Anmerkungen des Deutschen s e. V. zum Entwurf des Nationalen Sozialberichts 2012 Die Bundesregierung hat den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege über die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAG FW) am 19. Dezember 2012 den Entwurf des Nationalen Sozialberichts mit Bitte um Stellungnahme bis zum 8. bzw. 9. Januar 2013 übermittelt. Im Vorfeld hatte es keine Information über den beabsichtigten Zeitraum zur schriftlichen Stellungnahme gegeben. Auch wenn eine intensive Auseinandersetzung mit dem Berichtsentwurf wegen der kurzen Frist nicht möglich ist, will der Deutsche doch zumindest einzelne wichtige Anliegen einbringen. Beteiligungsmöglichkeiten Der Deutsche begrüßt die Gespräche, zu denen das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Wohlfahrtsverbände und anderen zivilgesellschaftlichen Akteure am 11. November 2011 zur Vorbesprechung des Nationalen Reformprogramms (NRP) und am 26. Juni 2012 zur Vorbesprechung des Nationalen Sozialberichts (NSB) eingeladen hatte. Wir regen jedoch eine Intensivierung und Verbesserung der Zusammenarbeit der Bundesregierung mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen an und halten für zukünftige Konsultationen zum NRP oder NSB eine frühzeitige und umfassende Einbindung und für die Beteiligung ein angemessene Bearbeitungszeitfenster für zwingend notwendig. Dies ist auch mit Blick auf den Ratsbeschluss vom 21.10.2010 zur Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Organisationen und den Verweis im NSB auf den bedeutenden Beitrag der Wohlfahrtsverbände und Sozialpartner zur Umsetzung der Ziele der OMK Soziales und der Europa 2020-Strategie geboten. Verringerung von Armut und sozialer Ausgrenzung Der Deutsche begrüßt, dass im NSB neben der Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit Bezug auf ergänzende qualitative Ziele und Maßnahmen zur Armutsbekämpfung genommen wird. So ist erfreulich, dass im Bericht die Verbesserung der sozialen und ökonomischen Teilhabechancen benachteiligter Personengruppen als ein Hauptziel im Bereich der sozialen Inklusion und Armutsvermeidung formuliert wird. So werden bei- Herausgegeben von Deutscher e.v. Abteilung Sozialpolitik und Publizistik Dr. Thomas Becker Abteilungsleiter Kontakt: Dr. Verena Liessem Anne Wagenführ Referentin Referentin Telefon-Durchwahl 0761/200-224 Hauptvertretung Brüssel verena.liessem@caritas.de Telefon-Durchwahl 0761/200-702 anne.wagenfuehr@caritas.de
spielsweise die Verbesserung der Chancen auf Bildung und soziale Teilhabe von Kindern und Jugendlichen in sozialen Risikolagen oder die Vermeidung von Altersarmut thematisiert. Der DCV teilt ausdrücklich die Einschätzung, dass die Durchlässigkeit des Bildungssystems zur Förderung der sozialen Mobilität erhöht werden muss, die Zahl der frühen Schulabgänger reduziert und auch der Zugang zur Hochschul- oder einer gleichwertigen Bildung zu verbessert werden müssen. Darüber hinaus muss der Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss weiter reduziert werden. Insbesondere die Tatsache, dass dieser Anteil örtlich sehr schwankt, zeigt, dass es hier politischen Gestaltungsspielraum gibt. Im Nationalen Sozialbericht werden die Grundsicherungsleistungen in Deutschland dargestellt (S. 16 und S. 21). Der Deutsche hat sich lange für die Verbesserungen wie die geänderte Fortschreibung des Regelbedarfs oder die eigenständig berechneten Regelbedarfe von Kindern eingesetzt. Wir kritisieren aber die im Zuge dieser Reform vorgenommenen Änderungen der Berechnung der Regelbedarfe von Erwachsenen. Diese orientieren sich neuerdings am Ausgabeverhalten einer einkommensmäßig schlechter gestellten Bevölkerungsgruppe (die unteren 15 Prozent der nach ihrem Einkommen geschichteten Haushalte, früher: die unteren 20 Prozent). Länger bestehende Mängel im Berechnungssystem wie die Einbeziehung des Ausgabeverhaltens verdeckt armer Menschen werden nicht behoben. Um den Regelbedarf wirklich auskömmlich zu gestalten, fordert der Deutsche die Einführung einer Flexibilitätsreserve. Der vom NSB zitierte ILO World of Work Report 2012 verweist darauf, dass die Verbesserung der Qualität atypischer Beschäftigungsverhältnisse sowie die Anpassung der Reallöhne an die Produktivitätsentwicklung wichtige Herausforderungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt sind. Der Anteil atypisch Beschäftigter in Deutschland ist laut ILO-Bericht mit 25 Prozent relativ hoch. 1 Der verbreitete Rückgriff auf Minijobs hat auch soziale Folgen, wie zum Beispiel dass nur geringfügige Rentenansprüche erworben werden. Deshalb muss nach Ansicht des Deutschen es der Übergang von Minijobs zu stabileren Arbeitsverhältnissen verbessert werden. Weiterhin haben laut ILO-Bericht die Armut im Jahr 2010 gegenüber 2007 und das Aufkommen von Niedriglöhnen in Deutschland zugenommen. 2 Die Zahlen im Anhang des NSB belegen einen leichten Anstieg der Armutsrisikoquote zwischen 2007 und 2011 von 15,2 auf 15,8 Prozent. Laut Angaben des Statistischen Bundesamts war in Deutschland jeder Fünfte von Armut oder sozialer Ausgrenzung nach EU-Definition bedroht (19,9%). Damit bleiben die Zahlen der von Armut oder soziale Ausgrenzung bedrohten Personen seit 2005 mehr oder minder stabil um die 19 Prozent. Aus Sicht des Deutschen s ist diese Entwicklung bei gleichzeitiger Steigung der Erwerbstätigenquote bedenklich und erfordert beispielsweise vermehrt Daten und die Erarbeitung von Lösungen zum Thema Armut trotz Erwerbstätigkeit. Der Nationale Sozialbericht beschreibt, dass die Einkommensungleichheit seit dem Jahr 2005 nicht mehr zugenommen hat. In diesem Zusammenhang sollte der Nationale Sozialbericht die gestiegene Ungleichheit in der Vermögensverteilung (auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe) erwähnen. Einem Auseinanderdriften der Gesellschaft muss entgegengewirkt werden. Was die langzeitarbeitslosen Personen betrifft, unterstreicht der Deutsche die Einschätzung, dass die Herausforderung darin besteht die verbliebenen, tendenziell ar- 1 Vgl. ILO: Welt der Arbeit 2012. Kurzbericht Deutschland. http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/--- dgreports/---dcomm/documents/briefingnote/wcms_179525.pdf 2 Vgl. ILO World of Work Report 2012, S. 13 14. Seite: 2
beitsmarktferneren Langzeitarbeitslosen zu integrieren und verweist auf seine bisherigen Stellungnahmen, in denen die Bundesregierung aufgefordert wurde, verstärkt arbeitslose Personen in den Blick zu nehmen, die unter verfestigter Arbeitslosigkeit leiden und/oder multiple Vermittlungshemmnisse haben. Die letzte Reform der Förderinstrumente zur Integration in Arbeit war gerade für diese Menschen jedoch kontraproduktiv. Sie bedürfen wieder spezifischer Instrumente zur Förderung der Integration in Arbeit, insbesondere einer öffentlich geförderten Beschäftigung, die auch sozialpädagogische Begleitung und Qualifizierung umfasst. Unabhängig von der Auswahl des Indikators zur Messung von Armut und sozialer Ausgrenzung könnte das nationale Ziel angesichts der Größe Deutschlands und seiner vergleichsweise guten wirtschaftlichen Lage zur Halbzeit der Europa 2020-Strategie noch einmal nach oben angepasst werden. Altersarmut; Adäquate und nachhalten Renten; Zugängliche, qualitativ hochwertige und nachhaltige Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege Der Deutsche stimmt der Einschätzung der Bundesregierung zu, dass durch veränderte wirtschaftliche Strukturen und den demografischen Wandel die Gefahr besteht, dass Altersarmut in Zukunft weiter zunimmt und begrüßt, dass diese im NSB explizit benannt wird. Dennoch versäumt es der deutsche nationale Sozialbericht darauf hinzuweisen, dass Altersarmut bereits heute vorhanden ist, wie teilweise durch die Zahlen im Anhang des NSB gezeigt wird. Diese belegen, dass die Empfänger von Grundsicherung im Alter am Anteil der Bevölkerung ab 65 Jahren zwischen 2007 und 2010 von 2,4 auf 2,6 Prozent gestiegen ist. Einzugehen ist auch auf die soziale Teilhabe älterer Menschen. So zeigt der Entwurf des 4. Nationalen Armuts- und Reichtumsberichts, dass jeder dritte ältere Mensch weniger als einmal im Monat Kontakt zu Verwandten, Freunden oder Nachbarn hat. Aus Sicht des Deutschen s muss Altersarmut mit einem Bündel von Maßnahmen bekämpft werden, das sowohl eine ausreichende Absicherung im Alter als auch soziale Teilhabe, eine menschenwürdige Bestattung und Risiken zukünftiger Altersarmut umfasst. Dazu kann auch die von der Bundesregierung vorgeschlagene Lebensleistungsrente gehören, um Beschäftigte, die trotz langer Berufstätigkeit nur eine Rente auf der Höhe der Grundsicherung beziehen würden, im Alter besser abzusichern. Allerdings sind die Zugangshürden zur geplanten Lebensleistungsrente nach Meinung des Deutschen es zu hoch, so dass gerade Menschen nicht erreicht werden, die wegen brüchiger Erwerbsbiographien besonders von Altersarmut gefährdet sind. Der Deutsche ist ebenfalls der Meinung, dass in den Bereichen Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege die Potentiale und Kompetenzen von älteren Menschen in vielfältigster Weise genutzt werden sollten. Er teilt die Auffassung, dass das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser II oder der neue Bundesfreiwilligendienst für alle Altersgruppen dazu bei tragen, die gewonnene Lebenszeit zu gestalten. Ebenfalls teilt der Deutsche die Einschätzung der Bundesregierung, dass die Prävention von Krankheiten eine wesentliche Rolle spielt und begrüßt ausdrücklich die geplante gesundheitliche Präventionsstrategie der Bundesregierung. Sie hatte der auch in seinen sozialpolitischen Positionen zur Caritas-Kampagne 2012 Armut Seite: 3
macht krank jeder verdient Gesundheit gefordert. 3 In seiner Jahreskampagne 2012 hat der Deutsche auf das Problem aufmerksam gemacht, dass viele Befunde belegen, dass der gesundheitliche Zustand und die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen sehr stark vom sozialen Status der Betroffenen abhängen. Die Bundesregierung wurde deswegen aufgefordert eine umfassende Präventionsstrategie zu entwickeln und damit Prävention und Gesundheitsförderung als vierte Säule der gesundheitlichen Versorgung aufzuwerten. Der DCV bietet deswegen an, die Analysen, Bewertungen und Lösungsvorschläge der Caritas zur Herstellung einer gesundheitlichen Chancengleichheit in die geplante gesundheitliche Präventionsstrategie der Bundesregierung einfließen zu lassen. Familie, Bildung und Betreuung Der Deutsche begrüßt die wichtige Rolle der Bildungspolitik im Nationalen Sozialbericht. Ein Ziel der Bundesregierung im Bereich Verbesserung des Bildungsniveaus lautet, den Anteil der frühen Schulabgänger auf unter 10 Prozent zu senken. Allerdings ist dieser Anteil in Deutschland von 2009 auf 2010 von 11,1 Prozent auf 11,9 Prozent gestiegen, um 2011 wieder auf 11,5 Prozent zu sinken. 4 Nach Ansicht des Deutschen s muss in diesem Bereich deswegen mehr unternommen werden. Außerdem sind stärkere Anstrengungen notwendig, um den Zusammenhang von Bildung und sozialer Herkunft in Deutschland zu durchbrechen und somit die Teilhabe aller zu garantieren. Weiter verweist der Deutsche wie schon oben in der Stellungnahme auf die Notwendigkeit, den Anteil der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss zu reduzieren. Der Hauptschulabschluss ist vielmals die minimale Voraussetzung für einen erfolgreichen Zugang zum Arbeitsmarkt. Weiterhin unterstützt der das Ziel der Bundesregierung die Teilhabe aller Kinder an frühkindlicher Bildung zu sichern, Eltern die schwierige Balance zwischen Familie und Beruf zu erleichtern und auch das Armutsrisiko von Familien mit Kindern weiter zu reduzieren. Er teilt die Einschätzung, dass gerade Alleinerziehende eine öffentliche Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur sowie spezifische Maßnahmen in der aktiven Arbeitsförderung benötigen, um Familie und Erwerbsarbeit zu vereinbaren. Dass derzeit nur etwas mehr als jedes 2. Kind bzw. Jugendlicher die 2011 eingeführten Leistungen für Bildung und Teilhabe beantragt hat (s. S. 17 des Berichts) zeigt aus Sicht des Deutschen es, dass diese weiterentwickelt werden müssen. Insbesondere muss Lernförderung auch zur Erreichung einer besseren Schulartempfehlung in Anspruch genommen werden können. Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr ab dem 1. August 2013 begrüßenswert. Gleichzeitig weist der Deutsche darauf hin, dass im Bereich der Betreuungsplätze noch große Fortschritte gemacht werden müssen, da noch ca. 200 000 Plätze fehlen. Das ab August 2013 zu zahlende Betreuungsgeld sollte zusammen mit dem Elterngeld zu einem Familienleistungsausgleich weiterentwickelt werden, der in Höhe von 300 Euro bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres gezahlt wird. 3 http://www.caritas.de/kampagne2012/jederverdientgesundheit 4 http://ec.europa.eu/europe2020/europe 2020 in your country/deutschland/index_en.htm#content_4 Seite: 4
Der Deutsche will mit seiner Jahreskampagne 2013 Familie schaffen wir nur gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, auf das Potential, das jede Familie hat, aber auch auf den Druck dem viele Familien ausgesetzt sind aufmerksam zu machen. Familien leisten einen eigenständigen, zentralen und unverzichtbaren Beitrag für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Es darf im nationalen Sozialbericht deswegen nicht nur um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gehen, sondern auch um die allgemeine Wertschätzung der Familie in der Gesellschaft. Dies kann einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der sozialpolitischen Ziele der Europa 2020-Strategie insgesamt leisten. Schließlich ist es unser Anliegen, uns gemeinsam mit den anderen Wohlfahrtsverbänden der BAG FW am weiteren Verfahren zu beteiligen. Freiburg, den 8.1.2013 Dr. Thomas Becker Seite: 5