan, 38 (4), 559 587. Müller, K.-U., Spieß, C. K. & Wrohlich, K. (2013). Rechtsanspruch auf Kitaplatz ab zweitem Lebensjahr: Erwerbsbeteiligung von Müttern wird steigen und Kinder können in ihrer Entwicklung profitieren. DIW Wochenbericht, 80 (32), 3 12. Müller. D. (2013). Die Organisation von Elternschaft und Care. In Bathmann, N., Cornelißen, W. & Müller, D. (Hrsg.), Gemeinsam zum Erfolg? Berufliche Karrieren von Frauen in Paarbeziehungen. Wiesbaden: Springer, 251 300. 20
Literatur Zimmer, M. & Rüttgers, C. (2014). Betreuungszeit als Hauptproblem Ergebnisse einer Elternbefragung zur frühkindlichen Betreuung seit dem 1. August 2013. In Zimmer, M. & Rüttgers, C. (Hrsg.), Der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz - ein Jahr danach. Münster, New York: Waxmann, 11 47. 21