Produktion, Wertschöpfung und Einkommen in den VGR. Einige Grundlagen und aktuelle Fragen

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Transkript:

Produktion, Wertschöpfung und Einkommen in den VGR. Einige Grundlagen und aktuelle Fragen Klaus Voy ehem. AfS Berlin-Brandenburg Berlin, den 22. und 23. Juni 2017, Berliner VGR-Kolloquium

Themen Fragen Historische Grundlegungen: Vom Einkommen zur Wertschöpfung Zum Produktionskonzept Schluss 2

Fragestellungen Aktuelle Kritiken des BIP sind meist wohlfahrtsbezogen inspiriert. Es gibt aber auch andere Kritiken, die sich auf alte und neue Fragen von Produktion und Einkommen beziehen: Rohstoff- Renten (als neoklassischer Begriff) Gewinne des Finanzsektors (oft im Zusammenhang mit Immobilien) Monopolrenten der IT-Konzerne Immaterielle Güter als Produkte 3

Historisches In meinem Vortrag 2014 habe ich für die Entstehung der VGR in der Zwischenkriegszeit dargelegt: Das Volkseinkommen wurde und wird in ökonomischen Theorien gedeutet als entstanden aus den Beiträgen der Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital. Diese Welt der drei Einkommensquellen wurde in den VGR ersetzt durch die auf dem Produktionskonto abgeleitete Wertschöpfung, verteilt auf Arbeit und Kapital. Grundlegend für die Abgrenzung der Produktion ist Erwerbstätigkeit 4

Historisches Es gibt die Kritik, die VGR habe in ihrer Entstehung die Grundrente verschwinden lassen. Das ist aber keine direkte Absicht, sondern Folge des Übergangs zum Wertschöpfungskonzept Die tatsächlichen Einkommen aus Bodenrenten und Pachten werden nicht mehr als Primäreinkommen dargestellt, sondern nachgeordnet wie auch die Geldvermögenseinkommen. Die separate Darstellung des Einkommens aus Bodeneigentum ist allerdings dadurch beeinträchtigt, dass die gezahlten Renten und Pachten nur ein oft kleiner Teil sind, weil in den Fällen der Eigentümernutzung keine Zahlungen getätigt werden. 5

Historisches Der Übergang von der Welt der drei Einkommensquellen zur Welt von Kapital und Arbeit fand nicht nur in den VGR statt, sondern auch in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Durch die Agrarimporte aus Übersee seit etwa 1880 sind die landwirtschaftlichen Einkommen verfallen Die Mieten aus Wohnimmobilien sind seit den Mietregulierungen im Ersten Weltkrieg reduziert Beide Einkommen gingen von 15% auf 7% des Volkseinkommens zurück. Parallel sind die Rohwarenmärkte nach der Weltwirtschaftskrise 1929 national und international reguliert worden Der Faktor Boden (i. w. Sinne) ist bis in die siebziger Jahre politisch reguliert worden, wodurch ein stabiler Rahmen für die Gesamtwirtschaften der Industrieländer gegeben war. Das alles seit den frühen siebziger Jahren nach und nach dereguliert. 6

Zum Produktionskonzept Grundlage der VGR ist die Darstellung von Produktion und Wertschöpfung für die Marktproduzenten, deren Konzept dann auf alle Bereiche und Sektoren übertragen wurde. Produktionswert abzgl. Vorleistungen gleich Wertschöpfung Indem nur die reproduzierbaren Güter einbezogen werden, entsteht quasi ein Röntgenbild der Gesamtwirtschaft Dieses zeigt aber nicht das untergründige, angebotsseitige Wirken der Produktionsfaktoren, sondern Wertschöpfungen als Ergebnis des eigenen Handelns in Vorleistungs-, Produkt- und Investitionsverflechungen (IOT). Das heißt jetzt Wertschöpfungsketten. Diese Realwirtschaft ist kein eigenes System, sondern eng verwoben mit Finanzen und nichreproduzierbaren Gütern 7

Zum Produktionskonzept Sachvermögen und Sachinvestitionen umfassen nur die reproduzierbaren Teile (ohne Grund und Boden etc.) Kapital ist eine homogene Größe wie in der neoklassischen Produktionstheorie, die zwar als bestehend aus vielen Teilfaktoren gedacht wird, aber eher Natur und Technik, nicht Bodeneigentum, keine Monopole. Deshalb auch eine eigene Berechnung der Abschreibungen, die von den Bilanzen abweicht. Der Saldo Nettowertschöpfung ist Grundlage für alle Einkommensbegriffe der VGR, die in dersektoralen Kontenfolge abgeleitet werden Letztere sind daher nicht direkt beobachtbar. 8

Zum Produktionskonzept Die Berechnung der Wertschöpfung auf dem Produktionskonto passt direkt nur für die Marktproduktion i.e.s., also Waren und verkaufte Dienstleistungen Das Schema lässt sich auf den Handel übertragen, wenn es um aktuelle Produkte geht. Der Handel mit gebrauchten Produkten oder Nicht-Produkten incl. Boden und zum Beispiel ganzen Unternehmen ist problematisch. Wo kommen die zum Teil hohen Gewinne her? 9

Zum Produktionskonzept Die Gesamtwirtschaft (VE, NWS, NIP) wird oft als Zusammenwirken von Arbeit und Kapital dargestellt. Vereinfachungen sind immer gut, um Wesentliches sichtbar zu machen Aber im Saldo Unternehmensgewinne sind auch die Rohstoff- und Monopolrenten enthalten (direkt oder in Vorleistungen oder Importen). Wenn zur Untersuchung der Produktivität von der Wertschöpfung ausgegangen wird, bleiben Einflüsse über Vorleistungen bzw. Abschreibungen (Anlagevermögen) ausgeblendet Das ist schon gesamtwirtschaftlich problematisch, viel mehr aber für Wirtschaftsbereiche 10

Schluss Die VGR und ihre Einkommensbegriffe beziehen sich auf die regulierte Marktwirtschaft, wie sie in den 30er und 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts institutionalisiert wurde. Die Deregulierungen seit den siebziger Jahren haben neue bzw. ganz alte ökonomische und soziale Gestaltungen zugelassen und bewusst gefördert (Reformen) Diese wurden in den Konzepten der VGR dargestellt, die dafür jedoch zu grob waren. Die anfangs genannten Fragen brauchen neue Antworten... 11