Sexuelle Störungen bei Kokainabhängigkeit

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Transkript:

Sexuelle Störungen bei Kokainabhängigkeit Dipl.-Psych. Katrin Befort (geb. Höller), Dipl.-Psych. Frank Gottschalk Sex auf Kokain ist großartig. Toll. Das beste Aphrodisiakum, das ich je ausprobiert haben (Sir Elton John) Die Zusammenhänge zwischen Kokainkonsum und verschiedenen Bereichen der Sexualität werden in der Praxis häufig beobachtet, sind in der Praxis (mit Ausnahme des sexuellen Risikoverhaltens) jedoch noch wenig beforscht. Wichtige Bereiche der Sexualität: - sexuelles Erleben und Verhalten - Hypersexualität - sexuelle Funktionsstörungen - Paraphilien 2 1

1. Kokain und sexuelles Erleben und Verhalten von Kokainabhängigen werden gesteigerte sexuelle Erregung (Klee, 1992), intensivere Orgasmen (Käll et al, 1995), Anstieg sexuellen Verlangens (Volkow et al, 2007, Johnson et al, 2017) berichtet Ausübung sexueller Aktivitäten (z.b. Pornografiekonsum, Besuche bei Prostituierten, Masturbation) sind eng mit Kokainkonsum verknüpft (z.b. Kopetz et al, 2010; Carnes 2004; Schneider et al 1998) vermehrtes Auftreten von sexuellem Risikoverhalten (Camacho et al, 1996, Leigh et al, 2008, Johnson et al, 2017) 3 2. Kokain und Hypersexualität 38-71 % von Teilnehmern mit hypersexuellen Störung berichten über aktuellen oder zurück liegenden regelmäßigen Substanzkonsum (z.b. Black et al, 1997, Grov et al, 2010) Antonio et al (1992): je stärker der Substanzgebrauch (Anzahl der Substanzen und Menge (letzteres nur in der Gruppe der Abhängigen von Psychostimulanzien)), desto höher sind Werte bei einem Fragebogen zu Hypersexualität illegale Substanzen, besonders Psychostimulanzien, werden als Haupttrigger für Phasen von Hypersexualität berichtet (Parsons et al, 2007) 4 2

3. Kokain und sexuelle Funktionsstörungen vermehrtes Auftreten von erektiler Dysfunktion (z.b. Bang- Ping, 2009, Clemente et al, 2017), verzögerten Orgasmen, herabgesetzter Libido (z.b. Kopetz et al, 2010) und Priapismus (z.b. Altman et al, 1999; Munarriz et al, 2003) Vallejo-Medina et al, 2013: auch nach einem Jahr Abstinenz treten bei Abhängigen noch signifikant mehr sexuelle Funktionsstörungen auf als in einer Kontrollgruppe 5 4. Kokain und Paraphilien bei Stichproben von Personen mit Paraphilien konnten bei 42-83% eine Substanzabhängigkeit diagnostiziert werden (z.b. Grant 2005, Kafka et al, 2002) 47% von substanzabhängigen Teilnehmern einer brasilianischen Studie berichten von paraphilen Gedanken (Clemente et al, 2017) aus Untersuchungen mit Straftätern: Ausführen von paraphilen Verhaltensweisen scheinen durch Drogenkonsum erleichtert zu werden (z.b. Arrigo et al, 2001) 6 3

5. Kokain und Prostitution Vermehrtes Auftreten von sexuellem Risikoverhalten bei Prostituierten mit Drogenkonsum (z.b. de Graaf et al, 1995, Lozada et al, 2009)) Maher et al, 2011: Prostituierte berichten, unter Stimulanzien mehr Kunden bedienen und länger arbeiten zu können Berichte aus der Praxis: Nutzung von Psychostimulanzien um: - den Antrieb zu bekommen der Prostitution zur weiteren Drogenbeschaffung nachgehen zu können - moralische Hürden, Angst und Ekel ausblenden zu können - schmerzhafte Praktiken des Geschlechtsverkehrs ausüben zu können 7 Probleme der bisherigen Forschungen: Häufig keine Unterscheidung zwischen missbrauchten Substanz bzw. selten Vergleiche zwischen den Konsumenten der verschiedenen Substanzen. Uneinheitliche Verwendung von Begriffen wie Hypersexualität, sexuelles Erleben und Verhalten. Verwendung uneinheitlicher Messinstrumente, wobei zudem häufig keine Diagnostik nach ICD oder DSM möglich ist (z.b. bei sexuellen Funktionsstörungen und Paraphilien). 8 4

Offene Fragen: Sind in der Praxis beobachtbare Veränderungen der Sexualität (Steigerung von sexuellem Erleben und Verhalten, vermehrtes Auftreten von Hypersexualität und von Paraphilien) durch Kokain in der Forschung belegbar? Welche sexuellen Störungen nach DSM sind mit der Kokainabhängigkeit assoziiert? Gehen sexuelle Funktionsstörungen dem Beginn des Kokainkonsums voran oder werden sie durch regelmäßigen Konsum begünstigt? 9 Vorstellung eigener Studie Durchführung 2010-2011 Vergleich einer EG (primär Kokainabhängige aus suchttherapeutischen Einrichtungen) mit einer nicht-klinischen KG EG: zwei Frauen, 20 Männer, Altersdurchschnitt: 33,7 Jahre KG: angeglichen bzgl. Geschlecht und Alter Ziel: Nähere Beleuchtung der Sexualität (sexuelle Störungen, sexuelles Erleben und Verhalten) bei Kokainabhängigen im Vergleich zur Normalbevölkerung 10 5

Vorstellung eigener Studie Fragebögen: - Fragebogen zur Erfassung des sexuellen Erlebens und Verhaltens (angelehnt an FSEV nach Ahlers et al, 2002) umfasst sexuelle Funktionsstörungen, Paraphilien, sexuelles Verhalten (Pornografiekonsum, Masturbation usw.) und dessen Häufigkeit - Fragebogen zur sexuellen Sucht (Soeder, 2008) Screening-Instrument zur hypersexuellen Störung 11 Ergebnisse der eigenen Studie: 1.sexuelles Erleben und Verhalten: Kokainabhängige berichten signifikant häufiger über Ausübung von Sex, Pornografiekonsum, Masturbation und Nutzung von Pay-Sex-Angeboten als die Kontrollgruppe. 12 6

Häufigkeit sexueller Aktivitäten: Mittelwert 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 EG- Männer EG- Frauen KG- Männer KG- Frauen 13 Ergebnisse der eigenen Studie: 2. Kokain und Hypersexualität: Kokainabhängige erreichen signifikant höhere Summenwerte im Fragebogen zur sexuellen Sucht. 14 7

Summenwerte im FB sexuelle Sucht: 25 20 Summen-Mittelwert 15 10 5 EG KG 0 Gesamtgruppe Männer Frauen 15 Ergebnisse der eigenen Studie: 3. sexuelle Funktionsstörungen: Teilnehmer der EG geben signifikant häufiger an, unter verminderter sexueller Appetenz und (tendenziell) Ejaculatio praecox zu leiden. Der berichtete Störungsbeginn liegt in allen Fällen vor dem Beginn des Kokainkonsums. 16 8

Ergebnisse der eigenen Studie: 4. Paraphilien: Signifikant häufigerer Bericht von transvestitischem Fetischismus, Voyeurismus und (tendenziell) von Exhibitionismus. Auch hier liegt der Störungsbeginn in allen Fällen vor dem Beginn des Kokainkonsums. Insgesamt agieren Kokainabhängige paraphiles Verhalten signifikant häufiger aus als Teilnehmer der Kontrollgruppe. 17 Implikationen für die Praxis: Sexualität scheint bei einem nicht unbedeutenden Anteil von Kokainabhängigen eine wichtige Rolle zu spielen. Es bestehen Hinweise darauf, dass sich die Sexualität durch den Kokainkonsum verändert (insbesondere die Häufigkeit von Selbstbefriedigung und Pornografiekonsum) bzw. sexuelle Probleme dem Konsum vorangehen können. Beachtung u.a. in der Diagnostik und der Rückfallprävention notwendig! 18 9

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: katrin.befort@hohemark.de 19 10