Kulturelle Werte im Film Die Rolle des Films für die Ausbildung interkultureller Kompetenz 映画における文化的価値観

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Transkript:

77 Kulturelle Werte im Film Die Rolle des Films für die Ausbildung interkultureller Kompetenz 映画における文化的価値観 ~ 異文化間能力を促進するために~ Jan Auracher Abstract Ziel des folgenden Artikels ist es, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Filme im Unterricht Diskussionen über kulturelle Werte und Unterschiede in Kulturstandards anstoßen können. Die Grundthese des Artikels ist, dass Filme, verstanden als Medium zur Kommunikation, gesellschaftlich tradierte Zeichen zur impliziten Charakterisierung und Wertung der Protagonisten einsetzen. Filme spiegeln daher die in einer Kultur verbreiteten und akzeptierten Stereotype wider. Dies heißt im Umkehrschluss, dass eine Dekodierung der kommunikativen Intention der im Film verwendeten Zeichen Einsichten in die Werte der Zielkultur geben kann. Im Artikel werden Beispiele für Analysemöglichkeiten populärer deutscher Filme gegeben. Key Words: Filme, Interkulturelle Kompetenz, Stereotype, Fremdsprachenunterricht 本稿では 文化的価値観やその相違についての議論を促すきっかけとして 授業の中で 外国映画をどのように活用できるか その可能性について論じている 映画をコミュニケーションメディアとして捉えた時 作品中の登場人物の中に 彼らの社会で伝承されている基本的性格 ( キャラクター ) や価値観を 暗に見出す事ができる つまり映画には ある文化圏において普及し 当たり前のように受け入れられているステレオタイプが反映されているのである そのため 作品中のコミュニケ ションの意図を解読する事は 目標文化 ( 他文化 ) の価値観を洞察する事にもつながる また本稿では ドイツで人気のある映画をどのように分析し得る事ができるか その分析例についても述べている キーワード : 映画 異文化理解 ステレオタイプ 外国語教育

78 Institute for Language and Culture 1. Einleitung Vor dem Hintergrund einer zunehmend globalen Weltwirtschaft und den anwachsenden Migrationsströmen ist interkulturelle Kompetenz heute ein zentrales und fächerübergreifendes Bildungsziel (Ahrends & Nowitzki 1997). Interkulturelle Kompetenz sollte sich dabei nicht auf den Erwerb von Faktenwissen beschränken, wie es üblicherweise in der Landeskunde unterrichtet wird (z.b., traditionelle Feste, Organisation staatlicher Behörden, geschichtliche Entwicklungen usw.), sondern zu sozialer und kommunikativer Kompetenze führen, die den Lerner in die Lage versetzt, produktiv zum Gelingen interkultureller Interaktionen beizutragen (z.b. Schönhuth 2005; Thomas 2003). Ein wichtiger Aspekt der interkulturellen Kompetenz ist daher eine allgemeine Aufgeschlossenheit für die Kulturstandards einer anderen Gesellschaft (Thomas 1996). Dieser Anspruch stößt vor allem dann bald an seine Grenzen, wenn der Sprachunterricht im Heimatland des Lerners stattfindet, wo sich kaum Gelegenheiten bieten, interkulturelle Kontakte herzustellen. Eine Möglichkeit, dieser Einschränkung zu begegnen, besteht in dem Einsatz von Medien. In diesem Aufsatz soll speziell das Potential von (Spiel-)Filmen für den Einsatz im Unterricht aufgezeigt werden. Es wird die These vertreten, dass in der Art, wie Protagonisten implizit über die filmische Gestaltung charakterisiert und bewertet werden, sich die Werte und Normen einer Gesellschaft spiegeln. Filme können daher einen Einstieg in die Diskussion über die Kulturbedingtheit von Werten geben. 2. Film als Kommunikation Filme, verstanden als eine Form der Kommunikation zwischen den Filmmachern, also den Produzenten, dem Regisseur, den Schauspielern usw., und den Konsumenten den Zuschauern und den Kritikern, dienen als Medium zur Enkodierung von Bedeutung, die von den Betrachtern wieder dekodiert werden muss. Wie in jeder Kommunikation gibt es auch beim Film eine kommunikative Intention. Die Produzenten eines Filmes möchten das Publikum zum Beispiel dazu anregen, über einen bestimmten Sachverhalt zu reflektieren, oder sie möchten die Zuschauer einfach nur zum Lachen oder zum Gruseln bringen. Zur Umsetzung der kommunikativen Intention verwenden die Filmemacher kommunikative Mittel wie Dialoge, Gesten, Musik, Kameraeinstellungen,

Kulturelle Werte im Film Die Rolle des Films für die Ausbildung interkultureller Kompetenz 79 Requisiten oder Schnitttechnik. Die Art der Verwendung dieser Kommunikationsmittel löst beim Betrachter interne Repräsentationen von Objekten, Ereignissen, Zuständen und anderen Phänomenen aus. Diese Art der Verwendung soll im Folgenden als ein Zeichen verstanden werden. Eine traurige Filmmusik ist dann z.b. ein Zeichen für die entsprechende Stimmung. Verstanden wird das Zeichen, wenn es zu einer entsprechenden internen Repräsentation beim Betrachter führt. Es ist daher wichtig, an dieser Stelle festzuhalten, dass die Bedeutung den verwendeten Zeichen nicht inhärent ist. Vielmehr verweisen oder referieren diese über die von ihnen ausgelösten kognitiven Prozesse auf die jeweilige Bedeutung. Der Film als Medium zur Kommunikation referiert daher zum einen vom kommunikativen Mittel auf den kommunikativen Zweck, also vom konkreten Zeichen auf eine interne, kognitive Repräsentation, und zum anderen vom kommunikativen Zweck auf eine kommunikative Intention, also von der Bedeutung eines Zeichens zu der vom Produzenten intendierten Wirkung auf den Zuschauer. Ist es z.b. die Intention eines Regisseurs zu zeigen, dass die Begegnung mit einer fremden Kultur zu irrationalen Ängsten führen kann, dann wird er seine Figur in einer entsprechenden Situation durch Gesten oder Worte ihre Angst oder ihr Unbehagen zum Ausdruck bringen lassen. In der Anfangsszene des Films Angst essen Seele auf (Rainer Werner Fassbinder: 1974) betritt Emmi (Brigitte Mira) ein mehrheitlich von Migranten besuchtes Lokal. Ihre ganze Körpersprache, die Art, wie sie steif in der Nähe der Eingangstür stehen bleibt, wie sie dann doch halb trotzig, halb eingeschüchtert Platz nimmt, drückt ihr Unbehagen in der ungewohnten Umgebung aus. Dieses Unbehagen wiederrum referiert auf die kommunikative Intention des Regisseurs, dem Publikum den Zusammenhang zwischen Fremdheit, Ausgrenzung und Angst zu verdeutlichen. Wie in jeder Kommunikation kann man auch im Film durch Zeichen mehr oder weniger explizit bzw. implizit auf Bedeutungen referieren. Gerade im Film, wo viele wichtige Aussagen oft nur angedeutet werden können, spielen implizite Formen der Kommunikation eine wichtige Rolle. Implizit kann Bedeutung z.b. zwischen den Zeilen der Dialoge enkodiert werden. Zur impliziten Kommunikation dienen aber auch Requisiten, Kameraeinstellung oder Filmmusik. Auf diese Weise kann dem Betrachter ein Einblick in das Innenleben der Protagonisten gegeben werden. So kann die Kameraeinstellung z.b. Distanz oder Nähe zwischen Charakteren schaffen. Wie in dem Film Nirgendwo in Afrika (Caroline Link: 2001), in dem das Schicksal einer jüdischen Familie, die vor

80 Institute for Language and Culture Nazideutschland nach Afrika flieht, erzählt wird. Jettel (Juliane Köhler) kommt zunächst mit dem einfachen Leben in Afrika überhaupt nicht zurecht. Erst allmählich freundet sie sich mit dem Land, den Menschen und ihrer Lebensweise an. Dieser langsame Integrationsprozess wird auch durch die Kameraeinstellung unterstützt, die Jettel zunächst isoliert und distanziert von den Einheimischen, später dann aber immer mehr integriert zeigt. Auf diese Weise wird die Kameraeinstellung zu einem Kommunikationsmittel, über das unterschwellig Aussagen über ansonsten schwer zu verbalisierende Gefühlszustände der Protagonisten gemacht werden können. 3. Denotation und Konnotation Die Besonderheit beim Film ist, dass es sich um einen asynchronen medialen Monolog handelt. D.h., die Filmemacher müssen mit ihrem Produkt mehrere Empfänger ansprechen, denen zudem, da Filmproduktion und Rezeption zeitlich versetzt sind, die Möglichkeit fehlt, bei Missverständnissen nachzufragen. Verwendete Zeichen müssen also in ihrer Aussage eindeutig sein, das heißt, die Referenz zwischen Mittel und Zweck der Kommunikation muss möglichst von allen potentiellen Rezipienten verstanden werden. Dies wird vor allem dann problematisch, wenn zur Dekodierung der Zeichen neben der Denotation auch dessen Konnotation herangezogen wird. Als Denotation wird der Teil der Bedeutung verstanden, auf den das Zeichen per Konvention verweist. Konnotationen ergeben sich dagegen vor allem über die individuellen Erfahrungen eines Betrachters. Konnotationen sind also häufig eng mit der Sozialisation und der Enkulturation der Rezipienten verbunden. Die Kopftuchdebatte in Deutschland hat z.b. gezeigt, dass ein Kopftuch als Ausdruck also Zeichen der Religiosität ganz unterschiedliche interpretiert werden kann. So sehen die einen in dem Kopftuch den Ausdruck ihres Rechts auf Selbstbestimmung und religiöse Freiheit, die anderen ein Zeichen von Diskriminierung und Unterdrückung (Die ZEIT 2010). Im Film können Requisiten implizit komplexe Aussagen über den Charakter, die Sozialisation oder die Werte einer Filmfigur machen. Ein Protagonist, der einen Roadster Oldtimer fährt, wird mit einer anderen Lebenseinstellung und einem anderen Wertesystem in Verbindung gebracht, als der Fahrer eines schwarzen Mercedes C-Klasse. Treffen solche unterschiedlichen Wertesysteme aufeinander, wie in dem Film Maria, ihm schmeckt s nicht (Neele Vollmar:

Kulturelle Werte im Film Die Rolle des Films für die Ausbildung interkultureller Kompetenz 81 2009) vertreten durch Jan und Antonio, Jans Schwiegervater in spe, dann kommt es fast zwangsläufig zu Spannungen. Zuschauer, die die konnotative Bedeutung der Autos dekodieren können, verstehen dann auch die Motivation für die Konflikte zwischen den beiden Charakteren und können die jeweiligen Handlungen als Konsequenz aus den Charaktereigenschaften ableiten. 4. Der Plot als Kommunikation interner Zustände Filme erzählen in der Regel komplexe Geschichten in wenigen Minuten. Jeder Film sieht sich also zunächst mit dem Problem der begrenzten Zeit und des begrenzten Ausschnitts konfrontiert. Die Charaktere eines Films sind daher ontologisch flach (Margolin 1989), d.h. sie haben keine eigene Sozialisation durchlebt. Erst durch die Interpretation des Betrachters erhält eine Filmfigur Tiefe (Emmott 1997, S. 81). Diese implizite Charakterisierung der Protagonisten durch den Zuschauer erfüllt dabei eine wichtige Funktion in der Konstruktion des Plots. Jeder Film setzt sich aus einzelnen Szenen zusammen, die erst im Kopf des Betrachters zu einer zusammenhängenden Geschichte einem Plot werden. Die Konstruktion des Plots aus den zunächst isolierten Szenen ergibt sich dabei nicht zuletzt aus den Motivationen der Protagonisten, indem sie Kausalitäten zwischen Einzelsequenzen erzeugen. Denn erst durch ein Verständnis für die Wünsche, Ziele, Hoffnungen oder Ängste der Protagonisten kann eine bestimmte Handlung als Konsequenz aus den bisherigen Ereignissen wahrgenommen werden. Da, wie oben erwähnt, Kommunikation über Filme asynchron verläuft, ist es für ein Gelingen der Kommunikation wichtig, dass sich die Zeichen, über die die internen Zustände der Charaktere enkodiert werden, von dem Zielpublikum so eindeutig interpretieren lassen, dass sich die Bedeutung für den Betrachter von allein erschließt. Filme, die eine Symbolik verwenden, die vom Zuschauer nicht dekodiert werden kann, führen zwangsläufig zu Unverständnis beim Zuschauer. Darüber hinaus sprechen Filme auch immer Gruppen von Menschen an (1:N-Kommunikation), so dass die konnotativen Bedeutungen der verwendeten Zeichen zumindest innerhalb der Zielgruppe der potentiellen Zuschauer verbreitet sein müssen. Vor allem bei Filmen, die in einem bestimmten Land und / oder bei einer bestimmten sozialen Gruppe sehr erfolgreich waren, kann man daher davon ausgehen, dass die verwendeten Zeichen von den Zuschauern verstanden wurden. D.h., vor allem populäre Filme sind gute Spiegel für die Gesellschaft, aus der sie kommen und in der sie konsumiert wurden.

82 Institute for Language and Culture 5. Kulturelle Stereotype als kommunikative Mittel Während viele Hollywood Filme für ein internationales Publikum gedacht sind, richten sich deutsche Filme in der Regel speziell an ein deutsches Publikum. Nonverbale Kommunikationsmittel müssen Bedeutung daher auf eine Weise enkodieren, die von einer Mehrheit der deutschen Betrachter verstanden werden kann. Anders als in vielen Hollywood Filmen sind die Konnotationen, die von einem Zeichen hervorgerufen werden, daher oft kulturspezifisch. Ein gutes Beispiel dafür sind bestimmte Dialekte oder Soziolekte, die mit bestimmten Stereotypen verbunden sind. Solche Verbindungen zwischen Dialekt und Charaktereigenschaften werden auch durch das soziale Ansehen geprägt, dass die Sprachgemeinschaft genießt (Die WELT 2014). Die Verwendung bestimmter Dialekte zur Charakterisierung der Protagonisten reflektiert daher auch die gängigen Stereotype innerhalb der Kultur, für deren Vertreter der Film vorgesehen war. Kulturelle Stereotype als kommunikatives Mittel zur Charakterisierung der Protagonisten dienen wiederrum einer bestimmten kommunikativen Intention. Möchte ein Filmemacher z.b. beim Publikum Empathie für einen Protagonisten auslösen, wird er diesen Protagonisten mit Charaktereigenschaften ausstatten, die bei dem potentiellen Publikum positiv bewertet werden. Ein schönes Beispiel ist eine Kaffee-Werbung aus den 90er Jahren (Nescafé 1992 mit Bruno Maccallini). In der Werbung möchte eine gutaussehende, junge Frau sich bei ihrem Nachbarn beschweren, dass er sie zugeparkt hat. Anstatt auf ihr Anliegen einzugehen, nutzt ihr Nachbar, ein Italiener, der gerade dabei ist, sich einen Cappuccino zuzubereiten, seinen Charme, um den überraschenden Besuch zu einem Kaffee zu überreden. Die Intention des Spots ist recht einfach: Es wird suggeriert, dass der Konsum des Produkts die positiven Stereotype, die mit Italien und der italienischen Kaffee-Kultur verbunden sind, auf den Konsumenten überträgt. Einfacher gesagt, steht bei der Werbung zwischen den Zeilen: Wenn Sie unseren Kaffee trinken, dann sind Sie ein echter Italiener, ergo, Sie sind charmant, gewitzt, können das Leben genießen und Sie sind nicht so spießig und verbissen, wie das eben die Deutschen sind. Die Werbung sagt daher schon viel über das Bild der Deutschen über Italiener und über sich selbst aus. Die Nationalität des Protagonisten in der Werbung wird dabei als Zeichen verwendet, um bestimmte Konnotationen bei den Zuschauern auszulösen. Dies kann nur dann funktionieren, wenn die Produzenten des

Kulturelle Werte im Film Die Rolle des Films für die Ausbildung interkultureller Kompetenz 83 Werbespots sicher sein können, dass eine Mehrheit der Zuschauer oder zumindest der potentiellen Kunden diesen Zusammenhang zwischen italienischer Nationalität und Dolce Vita decodieren kann. Wäre es die Intention der Werbung zu suggerieren, dass man durch den Kauf des Produkts gesund lebt, wäre womöglich ein älterer Ostasiate mit langem Bart als Träger der Botschaft verwendet worden. Die Werbung gibt aber nicht nur einen Einblick auf ein in Deutschland verbreitetes Stereotyp. Vielmehr sagt die Tatsache, dass Stereotypen über Italiener zur Werbung für ein Produkt eingesetzt werden, auch etwas darüber, wie die mit dem Stereotyp verbundenen Charaktereigenschaften bei den Deutschen bewertet werden. Die kommunikative Intention der Werbung ist schließlich, das Produkt mit positiven Konnotationen zu verbinden. Die Stereotype, die mit der italienischen Lebenseinstellung verbunden sind, werden von den potentiellen Kunden also positiv bewertet zumindest erwarten dies die Produzenten des Films. Die dem Protagonisten zugeordneten Attribute wie Kleidung, Sprache, Gestik, Requisiten usw. verweisen nicht nur auf dessen Charaktereigenschaften, sondern auch auf die Rolle, die der Protagonist in der Handlung einnimmt. Diese Kategorisierung des Protagonisten anhand seiner Darstellung muss gesellschaftlich tradiert sein, ansonsten könnten sich die Filmproduzenten nicht darauf verlassen, dass die von ihnen verwendeten Zeichen auch ihre kommunikative Intention erfüllen. Filme können daher m.e. gerade deswegen zu einem Anschauungsmaterial für die fremde Kultur werden, weil sie eben nicht die Realität dieser Kultur abbilden, sondern das in dieser Kultur vorherrschende Selbst- und Fremdbild. Der Film spiegelt also vor allem die Vorstellungswelt einer Gesellschaft wider. 6. Der Protagonist als Archetyp Filme erzählen in der Regel Stellvertretergeschichten. Der Film Soul Kitchen erzählt die Geschichte eines Deutschen mit griechischen Wurzeln, der gegen alle Widrigkeiten und Probleme für den Erhalt seines Lokals kämpft (Fatih Akin: 2009). Der Film wäre nicht interessant, wenn die Geschichte nicht exemplarisch die Probleme der in Deutschland geborenen und / oder herangewachsenen Nachfahren der Gastarbeitergeneration beleuchten würde. Die Protagonisten eines Filmes dienen daher meist als Allegorie für bestimmte soziale Klassen, bestimmte Lebensentwürfe, bestimmte Charaktereigenschaften usw. Die Rolle, die ein

84 Institute for Language and Culture Charakter in einem Film einnimmt, muss daher soweit stereotypisiert werden, dass der Zuschauer in ihr einen bestimmten Topos erkennt. Besonders geeignet in diesem Zusammenhang sind kulturelle oder nationale Stereotypen. Der Charakter vertritt dann einen bestimmten Typ, dessen Wiedererkennung durch die verbreiteten Stereotypen dem Zuschauer recht leicht fällt. Ein beliebtes Thema, das sich in der Filmgeschichte immer wieder findet, ist z.b. der edle Wilde. Ganz allgemein wird der Zusammenprall zweier Kulturen in Filmen gerne verwendet, um diese Kulturen exemplarisch miteinander zu vergleichen. Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Lebensweisen erlaubt dann eine doppelte Reflektion, nämlich zum einen über die andere Kultur, zum anderen erschließen sich aus den Vorteilen des Fremden implizit die Nachteile des Eigenen und umgekehrt. Diese Strategie wurde schon im ersten Jahrhundert nach Christus von dem römischen Senator Tacitus angewendet, der das Bild der primitiv lebenden und abgehärteten Germanen als Spiegel zur Kritik an der Dekadenz der eigenen Kultur nutzte. Die umgekehrte Funktion übernimmt die Darstellung unzivilisierter Völker in den frühen Hollywood Western oder Tarzan Filmen, in denen Indianer bzw. Afrikaner fast durchgehend als brutal mordende Horden dargestellt werden. Im Laufe der Jahre verschiebt sich dagegen das Wertesystem, so dass in Filmen wie Avatar (James Cameron: 2009) ein außerirdisches Volk, das im Einklang mit der Natur lebt, von der Profitgier der technologisch überlegenen Menschen in seiner Lebensweise bedroht wird. Ähnlich wird dieser Kontrast auch in dem Film Nirgendwo in Afrika (Caroline Link: 2001) thematisiert. Der verdorbenen Zivilisation Deutschlands zur Nazizeit wird die unverdorbene und ursprüngliche Lebensweise der Afrikaner gegenübergestellt. In diesen Beispielen treffen Charaktere als Vertreter unterschiedlicher Lebensweisen aufeinander und werden so exemplarisch miteinander verglichen. Die Referenz zwischen kommunikativem Zweck (der Charakterisierung des Protagonisten) und kommunikativer Intention (dem Vergleich unterschiedlicher Lebensweisen) erschließt sich dann aus den Werten der Gesellschaft, aus der sich die Rezipienten rekrutieren. 7. Fazit: Filme im interkulturellen Sprachunterricht Ziel dieses Aufsatzes war es, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Filme für die Ausbildung interkultureller Kompetenz im Unterricht eingesetzt werden können. Dabei bin ich von der Grundthese ausgegangen, dass in Filmen über die

Kulturelle Werte im Film Die Rolle des Films für die Ausbildung interkultureller Kompetenz 85 Gestaltungsmittel wie Kameraführung, Filmmusik oder Requisiten implizit Wertungen übermittelt werden. Daraus folgt, dass eine Analyse der kommunikativen Prozesse im Film einen Einblick in die Werte und Normen einer Kultur erlaubt. Diachrone Vergleiche ermöglichen es zudem, Entwicklungen in den öffentlichen Diskursen einer Kultur nachzuzeichnen. Schließlich eigenen sich Filme nicht nur zur Reflektion darüber, wie bestimmte Themen in der Zielkultur kommuniziert werden, vielmehr geben sie auch Aufschluss darüber, welche Themen eine prominente Rolle im öffentlichen Diskurs spielen. Im Unterricht können Filme daher als Anstoß für Diskussionen über unterschiedliche Wertestandards genutzt werden. 8. Literatur Ahrends, A. & Nowitzki, W. (1997) Interkulturelles Lernen in den Lehrplänen. Anregungen für Schule und Unterricht. Kiel: Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein Die WELT (2014) Die Sachsen sprechen das schlechteste Hochdeutsch Interview mit Prof. Siebenhaar, online unter: http://www.welt.de/vermischtes/article109635488/die- Sachsen-sprechen-das-schlechteste-Hochdeutsch.html Die Zeit (2010) Mit erhobenem Haupt, online unter http://www.zeit.de/2010/19/dos-kopftuch/komplettansicht Emmott, C. (1997) Narrative comprehension: A discourse perspective. Oxford: Oxford University Press Margolin, U. (1989) Structuralist approaches to character in narrative: The state of the art, Semiotica 75(1/2), 1-24 Schönhuth, M. (2005) Glossar Kultur und Entwicklung Ein Vademecum durch den Kulturdschungel (Ausgabe 4). Trier: Trierer Materialien zur Ethnologie Thomas, A. (1996) Analyse der Handlungswirksamkeit von Kultur-standards. In Thomas, A. (Hrsg.) Psychologie interkulturellen Handelns. Göttingen: Hogrefe Thomas, A. (2003) Interkulturelle Kompetenz Grundlagen, Probleme und Konzepte, Erwägen, Wissen, Ethik 14(1), 137-221