Wie viel Gesundheit können wir uns noch leisten? Was ist nötig und was ist bezahlbar?

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Transkript:

Universität Bielefeld Fakultät für Gesundheitswissenschaften Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement Wie viel Gesundheit können wir uns noch leisten? Was ist nötig und was ist bezahlbar? Prof. Dr. Wolfgang Greiner Sozialseminar der Evangelischen Kirchengemeinde Jöllenbeck Bielefeld, 12. Januar 2011 Folie 1 MSc 37

An der Weggabelung Die Sackgasse Ein neuer Weg Die Einbahnstraße Folie 2

Die deutsche Sozialversicherung Erfolgsmodell über mehr als ein Jahrhundert Hohe soziale Stabilität Umlagesystem als Lösung für mehrfache Geldentwertung Aber auch: Relikt einer anderen Zeit Für heutige Mortalität und Fertilität kaum mehr zeitgemäß Letzter großer hochregulierter Wirtschaftsbereich Folie 3

Wo steht Deutschland? Gesundheitsausgaben pro Einwohner (2008) in US$, kaufkraftbereinigt BIP pro Einwohner (2008) in US$, kaufkraftbereinigt Gesundheitsausgaben als Anteil am BIP (2008) in % 1 USA 7.538 Luxemburg 84.713 USA 16,0 2 Norwegen 5.003 Norwegen 58.717 Frankreich 11,2 3 Schweiz 4.627 USA 47.186 Schweiz 10,7 4 Luxemburg (in 2006) 4.210 Schweiz 42.783 Österreich 10,5 5 Kanada 4.079 Irland 41.493 Deutschland 10,5 6 Niederlande 4.063 Niederlande 41.063 Kanada 10,4 7 Österreich 3.970 Kanada 38.975 Belgien 10,2 8 Irland 3.793 Australien 38.637 Niederlande 9,9 9 Deutschland 3.737 Österreich 37.858 Portugal (in 2006) 9,9 10 Frankreich 3.696 Island 36.964 Neuseeland 9,8 11 Belgien 3.677 Dänemark 36.808 Dänemark (in 2007) 9,7 12 Dänemark (in 2007) 3.540 Schweden 36.790 Griechenland (in 2007) 9,7 13 Schweden 3.470 Finnland 35.918 Schweden 9,4 14 Island 3.359 Großbritannien 35.631 Island 9,1 15 Australien (in 2007) 3.353 Deutschland 35.432 Italien 9,1 Folie 4

Die Megathemen im Gesundheitswesen Demographie Patientenorientierung Innovation Folie 5

Medizinischer Nutzen und seine Kosten A B Folie 6

Zukünftige Nutzenbewertung von Arzneimitteln 1. Für jede Neuzulassung (auch Indikationserweiterung!) findet eine Nutzenbewertung statt, GBA entscheidet ob selbst oder durch IQWiG/Dritte 2. Für bereits im Markt befindliche AM kann der GBA eine Nutzenbewertung beauftragen 1. Durchführung und Entscheid: jeweils innerhalb von 3 Monaten 2. Anhörung von Sachverständigen bei Entscheidung 3. Befristung des Beschlusses möglich 1. Festlegung innerhalb von 6+3 Monaten (Verhandlung+Schiedsamt) 2. Nach Schiedsspruch gilt der Preis ab dem 13. Monat* 3. Kündigung erst nach 1 Jahr möglich 4. Wenn Alternative in den Markt kommt, einseitiges Kündigungsrecht * Differenz zwischen Schiedsstellenbeschluss und tatsächlichem Preis ist vom pharmu zu begleichen Folie 7

GKV und gesamtwirtschaftliche Entwicklung Folie 8

GKV und gesamtwirtschaftliche Entwicklung Folie 9

Grundlagen der Prognoserechnungen 10. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes Arbeitsmarktorientierte Zuwanderung Produktivitätsorientierte Lohnpolitik Sinkender Anteil der aktiven Bevölkerung, steigender Rentneranteil, sinkendes beitragspflichtiges Durchschnittseinkommen Folie 10

Demographische Entwicklung Folie 11

Folie 12

Sozialstaat in der Krise 6% Entwicklung der Sozialversicherungsbeiträge 1,4% 9,6% 1,3% 8,2% 3,0% 11,4% 1,7% 6,5% 4,3% 12,6% 14,4% 5% 26% 26% 14,1% 17,0% 18,0% 18,7% 19,5% 32% PV ALV KV RV 1960 1970 1980 1990 2002 2040 Gesamtbeitrag 25,1% 26,5% 32,4% 35,6% 42,1% in Mrd. 34 90 242 374 in % des BIP 22 26 32 29? 69% Folie 13

An der Weggabelung Die Sackgasse Ein neuer Weg Die Einbahnstraße Folie 14

Die Finanzierungsmodelle Bürgerversicherung Gesundheitsprämienmodell Gesundheitsfondsmodell Subsidiäre Bürgerpauschale (reines PKV-Modell) Folie 15

Prognosen für die Bürgerversicherung Quelle: Hof/Schlömer 2006 Folie 16

Gute (teilweise überraschende) Argumente gegen die Kopfpauschale Arbeitgeber kein Korrektiv mehr gegen steigende Kosten Steigende Arbeitsanreize gelten nicht für Transferempfänger Umverteilung von unten nach oben (für alle, die keine Transfers erhalten) Unsichere steuerliche Finanzierungsbasis der enormen Transfers Versicherte werden zu Almosenempfängern Weniger Anreiz, in die PKV zu wechseln, da Durchschnittsprämie unter Höchstprämie Nach Rothgang 2009 Folie 17

Bisheriger Gesundheitsfonds Arbeitnehmer Hälftiger GKV-Beitrag plus 0,9% bis zur Beitragsbemessungsgrenze Arbeitgeber Hälftiger GKV-Beitrag bis zur Beitragsbemessungsgrenze Steuerzahler Finanzierung der Kindermitversicherung Notwendig: ca. 16 Mrd. Gesundheitsfonds Zentrale Inkassostelle GKV-Volumen 2009 167 Mrd. Zusätzlicher Beitrag (%) Krankenkassen erhalten Pauschbetrag plus Morbi-Zuschlag Wahlmöglichkeit der Kasse Zusatzbeitrag (max. 1 % des Haushaltseinkommens) Folie 18

Gesundheitsfonds ab 2011 Arbeitgeber Hälftiger GKV-Beitrag (7,3 %) bis zur Beitragsbemessungsgrenze (abzüglich Sozialausgleich) Steuerzahler Finanzierung der Kindermitversicherung sowie des Sozialausgleichs Gesundheitsfonds Krankenkassen erhalten Pauschbetrag plus Morbi-Zuschlag Arbeitnehmer Hälftiger GKV-Beitrag (7,3 %) plus 0,9% bis zur Beitragsbemessungsgrenze Einkommensunabhängiger Zusatzbeitrag Folie 19

An der Weggabelung Die Sackgasse Ein neuer Weg Die Einbahnstraße Folie 20

Dualität zwischen GKV und PKV - Der Status Quo Folie 21

Neue Dualität zwischen GKV und PKV - subsidiäre Bürgerpauschale Folie 22

Subsidiäre Bürgerpauschale Monatliches Haushaltsnettoeinkommen in Leistungsanspruch in % Ein erwachsener Zahler Zwei erwachsene Zahler Unter 900 100 100 900 bis 1300 80 100 1300 bis 1500 65 100 1500 bis 2000 50 100 2000 bis 2600 35 70 2600 bis 3600 25 50 3600 bis 5000 15 30 5000 und mehr 5 10 Quelle: Hof, B./Schlömer,C. (2005): Zur Zukunftsfähigkeit von Kopfprämienmodellen für die GKV im anstehenden demographischen Wandel. In: Sozialer Fortschritt 08/ 2005 Folie 23

Subsidiäre Bürgerpauschale Einsparungen von GKV-Ausgaben, aber nicht zu Lasten sozial Schwacher Voller Versicherungsschutz nur noch für einkommensschwache Personenkreise Reduktion des zukünftigen Transferbedarfes Aufbau einer Kapitaldeckung bei Zusatzversicherung Folie 24

Schlussbemerkungen jenseits der Finanzierung Ökonomisierung als böses Missverständnis Verschwendung ist bei knappen Ressourcen niemals ethisch. Kurzfristige Profitorientierung ist in keiner Branche langfristig betriebswirtschaftlich sinnvoll. Patientenorientierung ist auch eine Form der Kundenorientierung. Effiziente Märkte zum Wohle der Patienten entwickeln sich nur, wenn Patienten in die Lage versetzt werden, aktiv an Versorgungsentscheidungen teilzunehmen. Patienten, die dazu nicht in der Lage sind, benötigen faire Sachwalter Ihrer Interessen. Folie 25

Fazit Steuerung Top down stößt an Grenzen stärkeres Vertrauen auf wettbewerbliche Mechanismen notwendig Schnittstellenmanagement Mehr Gestaltungsspielraum für neue Versorgungsformen Mehr Vertragsfreiheit bei Mengen, Preisen und Qualitäten Verbindung von Solidarität und Wettbewerb erforderlich: soziale Wettbewerbsordnung Folie 26

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf eine anregende Diskussion. Folie 27